Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Internationalisierter Wahlkampf«

Żaklin Nastić, MdB, DIE LINKE

 

Zur politischen Ausrichtung Polens

 

Am 9. Mai verkündete die polnische Kommission für die Standardisierung geographischer Namen, der Name der russischen Exklave »Kaliningrad« sei gegen »Królewiec« auszutau­schen. »Królewiec« ist eine polnische Version des im 13. Jahrhundert vom Deutschen Rit­terorden gegründeten »Königsberg« (Conigsberg). 1946 wurde die im Rahmen des Potsda­mer Abkommens unter sowjetische Verwaltung gestellte Stadt in Erinnerung an den da­mals bereits verstorbenen ehemaligen Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, Michail Iwanowitsch Kalinin, umbenannt.

Die polnische Kommission begründete, die Stadt sei historisch unter dem Namen »Króle­wiec« bekannt. Zudem handele es sich bei Kalinin um einen »Kriminellen«, der als einer von sechs Unterzeichnern eines entsprechenden Befehls Verantwortung für die Hinrichtung von etwa 4.500 polnischen Offizieren im Wald von Katyn im April und Mai 1940 trage. Aber auch der aktuelle Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine wurde als Grund angeführt.

Der Vorgang hat System: seit Jahren betreibt die rechtsnationalistische PiS-Regierung gezielten Geschichtsrevisionismus. 2016 wurde das »Gesetz gegen die Verbreitung von Kommunismus und anderen totalitären Systemen durch die Namen öffentlicher Einrichtun­gen« verabschiedet. Hunderte Denkmäler und Gedenktafeln, die unter anderem an die Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee erinnern, wurden entfernt. So auch die Gedenktafel am Geburtshaus von Rosa Luxemburg. Mitte April dieses Jahres beschloss der Sejm der Republik Polen die Einsetzung einer »Sonderkommission zur Eliminierung russi­scher Einflüsse auf die polnische Gesellschaft«. Sie hat Zugriffsmöglichkeiten auf alle Geheimdiensterkenntnisse seit 2007 (bezeichnenderweise ab dem Jahr, in dem die PiS-Partei erstmals nicht mehr in der Regierung saß) und ist befugt, Berufsverbote auszuspre­chen und »Russlandfreunden« zu verbieten, öffentliche Ämter zu bekleiden und bürgerliche Ehrenrechte zu übernehmen. Unter Missachtung der Gewaltenteilung übernimmt ein poli­tisch eingesetztes Gremium faktisch gerichtliche Aufgaben. Dass es gelingt, den Oppositi­onsführer und ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk auszubooten, indem ihm und seinen politischen Partnern eine russlandfreundliche Politik vorgeworfen wird, ist unwahr­scheinlich. Denn diese sind von der Regierungslinie gegenüber Russland keinesfalls weit entfernt und haben ihrerseits ausgerechnet der PiS-Regierung in der Vergangenheit Russ­landnähe vorgeworfen. Die Hexenjagd auf »Russen« und »Russenfreunde« aber ist jeden­falls auf eine neue Stufe gehoben.

Enges Bündnis mit den USA

Neben Änderungen des Wahlgesetzes zugunsten der regierenden PiS-Partei bei Streichung der Möglichkeit zur Briefwahl und der Schaffung enormer bürokratischer Hürden bei der Abgabe ihrer Stimme für Auslandspolen ist die Bedienung des Feindbilds Russland wichti­ger Teil des Wahlkampfs (die Wahlen werden aller Wahrscheinlichkeit nach am 15. Oktober stattfinden). Man präsentiert sich als größter Unterstützerstaat der Ukraine – ungeachtet der Tatsache, dass dort der Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera auch auf höchster politi­scher Ebene verehrt wird. Bandera, ideologischer Führer des radikalen Flügels der Organi­sation Ukrainischer Nationalisten (OUN) gilt als Verantwortlicher für die Ermordung zehn­tausender Juden und polnischer Zivilisten.

Polen prescht regelmäßig voran, was die Lieferung von Rüstungsgütern an Kiew angeht. Der Gesamtwert bislang gelieferter Waffensysteme beläuft sich auf 2,4 Milliarden Euro. [1] Darunter bzw. geplant sind Radschützenpanzer, selbstfahrende Mörser des Typs M120 Rak und Raketen. Im März war es wiederum Polen, das zunächst die Lieferung von vier Kampf­flugzeugen vom Typ MiG-29 an die Ukraine ankündigte und damit als erstes Nato-Land der ukrainischen Bitte um Kampfflugzeuge nachkam. Im April genehmigte die Bundesregierung nur wenige Stunden nach Eingang eines entsprechenden polnischen Antrags die Weiterga­be von weiteren 23 MiG-29 Kampfflugzeugen, die Warschau Anfang der 90er Jahre aus den Beständen der DDR übernommen hatte. Die PiS-Regierung wirft Berlin vor, die Ukraine zu zögerlich mit Waffenlieferungen zu unterstützen.

Zugleich forciert Polen mit Hochdruck die Aufrüstung der eigenen Armee. So werden die MiGs mit US-amerikanischen F-35 Kampfflugzeugen ersetzt. Auch wurden 370 Abrams-Panzer bestellt und im Mai erhielt Polen erste US-Raketenwerfer vom Typ HIMARS, um sie nahe der russischen Grenze zu stationieren. Der Kauf weiterer Systeme ist in Planung. Zudem soll die polnische Armee von derzeit 164.000 Soldaten auf 350.000 Mann vergrö­ßert werden. Verteidigungsminister Blaszczak spricht sogar von »der stärksten Armee Europas« innerhalb von zwei Jahren. Die Militärausgaben wurden auf 3 Prozent des BiP erhöht und sollen zukünftig noch weiter steigen.

Die polnische Regierung versucht, ihr Land als »neues Zentrum Europas« zu profilieren. Warschau hat seit Beginn des Ukraine-Kriegs ein neues – wenn auch ein äußerst zweifel­haftes – außenpolitisches Selbstbewusstsein entwickelt. Dies geschieht in engem Bündnis mit den USA, während besonders Russland aber auch Deutschland nicht nur aus aktuellen, sondern insbesondere aus historischen Gründen misstraut wird. Das immer engere Ver­hältnis mit Washington ist beachtlich, hatte der Präsident der Republik Polens doch nach der Wahl Joseph Bidens noch »vergessen«, diesem zu gratulieren, denn die polnische Regierung hatte eigentlich auf eine Wiederwahl Donald Trumps gesetzt.

Aber der Ukraine-Krieg hat die Annäherung begünstigt und Washington weiß die Situation gut zu nutzen: nach seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi in Kiew im Februar war der erste Stopp Bidens Warschau – nicht Berlin oder Paris. Obwohl sich Biden auch mit dem politischen Lager von Tusk und dem Warschauer Bürgermeister Rafael Trzas­kowski traf, gab die von ihm gehaltene Rede der polnischen Regierung große innen- und außenpolitische Legitimität. Er betonte darin das »Schutzversprechen der Nato« – Worte, die in Polen als »historisch« sowie als prägend und schicksalhaft für die kommenden Gene­rationen bezeichnet wurden.

In ähnlichem Licht ist der Besuch des polnischen Regierungschefs Mateusz Morawiecki in den USA im April zu sehen. Dort unterstrich er das Bestreben, in Polen in den nächsten Jahren die »stärksten Landstreitkräfte Europas« aufzubauen. Die USA könnten bedingungs­los auf Polen setzen, beide Staaten seien essentiell für die westliche Sicherheitsordnung. Morawiecki bezeichnete Polen als Führungsnation des »neuen Europa«, die im Gegensatz zum »alten Europa« wisse, was der »russische Kommunismus« bedeute. Schon im Februar hatte Morawiecki gesagt: »Polen ist bereit, ein Schlüsselelement des postimperialisti­schen Europas zu werden. Es reicht nicht aus, Russland zu besiegen. Man muss eine Welt aufbauen, in der für den russischen Imperialismus und Kolonialismus, für russische Dominanz kein Platz mehr ist.« [2]

Entfremdung von Deutschland und der EU

Die PiS-Regierung tut – ebenfalls mit Blick auf die Wahlen im Herbst – alles, um die Ängste der polnischen Bevölkerung in für sie opportune Kanäle zu lenken. So wurde etwa in einigen Schulen ein neues Lehrfach »Sicherheitsausbildung« für die 8. und 9. Klassen eingeführt. Dieses soll, so die polnische Bildungsministerin, die Schüler auf eine mögliche Bedrohung Polens vorbereiten. Da Polen seit 2008 keine allgemeine Wehrpflicht mehr hat, sollen zudem Neuzugänge zur Armee generiert werden. Auch die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter – Polen hat mindestens 1,6 Millionen aufgenommen – passt gut in die außenpolitische Strategie der PiS-Regierung. [3] Sie erhofft sich, das Außendarstel­lungs-Debakel um die Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze kaschieren zu können.

Die Vertiefung der Beziehungen zu den USA nutzt Warschau auch im Streit mit der EU um die polnische Justizreform, die gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt und die Unab­hängigkeit der Justiz untergräbt. Im Februar hat die Europäische Kommission beschlossen, Polen wegen Verstößen gegen EU-Recht durch den polnischen Verfassungsgerichtshof und seine Rechtsprechung vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Hinzukommen das de facto existierende vollständige Abtreibungsverbot und die extrem LGBT+feindliche Poli­tik, inklusive sogenannter LGBT+freier Zonen. Das außenpolitische polnisch-US-amerikani­sche Standbein kann hier aus Sicht Warschaus nur eine Stärkung der eigenen Position im Streit mit der EU bedeuten.

Auch die verstärkten Forderungen an Deutschland nach Reparationszahlungen sind im Kontext der außenpolitischen Positionierung Polens, zugleich aber auch als innenpoliti­sches Statement zu sehen. 1,3 Billionen Euro fordert Warschau aus Berlin für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Bundesregierung hat die an sie gerichtete politische Note vom vergangenen Oktober zurückgewiesen. Sie beruft sich dabei auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Folgen der Deutschen Einheit, an dem Polen aber nicht beteiligt war. Mehr als die Hälfte der polnischen Bevölkerung unterstützt allerdings die Forderungen Warschaus. Und über 70 Prozent sehen Deutschland zumindest moralisch in der Schuld. Die rein juristische Argumentation der Bundesregierung wird darum als massiver Affront verstanden.

Die scharfe Zurückweisung polnischer Forderungen durch die Bundesregierung dürfte – un­abhängig von der juristischen Bewertung der deutschen Position – die Entfremdung War­schaus von Berlin weiter vorantreiben. Denn auch das gegen Deutschland herrschende Misstrauen hat historische Wurzeln und die PiS-Regierung weiß die offenen Wunden in der polnischen Gesellschaft zu kanalisieren und für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen.


Anmerkungen:

[1https://www.ifw-kiel.de/ukrainetracker.

[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-eu-deutschland-nato-101.html.

[3] https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781.

 

Mehr von Żaklin Nastić in den »Mitteilungen«: 

2023-03: Der Präzedenzfall

2022-04: Eine unheilige Allianz

2021-07: Menschenrechte schützen, Menschenhandel auch in Deutschland konsequent bekämpfen!