Vor 90 Jahren: Antifaschistische Aktion! (I)
Prof. Dr. Heinz Karl, Berlin
Es überrascht nicht, dass zunehmend Entwicklungen in den frühen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Erinnerung gerufen werden. Es ist auch kein Zufall, dass in den Medien viel über Phänomene an der Oberfläche, wie chauvinistische und rassistische Exzesse, auch über Rechts- und »Links«-Extremismus, aber so gut wie nichts über reale Ursachen und Hintergründe zu erfahren ist. Und es ist nicht verwunderlich, dass beim »Griff in die Geschichte« bis weit in den linken Sektor hinein nicht das Kapital, die wirtschaftlichen, bürokratischen, militärischen Eliten ins Blickfeld gerückt werden, sondern die selbsternannten »Nationalsozialisten«. Die Rolle der wirklich Mächtigen, für die folgende nationale Katastrophe Verantwortlichen, für die deshalb auch im Osten Deutschlands über vier Jahrzehnte kein Platz war, wird verschleiert. Uninteressant für den bürgerlichen Mainstream sind deshalb auch alle Aktivitäten der revolutionären Arbeiterbewegung und mit ihr zusammenwirkender progressiver Kräfte, die sich gegen die faschistische Reaktion und deren gesellschaftliche Triebkräfte richteten.
Grund genug, uns heute der 1932 von der KPD initiierten bedeutendsten Abwehrbewegung gegen die Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland – der Antifaschistischen Aktion – zuzuwenden. Aus welchen Entwicklungen ist sie erwachsen?
Schon Ende 1927 hatten die Unternehmerverbände von der Regierung gefordert, »den Kampf mit der Masse und mit dem Reichstage« [1] aufzunehmen und antidemokratische Veränderungen zu vollziehen, die »eine sehr einschneidende Verfassungsänderung« [2] bedeuten würden. Im Herbst 1929 forderte der Reichsverband der Deutschen Industrie rigorose sozialreaktionäre Maßnahmen und erklärte offen, dass dies unter einem parlamentarischen Regime nicht durchführbar sei, erhob die Forderung nach »einer festen und beständigen Regierung, die durchzugreifen ernsthaft gewillt ist« sowie nach einem Ermächtigungsgesetz und verlangte, »durch Verordnungen den Zustand zu schaffen, den die fehlende Gesetzgebung uns nicht schaffen kann« [3]. Maßgeblich betrieben durch die Reichswehrführung, amtierten seit April 1930 vom Reichspräsidenten, Generalfeldmarschall v. Hindenburg, eingesetzte Präsidialkabinette [4], die zunehmend – und bald überwiegend – mittels präsidialer Notverordnungen (statt parlamentarischer Gesetze) regierten, das parlamentarische Regierungssystem schrittweise abbauten und systematisch die demokratischen Rechte und Freiheiten einschränkten und aushöhlten.
Faschisierung!
Zugleich vollzog sich eine gefährliche Umschichtung im bürgerlichen Parteiensystem und seiner Wählerbasis. Begünstigt durch die sich seit 1929 entwickelnde Wirtschaftskrise mit ihren sozialen Verwerfungen und mentalen Auswirkungen, die Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen und das dadurch schwindende Ansehen der bisher dominierenden bürgerlichen Parteien, gelang es der offen faschistischen Nazipartei Hitlers – 1928 noch eine rückläufige Randerscheinung! – durch wilde chauvinistische Hetze und hemmungslose soziale Demagogie bereits bei der Reichstagswahl im September 1930 wählerstärkste bürgerliche Partei zu werden, während die anderen bürgerlichen Parteien erhebliche Stimmeneinbußen erlitten oder in die Bedeutungslosigkeit versanken. Zu ihren bisherigen großkapitalistischen Förderern wie Kirdorf und Thyssen gesellten sich weitere wie Schacht und Vögler. Zwischen den Nazifaschisten einerseits, den Präsidialkabinetten und der Reichswehrführung andererseits entwickelte sich seit Oktober 1930 eine kontinuierliche und immer engere Kollaboration. Die SPD, die immer noch wählerstärkste Partei war und die Freien Gewerkschaften und andere Arbeiterorganisationen dominierte, »tolerierte« die Präsidialregierungen als das angeblich »kleinere Übel«. Das war eine Grundbedingung für deren Wirken und damit für die weitere Rechtsentwicklung.
Die KPD erfasste frühzeitig das Wesen dieser Entwicklung – dass es sich um nichts anderes handelte als einen Prozess der Faschisierung, des schrittweisen Überganges zur faschistischen Diktatur. Bereits im März 1929 machte Ernst Thälmann auf »eine reaktionäre Umgestaltung der bürgerlichen Staatsordnung« und »Ansätze in der Entwicklung zum Faschismus« [5] aufmerksam. Auf dem 12. Parteitag (Juni 1929) betonte er schon die besondere Gefährlichkeit der Nazipartei, als diese nach einem halben Jahrzehnt wieder erste Wahlerfolge erzielte [6]. Lange vor ihrem spektakulären Wahlerfolg vom September 1930, am 4. Juni 1930, erklärte das Polbüro des ZK der KPD: »Vor der deutschen Arbeiterklasse steht in ganzer Größe die Aufgabe, den Faschismus und seine Terrorbanden bis zur vollständigen Vernichtung niederzukämpfen.« [7] Von prinzipieller Bedeutung war die Erkenntnis, dass die vom Monopolkapital ausgelöste Faschisierung Deutschlands auf zwei Wegen vorangetrieben wurde: »sowohl durch die faschistischen Kampforganisationen als auch durch den bürgerlichen Staatsapparat« [8]. Thälmann kennzeichnete die Nazipartei als »das gefährlichste und schmutzigste Werkzeug des deutschen Finanzkapitals« [9]. Anfang 1931 charakterisierte er das verhängnisvolle Wechselspiel von Präsidialregime und Nazifaschismus beim Vorantreiben des Faschisierungsprozesses, wenn er feststellt, die Konstellation, dass »die faschistische Massenpartei nicht nur außerhalb der Regierung, sondern zur Zeit direkt in einer gewissen Scheinopposition bleibt, ist durchaus neuartig und entspricht ganz spezifischen Bedingungen, unter denen der Faschismus in Deutschland heranwächst« [10]. Kampf gegen die Faschisierung heiße, »um jeden Schritt, um jede Handbreit des Bodens, den der Faschismus erobern will, kämpfen und die wirtschaftlichen und die politischen Rechte der Arbeiterklasse verteidigen« [11].
Dieser antifaschistische Abwehrkampf erreichte seinen Höhepunkt 1932. Im April war der Erzreaktionär Hindenburg von einer breiten Koalition – von konservativen bürgerlichen Parteien bis zur SPD – wiedergewählt worden. Die KPD hatte sich dieser verhängnisvollen (und für die SPD selbstmörderischen) Aktion unter der Losung »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler; wer Hitler wählt, wählt den Krieg!« entgegengestellt. Unterstützung fand sie durch die linkssozialdemokratische Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) und die Christlich-radikale Arbeiter- und Bauernpartei des katholischen Politikers Vitus Heller. Ebenso durch den konsequenten bürgerlichen Demokraten Carl v. Ossietzky, der erklärte: »Linkspolitik heißt die Kraft dort einsetzen, wo ein Mann der Linken im Kampfe steht. Thälmann ist der einzige, alles andere ist mehr oder weniger nuancierte Reaktion.« [12] Seinem Appell folgten auch Graf Helmuth James v. Moltke und Gräfin Freya v. Moltke – später Initiatoren des »Kreisauer Kreises« gegen Hitler. Die Wiederwahl Hindenburgs sowie die kurz danach stattfindende Landtagswahl in Preußen, bei der die Nazis stärkste Fraktion wurden, signalisierten einen Rechtsruck, eine jähe Zuspitzung der faschistischen Gefahr.
Daraufhin wandten sich am 25. April 1932 das ZK der KPD und das Reichskomitee der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) »an alle gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, an alle Mitglieder der ADGB-Gewerkschaften und an alle sozialdemokratischen Arbeiter« mit einem Aufruf, in dem sie erklärten: »Wir sind bereit, mit jeder Organisation, in der Arbeiter vereinigt sind und die wirklich den Kampf gegen Lohn- und Unterstützungsabbau führen will, gemeinsam zu kämpfen!« [13] Dieser Appell, der sich auch ausdrücklich an die Organisationen wandte, fand starken Widerhall.
Dem Hitlerfaschismus den Weg zur Macht verlegen!
Eine Bilanz dieser Entwicklungen zog die Tagung des ZK der KPD am 24. Mai 1932, die zum Ausgangspunkt einer neuen Etappe des antifaschistischen Abwehrkampfes wurde. Sie stellte als entscheidende politische Aufgabe, mit allen Mitteln die Einbeziehung der Nazipartei in die Reichsregierung und die preußische Regierung zu verhindern. Dagegen gelte es – wie Ernst Thälmann ausführte – eine Massenstimmung zu entfachen, sie unmöglich zu machen, weil sie die Entwicklung zur offenen, faschistischen Diktatur beschleunigen würde. [14] Dieses (im Grunde strategische [15]) Ziel bestimmte die gesamte Tätigkeit der KPD bis zum Frühjahr 1933.
Andere politische Richtungen schlossen eine solche begrenzte Aufgaben- und Zielstellung aus. Leo Trotzki sah Mitte 1932 für Deutschland »die Aufgabe des direkten und unmittelbaren Machtkampfes« und der Bildung von Sowjets [16]. Ähnlich meinte August Thalheimer im Sommer 1932, man müsse »zum revolutionären Angriff übergehen. Man muß sich unmittelbar den Sturz des Kapitalismus zum Ziele setzen.« [17]
Von der entscheidenden antifaschistischen Aufgabe ausgehend, betrachtete das Maiplenum als das Wichtigste – so Thälmann – »das Herumreißen der Partei zu einer wirklichen Einheitsfrontpolitik ... Das Wichtigste, was wir zu schaffen haben, wenn wir Kämpfe auslösen wollen, ist, die schon vorhandene Mauer, die zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern steht, zu beseitigen.« [18] In diesem Zusammenhang wandte Thälmann sich entschieden gegen jegliche Gleichstellung von Nazipartei und Sozialdemokratie, ihre Betrachtung als »Zwillingsbrüder« [19]. In Auswertung des Maiplenums wies er nachdrücklich auf die veränderte Stellung der SPD im politischen System hin: »Im Frühjahr, bis zum Sturze der Regierung Brüning, war die Sozialdemokratie die Koalitionspartei für das Reichskabinett Brüning, während jetzt die Nationalsozialistische Partei die Koalitionspartei wird. ... diese fundamentale Rolle, die die SPD spielte, wird jetzt mehr und mehr von der nationalsozialistischen Bewegung übernommen.« [20]
Eine dritte wichtige neue Fragestellung ergab sich zum einen aus dem veränderten Blick auf die SPD, zum anderen aus der neuen Konstellation im preußischen Landtag: die Orientierung auf Kompromisse mit den Parteien der Weimarer Koalition, um Positionsgewinne der Nazis zu verhindern. Thälmann hatte sie bereits am Tage vor dem ZK-Plenum der KPD-Landtagsfraktion erläutert, und ZK und Landtagsfraktion hatten einen gemeinsamen Aufruf »Rote Einheitsfront gegen die Preußen-Reaktion! Die KPD zeigt den Weg zur Verhinderung der Nazi-Regierung« [21] veröffentlicht. Diese Orientierung ging – wie Thälmann erklärte – von folgender Überlegung aus: Wenn die SPD »wirklich den Kampf gegen ... den Faschismus führen will ..., wenn das Zentrum es mit seiner radikalen Oppositionsstellung ernst meint, ... dann könnten wir in Preußen, wo eine Mehrheit von Sozialdemokratie, Zentrum und Kommunisten besteht, durch jede parlamentarische Abstimmung die Pläne der Papen-Regierung vernichten (parlamentarisch gesehen). Hier beginnt also eine kühne, offensive … Ausnutzung der Schlüsselstellung unserer Partei im preußischen Parlament.« [22]
Als Fazit aus diesen Einschätzungen und Aufgabenstellungen zog Thälmann auf der ZK-Tagung den Schluss, dass »wir eine große antifaschistische Aktion in Deutschland durch unsere Partei und [die] RGO in die Wege zu leiten haben« [23].
Als am folgenden Tage die Nazis im Preußischen Landtag einen blutigen Überfall auf die kommunistische Fraktion und deren Vorsitzenden Wilhelm Pieck unternahmen, rief das ZK der KPD noch am 25. Mai zur Antifaschistischen Aktion auf. Diese müsse »dem Hitlerfaschismus den Weg zur Macht verlegen«, »der Faschisierung Deutschlands Einhalt ... gebieten« und »durch den organisierten roten Massenselbstschutz in breitester Einheitsfront den Mordterror des Hitlerfaschismus brechen«. An die Sozialdemokraten gewandt hieß es: »schlagt in die Bruderhand ein, die die Kommunistische Partei euch bietet!« [24]
(Fortsetzung und Schluss im nächsten Heft)
Anmerkungen:
1 Gerhard Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. I, Berlin 1963, S. 669.
2 Ebenda, S. 662.
3 Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Nr. 50, Januar 1930, S. 37/38.
4 Unter Heinrich Brüning (März 1930 – Mai 1932), Franz v. Papen (Juni – November 1932) und General Kurt v. Schleicher (Dezember 1932/Januar 1933).
5 Auf der Tagung des ZK der KPD am 14. März 1929; vgl. Ernst Thälmann. Eine Biographie, Berlin 1979, S. 414.
6 Vgl. E. Thälmann: Ausgewählte Reden und Schriften in zwei Bänden, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1976, S. 211/212.
7 Zur Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands. Eine Auswahl von Materialien und Dokumenten aus den Jahren 1914-1946, Berlin 1954, S. 265.
8 Ebenda, S. 267.
9 Rede in Hamburg am 8. August 1930. In: E. Thälmann, Geschichte und Politik. Artikel und Reden 1925 bis 1933, Berlin 1973, S. 149.
10 E. Thälmann: Die KPD im Vormarsch. In: Ders., Zur Machtfrage. Reden, Artikel und Briefe 1920-1935, Berlin 1982, S. 288.
11 Auf dem Januarplenum 1931 des ZK der KPD (ebenda, S. 278).
12 Carl von Ossietzky: Schriften II, Berlin-Weimar 1966, S. 40/41.
13 Die Antifaschistische Aktion. Dokumentation und Chronik Mai 1932 bis Januar 1933. Hrsg. u. eing. v. H. Karl u. E. Kücklich unter Mitarb. v. E. Fölster u. K. Haferkorn, Berlin 1965, S. 3 u. 7.
14 Vgl. ebenda, S. 13*.
15 Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang Thälmanns Erläuterungen zum Umgang mit der Losung der Arbeiter-und-Bauern-Regierung. So stellte er auf der Konferenz der Bezirkssekretäre und Redakteure der KPD am 8. Juni 1932 nachdrücklich fest, dass eine Aufstellung dieser Losung »als Aktionsparole ... eine Verkennung der gegenwärtigen Situation« (Bundesarchiv, SAPMO; alte Signatur: IML, ZPA, 1/30/51) wäre.
16 Leo Trotzki: Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, Berlin 1932, S. 22, 23 u. 54.
17 August Thalheimer: Wie schafft die Arbeiterklasse die Einheitsfront gegen den Faschismus?, Berlin 1932, S. 13 u. 19.
18 E. Thälmann, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1977, S. 186/187.
19 Ebenda, S. 185.
20 Die Antifaschistische Aktion, S. 83.
21 Vgl. Die Rote Fahne, (Berlin), 24. Mai 1932.
22 Die Antifaschistische Aktion, S. 87.
23 Thälmann, Bd. 2, S. 191.
24 Die Antifaschistische Aktion, S. 33.
Mehr von Heinz Karl in den »Mitteilungen«:
2021-08: Einheitsfrontpolitik gegen Großkapital und Reaktion 1921/22
2021-04: 1921: Kommunisten für Aktionseinheit – gegen bürgerlichen Staatsterrorismus (II)
2021-03: 1921: Kommunisten für Aktionseinheit – gegen bürgerlichen Staatsterrorismus (I)