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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zur Personalstruktur des MfS der DDR und des entsprechenden Behördensystems der BRD

Prof. Dr. Heinz Karl, Berlin

 

Da die von den Westmächten und dem westdeutschen Separatstaat ausgehenden Aktivitäten zur politischen Unterminierung und wirtschaftlichen Zerrüttung der neuen Ordnung im Osten, um sie zu beseitigen, nach Gründung der DDR keineswegs eingestellt, sondern verstärkt wurden, beschloß die Provisorische Volkskammer der DDR am 8. Februar 1950 die Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Die Hauptabteilungen bzw. Abteilungen, in die sich das MfS gliederte, befaßten sich mit der Sicherung der Volkswirtschaft und des Verkehrswesens, der Spionageabwehr, der Sicherung der Volkspolizei und des Staatsapparates gegen feindliche Infiltration, der Fahndung nach Nazi- und Kriegsverbrechern, der Beobachtung (Enttarnung) und Festnahme von Agenten, der Untersuchung einschlägiger Straftaten (einschließlich von Fällen der Schwerpunktkriminalität) und dem Personenschutz.

Zum Minister für Staatssicherheit wurde der bisherige sächsische Innenminister Wilhelm Zaisser ernannt, der 1920 als Führer einer Arbeiterwehr an der Niederschlagung des Kapp-Putsches und 1936 bis 1938 am Kampf gegen den Faschismus in Spanien als Kommandeur der 13. Internationalen Brigade und Ausbildungschef der Internationalen Brigaden teilgenommen hatte. Staatssekretär wurde der bisherige Leiter der Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft, Erich Mielke, ebenfalls Spanienkämpfer. Als Stellvertreter des Ministers tätig waren unter anderem Hermann Gartmann, Spanienkampfer, und Otto Waller, der die gesamten zwölf Jahre des Faschismus als Gefängnis- und KZ-Häftling verbracht hatte. Als Hauptabteilungsleiter bzw. Abteilungsleiter im MfS arbeiteten so auch Gustav Borrmann (Teilnehmer an den bewaffneten Kämpfen gegen Freikorps und Kapp-Putschisten, führender Funktionär im Roten Frontkämpferbund und KZ-Häftling), Franz Gold (Teilnehmer am Slowakischen Nationalaufstand), Richard Großkopf (12 Jahre Zuchthaus und KZ), Karl Kleinjung (Spanienkämpfer und Partisan in Bjelorußland), Kurt Köhler (12 Jahre KZ) und Artur Paczinski (12 Jahre Gefängnis und KZ). Bezirksverwaltungen des MfS leiteten unter anderem Rolf Markert (nach illegaler Arbeit 10 Jahre Zuchthaus und KZ), Gustav Szinda (Kommandeur der 11. Internationalen Brigade in Spanien) und Erich Wichert (12 Jahre Zuchthaus und KZ).(1)

Die zeitlich parallel zum MfS aufgebauten entsprechenden Behörden der BRD waren anders strukturiert und unterschieden sich in ihrem Personalbestand grundlegend vom MfS. Eine wesentliche Rolle in ihrem System spielten das auf Grund des "Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" vom 28. Juli 1950 geschaffene Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV). Über ihre Aufgaben sagte ein zweifellos kompetenter Gewährsmann, Bundesinnenminister Gerhard Schröder, ganz eindeutig: "Nach meiner Meinung ist der gewählte Name ('Verfassungsschutz') wenig glücklich. Bei der den Ämtern gestellten Aufgabe handelt es sich um Staatssicherheit."(2) Mit dem Verfassungsschutz wirkte zusammen der Polizeiliche Staatsschutz, formiert in dem durch Gesetz vom 8. März 1951 geschaffenen Bundeskriminalamt (BKA) mit der Sicherungsgruppe Bonn, den Landeskriminalämtern (LKA) und den in jedem Kreis tätigen Kommissariaten der Politischen Polizei. LfV und LKA unterstanden den Innenministern der Länder, hatten aber dem BfV und dem BKA zuzuarbeiten. Diese sowie der Bundesgrenzschutz unterstanden der Aufsicht des Bundesinnenministers. Darüber hinaus wurde die geheimdienstliche Tätigkeit durch das Bundeskanzleramt (sein Chef war Dr. Hans Globke) koordiniert.

Unterstellungsverhältnisse und Zusammenarbeitsregelungen sicherten trotz formeller Trennungen ein einheitliches und flächendeckendes Wirken dieses Überwachungs- und Repressionsapparates. Es wurde vor allem nach Verabschiedung des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes (des berüchtigten "Blitzgesetzes") vom 11. Juli 1951 intensiviert.

Als "sich die ersten Dienststellen des Verfassungsschutzes mit Personal füllten", schreibt der bundesdeutsche Geheimdienstforscher Heinz Höhne, "kamen die meisten operativen Mitarbeiter" von der Gestapo. Sie "bestimmten praktisch die Arbeit des Verfassungsschutzes, speziell des BfV. An der Spitze der operativen Mitarbeiter des Bundesamtes standen 16 ehemalige Angehörige der Gestapo und des SD, von deren Existenz freilich die alliierten Kontrolleure nichts wußten. 'Kamen die Verbindungsoffiziere in das Haus', so weiß ein BfV-Insider, 'gab es Alarm, und alles ging auf Tauchstation, in nahe Cafés oder nach Hause. Sie kehrten erst zurück, wenn die Luft wieder rein war.'"(3)

Der erste – vor allem von den Briten durchgesetzte – Präsident des BfV, Dr. Otto John, ein Nazigegner aus dem Umfeld des 20. Juli 1944, blieb eine Ausnahme. Prägend für das BfV war sein Nachfolger, der frühere Nazi-Staatsanwalt Hubert Schrübbers. Johns Stellvertreter Albert Radke kam aus Hitlers militärischer Abwehr und war an der Untersuchung gegen die Teilnehmer des 20. Juli beteiligt. Ein anderer Vizepräsident des BfV, Dr. Ernst Brückner, war – wie Schrübbers – früherer Nazi-Staatsanwalt. Unter den Abteilungsleitern des BfV waren der SS-Sturmbannführer Dr. Wilhelm Lud­wig und der SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Richard Gercken. Leitende Positionen im BfV nahmen auch der "Sonderbeauftragte des Präsidenten des BfV", SS-Obersturmbannführer Dr. Gustav Halswick, der in Frankreich in Abwesenheit verurteilte frühere SD- und Gesta­pochef von Paris, SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka, SS-Sturmbannführer Paul Opitz aus dem RSHA, SS-Sturmbannführer Kurt Fischer, die SS-Hauptsturmführer Erich Wenger, Werner Aretz, Johannes Strübing (der Leiter der Ermittlungen gegen die "Rote Kapelle") und Alfred Wurbs (wegen seiner Kriegsverbrechen auf dem Balkan und in Norwegen bis 1956 – mit Wissen der Bundesregierung – ­unter einem Decknamen) aus dem RSHA, SS-Obersturmführer Karl-Heinz Siemens aus der "Leib­standarte Adolf Hitler" und SS-Hauptscharführer Gustav Barschdorf aus dem RSHA (1974 als Kriegsverbrecher verurteilt) ein.

Das LfV Hessen leitete Harald Spehr aus dem RSHA, das LfV Saarland SS-Standartenführer Erich Ehrlinger (1962 zu 12 Jahren Haft verurteilt, aber bereits 1965 entlassen). In Bayern schützte SS-Obersturmbannführer Adolf Puchta aus dem RSHA die Verfassung, unterstützt von Leonhard Halmannseger aus dem RSHA, in Niedersachsen SS-Sturmbannführer Walter Odewald aus dem RSHA. Im aufsichtsführenden Bundesinnenministerium leitete Walter Bargatzky aus dem Nazi-Reichsjustiz­ministerium die Abteilung Öffentliche Sicherheit.(4)

Am Aufbau des BKA hatte sein späterer langjähriger Präsident Paul Dickopf entscheidenden Anteil – SS-Untersturmführer und für die Abwehr in der Schweiz tätig, seit 1944 US-Agent. Ihm zur Seite stand als Vizepräsident SS-Hauptsturmführer Rolf Holle aus dem RSHA. Der wichtigste Mann neben ihnen war SS-Sturmbannführer Dr. Bernhard Niggemeyer aus dem RSHA. Personalchef des BKA war SS-Hauptsturmführer Eduard Michael. Eine leitende Tätigkeit im BKA übten die SS-Hauptsturmführer Georg Franz Fischer, Gerhard Freitag, Kurt Griese, Kurt Lach, Rudolf Thomsen und SS-Obersturm­führer Heinrich Erlen aus sowie der Cheffahnder Kurt Amend und der Chef des Erkennungsdienstes Heinz Drescher, die die gleichen Funktionen bereits im faschistischen Reichskriminalpolizeiamt inne­gehabt hatten.(5) Man kann wohl dem seinerzeitigen stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, zustimmen, wenn er konstatierte: "Das Bundeskriminalamt – 2001 50 Jahre alt geworden – wurde von NS-Verbrechern aufgebaut. Noch in den 60er Jahren hatte die Mehrzahl der leitenden BKA-Beamten braune Westen, darunter Schreibtischtäter des Reichssicherheitshauptamtes und Einsatzgruppenleiter der SS. Keiner von ihnen hat je Reue gezeigt, geschweige denn Trauer."(6)

Eine besondere Rolle im BKA spielte die nach dem Vorbild des unmittelbar Hitler unterstehenden Reichssicherheitsdienstes gestaltete Sicherungsgruppe Bonn. Ihr stellvertretender Leiter war der bei der Judenverfolgung in Polen, Libyen, Tunesien und Italien aktive SS-Sturmbannführer Theodor Saevecke, im BKA zunächst Leiter der Abteilung Hoch- und Landesverrat. In der Sicherungsgruppe Bonn leitend tätig waren auch die SS-Obersturmführer Dr. Ochs und Ewald Peters.

Leiter des LKA waren in Niedersachsen SS-Sturmbannführer Dr. Walter Zirpins, in Nordrhein-­Westfalen SS-Hauptsturmführer Dr. Bernhard Wehner, in Schleswig-Holstein Kriminalrat Kurt Zillmann aus dem RSHA (unterstützt von SS-Hauptsturmführer Arno Besekow und Manfred Adam, Kriminalkommissar im RSHA) und in Baden-Württemberg Paul Feddersen, Kriminalkommissar im RSHA. Das Politische Kommissariat des Kölner Polizeipräsidiums leitete der ehemalige Leiter des "Judenreferates" der Gestapoleitstelle Düsseldorf, Hermann Waldbillig.(7)

Alte Nazikader saßen in polizeilichen Schlüsselfunktionen. So leitete die Polizeiabteilung im Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz der SS-Untersturmführer Josef Altmeyer aus der "Leibstandarte Adolf Hitler". Die Landespolizei Schleswig-Holsteins kommandierte SS-Sturmbannführer Günther Bock. Viele Hunderte SS-, SD- und Gestapoleute, Offiziere der faschistischen Schutzpolizei und Gendarmerie bis zum Generalsrang bekleideten polizeiliche Führungsfunktionen aller Ebenen.(8) In Nordrhein-Westfalen kamen bereits 1948 56% der höheren Polizeibeamten aus der NSDAP und der SS.(9)

Anmerkungen
(1) Vgl. Duell im Dunkeln – Spionage und Gegenspionage im geteilten Deutschland, Berlin 1994, S. 26/27.
(2) G. Gemballa: Geheimgefährlich. Dienste in Deutschland, Köln 1990, S. 24.
(3) H. Höhne: Der Krieg im Dunkeln (Augsburg 1998), S. 509.
(4) Vgl. Duell im Dunkeln, S. 28-30; K Eichner/G. Schramm (Hg.): Angriff und Abwehr (Berlin 2007), S. 119/120.
(5) Vgl. Eichner/Schramm: Angriff und Abwehr, S. 128-130, 136-138, 140-142.
(6) Vgl. D. Schenk: Die braunen Wurzeln des BKA, Frankfurt a.M. 2003 (Rücktitel).
(7) Vgl. R. Gössner: Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges, Hamburg 1994, S. 43; Eichner/Schramm: Angriff und Abwehr, S. 144-146, 238, 241, 249.
(8) Vgl. Eichner/Schramm: Angriff und Abwehr, S. 239, 242, 238-282.
(9) Vgl. R. Gössner: Die vergessenen Justizopfer, S. 202.

 

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