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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der Präzedenzfall

Żaklin Nastić, MdB für DIE LINKE

 

Am 24. März jährt sich zum 24. Mal der Beginn des NATO-Angriffskriegs gegen die Bun­desrepublik Jugoslawien. Das völkerrechtswidrige Bombardement, das 78 Tage andauerte und zu mehreren tausend zivilen Opfern führte, gilt bis heute als Zäsur – als Zäsur deut­scher Außenpolitik, aber auch als Zäsur für die Vereinten Nationen. Ohne UN-Mandat »mandatierte« sich die NATO selbst und schuf damit ein Paradebeispiel für spätere Verstö­ße gegen internationales Recht – so etwa auch die russische Annexion der Krim. 19 NATO-Mitgliedstaaten beteiligten sich an der Attacke gegen die Souveränität und territoriale Inte­grität Jugoslawiens.

Verheerende Folgen

Es war das erste Mal seit den grausamen Verbrechen der Wehrmacht, dass sich deutsche Soldaten an einem Krieg beteiligten. Befördert worden war dies insbesondere von den Grünen, deren Außenminister Joseph Fischer, den Holocaust auf skandalöse Weise relati­vierend, ein »zweites Auschwitz« verhindern wollte. Den hohen Wert der Menschenrechte missbrauchend erklärte auch SPD-Kanzler Gerhard Schröder im deutschen Fernsehen, man wolle eine weitere schwere und systematische Verletzung der Menschenrechte unter­binden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern. Ähnliche Stimmen waren auch aus Großbritannien und den USA zu vernehmen. In nur einer Woche wurde vom Duo Fischer/Scharping das Verständnis der Bundeswehr als Verteidigungsarmee unumkehrbar konterkariert und die Vereinten Nationen nachhaltig geschwächt. Sie waren es, die völker­rechtswidrige Interventionen der Bundeswehr zur Normalität werden ließen – im Bundes­tag ist die regelmäßige Verlängerung von sogenannten Auslandseinsätzen inzwischen zur Routine geworden. Der Angriffskrieg der NATO begann – wie spätere Aggressionskriege auch – mit einer Lüge und hatte verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung.

Die »Friedensbomben«, die im Namen der Menschenrechte fielen, führten nicht nur zu unzähligen Opfern und Verletzten, sondern enthielten auch zwischen zehn und 15 Tonnen abgereichertes Uran. Die Verwendung von 30-Millimeter-Geschossen durch die NATO hat in der Vergangenheit unabhängige Untersuchungen schwedischer und schweizerischer Labore ausgelöst, die Spuren von Plutonium in solchen Geschossen nachwiesen. In Süd­serbien wurden sie unter anderem gegen vier Orte, einschließlich der Dörfer Borovac, Bratoselce und Reljan sowie des bergigen Pljačkovica mit Radarstationen, eingesetzt. Sieben von acht Arbeitern, die anschließend Bombenreste entfernten, starben in den letz­ten Jahren unter qualvollen Umständen. Serbische Mediziner geben an, seit dem Krieg seien in den betroffenen Gebieten deutlich mehr Menschen an Krebs erkrankt. Verschie­dene Anwaltskanzleien in Serbien berichten von hunderten Fällen, die bei ihnen in Zusam­menhang mit hohen Krebsraten eingegangen sind. Offizielle Untersuchungen werden bis heute verhindert und Deutschland und die NATO weigern sich beharrlich, sich für den von ihnen begangenen aggressiven Akt gegen Mensch und Umwelt zu entschuldigen. Eine unab­hängige Untersuchung und Konsequenzen zum Beispiel vor dem Internationalen Strafge­richtshof hat es für die westlichen kriegführenden Staaten infolge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs schon gar nicht gegeben. Es sollte nicht der einzige Angriffskrieg der NATO bleiben, in dem verbotene Munition eingesetzt wurde. Auch in den Golfkriegen 1991 und 2003, in Afghanistan und gegen Syrien verwendeten die Aggressoren Uranmunition.

Neben abgereichertem Uran kamen im Zuge der Bombardierungen auch ca. 300.000 Streubomben zum Einsatz, obwohl das Genfer Abkommen von 1949 dies verbietet. Streu­bomben haben eine große Flächenwirkung und können große Gebiete kontaminieren, was zu erheblichen zivilen Opfern und langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt führen kann. Oft explodieren nicht alle Bomben beim Aufprall und bleiben als Blindgänger zurück, was für Zivilisten, insbesondere für Kinder, die sie für Spielzeug halten, eine tödliche Gefahr darstellt. Darüber hinaus ist es oft schwierig, Blindgänger zu erkennen und zu beseitigen, was die Aufräumarbeiten erschwert und verzögert. Aus diesen Gründen haben sich die meisten Staaten weltweit auf ein Verbot von Streubomben verständigt. Vom Verbrechen, diese einzusetzen, hat sich das NATO-Bündnis aber trotzdem nicht abhalten lassen.

Künstlicher Staat

Die Bombardements mit all ihren menschlichen Opfern und der Umwelt verursachten Schäden waren ein riesiges Verbrechen. Aber auch die »politische« Bilanz ist ernüchternd: Seit 1999 sind im Rahmen des KFOR-Einsatzes der NATO deutsche Soldaten im Kosovo stationiert. Geschaffen wurde unter Bruch der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats, die die Souveränität und territoriale Integrität Jugoslawiens garantierte, mit dem Kosovo ein künstlicher Staat. Der Staatsaufbau im Kosovo als »transatlantisches Projekt« – wie es 2020 von der CDU-Außenpolitikerin Gisela Manderla bezeichnet wurde – ist gescheitert. Eine nennenswerte eigene Industrie existiert nicht, dafür liegt aber die Jugendarbeitslosig­keit bei fast 47 Prozent. Gleichzeitig ist organisierte Kriminalität weit verbreitet und mehre­re hunderttausend illegale Schusswaffen befinden sich im Privatbesitz der dortigen Bevöl­kerung. Das politische System erweist sich seit seiner künstlichen Erschaffung als dys­funktional und korrupt. Die soziale und wirtschaftliche Diskriminierung von ethnischen Minderheiten wie den Roma, Ashkali und Balkan-Ägyptern sowie die jüngsten Attacken auf serbische Bürger im Norden Kosovos, zu denen die Bundesregierung beredt schweigt, sind Symptome des irreparablen historischen Fehlers der Abspaltung Kosovos von Serbien. Gewaltsame Übergriffe häufen sich. Besonders tragisches Beispiel ist der Mordanschlag eines albanischen Soldaten durch gezielte Schüsse auf zwei Serben am orthodoxen Heilig­abend. Glücklicherweise haben beide Opfer überlebt, das jüngere war gerade einmal 11 Jahre alt.

Das Gebaren der NATO, die für sich offensichtlich andere Standards als die im Völkerrecht verankerten in Anspruch nimmt, hat einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich bis heute berufen wird. Dies gilt auch für die Annexion der vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson in der Ostukraine durch den russischen Präsi­denten Wladimir Putin.

Die Konflikte zwischen Serbien und seiner ehemaligen Teilregion halten bis heute an. Der Druck auf Belgrad, die völkerrechtswidrige Abspaltung Kosovos anzuerkennen, ist immens. 24 Jahre nach der Bombardierung und 15 Jahre nach Ausrufung der Unabhängigkeit Koso­vos wird Serbien gedrängt, dem der Öffentlichkeit bisher unzugänglichen deutsch-französi­schen Plan für ein Abkommen über den endgültigen Status Kosovos zuzustimmen. In des­sen Rahmen soll dem Vernehmen nach Kosovo Mitglied der UNO werden – Serbien würde im Gegenzug ein schnellerer Beitritt zur EU zugesagt. Um Serbien zur Annahme des Plans, der unter dem Strich auf ein Abkommen zur »Normalisierung« des Völkerrechtsbruchs hinauslaufen würde, zu bewegen, wird mit allerlei Drohungen hantiert: Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen, Abzug von Auslandsinvestitionen, Sanktionen. Zwar ist im Plan auch die eigentlich bereits 2013 vereinbarte Errichtung eines Verbunds serbischer Gemeinden im Kosovo vorgesehen. Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti aber will deren Schaffung auf einmal nur unter Bedingungen akzeptieren, obwohl auch Pristina 2013 zugestimmt hat. Dies lässt ernste Zweifel an der grundsätzlichen Zuverlässigkeit und Vertragstreue Pristinas aufkommen.

Nach all den Schrecken und dem Leid, die die serbische Bevölkerung im Zuge der Bombar­dierung, der völkerrechtswidrigen Abspaltung und des anhaltenden Drucks von außen erleiden musste, kann nur ein Referendum dazu beitragen, den Konflikt auf friedlichem Weg und nachhaltig zu lösen. Die Bevölkerung muss an solch weitreichenden Entschei­dungsprozessen beteiligt werden. Serbien und seine Bevölkerung dürfen nicht weiter zum Spielball westlicher Staaten und ihrer geopolitischen Interessen gemacht werden. Die Menschen müssen der Souverän sein.

»Unsere« Schurken

Das Agieren der »wertebasierten« und »feministischen« Bundesregierung, allen voran Außenministerin Baerbock, allerdings führt die Politik der letzten 23 Jahre nahtlos fort. Noch mehr: sie hat die Politik der Einmischung in Südosteuropa mit dem Ziel, russischen Einfluss zurückzudrängen, im Vergleich zur Vorgängerregierung spürbar intensiviert. Über den Angriffskrieg von 1999 und die massive Missachtung des Völkerrechts hingegen hat sie kein Wort verloren, geschweige denn der Toten gedacht.

Bis heute sind die Verantwortlichen für den NATO-Angriffskrieg nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen worden – ebenso wenig wie die allermeisten Kriegsverbrecher der UCK, die allein in der Nachkriegszeit mindestens 800 Morde begangen haben sollen. Frei nach dem Credo US-amerikanischer Außenpolitik: sie waren Schurken – aber sie waren »unsere« Schurken.

 

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