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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zwei plus Vier

Dr. Ronald Friedmann, Berlin

 

Im Januar 1990 äußerte der SPD-Sicherheitsexperte Egon Bahr erstmals öffentlich die Idee einer internationalen Konferenz unter Teilnahme der beiden deutschen Staaten und der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, bei der es um die äußeren Bedingungen der deutschen Einheit gehen sollte, die seit dem Ende des »real existierenden Sozialismus« in der DDR im Herbst 1989 auf der politischen Tagesordnung stand. Denn noch immer galten die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, oder richtiger: die Festlegungen in der offiziellen »Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin«, die vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof in Potsdam stattgefunden hatte. In dem Dokument, das von Josef Stalin, Harry S. Truman und Clement Attlee unterzeichnet worden war, hat- ten die führenden Vertreter der Sowjetunion, der USA und Großbritanniens – Frankreich schloss sich der Vereinbarung wenige Tage später per Brief an – die Grundsätze formuliert, nach denen Deutschland künftig durch einen Alliierten Kontrollrat regiert werden sollte: Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung, Dezentralisierung, Demontage. Zwar hatte der Kalte Krieg, von Winston Churchill im März 1946 mit seiner berüchtigten Fultoner Rede offiziell eingeläutet, viele der Festlegungen von Potsdam hinfällig werden lassen, doch wesentliche Teile, die für gewöhnlich mit der Formel von den »Rechten und Verantwortlichkeiten [der vier Siegermächte] in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes« umschrieben wurden, besaßen noch immer Gültigkeit. Hier ging es um Fragen, die unabhängig vom Tempo der deutschen »Wieder«vereinigung oder ihrer Form – über eine (zeitweise) Konföderation, eine »Vollendung der Einheit« in Übereinstimmung mit dem (damaligen) Artikel 146 des Grundgesetzes oder über einen »Beitritt« nach (dem damaligen) Artikel 23 des Grundgesetzes – in rechtlich verbindlicher und international akzeptierter Form geklärt werden mussten.

Ausdehnung der NATO

Dabei war klar, dass die Bündniszugehörigkeit des künftigen vereinten Deutschlands der Dreh- und Angelpunkt aller Gespräche und Verhandlungen sein würde.

Von Anfang an gab es widersprüchliche Signale: Die Führung der Sowjetunion machte zunächst deutlich, dass für sie eine Mitgliedschaft des vereinten Deutschland in der Nato in keiner Weise hinnehmbar sein würde. Die USA-Regierung unter Präsident George Bush wiederum schloss eine Blockfreiheit Deutschlands aus und bestand auf einer fortgesetzten umfassenden Mitgliedschaft im westlichen Bündnis, einschließlich seiner militärischen Strukturen. Allerdings erklärte US-Außenminister James Baker am 9. Februar 1990 bei einem Treffen mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, dass für die USA eine Vollmitgliedschaft Deutschlands in der Nato auch unter der Bedingung vorstellbar wäre, dass der Geltungsbereich der Nato »keinen Zoll« nach Osten, also auch nicht auf das Territorium der dann nicht mehr existierenden DDR, ausgedehnt werden würde. Großbritannien und Frankreich hatten angesichts der Erfahrungen zweier Weltkriege ernste Bedenken gegen ein wiedervereintes und damit deutlich stärkeres Deutschland, doch es wurde sehr schnell erkennbar, dass weder die britische Premierministerin Margaret Thatcher noch der französische Staatspräsident Francois Mitterand die begonnene Entwicklung aufhalten oder auch nur ernsthaft verzögern würden. Sie würden sich vielmehr widerstandslos der offiziellen Position der USA und der Bundesrepublik anschließen.

Für die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl stand außer Frage, dass das vereinte Deutschland uneingeschränkt Mitglied des Nato sein würde und dass es eine territoriale Begrenzung auf die alte Bundesrepublik nicht geben würde. Sowohl eine Blockfreiheit als auch eine doppelte Mitgliedschaft in Nato und Warschauer Vertrag, wie sie in der Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten immer wieder ins Gespräch gebracht wurde, das machte auch Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher wiederholt deutlich, galten als inakzeptabel.

Erster offizieller Schauplatz internationaler Beratungen über den Prozess der deutschen Einheit und den künftigen Status des vereinten Deutschlands war die kanadische Hauptstadt Ottawa, wo Mitte Februar 1990 seit langem geplante Verhandlungen über ein Open-Sky-Abkommen zwischen Nato und Warschauer Vertrag stattfanden. Die Delegationen der beiden politisch-militärischen Blöcke nutzten die Gelegenheit, um im jeweils eigenen Kreis die drängendsten Fragen hinsichtlich der anstehenden deutschen Einheit zu beraten. Die Außenminister der Warschauer Vertragsstaaten, so war es einer Pressemitteilung des sowjetischen Delegationsleiters zu entnehmen, lehnten eine Nato-Zugehörigkeit des künftigen Deutschland grundsätzlich ab und befürworteten seine militärische Neutralität. Die Nato-Außenminister forderten hingegen, wenig überraschend, eine Vollmitgliedschaft Deutschlands im westlichen Militärbündnis. Mehr noch, Nato-Generalsekretär Manfred Wörner bemühte sich nachdrücklich, die Äußerungen von US-Außenminister Baker wenige Tage zuvor in Moskau zu relativieren und die Tatsache, dass die Sowjetunion bei den Gesprächen mit Baker, Kohl und Genscher die Neutralität Deutschlands nicht ausdrücklich verlangt habe, als Zustimmung zur Nato-Position auszulegen.

Sowjetische Führung ohne Deutschland-Konzept

Wichtigstes Ergebnis der Beratungen von Ottawa war die Übereinkunft vom 13. Februar 1990, internationale Gespräche nach der Formel »Zwei plus Vier« zu führen. Wenige Tage später ließ das Außenministerium in Moskau verbreiten, dass nach sowjetischem Verständnis im Ergebnis dieser Gespräche ein Dokument zustande kommen müsse, »das einen Schlußstrich unter den Zweiten Weltkrieg zieht. Der sowjetische Standpunkt besteht darin, daß dies in der Idealvariante ein Friedensvertrag ist.«

Doch aus heutiger Sicht ist klar, dass die sowjetische Führung über keinerlei tragfähige Konzeption für ihre Deutschland-Politik verfügte. Schlimmer noch, die Sowjetunion selbst befand sich bereits in ihrer finalen Krise, ohne dass das den maßgeblichen Akteuren im Kreml bewusst war: Innenpolitische Probleme, insbesondere die drohende Abspaltung der baltischen Staaten, aber auch die offen ausgebrochenen ethnischen Konflikte, so in Nagorny Karabach im armenisch-aserbaidschanischen Grenzgebiet, sowie die Misere der sowjetischen Wirtschaft schränkten den Verhandlungsspielraum der sowjetischen Seite entscheidend ein. Gorbatschow und seine Gefolgsleute konnten nur noch schnelle (Schein-) Lösungen der Probleme ins Auge fassen und gaben daher gegen geringe Zugeständnisse wiederholt grundlegende Positionen auf. Die DDR, jahrzehntelang der engste Verbündete der Sowjetunion, war so längst zum Spielball kurzfristiger Interessen geworden. Deutlich wurde das nicht so sehr während der offiziellen Verhandlungen im Rahmen der »Zwei plus Vier«-Gespräche, die in vier Runden am 5. Mai 1990 in Bonn, am 22. Juni 1990 in (Ost-) Berlin, am 17. Juli 1990 in Paris (unter Beteiligung der Republik Polen) sowie am 12. September 1990 in Moskau stattfanden. Entscheidend waren vielmehr die bilateralen Gespräche mit der Regierung der BRD. Bereits im Mai 1990 hatte der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse gegenüber seinem westdeutschen Amtskollegen angedeutet, dass die Gewährung eines großzügigen Kredits – die Rede war anfänglich von 20 Milliarden D-Mark, auszahlbar innerhalb von fünf bis sieben Jahren – »sich positiv auf die Frage der Nato-Mitgliedschaft auswirken« würde. Im Juni 1990 wurde ein Kredit über fünf Milliarden D-Mark vereinbart, den die Sowjetunion bereits im Juli 1990 in voller Höhe abgerufen hatte. Angesichts dieser unmittelbaren Abhängigkeit von westlichen Geldgebern war die Erklärung des sowjetischen Außenministeriums vom 27. April 1990, dass »der Bau der deutschen Einheit etappenweise, geordnet und demokratisch verlaufen« müsse und dass nicht zugelassen werden dürfe, dass »ein Staat den anderen verschlinge«, bestenfalls das sprichwörtliche Pfeifen im Wald.

Am 15. Juli 1990 erklärte Gorbatschow offiziell die sowjetische Zustimmung zu einer uneingeschränkten Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands in der Nato. Dieses von der staatsnahen Geschichtsschreibung der Bundesrepublik als »Wunder vom Kaukasus« gefeierte Ereignis – Gorbatschow und Kohl hatten sich in der alten Heimat des sowjetischen Staats- und Parteichefs getroffen – war allenfalls ein gekauftes Wunder: Kohl hatte Gorbatschow noch einmal 300 Millionen D-Mark zugesichert, mit denen der Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland bis Ende 1994 finanziert werden sollte.

Ein Vertrag zu Lasten Dritter

Am 12. September 1990 wurden die Verhandlungen über das »Zwei plus Vier«-Abkommen abgeschlossen, noch am selben Tag wurde es unter dem offiziellen Titel »Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland« von den Außenministern der sechs beteiligten Staaten unterzeichnet.

Unter völkerrechtlichem Aspekt sind zwei Punkte besonders bemerkenswert: Die DDR, einer der Signatarstaaten, konnte den Vertrag nicht einmal mehr ratifizieren. Ihr Untergang, mit dem Vertrag völkerrechtlich geregelt, wurde am 3. Oktober 1990 vollzogen, bevor die »freigewählte« Volkskammer über die Rechtskraft des Vertrages beschließen konnte. Wichtiger noch ist die Tatsache, dass das »Zwei plus Vier«-Abkommen zwar dem Wesen nach eine friedensvertragliche Regelung hinsichtlich der Folgen des Zweiten Weltkriegs darstellt, aber ausdrücklich nicht als »Friedensvertrag« bezeichnet wurde. Denn bei der Londoner Schuldenkonferenz über die Zahlungsverpflichtungen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, die im Februar 1953 nach einjähriger Dauer endete und die eine großzügige Umschuldung der (west-) deutschen Verbindlichkeiten erreichte, war ausdrücklich festgelegt worden, dass die Frage von Reparationen erst in einem Friedensvertrag geregelt werden sollte. In dem genau diese Frage aus dem »Zwei plus Vier«-Abkommen ausgespart wurde, war und ist das Abkommen vom 12. September 1990 eigentlich ein vom Völkerrecht verbotener Vertrag zu Lasten Dritter. In diesem Sinne ist die immer wieder gebrauchte Formel vom »Statusvertrag«, der eben auch Dritte binden würde, eher entlarvend als erklärend.

Das »Zwei plus Vier«-Abkommen im Wortlaut: www.auswaertiges-amt.de/DE/AAmt/Geschichte/ZweiPlusVier/ZweiPlusVier_node.html

 

 

Mehr von Ronald Friedmann in den »Mitteilungen«:

2013-12:  Massenmord für das Kapital

2012-12:  In Verantwortung für die Erhaltung des Friedens

2012-10:  Kuba-Krise 1962: Die Welt am Abgrund