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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Menschenrechte schützen, Menschenhandel auch in Deutschland konsequent bekämpfen!

Żaklin Nastić, MdB, Hamburg

 

Zum Internationalen Tag gegen Menschenhandel am 30. Juli

 

Jährlich werden mehrere Millionen Menschen weltweit Opfer von Menschenhandel. Durch Täuschung, Drohungen oder Gewaltanwendung werden sie angeworben, und in einem Zielland werden sie dazu gebracht oder gezwungen, Dienstleistungen und Tätigkeiten, die ausbeuterisch oder sklavenähnlich sind, aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Opfer müssen nicht unbedingt im Ausland angeworben werden – die Hilflosigkeit von Menschen im Zielland auszunutzen fällt natürlich gleichermaßen unter den Begriff Menschenhandel. Wesentlich ist, dass Menschen in ein ausbeuterisches Abhängigkeitsverhältnis geraten, das mit Nötigung, Zwang und Täuschung einhergeht. Zwang kann durch direkte physische Gewalt oder deren Androhung ausgeübt werden, durch Erpressung, unrechtmäßiges Einbehalten von Dokumenten und verdientem Geld, Raub, Isolation und Betrug. Auch Autoritätsmissbrauch und Schuldknechtschaft sind Formen des Zwangs bei Menschenhandel und Ausbeutung. [1] In der Regel wird zwischen folgenden Formen der Ausbeutung im Zusammenhang mit Menschenhandel unterschieden: zwischen sexueller Ausbeutung und Arbeitsausbeutung einerseits sowie Zwang zu strafbaren Handlungen und Ausbeutung von Bettelei andererseits.

Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung hat seinen Ursprung oft in Armut, Hilflosigkeit und Verzweiflung, zum Beispiel von Frauen in Osteuropa. In vielen Fällen werden etwa Frauen aus der Ukraine Jobs in Polen angeboten, welche – dort angekommen – plötzlich schon vergeben sind. Darauf folgt der Hinweis auf eine Arbeit in Deutschland und die Aussicht, dass die »Vermittler« sich um Visum und Arbeitserlaubnis kümmern würden und die Kosten später vom Lohn beglichen werden könnten. In Deutschland werden den Frauen dann ihre Papiere abgenommen und man offenbart ihnen, dass sie die Kosten durch Prostitution zurückzahlen müssen. Flucht ist aussichtslos, da die Menschenhändler durch die beschlagnahmten Dokumente ihre Adresse kennen, und illegal Eingewanderte würden bei Meldung bei der Polizei sofort abgeschoben. So geraten Frauen in eine Situation, aus der zu entfliehen nur mit viel Mut, der durch (sexuelle) Gewalt zu brechen versucht wird, und Glück möglich ist.

Subunternehmen und Werkverträge – Brennpunkte Fleisch- und Paketbranche

Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung erleiden in Deutschland unter anderem Haushaltshilfen, die aus dem EU-Ausland vermittelt werden, dann fast 24 Stunden am Tag arbeiten müssen und keinen Lohn bekommen. Nicht selten wird ihnen physische Gewalt angedroht oder sogar angewendet. Diese Menschen fliehen oft, landen auf der Straße und benötigen Unterstützung von Beratungsstellen. Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung wird in vielen Fällen durch die Beschäftigung innerhalb von Subunternehmerketten und mit Werkverträgen möglich gemacht. Besonders negativ fallen hierzulande die Fleischindustrie und die Paketbranche auf. Durch die verschachtelten Verantwortlichkeiten sind Arbeitnehmer kaum in der Lage, ihre Rechte durchzusetzen. Berichte aus der Fleischindustrie [2], dass osteuropäische Arbeitskräfte völlig entrechtet und unterbezahlt in den Wäldern in der Nähe deutscher Fleischfabriken leben, ohne Arbeitsschutz und Planbarkeit ihrer Schichten, sind schockierend.

Menschenhandel ist auch im Zusammenhang mit Profifußball ein ernstes Problem. So machte z.B. der aus dem Kongo stammende und heute beim VfB Stuttgart spielende Stürmer Silas Wamangituka jüngst öffentlich, dass er in Wirklichkeit Silas Katompa Mvumpa heißt. Wie vermutlich viele andere afrikanische Spieler, die Fußballprofi werden wollen, musste er sich von Beratern mit Kontakten zu Vereinen in Europa abhängig machen. Bei Silas Katompa Mvumpa wollte der Berater mithilfe einer gefälschten Identität den Kontakt zum Ausbildungsverein kappen, da diesem gegebenenfalls Entschädigungszahlungen für die Ausbildung des Spielers zustehen könnten. Der Spieler geriet in ein Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Berater und hatte augenscheinlich weder Zugriff auf sein Konto noch auf seine Papiere. Erst in Stuttgart hatte er mit der Unterstützung seines Vereins den Mut, seine Geschichte öffentlich zu machen und seine wahre Identität wieder anzunehmen.

Politik gegen Menschenhandel muss sich an den Menschenrechten orientieren

Zahlen und Fakten zum Ausmaß von Menschenhandel sind schwer zu ermitteln und diejenigen, die veröffentlicht werden, sind mit Vorsicht zu genießen. Sie basieren meist auf Daten von Behörden (tatsächlich identifizierte Opfer) oder sind Hochrechnungen bzw. Schätzungen. Das BKA vermeldet jährlich Zahlen im dreistelligen Bereich, was sicherlich eine deutliche Unterschätzung darstellt. Die Datenlage in Deutschland ist sehr schlecht, da zum Beispiel das BKA und der Zoll jeweils eigene Datenbanken führen, die nicht zusammengeführt werden. Andererseits berichten Medien oft reißerisch von übermäßig hohen Zahlen, vor allem, wenn dies der Instrumentalisierung gegen Migration dient. Auch wenn die genauen Zahlen nicht bekannt sind, so sind es die Strukturen und Mechanismen, die zu Menschenhandel und Ausbeutung führen. Diese zu erkennen und zu bekämpfen muss Aufgabe der Politik sein.

Eine Politik gegen Menschenhandel muss sich an den Menschenrechten orientieren und die Rechtsansprüche der Betroffenen ins Zentrum rücken. In Deutschland wird sich noch zu sehr auf die strafrechtliche Verfolgung der Täter konzentriert. Dabei würde eine gestärkte Position der Opfer auch bei der Strafverfolgung helfen. Wir brauchen eine politische Gesamtkoordination, die die verschiedenen Maßnahmen und Beteiligten – auch auf Länderebene – besser miteinander verknüpft, einen Aktionsplan gegen Menschenhandel und Ausbeutung sowie eine unabhängige Berichterstattungsstelle, »die in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft die Aktivitäten und Maßnahmen gegen Menschenhandel in Deutschland beobachtet, zusammenfasst und analysiert.« [3]

Betroffenen- und Aufenthaltsrechte unabhängig von Aussagebereitschaft

Viele Regelungen, bspw. die Verknüpfung des Aufenthaltsrechts mit der Aussage der Betroffenen, zielen darauf ab, stabile Zeug*innen und verwertbare Aussagen in Strafverfahren zu erhalten (Stabilisierungsaufenthalt). Dabei wäre es enorm wichtig, ihnen Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zu gewähren, sobald eine Hilfs- und Beratungsstelle sie als Opfer von Menschenhandel identifiziert, unabhängig von ihrer Kooperationsbereitschaft im Strafverfahren. Betroffene sind nicht nur Opfer einer Straftat, sie sind auch Träger*innen von Rechten, und mit einer Aussage begeben sie sich in Gefahr.

In vielen Ermittlungen zu Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung werden die Täter nicht des Straftatbestands des Menschenhandels überführt, sondern lediglich wegen Sozialbetrugs. Dies führt dazu, dass Betroffene keinen Opferschutz erhalten. Hier müssen die Rechtsansprüche von Betroffenen deutlich ausgebaut werden.

Elementar für den Schutz Betroffener von Menschenhandel zur Ausnutzung strafbarer Handlungen ist eine konsequente Umsetzung des »Non-Punishment-Prinzips«, gemäß dem Betroffene nicht für Straftaten verfolgt werden dürfen, die sie im Zusammenhang mit Menschenhandel und Ausbeutung begangen haben, z.B. wenn sie zum Diebstahl gezwungen wurden. Dies ist in Deutschland leider nicht derart ausgestaltet, dass es den Betroffenen Rechtssicherheit gibt. Das »Non-Punishment-Prinzip« muss auch für den Fall gelten, dass eine betroffene Person illegal im Land ist, sodass sie dafür nicht verfolgt werden kann und keine Angst hat, auszusagen.

Asylrechtsverschärfungen erhöhen das Risiko, Opfer zu werden

Im Kontext von Flucht und Asyl sind besonders viele von Menschenhandel Betroffene zu finden. Menschen können sowohl im Herkunftsland, auf der Flucht als auch in Deutschland zu Opfern werden. Letzteres vor allem aufgrund der prekären Situation von Geflüchteten und fehlender Informationen über ihre Rechte. Die zahlreichen asylrechtlichen Verschärfungen der letzten Jahre haben zu einem erhöhten Risiko in Deutschland beigetragen und das Dublin-System mit seinen Rücküberstellungen kann dazu führen, dass Betroffene erneut zu Opfern werden. Die Identifizierung der von Menschenhandel Betroffenen im Asylsystem muss daher deutlich verbessert werden.

Zudem gelingt es in Deutschland viel zu selten, das Recht der Betroffenen auf Entschädigung und auf Zahlung vorenthaltener Löhne durchzusetzen. Das Soziale Entschädigungsrecht wurde zwar beschlossen, tritt aber erst 2024 in Kraft, leider ohne Übergangsregelungen.

Das Beratungs- und Hilfesystem sowie die Unterbringung von Betroffenen müssen gesichert, gestärkt und ausgebaut werden. Anstatt den Beratungsstellen immer nur für wenige Jahre Gelder zukommen zu lassen, muss die Finanzierung verstetigt sein. Darüber hinaus ist ein dauerhaftes Angebot geschützter Unterbringung notwendig, das von Betroffenen kurzfristig und unbürokratisch genutzt werden kann, etwa durch die Anmietung von Hotels durch die Behörden.

Auch durch internationale Vereinbarungen und die Stärkung grenzüberschreitender Kooperation kann die Bundesregierung einen Beitrag zum Kampf gegen Menschenhandel leisten. Die »EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels« und das »UN-Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels« sind sicher richtige Bausteine. Sie stehen aber in eklatantem Widerspruch zu anderen Abkommen, wie zum EU-Libyen-Deal von 2017, welcher den Zweck hat, das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte Verbot der Rückführung von Menschen in das Bürgerkriegsland Libyen zu umgehen. Migrant*innen droht dort – neben Folter, Misshandlung, Vergewaltigung, Zwangsrekrutierung, Krankheit, Hunger und Mord – auch Menschenhandel.

 

Anmerkungen:

[1]  Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.: www.kok-gegen-menschenhandel.de/menschenhandel/was-ist-menschenhandel.

[2]  Siehe: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/skandaloese-verhaeltnisse-in-der-fleischindustrie-lohnsklaven-in-deutschland-1.1703776. Oder auch (für Abonnenten): www.zeit.de/2014/51/schlachthof-niedersachsen-fleischwirtschaft-ausbeutung-arbeiter.

[3]  https://www.kok-gegen-menschenhandel.de/menschenhandel/was-ist-menschenhandel/forderungen-des-kok.

 

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