Zum 70. Jahrestag des gerichtlichen Verbots der FDJ in Westdeutschland
Ralph Dobrawa, Gotha
Der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer setzte mit seiner Politik in der jungen Bundesrepublik nicht nur auf eine alsbaldige Westintegration, sondern behielt auch das nicht erst von den Nazis entwickelte Feindbild des Antikommunismus bei. Bestätigung erhielt er in dieser Position durch die in dieser Zeit, in der sogenannten McCarthy-Ära, einsetzende Kommunistenverfolgung in den USA. Am 7. März 1946 wurde die Freie Deutsche Jugend gegründet. Damals existierten die beiden deutschen Staaten noch nicht. Der Jugendverband hatte sich vor allem zum Ziel gesetzt, beim Aufbau einer neuen antifaschistischen und demokratischen Gesellschaft aktiv mitzuwirken, für Humanismus, Demokratie, Völkerfrieden und Verständigung der Völker einzutreten. So überrascht es nicht, dass sich die FDJ bereits im Frühjahr 1951 mit der Vorbereitung einer Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik beschäftigte. Adenauer beobachtete das mit großer Sorge, befürchtete er doch, dass das Ergebnis einer solchen Volksbefragung seine Politik der militärischen Stärke gefährden könnte.
Bewegung gegen die Wiederbewaffnung der BRD
Viele FDJ-Mitglieder hatten Hitlers grausamen Krieg und seine Auswirkungen miterlebt. Und nach der Gründung der DDR und der BRD wirkte die Jugendorganisation in beiden Staaten und einte so ihre Mitglieder. Neben der politischen Betätigung wurden auch viele Freizeitangebote initiiert, die zusätzlich für Verbundenheit und Festigung sorgten. Aufrüstungsgegner waren in der jungen BRD nicht erwünscht. Bereits vor einem offiziellen Verbot der Jugendorganisation kam es zur Verfolgung ihrer Mitglieder. Dies wurde damit begründet, sie würden die verfassungsmäßige Ordnung in der BRD gefährden und letztlich beabsichtigen, diese zu beseitigen, um Machtverhältnisse nach sowjetischem Vorbild zu errichten.
Als am 11. Mai 1952 bei der Friedenskarawane in Essen, die maßgeblich von der FDJ mitorganisiert wurde, der junge Philipp Müller durch die Polizei erschossen worden ist, heizte dies die Lage zusätzlich an. Der feige Mord sollte nicht ungesühnt bleiben, was auf vielen Veranstaltungen in der Folgezeit gefordert wurde. Die Adenauer-Regierung hatte sich bereits auf den Kampf gegen Kommunisten und junge Sozialisten eingestellt. Insbesondere hatte sie mit dem im Sommer 1951 verabschiedeten ersten Strafrechtsänderungsgesetz, welches als sogenanntes »Blitzgesetz« in die Geschichte einging, maßgebliche strafrechtliche Tatbestände zur Verfolgung geschaffen, die der Gesinnungsschnüffelei Tür und Tor öffneten. Das führte letztlich zu einer Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit im Sinne von Artikel 5, die sich auch auf die Bekundung politischer Überzeugungen bezog. Begriffe wie »Staatsgefährdung« oder »Geheimbündelei« hatten Eingang in das politische Strafrecht gefunden und wurden sehr schnell gnadenlos angewendet. Dabei erwies sich aus Sicht der Bundesregierung von Vorteil, dass alte Nazijuristen wieder in den Gerichten saßen und dort »Recht« sprechen sollten.
Schnell kam es zur Einleitung vieler Verfahren gegen FDJ-Mitglieder in der Bundesrepublik. Besonders im Fokus stand dabei der Vorsitzende der westdeutschen FDJ Jupp Angenfort. Bereits am 24. April 1951 hatte die Bundesregierung die beabsichtigte Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung für verfassungswidrig erklärt. Sie benutzte diese Gelegenheit gleichzeitig dazu, um »die Vereinigungen, die diese Aktion durchführen, insbesondere die dazu errichteten Ausschüsse sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die Freie Deutsche Jugend ...« unter Bezugnahme auf Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes zu verbieten. Jegliche Tätigkeit dieser Organisationen im Zusammenhang mit der Volksbefragung sollte unterbunden werden. Am 26. Juni 1951 folgte der förmliche Erlass zum Verbot der FDJ. Ihre Tätigkeit stelle »einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes dar«. Bereits im Vorfeld waren aufgrund der Anordnung der Bundesregierung vom 19. September 1950 Mitglieder der KPD, der VVN oder der FDJ aus dem Staatsdienst entlassen worden. Als unter Juristen Zweifel aufkamen, ob das Verbot der FDJ durch Verwaltungsakt auch Rechtswirksamkeit erlangen würde, beantragte die Bundesregierung am 13. Oktober 1953 bei dem erst kurze Zeit zuvor gegründeten Bundesverwaltungsgericht das Verbot der Jugendorganisation. Dabei wurden die wesentlichen Begründungen für das Verbot aufrechterhalten und der FDJ nunmehr noch zusätzlich angelastet, dass sie nach dem verwaltungsrechtlichen Verbot »ihre Tätigkeit vielmehr im verstärkten Umfange fortgesetzt und sich hierbei aller Mittel der Geheimhaltung« bedient habe.
Verfassungskonform und trotzdem kriminalisiert
Durch das Zentralbüro der FDJ in der BRD wurde gegen den Antrag sachlich argumentiert. Dabei wurde unter anderem ausgeführt: »Die gesamte Tätigkeit der Freien Deutschen Jugend in Westdeutschland vollzieht sich auf der rechtmäßigen Grundlage des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland … Der Versuch der Bundesregierung, die Freie Deutsche Jugend in Westdeutschland des Verfassungsbruchs zu bezichtigen und zu verbieten, entspricht der Absicht der Bundesregierung, einen der von ihr beabsichtigten Rekrutierung der Jugend und der Einführung des Wehrpflichtgesetzes im Wege stehenden Gegner auszuschalten und zu beseitigen. Der wirkliche Grund des Antrages der Bundesregierung ist es, die Freie Deutsche Jugend in Westdeutschland, die immer offen gegen die Rekrutierung und die Remilitarisierung in Westdeutschland aufgetreten ist und in diesem Sinne unter der Jugend in Westdeutschland gewirkt hat, zu verbieten und zu beseitigen. Dadurch soll der weit verbreitete Widerstand unter der Jugend in der Bundesrepublik gegenüber den dem Grundgesetz widersprechenden Rekrutierungs- und Remilitarisierungsmaßnahmen von Seiten der Bundesregierung gelähmt und unterbunden werden.« [1]
Die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begann am 15. Juli 1954. Bereits einen Tag später, am 16. Juli 1954, wurde das Urteil verkündet und die Freie Deutsche Jugend in Westdeutschland verboten. Das Gericht kam dabei in der Begründung zu der Feststellung, »die FDJ in Westdeutschland und die FDJ im Gebiet der DDR (seien) nach Programm und Zielsetzung als Einheit zu betrachten.« Die Verfassungswidrigkeit ergebe »sich somit bereits aus deren Zielsetzung. Darauf, ob die von ihr angewandten Mittel verfassungswidrig oder sonst rechtswidrig sind, kommt es daher nicht an.« In dem Verbotsprozess wurde die FDJ durch die Rechtsanwälte Dr. Friedrich Karl Kaul aus Berlin und Dr. Curt Wessig aus Hamburg vertreten.
In der Folge des Verbots wurden zahlreiche Mitglieder der FDJ strafrechtlich verfolgt und verurteilt. Dafür genügten bereits harmlose Betätigungen, wie die Teilnahme an Schulungsabenden oder das Lesen von Literatur der FDJ. Jupp Angenfort wurde bereits im Vorfeld des Verbots kriminalisiert durch Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn und seine Inhaftierung am 12. März 1953. Ihm wurde im späteren Prozess vor dem 3. (politischen) Strafsenat des Bundesgerichtshofs die »Rädelsführerschaft einer verfassungsfeindlichen Vereinigung sowie die Teilnahme an einer geheimen Verbindung und Mitgliedschaft in einer auf die Begehung strafbarer Handlungen gerichteten Vereinigung wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« vorgeworfen.
Voraussetzung für seine Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat war die Androhung von Gewalt. Die Belege hierfür erwiesen sich als untauglich. So griff das Gericht auf eine Rede von ihm zurück, wo er den Streik als eine Möglichkeit der Abwehr der drohenden Aufrüstung propagierte. Darin sah der Strafsenat die Androhung von Gewalt! Er wurde am 4. Juni 1955 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Aufgrund einer Erkrankung an TBC wurde späterhin der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, 1962 allerdings widerrufen. Jupp Angenforth gelang es jedoch, in die DDR zu flüchten, wo er bis 1969 blieb. Trotz des Umstandes, dass die Bundesregierung 1968 eine Liberalisierung des politischen Strafrechts vorgenommen hatte, wurde er sofort nach seiner Rückkehr wieder verhaftet, um noch zwei Monate der verbliebenen Strafe zu verbüßen. [2]
Bis heute!
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde bis heute nicht aufgehoben. Als es im Zusammenhang mit der jährlichen Gedenkdemonstration für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Rahmen eines Polizeieinsatzes am 10. Januar 2020 zu Festnahmen in Berlin kam, wurde dies mit dem Tragen von Fahnen und Hemden der FDJ begründet, das polizeilicherseits als »Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen« eingeordnet wurde. Das führte zu einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, auf die die Bundesregierung am 25. Februar 2021 (Drucksache 19/27078) antwortete. Auf die Frage, »inwieweit nach Rechtsauffassung der Sicherheitsbehörden die FDJ in der DDR nach der Wiedervereinigung 1990 vom seit 1951 bestehenden Verbot der FDJ in der Bundesrepublik Deutschland erfasst« werde, hieß es: »Die FDJ wurde nach der Wiedervereinigung vom Verbot nicht umfasst, da sie eine eigene juristisch unterscheidbare Person darstellt und, ... als Verein mit Rechtsnachfolge der FDJ in der ehemaligen DDR fortgesetzt wurde.«
Zur Fragestellung, unter welchen Umständen »das 1951 verkündete Verbot der FDJ in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich ihrer Fahnen, Symbole und Kleidungsstücke auch für die neuen Bundesländer bzw. für die dort als FDJ auftretende Organisation« gelte, wurde geantwortet:
»Das durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ausgesprochene Verbot ... der ›FDJ in Westdeutschland‹ gilt im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Sich daraus ergebende strafrechtliche Prüfungen obliegen den Justizbehörden der Länder und sind Einzelfallentscheidungen.«
Die Bundesregierung erklärte zugleich auch in dieser Antwort, dass sie keinen juristischen Wertungswiderspruch darin sehe, »dass die FDJ und ihre Symbole in Deutschland zugleich verboten und erlaubt sind«. Das Verbot der FDJ in Westdeutschland bestehe weiter. »Eine ›Re-Legalisierung‹ rechtskräftig und unanfechtbar verbotener verfassungswidriger Organisationen ist nicht vorgesehen.«
Anmerkungen:
1 Zitiert bei Karl Heinz Jahnke, »26. Juni 1951 – Das Verbot der Freien Deutschen Jugend«, Essen 1996, S. 19.
2 Vgl. auch Erich Buchholz/Ralph Dobrawa »Politische Justiz in der Ära Adenauer«, Berlin 2018, S. 76 ff.
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