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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Wir wollen solidarische Systeme vor der Zerschlagung retten

Dr. Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei DIE LINKE

 

In der »Elgersburger Runde«, der Beratung des geschäftsführenden Vorstandes der Linken sowie der Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Länder über die Aufgaben im kommenden Jahr, trug Gesine Lötzsch am 9. Dezember 2011 ein 10-Punkte-Papier vor, aus dem wir die Punkte 4 bis 7 hier dokumentieren:

Wie wollen wir die Eigentumsfrage beantworten?

Ein zentraler Punkt in unserem Programm ist die Eigentumsfrage. Ist das eine Frage, deren Lösung wir der nächsten Generation überlassen wollen, oder wollen wir diese Frage schon heute beantworten? Wir müssen sie heute beantworten. Die aktuelle Krise, die gern von Neoliberalen als Staatsschuldenkrise bezeichnet wird, ist eine Verteilungs- und Eigentumskrise. Die herrschenden Eigentumsverhältnisse führen zu einer ungerechten Verteilung des Reichtums in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt. Immer häufiger stoßen Menschen in ihrem Alltag auf die Eigentumsfrage. Warum ist der Strom so teuer? Warum steigen die Mieten in den großen Städten so stark an? Warum wird so viel Geld für den Krieg in Afghanistan ausgegeben und nicht für die Sanierung von Schulen und Universitäten? Nun werden wir nicht morgen die Stromkonzerne enteignen, eigene Wohnungen bauen und Kriege und den Export von Rüstungsgütern verbieten können. Aber wir können über solidarische Eigentumsformen nachdenken. Wir können Genossenschaften gründen, in denen die Genossen über ihre Miete selbst entscheiden. Dazu müssen wir aber unser Selbstverständnis ändern. Ein Mandat in einer Genossenschaft kann für unsere Partei genauso wichtig sein wie ein Mandat im Bundestag. Wir müssen unsere außerparlamentarische Arbeit wieder stärken und ihr größere Wertschätzung entgegenbringen. Sie ist nicht eine Ergänzung der parlamentarischen Arbeit, sondern eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung unseres Programms.

5. Wie können wir gemeinsam den sozial-ökologischen Umbau organisieren?

Die Landesverbände sind wahre Schatzkammern. Dort gibt es einen Schatz an Erfahrungen, den wir für die Umsetzung des Programms unbedingt heben müssen. Ich schlage vor, dass jeder Landesverband ein Referenzprojekt zur Umsetzung des Parteiprogramms entwickelt. Es könnte Referenzprojekte für Mindestlohn, gegen die Privatisierung von Krankenhäusern, Wohnungen, Theatern und kommunalen Betrieben geben. Es könnte Referenzprojekte im Kampf gegen Neofaschismus geben oder für europäische Partnerschaften beim Umweltschutz, Energienetzen oder der politischen Bildung. Da sind den Ideen keine Grenzen gesetzt. Ich stelle mir einen Bundesparteitag vor, wo 16 funktionierende Referenzprojekte von 16 selbstbewussten Landesverbänden vorgestellt werden. Dann können wir beispielhaft zeigen, dass wir die Gesellschaft verändert haben ohne einen Tag im Kanzleramt regiert zu haben. Das würde vielen Menschen Mut machen, diese Projekte zu übernehmen und selbst eigene Ideen auszuprobieren.

6. Wie wollen wir Solidarität leben?

Che Guevaras Satz »Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker« kommt mir in den Sinn, wenn ich an die aktuelle Europa-Krise denke. DIE LINKE in Deutschland ist die stärkste linke Partei in Europa. Linke aus ganz Europa schauen auf Deutschland und sind entsetzt. Nach dem Willen der Kanzlerin soll Europa deutscher werden. Mich fragen unsere Freunde in Europa: Was tut ihr dagegen? Tun wir zu wenig? Ja, wir tun etwas, aber nicht genug. Wir verfassen Papiere, starten Kampagnen, führen Konferenzen durch, aber wir fragen zu selten, welche Folgen diese Papiere, diese Kampagnen und diese Konferenzen haben. Wir müssen unsere eigenen Beschlüsse ernster nehmen. Eine Solidaritätserklärung ist schnell geschrieben. Doch folgt der Erklärung dann auch gelebte Solidarität? Wie können wir den Menschen in Griechenland, Portugal, Irland und Italien helfen, die unter dem Kürzungs-Diktat der deutschen Kanzlerin leiden? Wir müssen über Che Guevaras Satz neu nachdenken, wenn wir ein solidarisches Europa wollen.

7. Warum steigt die Zustimmung zu unserer Partei in der Krise nicht?

Wir sind der festen Überzeugung, dass unsere Vorschläge zur Bewältigung der Krise richtig sind. Trotzdem legen wir in Umfragen nicht zu. Die Krise brummt! Die Herrschenden haben die Chancen der Krise genutzt, um Europa neoliberal umzubauen. Die Agenda 2010 wird exportiert, egal ob es die anderen europäischen Völker wollen oder nicht. Eine solche reaktionäre Revolution der europäischen Verhältnisse wäre ohne Krise undenkbar gewesen. Die Krise wird zur Sternstunde der Marktradikalen, das ist ein Treppenwitz der Geschichte. Warum gibt es dagegen in Deutschland kaum Widerstand? Es wird immer zur Entschuldigung gesagt, dass die Menschen in der Krise den Regierenden vertrauen und keine linken Experimente wollen. Genau da liegt unser Problem: Die Regierenden starten ein hoch riskantes Experiment nach dem anderen. Der Umbau der Sozialsysteme ist ein unglaubliches Experiment mit sehr ungewissem Ausgang. Der Euro-Rettungsschirm ist ein Zwei-Billionen-Experiment, bei dem selbst die größten Experten nicht sagen können, wie es ausgeht. DIE LINKE will diese riskanten Experimente beenden! Die angeblich so altmodische Rentenversicherung hat sich als robuster und renditestärker erwiesen als die Riester-Rente. Wir sind die, die funktionierende solidarische Systeme vor der Zerschlagung retten wollen. Solidarische Systeme sind nicht nur gerechter, sondern auch sicherer als neoliberale Experimente. DIE LINKE ist die Partei, die die Sicherungssysteme vor Marktradikalen schützt, diese Botschaft müssen wir aussenden. Wenn davon gesprochen wird, dass jede Partei eine eigene Erzählung braucht, dann können wir sie für die LINKE in einem Satz zusammenfassen: Eine solidarische Gesellschaft ist für alle besser! Diese Erzählung hat nicht erst heute begonnen, sie wurde schon weit vor der Kreuzigung Jesu Christi erzählt und gelebt.

 

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