Zum Tag der Mahnung und des Gedenkens am 11. September 2011
Prof. Dr. Moritz Mebel, Berlin
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat das insbesondere in Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas sowie Lateinamerikas gezeigt.
Bleiben wir bei Deutschland. Der erste Versuch Hitlers und einer kleinen Gruppe von Anhängern, unterstützt von Industrie- und Finanzmagnaten auch aus dem "Altdeutschen Verband", die Macht an sich zu reißen, scheiterte. In den folgenden Jahren vernetzte sich die Elite der deutschen Wirtschaft zunehmend mit der NSDAP. Große Geldsummen wurden gespendet. Die SA marschierte durch die Straßen und brüllte: "Deutschland erwache, Judas verrecke!"
Im Januar 1933 gelang es den Nazis, die Reichstagswahlen zu gewinnen. Die Zerstrittenheit der linken Kräfte, in erster Linie der kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien, haben den Nazis außerordentlich dabei geholfen. Der Präsident der Weimarer Republik, Generalfeldmarschall v. Hindenburg, ernannte Hitler zum Reichskanzler, das deutsche Nazireich war geboren. Seine unvorstellbaren Grausamkeiten und Verbrechen konnte nichts mehr aufhalten. Die sogenannten demokratischen Staaten Europas, an der Spitze Frankreich und Großbritannien, sahen tatenlos zu, wie Deutschland aufrüstete und eine Reihe Staaten Europas zu seinen Verbündeten machte oder eroberte. Die konkreten Angebote der Sowjetunion an die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens, gemeinsam Hitlerdeutschland Einhalt zu gebieten, wurden in den Wind geschlagen.
Das deutsche Volk in seiner Mehrheit unterstützte die Machenschaften der Nazis. Die Rüstungsindustrie boomte, Autobahnen wurden gebaut, die deutsche Wehrmacht wuchs und erstarkte. Das Volk hatte Arbeit, der Wohlstand wuchs und das Großkapital kassierte Milliarden. Was spielten da eingekerkerte und umgebrachte Kommunisten, Sozialdemokraten, mit den Nazi nicht konforme Christen, Sinti und Roma und vor allem Juden für eine Rolle?
Am 22. Juni war es dann soweit, daß die Nazis ihren Plan, Lebensraum im Osten zu erobern und die slawische Bevölkerung zu dezimieren, in Angriff nehmen konnten. Die schrecklichen Verbrechen des von Hitler entfesselten 2. Weltkriegs in Europa sind bekannt: 53 Millionen Tote, verbrannte Städte, Hunger und Elend, unzählige KZs, in denen die Gefangenen gemeuchelt wurden.
Wozu die Reminiszenzen aus der nahen Vergangenheit zum Tag der Mahnung und des Gedenkens? Eine alte Weisheit hat sich bewahrheitet: die Gegenwart kann nur verstehen, wer die historische Vergangenheit kennt. Es ist die Voraussetzung, die Gegenwart zu verändern und eine menschenwürdige Zukunft nicht nur im eigenen Land, sondern in der Welt zu schaffen.
Wir befinden uns in Berlin vor den Wahlen. Auf Plakaten sieht man in einem roten Kreis eine ebenfalls rot durchgestrichene Moschee. "Wählen gehen für Thilos Thesen"! So plakatiert die "Bürgerbewegung für Deutschland" und bezieht sich auf Sarrazins rassistisches Buch "Deutschland schafft sich ab". Unbeschadet war und bleibt dieser Herr Mitglied der SPD.
Nimmt man in unserer Demokratie die Worte "Kommunismus" oder "Sozialismus" im Zusammenhang mit Verstaatlichung von Produktionsmitteln und Großbanken in den Mund, so droht die Demokratie schon mal mit dem Verfassungsschutz. Aber das Wahlplakat mit Motorrad und der Aufschrift "Gib Gas!", einem Slogan, den SS-Schergen in den KZs gebrauchten, wenn Millionen Juden, tausende Sinti und Roma und andere den Nazis nicht genehme Menschen ins Gas geschickt wurden, stört offensichtlich unsere Demokratie nicht.
Auch meine Tante Anne Feigin und ihre beiden Töchter Ruth, 20 Jahre, und Elliu, 25 Jahre alt, wurden nach Auschwitz deportiert und von der Rampe ins Gas geschickt.
Als ich‚ 18 Jahre alt, am 14. Oktober 1941 mich als Freiwilliger zu dem Kommunistischen Arbeiterbataillon zur Verteidigung Moskaus meldete, die Wehrmacht hatte die Verteidigungslinie der Roten Armee bei Moshaisk, ca. l00km westlich von Moskau durchbrochen, konnte ich mit eigenen Augen sehen, zu welchen Ungeheuerlichkeiten und Verbrechen nicht nur die SS, die Feldgendarmerie, sondern auch einfache Soldaten fähig waren.
Am 8. November 1941 ging unsere 3. Kommunistische Infanteriedivision vor Moskau zum Angriff über und schlug gemeinsam mit anderen Einheiten der Roten Armee die deutsch-faschistischen Truppen 80-100 km zurück. Die befreiten Gebiete boten einen schrecklichen Anblick. In der Ortschaft Istra am See gelegen, wo ich vor einigen Jahren mit meinen Freunden aus dem Geographiezirkel des Zentralhauses der Pioniere wanderte und zeltete, war zerstört. Niedergebrannte Häuser in der Ortschaft, tote Zivilisten in den Trümmern, umgebrachte kleine Kinder im Ziehbrunnen. Unglaublich, unvorstellbar. Jetzt sahen wir die Greueltaten der Hitlerwehrmacht mit eigenen Augen. Machen wir einen großen Sprung. Herbst 1944. Vor uns der große Fluß Dnjepr in der Ukraine. An seinem westlichen Ufer hatte der Gegner eine neue Verteidigungslinie aufgebaut.
Um den Vormarsch der Roten Armee zu stoppen, hatte die Wehrmacht vor dem Dnjepr ein ca. 100 km breites und tiefes Gebiet total verwüstet. Noch vorhandene Dorfbewohner, alte Leute und Kinder, wurden in zerfallende Scheunen getrieben und die Bretterbuden abgefackelt. Diese Verbrechen wurden nicht nur von SS-Schergen, sondern auch von Soldaten der deutschen Wehrmacht begangen. Deutsche Kriegsgefangene und Dorfbewohner, denen es gelungen war zu flüchten, haben das ausgesagt.
Als Rumänien an der Seite Hitler-Deutschlands in den Krieg gegen die Sowjetunion eintrat, bekam es zur Belohnung von Hitler die Moldawische SSR sowie weitere sowjetische Territorien zugesprochen. In Moldawien befreiten wir auch die Stadt Balta von deutschen und rumänischen Truppen. Hier gab es bis zu dieser Zeit noch ein Juden-Ghetto. Auf den Straßen und in Hauseingängen lagen Leichen von erschossenen Juden, darunter auch Kindern.
Überlebende berichteten uns, daß kurz vor ihrer Flucht deutsche Soldaten und Feldgendarmerie hier gewütet haben. Am 21. August gegen 13 Uhr überschritten wir bei der Ortschaft Trifeschti die Staatsgrenze zu Rumänien. Die Armut in den rumänischen Dörfern war erschreckend. In der Mehrzahl schiefe strohgedeckte Hütten, die zu zerfallen drohten, kein Vieh, Mamaliga war bei den meisten Bauern oft die einzige Nahrung. Keine Elektrizität, keine Straßen, Schmutz so weit das Auge reichte. Ein neues Rumänien, das den sozialistischen Weg einschlug, wuchs nach dem 2. Weltkrieg. Armut und Rückständigkeit wurden schrittweise gemildert und nach Jahren harter Arbeit beseitigt. In der heutigen Zeit fehlt es wieder vielen Bürgern am Nötigsten.
Diese Prozesse sich verbreitender erneuter Armut sind – nicht nur in Rumänien und nicht zufällig – mit aggressivem Geschichtsrevisionismus verknüpft. Es darf nichts Gutes gegeben haben in den gewesenen sozialistischen Ländern Europa. Kürzlich hieß der rumänische Staatspräsident Traian Basescu die Beteiligung seines Landes am Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion für gut. In einem Fernsehinterview sagte er, daß, wenn er damals Führer Rumäniens gewesen wäre, er seinen Soldaten befohlen hätte, mit der Wehrmacht gegen Rußland zu marschieren. Rumänien ist Mitglied der EU. Ebenso wie Ungarn, in dem faschistoide Tendenzen mittlerweile den Alltag des Landes wesentlich prägen. Im Baltikum werden ehemalige Partisanen vor Gericht gestellt und Angehörige der litauischen, lettischen und estnischen SS bzw. der Hilfstruppen der deutschen Okkupanten geehrt. Das waren nur einige Beispiele. Eine Geschichtsrevision ganz großen Stils prägt Europa und findet ihre Entsprechung auch in Beschlüssen des Europäischen Parlaments, in denen Faschisten und Kommunisten über einen Kamm geschoren werden. Während imperialistische Kriege wieder Mittel der Politik geworden sind, erleben wir diesen durch und durch antikommunistischen Umgang mit der Geschichte, gepaart mit tiefen Zügen des Hasses bzw. Vorurteilen gegen Muslime, begleitet von tradiertem Antisemitismus und offener Hetze gegen Sinti und Roma. Wehren wir uns gemeinsam gegen Reaktion und Militarismus, gegen Rassismus sowie alte und neue Faschisten, damit aus Einzeltätern mit faschistischem Gedankengut und faschistischen Taten, wie bei einem Breivik in Oslo, kein neuer Massenmord wird.
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