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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zeitenwende: Aufrüstung und Militarisierung und Waffenexporte

Lühr Henken, Berlin

 

Statement beim Runden Tisch Friedensbewegung am 9. September 2022

 

Mit seiner Zeitenwende-Rede hat Kanzler Olaf Scholz und die Ampel-Koalition ihr Füllhorn über die Bundeswehr ausgeschüttet. 100 Milliarden Euro für neue Waffen, im Grundgesetz verankert, sollen dazu dienen, gigantische Rüstungsvorhaben über viele Jahre abzusichern und dazu beitragen, dass dauerhaft zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ins Militär fließt. Die zwei Prozent sollen schon 2022 erreicht werden und nicht erst 2031, was Kramp-Karrenbauer 2019 festgelegt hatte. Das bedeutet einen gewaltigen Anstieg der Ausgaben. Konkret: in den Jahren seit 2014 war der Anstieg pro Jahr nominal im Durch­schnitt 7,5 Prozent. Verzeichnete die NATO für Deutschland 2014 nach ihren Kriterien – und nur die gelten – Ausgaben von 34,75 Mrd. Euro (1,19 Prozent des BIP), schätzt sie die nominalen Ausgaben für 2021 auf 53,03 Mrd. Euro (1,49 Prozent des BIP) [1]. Für dieses Jahr taxiert die NATO die deutschen Ausgaben auf 55,6 Milliarden Euro, was 1,44 Prozent des BIP entspräche.

Für kommendes Jahr soll erstmals aus dem 100-Milliarden-»Sondervermögen« Geld ge­nommen werden: 8,5 Milliarden. [2] Nach Kriterien der NATO dürften die deutschen Ausga­ben damit auf 64 Milliarden hochschnellen [3]. Ein gewaltiger Sprung um 15 Prozent nach oben. Mit 1,6 Prozent des BIP ist das Zwei-Prozent-Ziel auch im nächsten Jahr noch nicht erreicht, obwohl Scholz es im Februar anders verkündet hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Ampel es aufgegeben hat. Der Bundestagsbeschluss von Anfang Juni sieht vor, dass die zwei Prozent im Durchschnitt von fünf Jahren erreicht werden sollen. Da man in diesem Jahr und im nächsten unter den zwei Prozent bleibt, muss man in den Jahren ab danach mehr als zwei Prozent ausgeben. Das bedeutet, dass von 2023 auf 2024 mit einem Plus von 50 Prozent zu rechnen ist.

Meine Prognose: in zwei oder drei Jahren werden die deutschen Militärausgaben explodie­ren und die 100 Milliarden Euro-Grenze durchbrechen.

Diese Ausgabenhöhe würde sich entsprechend des Bruttoinlandsprodukts bis 2030 und weit darüber hinaus fortsetzen.

Mit dieser Ausgabenhöhe wird ein langfristiger Plan verfolgt. Wohin es geht, verkündete Scholz Ende Mai: »Deutschland wird in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der NATO verfügen.« [4] Das heißt, Großbritannien und Frankreich sollen mit dem Aufrüstungsprogramm überflügelt werden.

Eine militärische Weltmacht EU unter deutscher Führung?

Finanziert werden sollen damit gewaltige Rüstungsprojekte, die schon seit Jahren aufge­legt sind, für die es bisher nur keine Finanzierung gab. Als Argument gilt der Ukraine-Krieg, aber dafür sind die Projekte gar nicht gedacht.

Mit dem Geld soll früher als geplant eine Verdopplung der konventionellen Schlagkraft der Bundeswehr erreicht werden. Nicht erst in 10 Jahren, sondern Jahre früher. Das zeigt sich vor allem daran, dass zwei der für 2031 der NATO versprochenen drei Heeres-Divisionen schon 2027 Gewehr bei Fuß stehen sollen.

Die Hälfte der Luftwaffe wird in den kommenden zehn Jahren erneuert. Herausragend darin: 35 Tarnkappenbomber F-35 für die Nukleare Teilhabe der NATO, die in den USA gekauft werden, um US-Wasserstoffbomben von Büchel aus speziell gegen verbunkerte Ziele in Russland einsetzen zu können, sowie 15 Eurofighter zur Ausschaltung der russi­schen Flugabwehr. Macht etwa 14 Milliarden Euro.

Die Marine vergrößert ihre Flotte. Bis 2032 bei Überwasserkampfschiffen um 80 Prozent, bei U-Booten um ein Drittel. Auffallend ist, dass die Kriegsschiffe immer größer werden und zunehmend von See an Land schießen können. Die Flotte soll weltweit dauerhaft ein­setzbar werden.

Auffallend ist auch, dass das militärische Ausgreifen in den Pazifik sehr zunimmt, sowohl bei Marine und Luftwaffe als auch beim Heer – durch Teilnahme an Manövern. General­inspekteur Zorn sagt: »So wollen wir unsere Präsenz in der Region verstetigen.« [5] Klarer Fall, die Bundeswehr wird auf China ausgerichtet.

Die für Deutschland kostspieligsten Projekte sind FCAS und MGCS. Beide sollen aus den 100 Milliarden finanziert werden. FCAS ist ein nuklearfähiges Luftkampfsystem der Zukunft mit Kampfdrohnen wie den Eurodrohnen und Drohnenschwärmen, wobei Künstli­che Intelligenz im Zentrum steht. Dassault und Airbus sollen FCAS gemeinsam bis 2040 entwickelt haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Militärsparte von Airbus vor allem als deutscher Konzern gilt, der zwei Drittel des FCAS-Auftragsvolumens beansprucht.

FCAS übertrifft an Gigantomanie alles. Mit 100 Milliarden Euro Entwicklungskosten und einem Umsatz von 500 Milliarden Euro wird es fünfmal gigantischer als das bisher größte europäische Projekt Eurofighter. Mit FCAS soll die EU unabhängig von den USA eine stra­tegische Autonomie erringen. Ziel ist es, eine globale Luftüberlegenheit zu schaffen. Scholz verfolgt FCAS ebenso mit höchster Priorität, das hat er in seiner Zeitenwende-Rede gesagt, wie das ebenfalls deutsch-französische Panzerprojekt MGCS. Hier will man unter deutscher Führung eine neue Generation von Kampfpanzern bis 2035 entwickeln, mit dem dank des Einsatzes von Hochgeschwindigkeitswaffen und Robotik jede Panzerschlacht gewonnen werden soll.

In letzter Zeit wurden vor allem führende Stimmen aus der SPD lauter, die von der EU eine »geopolitische Bedeutung« einfordern, wie der SPD-Vorsitzende Klingbeil. Aber auch Scholz forderte, die Reihen zum »Aufbau einer europäischen Verteidigung bei technologi­scher Souveränität« [6] zu schließen. In seiner Prager Rede forderte er nachdrücklich Mehr­heitsentscheidungen der EU, um »einem weltpolitikfähigen geopolitischen Europa deutlich näher zu kommen«. Ziel sei es, »Einsätze einer Gruppe von Mitgliedstaaten anzuvertrauen, die dazu bereit ist – sozusagen einer ›Koalition der Entschlossenen‹.« [7]

Die Welt sollte aufhorchen, wenn führende Politiker der größten Regierungspartei eines Landes, von dem die beiden Weltkriege ausgingen, Klingbeil und Scholz, hierbei einen deutschen Führungsanspruch formulieren. Klingbeil wörtlich: »Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.« [8]

Denn zu bedenken ist folgendes: Da Deutschland als größte Wirtschaftsmacht Europas die höchsten Militärausgaben anstrebt und bei den Mega-Militärprojekten die technologische und finanzielle Führung beansprucht, formuliert die SPD-geführte Bundesregierung nichts weniger als den Anspruch, die EU mit Deutschland an der Spitze zu einer militärischen Weltmacht ausbauen zu wollen.

»Dark Eagle«-Pläne an die Öffentlichkeit!

Aber das ist längst nicht alles. Großes Ungemach droht von jenseits des Atlantiks.

Mit der Stationierung von US-amerikanischen Hyperschallwaffen droht Europa ein Déja-vù. [9] Wie vor 40 Jahren die Pershing II sollen sie nur einem Zweck dienen, die russische Führung mit einem Enthauptungsschlag eliminieren zu können.

Dark Eagle hat 12-fache Schallgeschwindigkeit, trifft mit konventionellem Gleitsprengkopf punktgenau, ist im Flug manövrierfähig und kann nicht abgefangen werden. Jedenfalls bis­her nicht. Sie sollen von Wiesbaden aus kommandiert werden. [10] Die US-Soldaten dafür sind seit November im Land. [11] Übrigens dieselbe Truppe mit ihren Kanonieren, die damals in Grafenwöhr für die Pershing II zuständig waren. Die Flugzeit von Bayern nach Moskau beträgt 10 Minuten. Im nächsten Jahr schon muss mit der Stationierung von Dark Eagle gerechnet werden.

Das darf nicht passieren, weil es hochgradig destabilisierend in Europa wirkt und Russland geradezu zu militärischen Präventivmaßnahmen einlädt, die auf Deutschland zielen. Was wären die Folgen davon?

Die Bevölkerung hat von diesen US-Machenschaften bisher keine Ahnung. Es muss vor allem Öffentlichkeit erzeugt werden.

Anfang der 80er Jahre war der Krefelder Appell deshalb so erfolgreich, weil er eine Ein­punkt-Forderung beinhaltete und Unterschriftensammlungen zur Mobilisierung führten. Neue Friedensinis entstanden in Stadt und Land, in Betrieben und Gemeinden. Ich finde, wir sollten an diese Methode anknüpfen.

Die Linksfraktion im Bundestag lädt jährlich zu einem »Runden Tisch Friedensbewegung« ein. In dessen Panel II wurde dieser Vortrag am Nachmittag des 9. September 2022 im Deutschen Bundestag, Paul-Löbe-Haus, gehalten.

Zwischenüberschriften: »Mitteilungen«-Redaktion.

 

Anmerkungen:

[1NATO Press Release, 27.6.2022, Defence Expenditure of NATO countries 2014 – 2022, 16 Seiten, S. 6 u. 8,

https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2022/6/pdf/220627-def-exp-2022-en.pdf.

[2]  Wirtschaftsplan des Sondervermögens Bundeswehr 2023 als Bestandteil des Einzelplans 60 in: Bundesministerium der Finanzen, 29.6.2022, Kabinettsache Datenblatt-Nr. 20/08043, 1.504 Seiten, Anlage 15, S. 1293 ff., https://cdn.businessinsider.de/wp-content/uploads/2022/07/Kabinettsvorlage.pdf.

[3]  Zugrundegelegt sind die Wachstums- und Inflationserwartungen der Regierung von +5,2 Prozent für 2023, danach jeweils +2,6 Prozent; ergeben folgende Werte: BIP Deutschlands in Euro: 3.795 Mrd. (2022), 3.992 Mrd. (2023), 4.096 Mrd. (2024), 4.202 Mrd. (2025), 4.312 Mrd. (2026) (Berechnungen des Autors).

[4Spiegel.online, 31.5.22, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-deutschland-hat-bald-groesstekonventionelle-nato-armee-in-europa-a-ab463e8f-2603-4ecd-b2be-8930d7d5fcd1.

[5]  Handelsblatt.de 31.8.22, https://www.handelsblatt.com/politik/international/bundeswehr-deutschland-willmilitaerpraesenz-in-indo-pazifik-ausweiten/28644934.html.

[6FAZ 18.7.2022, Olaf Scholz, Nach der Zeitenwende.

[7]  Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Karls-Universität in Prag, 29.8.22, https://www.bundesregierung.de/bregde/suche/rede-von-bundeskanzler-scholz-an-der-karls-universitaet-am-29-august-2022-in-prag-2079534.

[8FAZ 22.6.2022 Klingbeils neue Wirklichkeit.

[9Congressional Research Service, The U.S. Army’s Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW), 23.5.2022, 3 Seiten, https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IF/IF11991.

[10NDR Info, Streitkräfte und Strategien, 12.3.2022, Manuskript, 18 Seiten, S. 14 f., https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/sendemanuskriptstreitkraefte160.pdf.

[11Congressional Research Service, updated 31.5.2022, Andrew Feickert, The Army’s Multi-Domain Task Force (MDTF) 3 Seiten, https://sgp.fas.org/crs/natsec/IF11797.pdf.

 

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