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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Weil sie die Mächtigen störten ... mussten sie verschwinden (II)

Horsta Krum, Berlin

 

Damit die Geschichtsschreibung über die Ermordeten – die ihre Macht oder ihren Ein­fluss benutzten, um eine bessere Welt zu schaffen – nicht hinweggeht, liegt es an uns, ihre Namen festzuhalten (Teil I siehe Heft 1/2024, S. 5-7).

 

Olof Palme: War er leichtsinnig, als er am 28. Februar 1986 im Kino war, ganz privat, mit seiner Frau Lisbeth, ohne Polizeischutz? Auf dem Nachhauseweg in der Stockhol­mer Innenstadt trafen ihn die tödlichen Schüsse; seine Frau wurde leicht verletzt. Die ersten Polizeimaßnahmen vor Ort waren unprofessionell: Beispielsweise war der Tatort zu engräumig abgesperrt, so dass nicht die Polizei, sondern neugierige Passanten die Projektile fanden und wertvolle Spuren vernichteten. Die Verletzungen seiner Frau wur­den ignoriert, obwohl sie Hinweise zum Tathergang hätten geben können.

Hans Holmér, Chef der Stockholmer Polizei, wurde Hauptermittler und nannte als Tat­verdächtige die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Verhöre, Hausdurchsuchungen usw. verliefen erfolglos, so dass der Tatverdacht gegen die PKK wegfiel. Insgesamt verlor Holmér durch sein Verhalten an Glaubwürdigkeit, unter anderem weil er sich in Wider­sprüche verwickelte. Der nachfolgende Hauptermittler konzentrierte sich auf den dro­gensüchtigen Einzeltäter Christer Pettersson, der in der Vergangenheit einen Totschlag im Affekt begangen hatte. Der legte zwar kein Geständnis ab, aber Lisbeth Palme iden­tifizierte ihn, so dass er im Juli 1989 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, wobei die Schöffen die beiden Berufsrichter überstimmten. Das Berufungsgericht annullierte den Urteilsspruch und sprach Pettersson frei. Die Diskussion um den Mord und den Tatver­dächtigen ging weiter, Zeugenaussagen widersprachen sich – bis 2017 der ermittelnde Staatsanwalt den Werbegrafiker Stieg Engström als Täter angab, der bereits kurz nach dem Mord auf der Liste der möglichen Täter stand, ohne dass er verhört wurde. 2000 beging er Suizid. Damit waren die Ermittlungen erst einmal abgeschlossen. Aber Mor­de, die nach 1985 begangen wurden, verjähren in Schweden nicht, so dass die Ermitt­lungen wieder aufgenommen werden könnten, allerdings mit sinkenden Erfolgsaussich­ten, je weiter die Tat zurückliegt. Die öffentliche Diskussion verstummte nicht.

Der Student Olof Palme bereiste als Stipendiat 34 Bundesstaaten der USA. Sein Er­schrecken über die große soziale Ungleichheit prägte seine zukünftige Politik, zunächst als Bildungsminister und dann auch als Ministerpräsident (1969 bis1976 und 1982 bis zu seiner Ermordung 1986). Wen könnte Palmes Innenpolitik gestört haben? Histori­sche Untersuchungen nennen rechte Kräfte in Schweden, die es im Polizei-, im Militär­apparat und im Geheimdienst gab.

Olof Palmes Außenpolitik war Friedenspolitik. Damit störte er gewaltig, nicht nur an einem Ort unseres Globus. 1968, als Erziehungsminister, demonstrierte er in Stock­holm an der Seite des nordvietnamesischen Botschafters gegen den Vietnam-Krieg der USA, verglich auch die amerikanische Kriegführung mit den Verbrechen der Nazis. [1] Einen großen Anteil hatte er, zusammen mit Willy Brandt, an der Beendigung der Militärdiktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland. Im Iran-Irak-Krieg, dem ersten Golf-Krieg, vermittelte er im Auftrag der UNO.

Was Olof Palmes Engagement für die Friedens- und Entspannungspolitik bedeutete, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 1975 beispielsweise besuchte er Kuba. In Südafrika trug er zum Ende der Apartheidpolitik bei und ermutigte zu Protes­ten und Aktionen in Westeuropa, auch in den Kirchen. Die nahmen beispielsweise Kon­takt auf zu südafrikanischen Kirchengemeinden, führten einen »Früchteboykott« durch: Frauen, kirchliche und nicht-kirchliche, genannt »Früchtefrauen«, stellten sich vor die großen Supermärkte, informierten über die Situation in Südafrika mit der Aufforderung »Kauft keine Früchte der Apartheid«, wie es mit den südafrikanischen Partnern abge­sprochen war.

Zwei Jahre lang arbeitete die internationale unabhängige »Palme-Kommission« unter seinem Vorsitz. Der Titel der Kommission benennt deutlich das militärische und politi­sche Ziel: Abrüstung und Gemeinsame Sicherheit in Europa. Im Juni 1982 legte sie der UNO das Arbeitsergebnis vor:

  • Abschluss eines Vertrages zur beiderseitigen Truppenreduzierung in Europa (MBFR)

  • Abkommen zum Abbau strategischer Waffen (START)

  • Abkommen über die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone in Europa

  • Abkommen über die Errichtung einer chemiewaffenfreien Zone in Europa

  • Abkommen über ein umfassendes Verbot von Atomtests

  • Abkommen über einen Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa

  • Abkommen über ein Verbot von Weltraumwaffen.

Diese Vorschläge trafen das Herzstück der NATO-Konzeption: Die wirtschaftliche Über­legenheit der NATO-Länder sollte genutzt werden, um die Sowjetunion »totzurüsten«.

Vier Jahre, nachdem die Kommission ihren Bericht vorgelegt hat, wird Olof Palme ermordet. Er war nicht der erste schwedische Friedensstifter und Konfliktvermittler: Manche KZ-Häftlinge verdankten Graf Folke Bernadotte Befreiung und Überleben. Als Vermittler der UNO in Palästina wurde er dort 1948 von einem Zionisten ermordet. Der UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld kam 1953 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Man weiß inzwischen, dass das ein Abschuss und kein Unfall war.

Heute beteiligt sich Schweden am größten NATO-Manöver, das es je gegeben hat, dem »Steadfast Defender 2024«. Hat dieses Land das Vermächtnis seiner besten Repräsen­tanten vergessen?


Anmerkung:

[1] In den USA veröffentlichten 367 Zeitungen das Foto mit dem Transparent »Stoppt die USA-Aggression«, unter dem Palme mit dem nordvietnamesichen Botschafter zu sehen war. Einzelheiten in: Jochen Preussler, Olof Palme ermordet, Berlin Brandenburg, 1990. Jochen Preussler war Journalist in der DDR.

 

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