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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

30. Juni 1934: Nazis ermordeten andere Nazis sowie konservative Konkurrenten

Prof. Dr. Manfred Weißbecker, Jena

 

Das Datum geriet sofort zum Begriff: 30. Juni 1934, und es fand irrtümlich die Bezeich­nung »Röhm-Putsch«. Hingegen stehen seither die Ereignisse zwischen diesem Tag und dem 2. Juli 1934 für einen brutalen, generalstabsmäßig vorbereiteten Enthauptungs­schlag, geführt gegen die SA, gegen die paramilitärischen Sturm-Abteilungen, die sich die NSDAP geschaffen hatte und denen fast 4,5 Millionen Männer angehörten. Ihre Führung, allen voran ihr Chef Ernst Röhm, hatte es gewagt, eigene Interessen lautstark zu artikulieren und nachdrücklich jene Versprechungen einzufordern, welche gemacht worden sind, als ihre randalierenden Truppen – einer Prätorianergarde gleich – auf dem Wege an die Macht unentbehrlich gewesen sind. Das Datum steht auch für die Aus­schaltung einer konkurrierenden Gruppe aus dem Kampf um die weitere Ausgestaltung des faschistischen Regimes. Und es markiert zugleich eine makabre Zäsur in der Geschichte der deutschen Eliten: Militärs paktierten mit den Faschisten und verzichte­ten sogar auf jeglichen Protest gegen den Mord an zwei ihrer Ranghöchsten. Juristen sahen keinen Anlass, wegen der zahllosen »unnatürlichen« Todesumstände Ermittlun­gen einzuleiten. Mehrheitlich priesen ihre Angehörigen aus vollem Munde den faschisti­schen Diktator.

Nach durchzechter Nacht überrascht

In jenen Tagen sind entsprechend offizieller Angaben mindestens 83 Männer aus der Führung der SA umgebracht worden; nach anderen Quellen sollen es mehr als 200 oder sogar über 1.000 gewesen sein. Unabhängig von der sicher nicht mehr exakt bestimmbaren Zahl bleibt es eine Tatsache: Nazis brachten andere Nazis sowie eine Reihe konservativer Politiker rechtswidrig und barbarisch um. Nach Monaten härtester Auseinandersetzungen innerhalb der am 30. Januar 1933 zur Macht gekommenen Nazi­partei bereinigte eine ihrer Gruppierungen ein ganzes Bündel bestehender Konflikte auf Kosten einer anderen, und zwar in einer Art und Weise, wie bis zu diesem Zeitpunkt nur mit Antifaschisten umgegangen worden war.

In München, von den Nazis »Hauptstadt der Bewegung« benannt, agierte Hitler persön­lich. In Berlin organisierten Göring, Himmler, Heß, Frick und Heydrich das Massaker. Vorher hatte man sich des Einverständnisses der Reichswehrführung versichert, die ihrerseits Röhm am 25. Juni wegen »standeswidrigen Verhaltens« aus dem Deutschen Offiziersbund hatte ausschließen lassen, d. h. faktisch für vogelfrei erklärte. Zudem wurden der SS für diesen speziellen Feldzug Waffen und Transportgerät überlassen. Am Abend des 28. Juni, als Hitler in Essen an der Hochzeit des NSDAP-Gauleiters Terboven teilnahm und hier auch mit einigen Großindustriellen zusammentraf, bestellte der Nazi­chef die SA-Führung für den 30. Juni um 11 Uhr zu einer Tagung in das bayerische Bad Wiessee, wo sich Röhm zu einer Kur aufhielt. Nachts um zwei Uhr kletterte dann Hitler in ein Flugzeug und eilte selbst dorthin, um in den frühen Morgenstunden seinen Duzfreund Röhm und andere SA-Führer in der Pension Hanselbauer zu verhaften. Im Schlafzimmer des Stabschefs der SA stieß er gegen 6.30 Uhr zweimal die Worte aus »Röhm, du bist verhaftet!«, die dieser nicht begreifen wollte. Widerstand leistete als einziger der schlesische SA-Führer Heines.

Die Verhaftungen erfolgten, bevor die Betroffenen nach einer durchzechten Nacht über­haupt Gelegenheit hatten zu merken, was geschieht. Auf dem Münchener Bahnhof fin­gen SS-Trupps jene SA-Führer ab, die erst an diesem Tage anreisten. Auch sie wurden ins Gefängnis München-Stadelheim oder in das KZ Dachau gebracht. Einige erschoss man sofort. In den Mittagsstunden erklärte Hitler einer im »Braunen Haus« versammel­ten Naziprominenz, weshalb die Aktion gegen den »größten Treuebruch der ganzen Weltgeschichte« notwendig geworden sei und dass er Viktor Lutze zum neuen Stabs­chef der SA ernannt habe. Gegen 18 Uhr flog Hitler nach Berlin zurück, wo er und Goebbels mit militärischen Ehren empfangen wurden. Am nächsten Tag ordnete Hitler die Liquidierung Röhms an. Auch in Berlin waren seit dem Vormittag des 30. Juni auf das von Goebbels übermittelte Stichwort »Kolibri« hin zahlreiche Verhaftungen und Er­schießungen vorgenommen worden. Göring und Heydrich nutzten die Gunst der Stunde auch dazu, die seit dem Frühjahr vorbereiteten Verhaftungslisten noch zu erweitern.

Der Eskalation des Mordens fiel auch eine Reihe konservativer Kräfte zum Opfer, die sich u.a. gegen die Aggressivität der SA ausgesprochen und vor einer weiteren Duldung wirrer SA-Aktivitäten gewarnt hatten, weil sie dadurch sowohl die wehrpolitischen als auch die sozialen Dimensionen der Regimekrise verstärkt sahen. Vizekanzler Franz von Papen, der am 17. Juni in Marburg eine aufsehenerregende Rede (»Deutschland darf nicht ein Zug ins Blaue werden ...«) gehalten und gemeint hatte, die Autorität des »Füh­rers« müsse sich daran messen lassen, ob endlich die »Revolution« ein Ende finde, wur­de nur unter Hausarrest gestellt. Zwei seiner Mitarbeiter, Edgar Jung und Herbert von Böse, fanden hingegen den Tod. Zu den Opfern zählte ferner Ministerialdirigent Erich Klausener, Leiter der »Katholischen Aktion«, der sich früher u. a. kritisch zur NS-Ras­senideologie geäußert hatte. Auch wurden alte Rechnungen beglichen: Gustav Ritter von Kahr, der 1923 mit Hitler hatte putschen wollen, dann aber abgesprungen war, sowie Gregor Strasser, Hitlers langjähriger Stellvertreter in der NSDAP, überlebten die Aktion nicht. In ihrem Neubabelsberger Haus wurden der letzte Weimarer Reichskanz­ler, Kurt von Schleicher, und seine Frau erschossen. Auch Schleichers Mitarbeiter, Generalmajor Kurt von Bredow, wurde in seiner Wohnung umgebracht. Am Morgen des 2. Juli erklärte Hitler die Aktion offiziell für beendet.

Schließlich sollte ein Ermächtigungsgesetz am 3. Juli 1934 das Massaker nachträglich legalisieren. Gegen landes- und hochverräterische Angriffe sei ein Akt der »Staatsnot­wehr« notwendig und rechtens gewesen. Angeblich habe die Gefahr eines Putsches bestanden – die Partei, in deren Vergangenheit der Putschgedanke stets eine gravieren­de Rolle gespielt hatte, suchte jetzt gerade hierin die ausschlaggebende argumentative Schützenhilfe. Aber auch anderes wurde hierfür ausgegraben, so das Thema Homo­sexualität. Alle Versuche zur Rechtfertigung des Geschehenen erinnern an jenen Aus­spruch, den einst E.T.A. Hoffmann in seiner Erzählung »Der Floh« einem Polizeipräsi­denten in den Mund gelegt hatte: »den Täter haben wir, die Tat werden wir auch noch finden.«

Die eigentlichen Ursachen des Blutbades wurden nicht angesprochen. So fiel kein Wort darüber, dass sich große Teile der SA und des ihr unterstellten Stahlhelm-Bundes zu Sprechern jener Enttäuschten gemacht hatten, die auch für sich mehr von der Errich­tung der Diktatur erwartet hatten. Die Aktion richtete sich gegen die lautstark erhobe­ne Forderung der frustrierten SA-Basis nach einer »zweiten Revolution«. Vielfach sahen sich Nazis von erhofften Pfründen ferngehalten. Andere wiederum hielten die bis dahin geübte Rache an den Gegnern der »Kampfzeit« immer noch für unzureichend. Missstim­mung begann sich auch gegen Hitler zu richten. Hinter vorgehaltener Hand war vom »treulosen Führer« die Rede, der »mindestens auf Urlaub« geschickt werden müsse. Keineswegs zufällig verdrängte die SA-Presse im ersten Halbjahr 1934 den Personen­kult um Hitler durch den um Röhm. Mit keinem Wort wurde bei der Rechtfertigung des Massakers der wohl wichtigste Konflikt angesprochen, der lange zwischen der SA und der Reichswehrführung geschwelt hatte: Die Leiter der braunen Terrorbanden verfolg­ten das Konzept eines aus ihren Reihen zu formierenden milizähnlichen Massenheeres, was den Oberen der Reichswehr, die schließlich auch Hitlers Ohr fanden, widersprach. Bereits im Dezember 1933 – er war gerade zum Minister ernannt worden – hatte Röhm in einem groß aufgemachten Artikel seinen weitreichenden Anspruch angemeldet: »Wenn der Soldat um einer guten oder schlechten Politik willen kämpfen und sterben soll, will er über diese Politik auch zu bestimmen haben!« Im Februar 1934 hatte er eine konkretisierende Denkschrift vorgelegt, die als regelrechte Kampfansage an die bisheri­ge Militärelite zu verstehen war; und er ließ den vielsagenden Slogan verbreiten, der graue Fels der Reichswehr müsse in den braunen Fluten der SA untergehen. Die gesam­te Landesverteidigung, wie es hieß, sollte eine Domäne der SA sein, die Reichswehr habe sich auf Ausbildungsfunktionen zu beschränken. Keine Rede war auch von den Kontakten der SA-Führung zu einigen an verstärktem Außenhandel interessierten Industriellen, sowie von Röhms Versuchen, selbständige Kontakte zum Ausland anzu­knüpfen. Manchem wurde erst nach dem Tode des Reichspräsidenten Hindenburg am 2. August 1934 deutlich, dass die Zustimmung der Generäle zu Hitlers Nachfolge und Ämterkonzentration als »Führer und Reichskanzler« ihren Preis haben würde.

Diktatur nach innen und außen gestärkt

Nachdem sich die Reichswehr-Generäle vom unliebsamen Konkurrenten befreit sahen, wurde der bereits 1933 eingeleitete Prozess der Wiederaufrüstung, der Schaffung einer schlagkräftigen Armee auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht und der zielge­richtet-aggressiven Vorbereitung auf einen neuen Krieg fortgeführt. Nicht zuletzt dank der Zustimmung einer breiten Öffentlichkeit. In ihr war die SA wenig angesehen, wenn­gleich aus ganz anderen Gründen als sie Hitler hatte. Am Ende konnte sich das hitlerfa­schistische Regime in seiner innen- und außenpolitischen Macht enorm gestärkt fühlen und sich gleichsam selbst weiter faschisieren. Die SA wurde »reorganisiert«. Es begann der Aufstieg der nunmehr aus der SA herausgelösten SS. Immer stärker konnte nicht nur in der SA, sondern unter den Deutschen jenes Maß an Disziplin durchgesetzt werden, das den NS-Führern angesichts ihres Expansions- und Kriegsprogramms unabdingbar erschien. Die deutsche »Bartholomäusnacht« war ein Schritt hin zum Zweiten Weltkrieg und zu noch viel umfangreicheren Massenmorden.

 

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