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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der Alleinvertretungsanspruch der BRD

Ralph Dobrawa, Gotha

 

Zum 70. Jahrestag der Erklärung der Bundestagsparteien vom 7. April 1954

 

Nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus wurden im Jahr 1949 zunächst die Bun­desrepublik und am 7. Oktober desselben Jahres die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Die BRD gab dabei vor, einen Alleinvertretungsanspruch für »alle Deutschen« zu haben, auch für die in der DDR lebenden Menschen. Sie ignorierte dabei die Existenz des zweiten deutschen Staates und behielt diese Position mindestens für die kommenden 20 Jahre bei. In der Präambel des Grundgesetzes von 1949 wurde des­halb auch formuliert: »Es (gemeint ist das deutsche Volk der damaligen Bundesländer in den westlichen Zonen – R. D.) hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwir­ken versagt war.« Dabei wurde schlechterdings unterstellt, dass die Bürger im Osten Deutschlands sich zum Grundgesetz bekennen würden, wenn sie nicht in einem eige­nen Staat lebten. Diese vereinfacht formulierte These traf weder zu, noch konnte sie sich auf gesicherte Feststellungen stützen.

Ohne völkerrechtliche Grundlage

Der verkündete Alleinvertretungsanspruch, mit dem auch die internationale Vertretung für »Gesamtdeutschland« proklamiert wurde, hatte keine völkerrechtliche Grundlage. Die Bundesregierung negierte dies hartnäckig und lehnte es ab, die DDR als eigenen Staat anzuerkennen. Dies hatte zur Konsequenz, dass über lange Jahre hinweg keine offiziellen Kontakte auf politischer und behördlicher Ebene stattfanden. Jegliche Versu­che zur Annäherung seitens der DDR wurden konsequent zurückgewiesen. Post an offi­zielle Stellen der BRD wurde nicht selten ungeöffnet mit dem Vermerk »Annahme ver­weigert« an den Absender zurückgesandt. Konrad Adenauer setzte von Anfang an auf eine Westintegration der BRD, wozu eine unter sowjetischem Einfluss stehende DDR nicht passte. Hinzu kam Adenauers persönliche Kommunismus-Phobie. Bereits 1955 wurde die BRD in die NATO aufgenommen. Nur kurze Zeit später erhielt sie ihre Souve­ränität zurück. Der Alleinvertretungsanspruch wurde von den Westmächten nicht kriti­siert. Die Bundesrepublik untermauerte ihre Position zusätzlich durch die Hallstein-Doktrin. Sie sollte verhindern, dass andere Staaten die DDR völkerrechtlich anerken­nen. Solchen Überlegungen wurde mit der Androhung des Abbruchs diplomatischer Beziehungen zu diesen Ländern begegnet. Die angeblich angestrebte Wiedervereini­gung wurde durch diese Vorgehensweise eher torpediert, als dass sie hilfreich war. Eine Änderung trat erst ein, als 1969 die sozialliberale Koalition unter dem Bundeskanzler Willy Brandt regierte. Die von diesem gemeinsam mit Egon Bahr auf den Weg gebrachte »neue Ostpolitik« führte zu einer Annäherung der beiden deutschen Staaten und zu einer allmählichen Entspannung des bis dahin frostigen Verhältnisses zueinander.

Die Sowjetunion erklärte am 25. März 1954 die Souveränität der DDR. Dennoch wurde von den westeuropäischen Staaten der Alleinvertretungsanspruch der BRD weiterhin akzeptiert. Diese vertrat dabei die Rechtsposition, dass der Gesamtstaat Deutschland nach dem Untergang des Dritten Reiches erhalten geblieben sei und es deshalb keine zwei deutschen Staaten geben könne. Die DDR sei lediglich ein von der Sowjetunion besetztes Gebiet ohne eigenen Führungsanspruch. Darum sei ein solches »Gebilde«, mitunter wurde auch der Begriff »Phänomen« benutzt, völkerrechtlich nicht anerken­nungsfähig. Letztlich verbarg sich dahinter auch die These, das Deutsche Reich sei mit der Zerschlagung des faschistischen Staates nicht untergegangen. Außerdem befürch­tete man, dass bei einer Anerkennung der DDR das selbst proklamierte Wiedervereini­gungsgebot nicht mehr umgesetzt werden könne. Erst nach der Regierungserklärung der Regierung Brandt vom 28. Oktober 1969 wurde nunmehr von »zwei Staaten in Deutschland« gesprochen. In diese Zeit fällt auch der am 21. Dezember 1972 abge­schlossene Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Hierin wurde ausdrücklich bekräftigt, dass kein Staat der beteiligten Vertragspartner im Namen des jeweils ande­ren auftreten kann. Damit war der Alleinvertretungsanspruch gegenstandslos. An dem Ziel der Wiedervereinigung habe man seitens der BRD aber weiter festgehalten, was bis 1990 immer wieder betont wurde, obgleich die Entwicklung der beiden deutschen Staa­ten deutlich machte, dass dieses Ziel für viele Vertreter der Politik nicht mehr erreich­bar erschien. 1973 wurden die BRD und die DDR in die Vereinten Nationen aufgenom­men. Ungeachtet dessen hat die Bundesrepublik bis zum Abschluss des Einigungsver­trages im Jahr 1990 sich mit der Anerkennung der eigenen Staatsbürgerschaft der DDR weiterhin schwergetan. DDR-Bürger galten immer noch als »deutsche Staatsangehöri­ge« im Sinne des bundesdeutschen Staatsrechts. Die zunächst auch von der DDR bei ihrer Gründung angestrebte Wiedervereinigung musste ein reichliches Jahrzehnt später allmählich aufgegeben werden, da sie nicht mehr realistisch erschien.

Nicht die Sowjetunion trug die Verantwortung für die Spaltung

Der am 7. April 1954 von Konrad Adenauer in einer Regierungserklärung bekräftigte Al­leinvertretungsanspruch war eine unmittelbare Reaktion auf die Proklamation der Souve­ränität der DDR durch die Sowjetunion am 25. März 1954. Er bekundete gegenüber dem Deutschen Bundestag den Anspruch der Bundesrepublik, auch für die Bürger der DDR in­ternational zu handeln und sah dies als legitim an. Er sprach den Bürgern der DDR ein Selbstbestimmungsrecht ab. »Niemals werden wir anerkennen, dass die durch List, Be­trug und Gewalt zur Herrschaft gelangten Machthaber der Sowjetzone befugt sind, deut­sche Staatsgewalt auszuüben. … Niemals werden wir uns mit der Spaltung Deutschlands abfinden und die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen.« In Verkennung der Rea­litäten schiebt er die Verantwortung für die Spaltung der Sowjetunion zu und behauptet, sie würde »ihre Besatzungsgewalt zur politischen Zerreißung (…) missbrauchen. … Der trügerische Schein von Souveränität, den die sowjetische Erklärung vom 25. März die­sem Regime verliehen hat, wird die Nationen der freien Welt nicht irreführen. Die westli­chen Großmächte haben bereits anlässlich der New Yorker Konferenz vom 19. Septem­ber 1950 und seither wiederholt erklärt, dass nur die Bundesregierung legitimiert ist, als einzige frei gewählte Regierung des deutschen Volkes für alle Deutschen zu sprechen. Sie haben damit zugleich zu erkennen gegeben, dass sie eine zweite deutsche Regierung, die sich nicht auf den frei zum Ausdruck gebrachten Willen des deutschen Volkes stützen kann, nicht anerkennen. Keine Nation, die die freie politische Selbstbestimmung jeden Volkes über seine Regierungsform achtet und die gewaltsame Gleichschaltung, Unter­werfung und Beherrschung politisch mündiger Völker und Volksteile ablehnt, wird dieses kommunistische Regime der deutschen Sowjetzone als Regierung eines souveränen Staates anerkennen können.« [1] Der hierauf beruhende Entschließungsantrag aller Fraktio­nen des Deutschen Bundestages wurde wenig später in derselben Sitzung einstimmig angenommen. Danach wurde beschlossen: »Der Deutsche Bundestag erklärt, dass das deutsche Volk sich niemals mit der Spaltung Deutschlands abfinden und die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen wird …« [2] Im Informationsdienst »Union in Deutsch­land« ist bereits drei Tage später zu lesen, dass die von Adenauer abgegebene Erklärung »unter lebhaften Beifallsbekundungen des Hauses« entgegengenommen wurde. [3]

Ein knappes Jahrzehnt nach dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945, welches vor allem die Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands vorsah, verfolgte die BRD eigene Ziele. In dem Abkommen heißt es: »Es ist nicht die Ab­sicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven. Die Alliierten wollen dem deutschen Volk die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wieder aufzubauen.« Hieraus leitet sich nicht ab, dass dies in einem Staat zu erfolgen hat. Der politische Neu­beginn ist dabei nicht unwesentlich durch die jeweilige Besatzungsmacht beeinflusst und gelenkt worden. Unabhängig davon erfolgte die Gründung der Deutschen Demokrati­schen Republik auf einer souveränen rechtlichen Grundlage. Bereits ihre erste Verfas­sung brachte die Übereinstimmung mit den Zielen des Potsdamer Abkommens zum Aus­druck. Der bereits kurze Zeit nach Verabschiedung des Potsdamer Abkommens einset­zende Kalte Krieg beeinflusste die Geschehensabläufe der kommenden Jahre ganz we­sentlich. Es war die Sowjetunion, die sich mit der sogenannten Stalin-Note vom 10. März 1952 an die drei westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich wandte, um über einen Friedensvertrag mit Deutschland zu verhandeln. Angestrebt wurde ein demo­kratisches und neutrales Deutschland. Es war zugleich der Versuch, die deutsche Spal­tung zu überwinden, auch um die bereits in Gang befindliche politische und militärische Integration der BRD in das westliche Bündnissystem noch zu verhindern. Adenauer sah das eher als »Störmanöver« an, was man nicht ernst nehmen könne. Im Übrigen stand sein Entschluss bereits fest, dass nur die Westintegration der BRD deren Sicherheit garantieren würde, und von diesem Weg wollte er sich auf keinen Fall abbringen lassen.

Die Deutsche Demokratische Republik hat trotz der ihr gegenüber von der BRD ent­wickelten feindlichen Haltung ihren Staat gestaltet und den Aufbau des Sozialismus seit 1952 (Beschluss der 2. Parteikonferenz der SED) stetig vorangebracht. In den 40 Jah­ren ihrer Existenz war nicht nur ein konsequenter Antifaschismus eines ihrer tragenden Säulen, sondern auch das Wohl aller ihrer Bürger. Dass auf diesem Weg auch Fehlent­scheidungen getroffen wurden, wissen wir heute. Das erscheint aber unvermeidlich, wenn erstmals ein Weg beschritten wird, dessen Ziel die Befreiung der Menschheit und die Beseitigung von Ausbeutung, Unterdrückung und des Kapitalismus gewesen ist.


Anmerkungen:

[1] Protokoll 2. Deutscher Bundestag – 23. Sitzung vom 7. April 1954, S. 795.

[2] Ebenda, S. 795 f.

[3] »Union in Deutschland«, Informationsdienst der CDU und CSU Deutschlands, Nr. 29 vom 10. April 1954.

 

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