Zu "karfreitag kommen die kommunisten"
Ellen Brombacher, Berlin
"Ich würde glatt aufs Theater verzichten, das mir ohnehin seit einer Reihe von Jahren abhanden gekommen ist, wie manches andere auch. Aber ich habe früher zuviel gewollt und manches bekommen, und deshalb bekomme ich jetzt, wo ich einiges noch haben möchte, so gut wie gar nichts mehr". Schreibt der Schriftsteller und Theatermann Armin Stolper in seinen satirischen Feuilletons "karfreitag kommen die kommunisten". Warum konnten die noch einmal siegen? Diese elementare Frage verbirgt sich nicht nur hinter dem eingangs zitierten Satz. "O ihr Ungläubigen und Abtrünnigen, ihr Kleinmütigen und Schwachen, was habt ihr aus den Möglichkeiten, die euch gegeben waren, gemacht? Verraten habt ihr sie ... und weil das so ist, müßt ihr jetzt zum Verlust des schon Errungenen auch noch den Hohn und Spott derer ertragen, die durch euch wieder in den Sattel gehoben worden sind. So wie dieser Oberschurke in Warschau, der kürzlich behauptete, der zertrümmerte Sozialismus sei eine Gesellschaft von Pack für Pack gewesen".
Stolpers Schmerz und Wut über unsere historische Niederlage prägen seine Geschichten. Und dennoch sind sie voller Humor und Abwechslung in Inhalt und Form – kurz: Sie bereiten Vergnügen. Da ist sein Exposé für einen Lenin-Film, in dem Ulrich Mühe den Hauptdarsteller geben soll, "falls ihm das MfS nach dem Film ‚Das Leben der Anderen’ dies gestatte..." Dann ist eine Weiberbrigade bei Stolper zu Gast. "Die eine hieß die ‚Jungfrau von Orleans’, die andere ‚Jeanne, die Lerche’, die dritte ‚Die heilige Johanna der Schlachthöfe’, die nächste ‚Johanna von Döbeln’ und schließlich die forscheste unter ihnen, die sich auch bald als Wortführerin erwies: ‚Die heilige Johanna’". Sie alle wollen Mitglied der kommunistischen Weltpartei werden und müssen "die bittere Wahrheit hinnehmen, daß es eine solche Organisation, also eine Internationale, nicht mehr gab". Die Überlegungen Stolpers, dieses Problem betreffend, erinnern an Hacks, der nicht nur einmal vorkommt. Gerade hierzu ließe sich trefflich streiten und ich gestehe, daß Armin Stolper und ich dies auch schon mehrfach taten, respektvoll und warmherzig, wie sich das unter Kommunisten eigentlich gehört. Stolper läßt uns mit Karl Valentin zusammentreffen, mit dem Wekwerth, mit Valentin Katajew, mit Heiner Müller, Verlegern, Chefredakteuren und so manchem anderen. Wir begegnen Lenin, und Stalin erklärt seine Beliebtheit in Rußland im Jahre 2003 – nicht nur, aber doch nicht zuletzt – aus dem Umstand, in seiner Zeit sei die Flasche Wodka zum Preis von 2 Rubel erhältlich gewesen, "kein selbstgepanschtes Zeug, an dem die Leute verrecken". Das sei schon eine Sache, die nicht sogleich aus dem Bewußtsein des Volkes verschwände. So bleibt Stalin in der Schwebe. Nicht so Michail Schatrow, der zu den durchweg prominenten russischen Intellektuellen gehörte, die eine Erklärung anläßlich des 90. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution unterzeichnet hatten, in der es hieß: "Die historische Bedeutung des Oktober ist nur schwer überzubewerten". Stolper erinnert an die Stücke des großen sowjetischen Dramatikers, daran, daß sie auf den Bühnen der DDR gespielt wurden – nicht immer gleich und nicht immer lange. Hart geht er mit den Schwerinern ins Gericht, die Schatrows Stück "Weiter, weiter, weiter..." nicht mehr zuließen. "Unsere parteiamtlichen Idioten" nennt er die Verantwortlichen. Starker Tobak auch für eine wie mich, die eine Parteiamtliche war. Stolper hat recht, wenn er mit unseren Dummheiten im Umgang mit Kunst und Künstlern unerbittlich umgeht. Nicht, um diese meine Feststellung zu relativieren, sondern um die Ambivalenz anzudeuten, in deren Rahmen wir handelten, sei mir eine Erinnerung gestattet. Im Deutschen Theater fand die Premiere von Schatrows "Diktatur des Gewissens" statt. Die Bezirksleitung der SED hatte sich für die Aufführung dieses Stückes ausgesprochen. Am Schluß des Premierenabends tobender Beifall. In der Reihe hinter mir saßen Journalisten der bürgerlichen BRD-Presse. Einer sagte: "Die beklatschen hier ihren eigenen Untergang". Daß mir diese "kleine" Geschichte beim Lesen der Stolperschen Feuilletons in Erinnerung kam, zeugt vielleicht besonders davon, wie sehr der Autor bewegt und im besten Sinne des Wortes, oft mit Augenzwinkern, provoziert. Jedes Augenzwinkern entfällt, wenn er über die Erniedrigten und Beleidigten berichtet. Stolper liebt Menschen und kann nicht ruhig bleiben, wenn sie entwürdigt und getreten werden. Davon zeugt – so finde ich – exemplarisch sein Feuilleton "Das älteste Gewerbe". Hieraus nachfolgend eine Leseprobe.
Armin Stolper, Berlin (Leseprobe)
das älteste gewerbe
Unlängst konnte man im Berliner Fernsehen eine Talkrunde verfolgen, in der die Vertreter der Öffentlichkeit – Bau-Senator, Bordellbetreiberin, katholische Ordensschwester, Vertreterin der IG Prostituierte bei der Gewerkschaft Verkehr – zum geplanten Bau eines Großbordells im Innern der City Stellung bezogen. Entsprechend ihren jeweiligen Interessen. Gegenteilige, sofern sie von Frauen aus dem Publikum geäußert werden durften, kamen zu Wort und wurden, wie in der Demokratie üblich, weggehört; zumindest spielten sie in der Diskussion keine Rolle. Wer in der Großstadt lebt, muß die Prostitution aushalten; welche Mütter glauben, den täglichen Umgang mit Nutten vor ihrer Haustür ihren Kindern nicht zumuten zu können, müssen die Kinder aufklären oder fortziehen oder am besten, sich vorneweg überlegen, ob sie sich Kinder überhaupt anschaffen sollen. Kinder brauchen wir nicht unbedingt, Prostituierte schon, und für besonders große Schweine unter den Erwachsenen können auch Kinder in der Branche arbeiten. Tun sie ja auch, und wer Nazis, Befürworter von Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Bundestagsredner der großen Koalition und anderer bürgerlicher Parteien aushält, der wird sich doch mit der Existenz von Kinderpornographie und Kinderprostitution abfinden können. Letzte stand gestern aber nicht zur Diskussion: Hier ging es nur um das geschäftsmäßige Ficken der Erwachsenen untereinander, also, wie sich der gebildete Bundesbürger ausdrückt: Um den Verkauf und den Erhalt sexueller Dienstleistungen im ältesten Gewerbe der Welt.
Wer sich übrigens von den Diskutierenden dieser Bezeichnung bediente, bewies zugleich, daß er gebildet war und genau wußte, worum es ging.
Man sagt nicht: die älteste, menschenverachtende, frauenfeindliche Sauerei, welche sich die Herrschenden aller Zeiten und Zonen ausgedacht haben, man drückt sich gebildet aus. Schade, daß nicht auch von Bajaderen oder Kurtisanen geredet und darauf verwiesen wurde, daß diese Damen einen bedeutenden Anteil an Kulturschöpfungen haben, manche sogar im Dienste der Tempel und Throne standen. Auffiel, daß so gut wie keine Männer, also die Hauptstützen der Prostitution zu Wort kamen oder sich zu Wort meldeten. Lediglich der Moderator und der Bau-Senator waren solche, die es manchmal schwer hatten, in dem sachlichen Gewerkschafts-Ton zu sprechen, der den Nutten, der Nonne und den anderen Frauenzimmern eigen war. Schade, daß die Nonne – eine sympathische ältere Frau – nicht in ihrer Tracht erschienen war; aber dann hätten die anderen Dienstleisterinnen vielleicht darauf bestanden, auch in der ihren erscheinen zu dürfen, was die Szenerie zweifellos etwas belebt hätte. Aber wenn Nutten und Nonnen plötzlich wie ganz normale Hausfrauen auf dem Bildschirm erscheinen, muß man sich ernsthaft fragen, ob hier nicht geschäftsschädigende Eindrücke entstehen konnten.
Ach, Leute, ich bin des albernen Tones satt. Ich saß da mit der Ehefrau vor dem Bildschirm, und wir, da wir an dem System keine Freude haben, das Prostitution erzeugt, am Leben erhält und ohne sie nicht auskommen kann, fragten uns, ob das alles seine Richtigkeit hatte. Natürlich hatte es die; es wurde über alles offen und schamlos geredet im sicheren Wissen darum, daß wir über alles quatschen und uns die Taschen voll lügen können, wenn keiner nur die Hauptfrage stellt: Sollte man nicht ein System, das Kriege, Elend, Arbeits- und Obdachlosigkeit, Krankheiten, Unbildung, Kriminalität, Ausbeutung, Prostitution u. a. m. hervorbringt, sollte man dieses System nicht ganz schlicht nach seiner Existenzberechtigung fragen?
rote taschenbücher, band 2., Verlag Wiljo Heinen, Böklund. ISBN 978-3-939828-18-1. 172 S., 5 €.
Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«:
2008-07: Nach vorn offen, Nachbetrachtungen zum Cottbusser Parteitag
2008-06: Ein Parteitag der etwas anderen Art