Kurzinformation über den Online-Parteitag der Berliner LINKEN
Ellen Brombacher und Stephan Jegielka, Berlin-Mitte
Vorgesehen war der Parteitag am 4. Dezember 2021 ursprünglich nicht. Mehr als ein Viertel der Parteitagsdelegierten forderten ihn, und somit musste er stattfinden. Im Mittelpunkt stand die Haltung der Delegierten zum Koalitionsvertrag, über den vom 3. bis 17. Dezember 2021 ein Mitgliederentscheid [1] stattfindet.
Nach Eingangsstatements von Katina Schubert, Klaus Lederer, Franziska Brychcy, Elke Breitenbach und Steffen Zillich folgte die Generaldebatte, an der 51 Delegierte und Gäste teilnahmen. Die Anzahl der zu Wort gekommenen Gäste, darunter zehn vom Landesvorstand eingeladene Vertreter von Bewegungen, überwog.
16 Diskutanten, also ca. 30 Prozent der Redner in der Generaldebatte, plädierten für ein Nein zum Koalitionsvertrag, die meisten von ihnen wegen des dort fixierten Umgangs mit den Ergebnissen des Volksentscheids »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«. Dem Parteitag lag ein von 29 Delegierten aus sieben Bezirksverbänden – darunter Pankow, Lichtenberg und Mitte – unterschriebener Antrag vor, der das Kräfteverhältnis von Pro- und Kontra-Stimmen in puncto Koalitionsvertrag transparent gemacht hätte, so er denn behandelt worden wäre. Der Landesvorstand stellte den Antrag auf Nichtbefassung. Für die Nichtbefassung stimmten 57,75 Prozent und dagegen 40,14 Prozent der Delegierten. Zwei Prozent enthielten sich. Nun haben die Berliner Mitglieder der LINKEN das Wort.
Abschließend zur Information der Redebeitrag von Ellen Brombacher, Delegierte des Bezirksverbandes Mitte:
Liebe Genossinnen und Genossen,
natürlich gibt es Licht. Aber: Ein einziges Wort verdunkelt in meinen Augen den gesamten Koalitionsvertrag. Das Wort »gegebenenfalls«.
Gegebenenfalls sollen auf Empfehlung der Expertenkommission 2023 Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vorgelegt werden. Gegebenenfalls – das bedeutet: Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Der im Koalitionsvertrag bekundete Respekt vor dem Abstimmungsergebnis des Volksentscheids heißt also: Vielleicht machen wir ein Vergesellschaftungsgesetz. Vielleicht lassen wir es aber auch.
Mehr als eine Million der Abstimmenden haben ihren Willen kundgetan, dass die Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen vergesellschaftet werden sollen. Ich warne davor, dieses Ergebnis moralisch abzuwerten, indem man einem Teil von ihnen vorwirft, nicht DIE LINKE gewählt zu haben. All diejenigen, die für die Enteignung stimmten, müssen sich jetzt betrogen fühlen. Das Wort »gegebenenfalls« gibt all jenen Recht, die meinen, mit der Expertenkommission soll das Ergebnis des Volksentscheids versenkt werden. Und das Ziehkind Buschkowskys, Frau Giffey, nimmt unserer Partei auch noch das Stadtentwicklungsressort weg. Machiavelli würde stolz auf sie sein.
Unsere Partei hat den Volksentscheid vorbehaltlos unterstützt. Jetzt wird mit dem Hintern eingerissen, was mit den Händen aufgebaut wurde. Das Einzige, was DIE LINKE in Berlin jetzt vor einem Glaubwürdigkeitsverlust sondergleichen bewahren kann, ist messbarer Widerstand, der dokumentiert, dass unsere Partei diesen Anpassungskurs nicht bedingungslos mitträgt. Ich kann daher nur mit Nein stimmen.
(verbreitet am 6. Dezember 2021)
Anmerkung:
[1] Ergebnis: Rund 53 Prozent der 8.016 Mitglieder haben sich beteiligt. Davon stimmten 74,91 Prozent zu. 22,4 Prozent stimmten dagegen, und knapp drei Prozent enthielten sich (Angaben nach »nd« vom 18. Dez. 2021). – Red.
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