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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Österreicher, Jude, Kommunist

Prof. Dr. Hermann Klenner, Berlin

 

Gerhard Oberkofler: Mit dem österreichischen jüdischen Marxisten Bruno Frei unterwegs im 20. Jahr­hundert, trafo Wissenschaftsverlag, Berlin 2024, 264 S., 22,80 Euro. – Vorabdruck einer Buch-Rezension, die im Juni 2024 in der Vierteljahresschrift »Z. – Zeitschrift Marxistische Erneuerung« (ZME) erscheinen wird, s. www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de. Dank an Hermann Klenner und die Z-Redaktion!

 

Der in Permanenz produzierende und publizierende Autor, ein wissenschaftshistorisch arbeitender Universitätsprofessor im (Unruhe-)Ruhestand, der vor wenigen Jahren das seiner Meinung nach eigentlich notwendige Miteinander von Christen und Marxisten in einem konkreten Fall erörtert hatte [1], hat sich nun an einem imposanten Beispiel auch dem Verhältnis von Judentum und Marxismus zugewandt: er veröffentlichte eine im Nachfolgenden zu besprechende hochinteressante Monographie über seinen Lands­mann, den hierzulande weniger bekannten jüdischen Marxisten Bruno Frei (1897-1988). Dessen Lebenslauf und Vielseitigkeit garantiert eine breite Leserschaft; es wer­den nämlich auch Einblicke in die persönlichen und/oder literarischen Beziehungen von Bruno Frei zu Martin Buber, Josef Dietzgen, Ernst Fischer, Friedrich Heer, Otto Heller, Bruno Kreisky, Patrice Lumumba, Albert Massiczek, Willi Münzenberg, Karl Renner und Anni Seipel geboten.

Zusätzlich sind vier Originaltexte von Bruno Frei nachgedruckt: über den Anarcho-Kom­munismus Ernst Fischers, über traumatisierende Schuldgefühle bei jüdischen KZ-Über­lebenden, über die sieben Kehrtwendungen des Moses Hess sowie über des Propheten Jesaja »Gesicht« (Ahnung), wonach die Schwerter zu Pflugscharen gemacht werden, kein Volk wider ein anderes das Schwert erheben und niemand lernen wird, Kriege zu führen (Altes Testament, Jes II, 5). Dass der Autor beim zuletzt erwähnten Originaltext sich nicht entgehen lässt, den gegenwärtigen Papst Franziskus zu erwähnen, der in unserer von Brutalitäten beherrschten Welt bedingungslos Partei für Migranten und Flüchtlinge im Geiste Jesajas ergreife, zählt zum Geist der ganzen Monographie Ober­koflers, der auch – mit einer entgegengesetzten Wertung – Olaf Scholz und Annalena Baerbock erwähnt.

Rückblickend erörtert der Autor G. O. außerdem die Begegnungen von Karl Marx mit dem »Kommunistenrabbi« Moses Hess (1812-1875). [2] Dabei geht es um Hess' Hoffnung auf einen Untergang des »Schacherjudentums« sowie um seine vom Judentum gepräg­ten und auf die illusionären Gedanken des israelischen Religionsstifters Moses selbst zurückgehenden Vorstellungen von einer Transformation des seinerzeitigen reaktio­nären Europa zu allgemeiner nationaler und vor allem sozialer Gleichheit. [3]

Mit seiner bewundernswerten, jeweils exakt nachgewiesenen, auch aus Archiven erar­beiteten Quellenkenntnis begleitet der Autor seinen Helden Bruno Frei (eigentlich: Be­nedikt Freistadt) entlang dessen Lebensweges, der ihn von Bratislava über Wien nach Berlin, von dort nach Prag, sodann in die Schweiz und nach Frankreich und von Mexiko wieder nach Wien, gelegentlich auch nach China, geführt hat. Von Haus aus bestimmt, den Weg eines Rabbiners einzuschlagen, und behaftet mit der Ethik des religiösen Judentums als seiner theologischen Grundspiritualität, bezeichnete sich Frei im Alter schließlich als »Österreicher, Jude, Kommunist, Parteijournalist, Funktionär, Emigrant«. [4]

Bruno Frei hatte in Wien Philosophie studiert, auch die psychoanalytischen Kurse von Siegmund Freud besucht und 1920 über »Die Ethik des Pirqué Awoth als Paradigma einer Ethik des Judentums« promoviert, sich also mit den in die Struktur des Talmud eingebetteten Sprüche verschiedener Rabbinen befasst, die eine Grundlage des Juden­tums bilden. [5] Zwei Jahre zuvor schon hatte er in seinem Artikel »Ghetto« dessen Reali­täten in Wien mit seinen sichtbaren Widersprüchen von wirklicher jüdischer Religiosi­tät, Straßenhändlertum an jeder Ecke, Flüchtlingen aus Palästina, üppig Verdienenden wie hilflos Verelendenden durchschaut und bereits erkannt, dass nicht die Verschieden­heit von Jud und Christ, von Germanen und Slawen, von Deutschen und Engländern wesentlich ist, sondern die gemeinsamen Übel, der gemeinsame Erbfeind von Hunger, Elend, Krankheit und Verbrechen. Der wirtschaftliche Gegensatz, der Klassenkampf (!), sei der eigentliche Krieg zwischen den jüdischen und den arischen Kriegsgewinnlern auf der einen Seite und den jüdischen und arischen Kriegsverlierern auf der anderen Seite. Ohne ideologische Vorbehalte, dabei auch Sätze aus dem Koran zitierend, unter­streicht Bruno Frei eine besondere Rolle des Judentums in der Menschheitsgeschichte: »Christus, Spinoza, Marx waren Söhne unseres Volkes«. Die Stärke von Oberkoflers Argumentation ist auch durch sein Einfühlungsvermögen in das redliche Denken von Religiösen, speziell von Christen, aber auch von Juden, verursacht.

Den Wiener Januarstreik von 1918 hatte Bruno Frei mit Sympathie für die »Bolsche­wiken« erlebt. 1923 entschloss sich der inzwischen der österreichischen sozialistischen Partei Beigetretene, nach Berlin überzusiedeln, wo er 1929 aus der Sozialdemokratie austrat und sich zum Kommunismus bekannte, weshalb er 1933 als Doppeltgefährdeter aus Deutschland fliehen musste, zunächst in die Tschechoslowakei. Allerdings wurde er 1936 auch aus Prag ausgewiesen, aber es gelang ihm, über Straßburg in die Schweiz nach Basel zu kommen und von dort – auf Wunsch Walter Ulbrichts (!) – nach Paris. Vom Oktober 1939 bis Januar 1941 wurde er im Lager Le Vernet interniert (worüber er 1961 einen Tatsachenbericht – mit einem Vorwort von Lion Feuchtwanger – publizierte). Von dort gelang es ihm, nach Mexiko zu flüchten, wo er Mitbegründer und Redakteur von »Freies Deutschland« wurde.

Nach Ende des Weltkrieges kehrte Bruno Frei nach Wien zurück, wo er für die Kommu­nistische Partei Österreichs als vielschreibender Journalist im In- und Ausland tätig wur­de und als Delegierter an Zusammenkünften der Weltfriedensbewegung teilnahm. Sei­ne Reportagen aus Österreich, Westdeutschland, Italien, Polen, Tschechoslowakei, Mexiko, Finnland und der Sowjetunion sind unter dem Titel »Mit eigenen Augen« zusam­mengefasst in Berlin und Wien publiziert worden. Auch über China und Vietnam hat er von seinem dortigen Aufenthalt berichtet. Unter dem Titel »Die Stafette« veröffentlichte er in Berlin »Historische Miniaturen«, darunter eine über den um 30 n. u. Z. hingerichte­ten Jesus von Nazareth; eine andere bietet ein fiktionales Gespräch bei Immanuel Kant (1724-1804) und eine weitere stand unter der Überschrift »Ein Rufer in der Wüste. Lenin 1914«. Seine in Frankfurt am Main sowie in DDR-Verlagen publizierten Monogra­phien, vor allem die über Carl von Ossietzky (1889-1938), sind unübertroffen und gera­de im Gegenwartsdeutschland, das in einen dritten Weltkrieg einbezogen zu werden droht, von besonderer Wichtigkeit.

Um auch etwas Kritisches zu sagen: Die tatsächlichen Seitenzahlen des Textes stimmen mit dem Inhaltsverzeichnis des Buches nicht überein.

März 2024

 

Anmerkungen:

[1] Vgl.: Gerhard Oberkofler, Christ und Marxist, Berlin 2021, rezensiert in: ZME, Jg. 32, Heft 128 (Dezember 2021), S. 213-215.

[2] Vgl. auch: Volker Weiß, Moses Hess, Köln 2015; Samuel Salzborn (ed.), Zionismus. Theorie des jüdischen Staates, Baden-Baden 2015.

[3] Vgl. auch: Bruno Frei, Die heilige Utopie. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des jüdischen Volkes, Verlag Kibbutz Artzi 1981.

[4] Bruno Frei, Der Papiersäbel. Autobiographie, Frankfurt 1972, 401 Seiten; vgl. auch: Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft18. bis 20. Jahrhundert. Bd. 1, München 2002, S. 359.

[5] Vgl. Der Babylonische Talmud, München 1963; Die Sagen der Juden (gesammelt von M. Gorion), Leipzig 1978.

 

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