Die Schuldenbremse ist aus der Mottenkiste der Voodoo-Ökonomie
Dr. Gesine Lötzsch, Berlin, MdB
Im Auto-Land Deutschland sind Gaspedal und Bremse zwei Schlüsselwörter. Alle wollen schnell (Gaspedal) und sicher (Bremse) von A nach B kommen. Das versteht jeder. Das dachten sich vielleicht auch die Schöpfer der Schuldenbremse vor 10 Jahren. Sie wollten das Volk lehren, dass Schulden schlecht und Bremsen gut sind. Die Ideologie wäre fast aufgegangen. Doch die Realität zeigt, dass die Schuldenbremse zur Zukunftsbremse geworden ist. Es gibt einfach zu viele kaputte Straßen und Brücken, es fallen einfach zu viele Züge, Busse und Straßenbahnen aus, und es fehlen überall Geburtskliniken, Kindergärten, Schulen. Die Schuldenbremse hat nicht nur Investitionen ausgebremst, sondern auch zu einem massiven Personalabbau – unter anderem in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Bauämtern – geführt.
Versucht der Bundesfinanzminister die Schuldenbremse zu umgehen? In der Haushaltsausschusssitzung des Bundestages am 15. Mai 2019 wollte ich vom Bundesfinanzminister wissen, ob es stimmt, dass er eine Gesellschaft plane oder existierende staatliche Gesellschaften nutzen wolle, mit denen er die Schuldenbremse umgehen könne. Er verneinte wortreich, aber nicht sonderlich glaubhaft. Die Idee scheint nicht aus der Luft gegriffen.
Warum rückt die Schuldenbremse nach 10 Jahren in die Öffentlichkeit?
Herr Scholz hat ein Problem: Die Steuereinnahmen sprudeln nicht mehr so heftig. Die aktuelle Steuerschätzung fiel katastrophal aus. Der Finanzminister stellte fest, dass der Staat bis 2023 insgesamt etwa 124 Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben wird als noch im November geschätzt. Plus/minus 124 Milliarden Euro Abweichung in einem halben Jahr, das ist schon eine grandiose Fehlleistung. Da hätte der Finanzminister auch in eine Glaskugel schauen können. Ich zweifle diese Schätzungen an. Die Ausfälle könnten auch doppelt so hoch ausfallen. Das kann im Augenblick kein Mensch seriös prognostizieren.
Es gab eine klare Vorgabe des Finanzministeriums für die Schätzer und erstaunlicherweise geht jetzt scheinbar alles gut aus. Die Aussage des Finanzministers, er hätte die Steuerausfälle fast alle schon berücksichtigt, ist nur als Wahlkampfeinlage vor der Europawahl zu verstehen. Seine PR-Leute wollen den Eindruck vermitteln, dass der Vizekanzler auch in schweren Zeiten alles im Griff hat und gleichzeitig mit dem Festhalten an der »schwarzen Null« alle neuen Wünsche der Bundesminister an sich abtropfen lassen kann. Aber eine PR-Strategie ist noch lange keine Finanzstrategie.
Was können wir mit Sicherheit sagen?
Sicher ist, dass das globale und nationale Wirtschaftswachstum sinkt. Das ist auch der Hauptgrund für sinkende Steuereinnahmen. Sicher ist, dass der Handelskrieg zwischen USA, China und Europa Deutschland hart treffen wird.
Die Bundesregierung hat die Wirkungen der aufziehenden Handelskriege völlig unterschätzt. Den Exportweltmeister Deutschland treffen die Einschränkungen des Handels besonders hart. Die Bundesregierung hat es versäumt, für eine ausgeglichene Handelsbilanz zu sorgen. Es ist höchste Zeit, die Binnennachfrage zu stärken und nicht nur auf das Pferd »Export« zu setzen.
Werden wir die Schuldenbremse wieder los? Das Festhalten an der »Schwarzen Null« und der Schuldenbremse führt uns direkt in die Wirtschaftskrise. Deshalb fordern wir: Die Schuldenbremse muss aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Ansonsten bremsen wir uns zu Tode.
Die Föderalismuskommission II hatte Anfang 2009 die Schuldenbremse vorgeschlagen und sie wurde im gleichen Jahr sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen. Damit haben CDU/CSU und SPD dem Staat enge Fesseln angelegt. Diese Fesseln können sie auf absehbare Zeit auch nicht lösen. Sie verfügen weder im Bundesrat noch im Bundestag über eine Zweidrittelmehrheit.
Was ist im Grundgesetz geregelt?
Der Grundgesetzartikel 109 legt fest, dass der Bund und die Länder einen im Grundsatz ausgeglichenen Haushalt aufweisen müssen. Dabei sind die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Die zulässige Neuverschuldung liegt für den Bundeshaushalt bei 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Bundesländer haben diesen Spielraum nicht. Dies bedeutet, dass die Länder bei konjunktureller Normallage keine neuen Schulden machen dürfen.
Verschärfte Bedingungen gelten für die Länder Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, die gemäß Artikel 142 d Absatz 2 GG Konsolidierungshilfen empfangen. Diese Länder sind bereits ab 2011 verpflichtet, sich der ab 2020 geltenden Linie der Null-Neuverschuldung in gleichmäßigen Schritten zu nähern. Wenn eines dieser Länder die jährlich festgeschriebenen Obergrenzen des strukturellen Finanzierungsdefizits nicht einhält, verliert es seinen Anspruch auf Konsolidierungshilfen.
Es gibt eine Ausnahmeklausel, die eine höhere Verschuldung erlaubt. Sie greift bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Dafür braucht es eine Kanzlermehrheit im Parlament und einen Schuldentilgungsplan.
Wie bewerten Ökonomen die Schuldenbremse nach 10 Jahren Laufzeit?
»Die Schuldenbremse ist ein gewaltiger Reinfall«, meint der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) Sebastian Dullien. Er kritisiert, dass seit mindestens zehn Jahren, eigentlich aber schon seit 2003, die staatlichen Investitionen massiv zurückgefahren wurden. Er fordert eine verlässliche Investitionsstrategie des Staates für die nächsten beiden Jahrzehnte (Die Welt, 13. Mai 2019).
Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), hält die schwarze Null für kein ökonomisch sinnvolles Konzept. »Sie führt dazu, dass man ausgerechnet in einer Zeit, in der sich die Konjunktur abschwächt, die Steuern erhöhen oder die Ausgaben kürzen muss.« (tagesspiegel.de,13. Mai 2019)
Sogar Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, bezeichnet die Schuldenbremse als »wachstumspolitisch blind«, weil durch das Kreditverbot »wichtige Zukunftsinvestitionen« nicht getätigt werden könnten (DIE ZEIT, 2. Mai 2019).
Wo sind die Schlupflöcher im Grundgesetz?
Jedes Gesetz hat Schlupflöcher. Um die Schuldenbremse zu umgehen, könnte man Unternehmen, die im staatlichen Besitz sind, wie die Deutsche Bahn oder die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA), beauftragen, Kredite aufzunehmen und in Schienen oder in Wohnungen zu investieren. Ein Haken dabei ist, dass diese Unternehmen nicht die gute Bonität wie der Staat haben und deshalb höhere Zinsen zahlen müssten. Der zweite Haken ist die Ausschaltung der Parlamente, wenn es um die Kontrolle dieser Unternehmen geht.
Was will DIE LINKE?
Wir fordern ein Investitionsprogramm, das nicht nur das Wachstum stabilisiert, sondern auch neue Arbeitsplätze in unserem Land schafft. Denken wir nur an die tausende Arbeitsplätze, die in der Automobilindustrie, in der Finanzindustrie und durch die Digitalisierung bedroht sind. Diese Bedrohung lösen wir nicht mit der schwarzen Null auf, sondern nur mit Investitionen in neue Technologien.
Die Bundesregierung darf nicht mehr länger auf Maximierung des Exports setzen. Diese Strategie ist in Anbetracht von Handelskriegen gescheitert.
Wir müssen die Binnenkonjunktur stärken. Dazu muss mehr in Wohnungen, Schulen, Kitas, Krankenhäuser und öffentlichen Nahverkehr investiert werden.
Zur Finanzierung müssen wir nicht einmal die Schulden erhöhen, dafür reicht schon eine Steuerreform, die Vermögen gerecht besteuert. Auch die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde würde nicht nur den betroffenen Menschen helfen, sondern direkt die Konjunktur ankurbeln und die Steuereinnahmen erhöhen.
Bei den Ausgaben kann der Finanzminister ohne Schwierigkeiten kürzen.
Schon jetzt kann die Verteidigungsministerin ihr ständig steigendes Budget nicht sinnvoll ausgeben. Es geht der Bundesregierung schon lange nicht mehr um Landesverteidigung, sondern um möglichst hohe Militärausgaben, um die Forderungen von Donald Trump, zwei Prozent des BIP für Rüstung auszugeben, zu erfüllen. Das ist nicht nur feige, sondern reine Verschwendung von Steuergeldern. Schon jetzt gibt die Bundesregierung mehr für die Bundeswehr aus als für den Bereich Arbeit und Soziales.
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hat vor einigen Wochen gefordert, den Bundeshaushalt einer Generalrevision zu unterziehen. Er warnt vor weiteren Sozialleistungen. »Wir müssen uns entscheiden, was wir wollen: das Land zukunftsfest machen oder den Sozialstaat ausweiten.«
Dazu sage ich, dass nur mit einem starken Sozialstaat unser Land eine sichere Zukunft hat!
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