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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Weil sie die Mächtigen störten ... mussten sie verschwinden (III)

Horsta Krum, Berlin

 

Damit die Geschichtsschreibung über die Ermordeten – die ihre Macht oder ihren Einfluss benutzten, um eine bessere Welt zu schaffen – nicht hinweggeht, liegt es an uns, ihre Namen festzuhalten (Teil I und II siehe Hefte 1/2024, S. 5-7, und 2/2024, S. 8-9).

 

Oscar Romero: Als am 24. März 1980 die tödlichen Schüsse fielen, stand er am Altar einer Krankenhauskapelle in San Salvador und feierte die Messe. Für wen starb Erzbi­schof Oscar Romero? Für die ausgebeuteten Arbeiter in den Städten, besonders für die Campesinos, das waren Landarbeiter und landlose Bauern. Wen hat Romero gestört? Zwei Prozent Oligarchen, die zwei Drittel des Bodens besaßen und eine eigene Polizei (Hacienda-Polizei) bezahlten, die, zusammen mit der offiziellen Polizei, dem Militär und paramilitärischen Organisationen Bauern vertrieben, um beispielsweise einen Stausee bauen zu lassen.

Jahrelang hatte sich Romero in den Konflikten neutral verhalten: Er besaß gute Kontak­te zu Oligarchen; der Armut begegnete er mit karitativer Arbeit und als Seelsorger. Die katholische Kirche in El Salvador besaß einen eigenen Radiosender, in dem er regelmä­ßig zu hören war. Im März 1977 töteten Heckenschützen seinen Freund, einen Jesuiten­pater, und zwei seiner Begleiter, die auf dem Weg zur Kirche waren. Seitdem nahm Oscar Romero einseitig Partei für die Armen und Wehrlosen. Mit Campesinos las er die Bibel, hörte ihnen still zu und lernte, die Bibel anders zu lesen. Die Halle seines erzbi­schöflichen Palais wandelte er in eine Cafeteria um, wo sich Theologen und Nicht-Theologen versammelten. Mit ihnen diskutierte er die Bibel und die aktuelle Situation. Jeden Sonntag hörten knapp die Hälfte der Stadtbevölkerung und 73 Prozent der Land­bevölkerung seine Predigten im Radio. Nach der Bibelauslegung folgten Informationen: welche Häuser die Hacienda-Polizei, Militär und Soldaten niedergebrannt hatten, wer gefoltert worden war … . Einzig der katholische Sender strahlte diese Nachrichten aus.

Romero nutzte seine Kontakte zu ausländischen Journalisten, um auf die Situation in seinem Lande aufmerksam zu machen. Eigentlich war er ein eher ängstlicher und schüchterner Mensch, der ständig um seine Überzeugung gerungen hat – mit sich sel­ber und mit allen seinen Gesprächspartnern, auch mit seinen Amtsbrüdern, die nicht immer seiner Meinung waren.

Nach einem Schweigemarsch mit unzählbar vielen Teilnehmern übernahm eine Militär­junta aus jüngeren Offizieren 1979 die Macht, schickte den Präsidenten und seine Anhänger ins Exil und versprach Reformen zugunsten der Armen und freie Wahlen. Aber schnell wurde deutlich, dass sich nichts änderte, sondern dass die Nationalgarde und andere paramilitärische Organisationen nicht auf Gewalt verzichteten. Romero hat­te eine Rechtshilfeabteilung gegündet und forderte öffentlich die Freilassung von polit­schen Gefangenen. Die Namen, die Umstände ihrer Verhaftung, Zeugenaussagen waren von der Rechtshilfeabteilung festgehalten. Auch bildete sich unter Romeros Schutz das »Komitee der Mütter der Verschleppten«, die mit einem Hungerstreik gegen die Untätig­keit der neuen Regierung protestierten. Romero äußerte sich öffentlich: »... Es kommt weiterhin zu Ausschreitungen und blutigem Vorgehen gegen friedliche Demonstran-ten.« [1]

Landbesitzer und paramilitärische Organisationen ließen Sektenprediger aus den USA kommen, um den Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen. Auch meinten einige von Romeros Amtsbrüdern, dass er sein Amt missbrauche, seine Predigten seien politi­sche Einmischung. Deshalb solle er nach Rom fahren und sich beraten lassen. Das tat er im Januar 1980 und beurteilte das Gespräch mit dem Papst als »gut«. Auf dem Rückweg folgte er einer Einladung der Universität Leuven (Belgien), die ihm am 2. Februar 1980 die Ehrendoktorwürde verlieh. »Die Kirche muss den Menschen Hoffnung geben, wenn Ehefrauen und Mütter kommen, deren Männer und Söhne verschwunden sind, wenn unkenntlich gemachte Leichen auf Friedhöfen gefunden werden. In weniger als drei Jah­ren sind über fünfzig Priester angegriffen, verdächtigt und fälschlich beschuldigt worden. Sechs von ihnen sind Märtyrer. Mehrere wurden gefoltert, andere ausgewiesen. Die Radiostation des Erzbistums und katholische Erziehungseinrichtungen wurden angegrif­fen. Wenn bekannte Vertreter der Kirche das durchmachen müssen, können Sie sich vor­stellen, wieviel mehr das einfache Volk leiden muß! Hier zählen die Gefangenen, Gefolter­ten, Ermordeten zu Hunderten und Tausenden ...« (a. a. O., S. 142 f.)

Zurückgekehrt nach San Salvador, musste er feststellen, dass die Gewalt eskaliert war, dass Gruppen der Campesinos sich mit Waffengewalt wehrten. Romero warnte vor Rache, mahnte die Regierung, das brutale Vorgehen der paramilitärischen Organisatio­nen zu stoppen. Das tat die Regierung aber nicht, weil sie zu schwach war. Romero: »Die herrschende Klasse verteidigt ihre Interessen mit Geld, das ihr erlaubt, Söldner anzuwer­ben, Mörder, die Menschen töten und jeden Widerstand unterdrücken.« (a. a. O., S. 147)

Als Romero erfährt, dass die USA Waffen an die Regierung von El Salvador liefern, schreibt er am 17. Februar 1980 an den US-Präsidenten Carter. »... Als Bürger dieses Landes und als Erzbischof der Erzdiözese San Salvador, bitte ich Sie: Verzichten Sie auf Militärhilfe an die salvadorianische Regierung! Unser Volk möchte die Verantwortung für die Zukunft selbst in die Hand nehmen. Es wäre ungerecht, wenn durch den Einfluß ausländischer Mächte das Volk in der Hoffnung getäuscht würde. Weil Sie ein Christ sind, bitte ich Sie, keine Waffen mehr zu schicken und damit größeres Blutvergießen in diesem leidgeprüften Land zu vermeiden.«

Dieser Brief hilft nicht. Die USA liefern u.a. kanonenbestückte Hubschrauber. Campesi­nos flüchten zu Tausenden in die Hauptstadt. Manche Landbesitzer bringen sich und ihr Geld im Ausland in Sicherheit, weil sie bewaffnete Gruppen der Campesinos fürchten. Als friedliche Demonstranten in der Hauptstadt mehr Lohn fordern, fahren Panzer mitten in die Menge. Die schrecklich zugerichteten Toten werden in die Kathedrale, Romeros Kathedrale, getragen. Er erwartet den Zug am Eingangsportal und kann vor Entsetzen kaum sprechen. Zur nächsten Predigt kommen noch mehr Menschen als sonst; die große Kathedrale ist viel zu klein für alle. Wie üblich, überträgt der bischöfliche Radiosender den Gottesdienst. Romero richtet sich an die Armee, an die Basis der Nationalgarde und der Polizei: »Sie töten Brüder und Schwestern aus dem eigenen Volk. Kein Soldat ist ver­pflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der gegen das Gesetz Gottes ist. Im Namen Gottes und seines von langem Leiden gequälten Volkes, bitte ich, flehe ich, befehle ich: Im Namen Gottes, macht Schluss mit der Unterdrückung!« [2]

Zwei Tage später wird er von Scharfschützen ermordet.

 

Anmerkungen:

[1] Eva-Maria Kremer, Mord am Altar, Luzern / Stuttgart 1981, S. 138.

[2] Birgit Opielka, »Leidender Gerechter« und »Diener aller«, Frankfurt/Main, Berlin, Bern, Bruxelles … 2012, S. 203.

 

Mehr von Horsta Krum in den »Mitteilungen«: 

2024-02: Weil sie die Mächtigen störten ... mussten sie verschwinden (II)

2024-01: Weil sie die Mächtigen störten ... mussten sie verschwinden (I)

2023-08: Lateinamerikanische Befreiungstheologie