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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Wie das Kapital sich vor Arbeiterrechten »schützt«

Prof. Dr. Heinz Karl, Berlin

 

Vor 100 Jahren: Blutbad vor dem Reichstag

 

Der 13. Januar 1920 sah den Berliner Reichstag in eine befestigte Stellung verwandelt: Mit MG-Ständen und Sandsackbarrikaden, hinter denen die sogenannte Sicherheitswehr, eine militärisch organisierte und bewaffnete kasernierte Polizeitruppe, postiert war. Auf dem freien Gelände am Fuße des Reichstagsgebäudes drängten sich Zehntausende protestierende Berliner Arbeiter. Der Befehlshaber des Reichswehr-Gruppenkommandos 1, General der Infanterie Freiherr v. Lüttwitz, hatte selbst das Kommando übernommen. Plötzlich erteilte er unter dem Vorwand, es sei ein Schuss auf die Sicherheitswehr gefallen, den Schießbefehl, wozu ihn Reichswehrminister Noske (SPD) und der preußische Innenminister Heine (SPD) ermächtigt hatten. Das Maschinengewehrfeuer hatte 42 Tote und 105 Verletzte zur Folge.

Wie kam es zu diesem Verbrechen? An diesem 13. Januar stand in der Nationalversammlung (die im Reichstagsgebäude tagte) die 2. Lesung des Reichsbetriebsrätegesetzes auf der Tagesordnung. Dagegen hatten die Zentrale der Betriebsräte Deutschlands, die USPD und die KPD am 12. Januar zum Protest aufgerufen. Sie charakterisierten den Gesetzentwurf als Versuch, den in der Novemberrevolution in vielen Betrieben errungenen Einfluss der Arbeiter mittels Gesetzgebung zu brechen, Arbeiter und Angestellte wieder zu trennen und gegeneinander auszuspielen und sie von der Kontrolle der Geschäftsführung und Betriebsleitung völlig auszuschließen. »Er macht die Betriebsräte zu bloßen Antreibern im Dienste des kapitalistischen Unternehmertums.« [1] Sie forderten dazu auf, Betriebsräte mit vollem Kontroll- und Mitbestimmungsrecht in den Betrieben zu erkämpfen. In Berlin unterstützten u.a. 15 Berliner Gewerkschaftsverbände, der Bezirksverband Berlin-Brandenburg der USPD und der Vollzugsrat der Arbeiterräte Groß-Berlins diesen Appell und riefen zur Protestkundgebung vor dem Reichstag auf. [2]

Dem Massaker folgten weitere Terrormaßnahmen. Reichspräsident Ebert verhängte über Berlin und das ganze nördliche Deutschland den Ausnahmezustand. In Berlin und der Provinz Brandenburg übernahm Noske die vollziehende Gewalt. Die Zentralorgane der KPD und der USPD, »Die Rote Fahne« und die »Freiheit«, wurden verboten. Eine neue Verhaftungswelle setzte ein.

Ein neues Kampffeld im Klassenkampf

Diesen Ereignissen waren längere Auseinandersetzungen über das Betriebsräteproblem vorausgegangen. In der Novemberrevolution waren vielerorts Betriebsräte entstanden und zu einer realen Kraft geworden. Das zeigte sich in den Berliner Januarkämpfen, in Bremen  und Braunschweig, verstärkt in den Berliner Märzkämpfen, in Rheinland und Westfalen während des ganzen Frühjahrs und in der Bayrischen Räterepublik im April 1919. Auf dem Kongress der Freien Gewerkschaften Anfang Juli 1919 wurde – gegen den scharfen Widerspruch linker Delegierter wie des Kommunisten Paul Lange und des Unabhängigen Sozialdemokraten Richard Müller – das kooperative Zusammenwirken der Betriebsräte mit den Unternehmensleitungen betont. [3] Am 9. August 1919 veröffentlichte die Reichsregierung den Entwurf eines Betriebsrätegesetzes, nach dem die Betriebsräte »für möglichste Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen zu sorgen« und »den Betrieb vor Erschütterungen zu bewahren« hätten. [4]

Aber selbst gegen diesen Entwurf legte der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) mit einer Resolution vom 24. September 1919 »einmütigen und entschiedenen Einspruch« ein, weil die in ihm fixierten Arbeiterrechte »so gefährlich für die Leitung, Ordnung und Leistungsfähigkeit der Betriebe und damit so vernichtend für das gesamte deutsche Wirtschaftsleben« [5] seien. Besonders scharfmacherisch agierten im RDI Ernst v. Borsig und Carl Friedrich v. Siemens. [6]

Nach dem blutigen Terror vom 13. Januar wurde das Betriebsrätegesetz am 18. Januar 1920 mit 215 gegen 63 Stimmen angenommen. Außer der USPD hatten die Deutschnationalen – damals die äußerste Rechte – gegen das Gesetz gestimmt, weil es ihnen nicht reaktionär genug war. Das Gesetz stigmatisierte jede politische Aktivität in Betrieben als ungesetzlich. Hatten die Betriebsräte bisher in nicht wenigen Betrieben Einfluss auf Ablauf, Umfang und Art der Produktion genommen, so war dies jetzt definitiv ausgeschlossen. Hinter der Auflage, »an der Einführung neuer Arbeitsmethoden fördernd mitzuarbeiten« [7] verbarg sich das Bestreben, Arbeiter und Gewerkschaften zur Unterstützung von Akkordarbeit und kapitalistischer Rationalisierung zu bewegen.

Die KPD orientierte schon unmittelbar nach Inkrafttreten des Betriebsrätegesetzes auf einen differenzierten Umgang mit ihm im Interesse der Werktätigen. Das betraf in erster Linie die maximale Sicherung der vertraglichen Arbeitsbedingungen: der Löhne, des konkreten Arbeitsprozesses, des Arbeitsschutzes. Sie lenkte aber auch die Aufmerksamkeit auf die gegebenen Möglichkeiten, gesetzwidrige Profitmacherei, Spekulations- und Schiebergeschäfte zu Lasten der Beschäftigten und Konsumenten zu unterbinden, desgleichen das Verschieben in Deutschland benötigter Produkte ins Ausland. [8]

Klar war für die KPD immer, dass der Betrieb, in dem sich Arbeiter und Unternehmer begegneten, eine Arena des Klassenkampfes war, dass Betriebsräte an einer Schnittstelle des Klassenkampfes wirkten.

100 Jahre danach

An diesen grundlegenden Zusammenhängen hat sich bis heute nichts geändert. Was man erst kürzlich wieder am Nürnberger Gewerkschaftstag der IG Metall beobachten konnte. Nicht anders als Freie Gewerkschaften und SPD vor 100 Jahren verkündete das dort angenommene Manifest »Die IG Metall in einer neuen Zeit« eine »Transformation« der Gesellschaft, »bei der Politik, Unternehmen und Beschäftigte im Rahmen der Sozialpartnerschaft auch zusammenarbeiten müssen«. [9] Im Gegensatz dazu erklärte ein Delegierter, Tobias Salin: »Weg von der Sozialpartnerschaft! Nicht mit der Unternehmensleitung klüngeln, nicht mit den Arbeitgeberverbänden klüngeln ... wir müssen die IG Metall wieder zu einer Kampforganisation machen ...« [10]

In diesem Sinne demonstrierten am 22. November d.J. auf einer Kundgebung der IG Metall in Stuttgart 15.000 Beschäftigte gegen angekündigte Werkschließungen, Entlassungen und Sparprogramme. Sie forderten »Finger weg von unseren Jobs!« und »30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!« Ein Betriebsratsvorsitzender erklärte: »Und wenn  man genauer dahinter schaut, geht es auch gar nicht um Transformation, es geht ausschließlich um Profitmaximierung.« Und wie vor 100 Jahren die RDI-Bonzen entrüstete sich diesmal der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall: »Die verbalen Ausfälle der IG Metall sind ein weiterer Tiefschlag für die Sozialpartnerschaft und ein denkbar schlechter Auftakt für die bevorstehende Tarifrunde.«  [11]

 

Anmerkungen:

[1]  Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. VII, 1. Halbbd., Berlin 1966, S. 173.

[2]  Freiheit, 13. Januar 1920.

[3]  Zitiert nach Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3. Von 1917 bis 1923, Berlin 1966, S. 580.

[4]  Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil II: Von 1917 bis 1945, Berlin 1966, S. 72.

[5]  Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, (Berlin) 1919, H. 7, S. 17.

[6]  Vgl. Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung. Bd. 2: Von 1917 bis 1945, Berlin 1987, S. 114.

[7]  Zitiert nach Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3. Von 1917 bis 1923, Berlin 1966, S. 580.

[8]  Dok. u. Mat., Bd. VII/1, S. 202-204.

[9]  Zitiert nach: Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, S. 39.

[10]  Ebenda.

[11]  Unsere Zeit, 29. November 2019, S. 2.

 

Mehr von Heinz Karl in den »Mitteilungen«: 

2019-05: Blutmai 1929

2018-12: Vor 100 Jahren: Kommunistische Partei Deutschlands!

2018-11: Vor 100 Jahren: Deutsche Novemberrevolution 1918/19