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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vor 75 Jahren: McCarthy bläst zur Kommunistenjagd

Dr. Wolfram Adolphi, Potsdam

 

Am 9. Februar 1950 hält Joseph McCarthy, Senator des US-Bundesstaates Wisconsin, im Republikanischen Frauenclub Wheeling, West Virginia, eine Rede. Anlass ist der am 12. Februar ins Haus stehende Geburtstag des Präsidenten der Bürgerkriegsjahre 1860-1865, Abraham Lincoln (1809-1865). Gründe, ihn prominent zu würdigen, gibt es viele. Jedoch nicht diese sind es, die Festredner McCarthy nun auch seinerseits einen Platz in den Geschichtsbüchern sicherten, sondern die Botschaften, die er mit inquisito­rischer Inbrunst vor seinem Publikum ausbreitet. »Wir befinden uns heute«, so verkün­det er, »in einer finalen Schlacht zwischen kommunistischem Atheismus und Christen­heit, in der es um alles geht. Die Führer des Kommunismus halten die Zeit, eine solche Schlacht zu schlagen, jetzt für gekommen, und tatsächlich, meine Damen und Herren: Die Würfel sind gefallen – es steht jetzt wirklich alles auf dem Spiel.« [1] Wenn Amerika den Kalten Krieg verlöre – so McCarthy weiter –, so liege das an »einheimischen Verrä­tern«. Es gebe im Außenministerium Leute, die bereits »als Mitglieder der Kommunisti­schen Partei und Mitglieder eines Spionageringes« enttarnt worden seien; er halte »eine Liste von 205« solchen Personen in Händen.

Die aktuelle Website des US-Senats präsentiert unter der Überschrift »McCarthy spricht von ›Kommunisten im Staatsdienst‹« einen Text über diese Rede und rechnet sie darin zutreffend zu den »bedeutendsten in der politischen Geschichte Amerikas«. Zur Person des McCarthy lässt sie zwei nicht namentlich genannte Biografen zu Wort kom­men, deren Urteil zeigt, dass der Senator mit seinen Ansichten keineswegs ein »Ausrut­scher« war. McCarthys Jahre im Senat, meint der eine, seien »charakterisiert durch sei­ne hartnäckige Missachtung der in diesem Gremium geltenden Regeln, Bräuche und Prozeduren«. »Wenn er in Fahrt kam«, schreibt der andere, »traten Logik und Anstand zurück und machten den Weg frei für Drohungen, persönliche Attacken und vielfache Entstellungen.« [2] Wem kommt da nicht Donald Trump in den Sinn.

1951: Der Fall O. Edmund Clubb

McCarthys Rede kam nicht aus heiterem Himmel. Nach dem Tod von Präsident Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 hatte Nachfolger Harry S. Truman rasch damit begon­nen, von der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, die das Grundgerüst der Anti-Hitler-Koalition gebildet hatte, zum Kalten Krieg mit ihr überzugehen. Die Atombombenabwür­fe auf Hiroshima und Nagasaki waren Bestandteil dieser Strategie ebenso wie die 1947 verkündete Doktrin der »Eindämmung des Kommunismus«, und zur Rechtfertigung des­sen wurde ein Wandel in der öffentlichen Meinung in Gang gesetzt, dem McCarthy auf beeindruckende Weise Gestalt verlieh. »McCarthyismus« – diese Bezeichnung ist später für den gesamten Zeitabschnitt von 1947 bis 1956 gängig geworden.

Von der Tiefe des Einschnitts, die die McCarthy-Rede für das politische Klima in den USA bedeutete, legte der Chinadiplomat O. Edmund Clubb (1901-1989) 1974 ein besonders beeindruckendes Zeugnis ab. Clubb war in den 1930er und 1940er Jahren Konsul und Generalkonsul in China, dann in Indochina (wo er im Dezember 1941 von den Japanern gefangengenommen und acht Monate interniert wurde), wieder in China (unter anderem in der Kriegshauptstadt Chongqing), dann im sowjetischen Wladiwo­stok und erneut (nun im Bürgerkrieg 1946-1949) in China. Im April 1950, ein halbes Jahr nach der Gründung der Volksrepublik und der endgültigen Niederlage der von den USA unterstützten Guomindang unter dem auf die Insel Taiwan geflohenen Jiang Jieshi (Tschiang Kaischek), war er derjenige, dem die Schließung der US-Vertretung in Beijing aufgegeben war. »Das war«, schreibt er in seinem 1974 erschienenen Buch The Witness and I (Die Zeugin und ich), »zweiMonate, nachdem McCarthy in Wheeling die Sturm­glocken geläutet hatte – aber ich kann mich nicht erinnern, davon in Peking irgend­etwas mitbekommen zu haben.« [3]

Am 2. Januar 1951 war es mit dem Nicht-Mitbekommen vorbei. Da warfen die Sturm­glocken auch ihn aus der Bahn. Die »Loyalitäts- und Sicherheitsabteilung des Außenmi­nisteriums« unterbreitete ihm drei Fragen: »1. Sind sie, oder sind sie je gewesen, Mit­glied oder verbunden mit oder in sympathisierender Beziehung stehend mit der Kom­munistischen Partei oder irgendeiner Organisation, die von der Kommunistischen Partei kontrolliert wird? … 2. Haben sie je an die Ideologien und die Politik der Kommunisti­schen Partei geglaubt oder diese unterstützt? … 3. Haben sie je einen Beitrag an Zeit, Fähigkeiten oder Geld zu irgendeiner Aktivität geleistet, von der sie wussten, dass sie von der Kommunistischen Partei getragen oder eng mit ihr verbunden ist?« Auf die Fra­gen folgten acht »von verschiedenen Informanten« zusammengetragene Vorwürfe: »a) 1931-1934 mit den Kommunisten in Hankow [Hankou], China, verbunden; b) 1932-1934 einige Aspekte des Kommunismus wohlwollend beurteilt; c) 1933-1934 ›wohlwol­lende‹ Haltung gegenüber den Kommunisten; d) 1934-1935 ausdrücklich ›rosa‹ Tenden­zen in Peiping [Beiping, damalige Bezeichnung von Beijing], China; e) Anfang der 1930er Jahre deutliche Präferenz für einige kommunistische Prinzipien; f) 1935-1937 freundschaftliche Haltung zur UdSSR und zum Kommunismus; g) vor 1940 klassifiziert als ›gemäßigt rot‹ und ›kommunistisch‹ indoktriniert; h) war 1940 in Shanghai, China, ›100 % pro-Rot‹«. All diese Vorwürfe, hieß es dann, müsse er – Clubb – »vollständig kommentieren« zuzüglich einer ausführlichen Darstellung seiner »politischen Philoso­phie und Orientierung von 1928 bis heute, mit besonderer Hervorhebung jeder diesbe­züglichen Veränderung«. [4]

Clubb erlebte das Jahr 1951 als »das härteste« in seinem Leben, [5] wurde 1952 von den Vorwürfen freigesprochen, quittierte dennoch den Dienst und kam 1974 zu dem Schluss, dass »in dem Vierteljahrhundert, seit der Kalte Krieg begann und die Regie­rung ihr Loyalitäts-Sicherheits-Programm in Gang setzte«, die »grobe Vereinfachung im strategischen Denken bis hin zum fundamentalen Irrtum« zum »unaufhaltsamen Trend« geworden sei. Der McCarthyismus sei »charakterisiert gewesen durch die vollständige Abwesenheit von Skrupel, Gerechtigkeit und Redlichkeit; Verlogenheit sein innerster Kern.« Das Programm habe »Initiative getötet und Konformismus belohnt«; die Geschichte des Kalten Krieges zeige »mit verblüffender Klarheit« die »verheerende Wir­kung […] für die Asienpolitik der Vereinigten Staaten, für die Position der Nation in der Welt – und schließlich für die Nation selbst.« [6]

Schon 1947: Der Fall Bertolt Brecht

»vorm[ittags] in washington vor dem un-american activities committee«, schreibt Bertolt Brecht in seinem Arbeitsjournal am 30. Oktober 1947. Im Verfahren des »Ausschusses für unamerikanische Umtriebe« gegen der »kommunistischen Infiltration« verdächtige Hollywood-Filmemacher in den Zeugenstand gerufen, habe er – Brecht – die Frage nach einer Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei »wahrheitsgemäß mit ›nein‹« beant­wortet, dann zugehört, wie »der ankläger stripling […] viel aus der massnahme [verlas]«, weiter dessen Aufforderung Folge geleistet, »die fabel [zu] erzählen«, schließlich zuge­geben, »daß die grundlage meiner stücke marxistisch ist« und festgestellt, »daß stücke, besonders historischen inhalts, anderswie nicht intelligent geschrieben werden kön­nen.« Zum Charakter des Verhörs stellt Brecht fest, dass es »unverhältnismäßig höflich« gewesen und »ohne anklage« geblieben sei, wobei ihm wohl zugutegekommen sei, dass er »mit hollywood beinahe nichts zu tun hatte, in amerikanische politik nie eingriff und meine vorgänger auf dem zeugenstand den kongreßleuten die antwort verwehrt hat-ten«. [7] Gemeint war die Antwort auf die Frage nach der Mitgliedschaft in der Kommunis­tischen Partei, die von den verhörten US-amerikanischen Staatsbürgern als nicht ver­fassungsgemäß zurückgewiesen, von Brecht als Ausländer aber beantwortet wurde.

Brecht beendet seinen Eintrag vom 30. Oktober 1947 mit dem Satz »abends höre ich mit helli und budzislawskis im radio teile meines verhörs«, [8] und am 31. Oktober notiert er: »treffe am morgen laughton, der schon im galileibart geht und froh ist, daß er nicht speziellen mut benötigt, den g[alilei] zu spielen, wie er sagt: keine headlines über mich. – nachmittags fliege ich ab nach paris.« [9] – »Seit der Vorladung vor den Ausschuss«, schreibt Brecht-Biograf Werner Mittenzwei, fühlte sich der Dichter, der am 21. Juli 1941 Aufnahme in den USA gefunden hatte, »wieder in Gefahr«. [10]

* * *

Der bürgerlich-liberale US-Diplomat Clubb und der deutsche antifaschistische Flüchtling Brecht im Sog der gleichen Kommunistenjagd. Einer Jagd, die am 19. Juni 1953 mit dem Justizmord an Ethel und Julius Rosenberg, der sich auf eine Anklage wegen Spionage für die Sowjetunion gründete, einen weltweit für Aufsehen und Protest sorgenden Höhe­punkt fand. Wer immer die globalen Entwicklungen nach dem Ende des Zweiten Welt­krieg verstehen will, kommt um den antikommunistischen Furor in den USA nicht herum. Die Entstehung der beiden Weltblöcke und der Kalte Krieg zwischen ihnen, der in Asien von 1950 bis 1953 in Korea und von 1965 bis 1975 in Vietnam ein überaus heißer war, ließen keine politische Entwicklung in der Welt unberührt. – Da dieser Artikel geschrie­ben wird, ist in den USA ein Gesellschaftsumbau im Gange, der auf einen neuen Kalten Krieg, genannt »Systemrivalität«, zielt. Es steht zu befürchten, dass die Erde endgültig zu klein, der Klimawandel zu übermächtig, die Menge der Rohstoffe zu gering und die Ent­wicklung der Produktivkraft Künstliche Intelligenz zu komplex ist, um Platz für eine neuer­liche Teilung der Welt zu bieten. Gefragt sind nicht – wie von McCarthy 1950 beschworen – kriegerische, sondern menschheitlich-friedliche Lösungen.

 

Anmerkungen:

[1] https://www.senate.gov/about/powers-procedures/investigations/mccarthy-hearings/communists-in-government-service.htm, Aufruf 03.02.2025, Übers. a. d. Amerik.: W. A. – Der Text lautet im Original: »Today we are engaged in a final, all-out battle between communistic atheism and Christianity. The modern champions of communism have selected this as the time. And, ladies and gentlemen, the chips are down – they are truly down.«

[2] Ebenda.

[3] O. Edmund Clubb, The Witness and I, Columbia University Press, New York and London 1974, S. 26 (Übers. a. d. Amerik.: W. A.)

[4] Ebenda, S. 28 f.

[5] Ebenda, S. 31.

[6] Ebenda, S. 281 f.

[7] Bertolt Brecht, Arbeitsjournal, Zweiter Band 1942 bis 1955, hgg. v. Werner Hecht, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1973, S. 787.

[8] Ebenda. – Helli ist Brechts Ehefrau Helene Weigel. – Hermann Budzislawski, 1934-1937 Herausgeber der in Prag, Zürich und Paris erscheinenden Exilzeitschrift Die neue Weltbühne, war 1940 in die USA geflohen.

[9] Ebenda, S. 788. – Mit dem Schauspieler Charles Laughton erarbeitete Brecht zwischen 1944 und 1947 in Santa Monica eine zweite, englischsprachige Fassung des 1943 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführten Stücks »Leben des Galilei«.

[10] Werner Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Zweiter Band, Aufbau Verlag Berlin und Weimar (DDR) 1988, S. 208.

 

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