Von der Antihitlerkoalition zum Kalten Krieg
Prof. Dr. Dietrich Eichholtz, Borkheide
Krim-Konferenz und Potsdamer Konferenz
Als sich die drei Großen der Antihitlerkoalition - Franklin D. Roosevelt, Josef Stalin, Winston Churchill - im Februar 1945 in Jalta auf der Krim trafen, sahen sie den Weltkrieg als in absehbarer Zeit als gewonnen an und bemühten sich, für den künftigen internationalen Frieden eine klare Linie vorzugeben, besonders was ihre Politik Deutschland gegenüber betraf.
Die Konferenz in Jalta (4. bis 12. Februar 1945) stand ganz unter dem Eindruck des Vormarschs der Sowjetarmee von Stalingrad und vom Dnepr über Hunderte von Kilometern zur Ostsee und nach Ostpreußen, zur Oder bis nach Küstrin und in die Gegend von Stettin, über Warschau und über Schlesien nach Breslau, durch das oberschlesische Industriegebiet bis nach Kattowitz, in Ungarn bis Budapest. Es war dieser Vormarsch über sowjetisches, polnisches und tief in deutsches Gebiet hinein bis unweit von Berlin, der die Westmächte in Belgien im Dezember 1944/Januar 1945 vom Druck der deutschen Ardennen-Offensive in Richtung Antwerpen befreite.
Das in Jalta beschlossene Besatzungsprogramm war wegweisend: Deutschland war zu entwaffnen, alle militärischen Einrichtungen waren für alle Zeit »zu entfernen und zu zerstören«, die gesamte Industrie, soweit für Rüstungsproduktion zu benutzen, sei »zu beseitigen oder unter Kontrolle zu nehmen«, alle Kriegsverbrecher seien vor Gericht zu bringen. Wiedergutmachung und Reparationsleistungen seien zu leisten. Nazismus und Militarismus seien in Deutschland und im ganzen bisher besetzten Europa auszurotten.
Churchill focht in dieser Zeit in der Hauptsache schon seinen Kampf gegen das militärische und politische Vordringen der UdSSR in Europa und kritisierte die zustimmende Haltung Roosevelts. Er hatte von Anfang an mit der Eroberung Berlins, Wiens und auch Prags durch die Westalliierten gerechnet. Die westalliierten Truppen dürften, so Churchill, nach Kriegsende in Deutschland nicht vermindert werden und keinerlei bereits eroberten Boden aufgeben. Entscheidend war für ihn nach dem frühen Tod Roosevelts (12. April 1945) die Beeinflussung von dessen Nachfolger als Präsident, Harry Truman. Notfalls sei Krieg gegen die Sowjetunion notwendig, für den er sich nicht scheute, insgeheim schon im Mai 1945 seine Stabschefs neben 47 USA- und britischen auch 10 polnische und 10 reaktivierte deutsche Divisionen zusammenrechnen zu lassen.
Im Oktober 1944 hatte sich Churchill nach Moskau eingeladen und des Langen und Breiten versucht, Stalin zu einer Aufteilung der Interessensphären in ganz Südosteuropa zu überreden. Stalin paraphierte wie beiläufig Churchills berüchtigte Prozentskizze für den künftigen britischen Einfluss auf die einzelnen Länder dieses Raumes. Aber nur Athen gelangte unter britische Gewalt; dort ließen die Briten im Dezember ein Massaker unter den protestierenden griechischen Volksbefreiungskräften anrichten. Roosevelt, als er davon erfuhr, verurteilte diese Aktion scharf.
In den USA spülten nach Roosevelts Tod - und schon vorher - die Probleme der zu erwartenden Nachkriegskonjunktur aggressive Kräfte in Wirtschaft und Politik massiv in den Vordergrund. Es ging ihnen wesentlich darum, die jahrelange Kriegskonjunktur in eine langwährende Nachkriegskonjunktur hinüberzuretten. Als politische Schlüsselfigur für den Übergang zum »Kalten Krieg« gegen den Sozialismus zeigte sich bald Harry S. Truman, US-Nachfolgepräsident bis 1953. Außenpolitisch ging Truman von Anbeginn an bei Churchill in die Lehre. Was er lernte, wurde zum Grundstein der »Truman-Doktrin«, deren erklärtes Element es war, »freie Völker« vor kommunistischer »Unterwerfung« zu retten.
Schon vor der Potsdamer Konferenz (Juli 1945) beschleunigte Truman die Arbeiten zur Fertigstellung der Atombombe, mit deren erfolgreicher Erprobung in Los Alamos er sich in Potsdam vor Stalin brüstete. Im April 1945 entschied der USA-Kongress, dass die Lend-Lease-Lieferungen an die UdSSR sofort aufhören sollten, soweit sie für den Wiederaufbau nach dem Krieg verwendet werden konnten. Langfristige Kreditwünsche der Sowjetunion für die Nachkriegszeit, die schon seit 1943 vorangemeldet waren, kürzte der Kongress von sechs auf eine Milliarde Dollar - und erhöhte die Zinsen aufs Doppelte. Im Herbst 1945 verschwanden solche Zahlungen endgültig von der Agenda der US-Außenhandelsverwaltung.
In Jalta war die Rede von 20 Milliarden Dollar deutscher Reparationen gewesen, von denen 50 Prozent an die ausgeblutete und ausgepowerte UdSSR gehen sollten. Schon im Vorfeld von Potsdam war keine Rede mehr von sowjetischen Reparationen aus ganz Deutschland, etwa aus dem Ruhrgebiet. Die Sowjetunion hatte sich, wie es hieß, auf ihre »Kriegsbeute« und ansonsten auf Entnahmen aus ihrer eigenen Besatzungszone zu beschränken.
Der Weg zum Kalten Krieg
Die wesentlichen Schritte zum Kalten Krieg unternahm die Truman-Regierung unmittelbar nach der Potsdamer Konferenz. George C. Marshall, damals Secretary of State, schuf 1947/48 als ein Kernstück der Truman-Doktrin, die inzwischen als »containment« = »Eindämmung des Kommunismus« firmierte, jenes »European Recovery Program« (ERP), bis heute als Marshall-Plan bekannt. Mit dem Marshall-Plan, als Gesetz am 3. April 1948 verabschiedet, flossen Dutzende Milliarden Dollar in die Länder Westeuropas. Die ersten 13 Milliarden gelangten bis 1952 in Form von Lebensmitteln, Industriegütern, Treibstoff und anderen lebenswichtigen Waren dorthin. In der Bundesrepublik entstand aus den ERP-Mitteln bis 1990 ein sogenanntes ERP-Sondervermögen von über 70 Milliarden Deutscher Mark.
Die UdSSR und die von ihr kontrollierten Länder lehnten für sich diese amerikanische Auslandshilfe ab, die ohne politische und andere Abhängigkeiten nicht zu bekommen war. Die Folge war die langwährende Armut gerade der vom Krieg besonders schwer betroffenen Länder, in erster Linie der UdSSR selbst. Überall war das opferreiche Bemühen erschwert, trotz der während des Krieges erlittenen Schäden und der im Kalten Krieg aufgezwungenen Hochrüstung ein auskömmliches Lebensniveau für die Masse der Bevölkerung zu sichern.
Gründung der NATO
Die NATO (North Atlantic Treaty Organization) stellt seit ihrer Gründung in Washington 1949 die wichtigste Bedrohung der Welt mit atomarem Krieg dar. Damals offiziell als notwendige Abschreckung angesichts der kommunistischen »Weltgefahr« deklariert, ist dies Kriegsbündnis unter Führung der USA, mit heute über drei Dutzend NATO-Mitgliedern und hunderten von US- und NATO-Stützpunkten, seit Untergang der Sowjetunion nach wie vor gegen mögliche Feinde der »Freien Welt« gerichtet, heutzutage erklärtermaßen gegen die Russische Föderation.
Die Kernbewaffnung, heute in zahlreichen Ländern als Drohkulisse vorhanden, ist in ihrer geballten Zerstörungskraft in der Lage, die Menschheit und den ganzen Erdball zu vernichten. Allerdings hat die UdSSR bzw. später die Russische Föderation unter ungeheuren Anstrengungen mit heute etwa 12.000 Atomwaffen mit den USA annähernd gleichgezogen und eine Art atomares »Patt« erzwungen. Natürlich ist die Welt inzwischen keineswegs frei von Kriegsfurcht und der Gefahr imperialistischer Kriege, zumal USA und übrige NATO-Staaten jährlich heutzutage mehr als das Zehnfache von allem ausgeben, was die Russische Föderation zu ihrer Verteidigung erübrigt (junge Welt, 18. 12. 2014).
»Central Intelligence Agency«
Die CIA, aufgebaut seit 1947, ist seit jener Zeit der mächtige, weltweit agierende Geheimdienst des USA-Präsidenten, der bekanntermaßen bis heute Krieg anzettelt und vorbereitet und sich an der Verfolgung und Beseitigung tausender aufrechter Gegner von Krieg, Expansion, imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung beteiligt hat, von denen nur sehr wenige bekannt sind (wie Lumumba, Che Guevara, Allende, Aldo Moro). Noch vielfach unentdeckt ist die Rolle der von der CIA gelenkten Geheimarmeen, die in aller Herren Länder für Einschüchterung, Terror und Mord sorgten und sorgen. Jüngst sind viele tausend Fälle von Folterungen durch die CIA aufgedeckt worden, die offensichtlich nachträglich weder verfolgt noch bestraft werden.
Verrat des Westens
Die Bezeichnung »Kalter Krieg«, obwohl in der Geschichtsschreibung fortlebend und bis heute sehr lebendig als Drohung eines Welt-Atomkrieges, ist irreführend. Es handelte sich von Anfang an um einen Kreuzzug gegen den Sozialismus und um die Rücknahme der von der UdSSR erkämpften Ergebnisse ihres Befreiungskampfes von 1941 bis 1945. War vor Potsdam jener Sieg der Sowjetunion der entscheidende Beitrag zum Triumph der Antihitlerkoalition über den deutschen Faschismus gewesen, so müssen der Verrat und die Heimtücke der westlichen Alliierten unmittelbar im Anschluss an das Ergebnis von Jalta - über das heute in der neueren westlichen Historiographie kaum mehr genauere Auskunft zu finden ist - deutlich benannt werden.
Zerstörung und Zerfall der UdSSR werden heute zwar als Beleg für den »Rollback« des Sozialismus/Kommunismus in der Welt und damit für den wichtigsten Erfolg des Kalten Krieges, gern auch als sein Ende erklärt. Wenn man sich aber mit der strategischen Analyse des jetzigen US-Imperialismus befasst, so findet man sie in aller Klarheit schon 1997 dargelegt, in einem Kompendium der US-Außenpolitik und der NATO-Strategie (Zbigniew Brzezinski, »Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft«, 1997), einem offen imperialistischen Plan der US- und NATO-Außenpolitik und Kriegführung im Allgemeinen und der NATO-Strategie im Besonderen.
Die Strategen des Kalten Krieges, inzwischen der Unantastbarkeit ihrer alleinigen Weltmachtstellung sicher, bemühen sich, ihren unverändert funktionsfähigen Apparat den neuen globalen Bedingungen dieser Herrschaft anzupassen. Wenn sie ihren Herrschaftsbereich seit wenigen Jahren vorrangig in Asien und in der Pazifikregion ausdehnen wollen, wie sie das seit Ende des vorigen Jahrhunderts auch offen kundtun, so machen sie »fünf geopolitische Dreh- und Angelpunkte« fest (1997): »Die Ukraine, Aserbaidschan, Südkorea, die Türkei und den Iran«. Die Ukraine wird schon hier zu einem »neuen und wichtigen Raum« erklärt, »weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr«.
In den 90er Jahren entstand der sogenannte No-Rival-Plan, nach dem es als oberstes strategisches Gebot gilt, keinen ernsthaften Konkurrenten oder gar Widersacher für die USA je hochkommen zu lassen. Die seit jener Zeit so bezeichneten »Schurkenstaaten« sind, nach der damaligen »Bush-Doktrin«, auch präventiv, innerhalb von Tagen und Wochen »tödlich und mobil« zu bekämpfen. Der »Krieg gegen den Terror« ist bis heute eine gängige Form des Kalten Krieges.
Zu Beginn des jetzigen Jahrhunderts bestimmte die Obama-Administration vor aller Welt die hauptsächliche Zielsetzung des Kalten Krieges neu. Die USA werden, so Obama Ende 2012 in Australien, »unsere Präsenz und unsere Missionen im asiatischen Pazifik zur Top-Priorität machen. ... Die USA sind eine pazifische Macht - und wir sind hier, um zu bleiben.« Viel ist dabei die Rede von der »neuen Weltordnung«, aber die Vermehrung der US-Flugzeugträger, U-Boote und Bomber in der Region schon seit geraumer Zeit zielt eindeutig vorrangig auf den heranwachsenden Konkurrenten China.
In diese Strategie der »neuen Weltordnung« hat sich in den letzten zwei Jahren - nicht unvorbereitet, wie wir sahen - die »Ukraine-Frage« eingeschoben. Die argwöhnische Beobachtung der Verhältnisse in der auch militärisch hoch gerüsteten Großmacht der Russischen Föderation hat der Westen feindselig verschärft und sie mit würgenden Sanktionen bedroht.
Es ist nicht im Einzelnen vorauszusehen, wie die USA und ihre Mitläufer in weiterer Zukunft die Welt - im pazifischen Raum, im westeuropäisch-asiatischen, im arabischen und indischen Raum - »neu ordnen« wollen. Für Wohltätigkeit und Entwicklungshilfe wird das Interesse nicht groß sein. Eher werden sich Ausbeutung, Einschüchterung, Kriegsdrohung und Gewaltherrschaft, Rassen- und Religionsterror ausbreiten. Gar keine Frage auch, dass der US-Ausschließlichkeitsanspruch selbst bei den Verbündeten der NATO und Hilfsvölkern auf Widerwillen und Widerspruch stoßen wird.
Unausdenkbar erscheint es, in einer derart ausgelieferten Welt zu leben, die den Kalten Krieg für die ihr gemäße Existenzform hält und die drängenden Menschheitsprobleme (Armut, Hunger, Seuchen, Umweltprobleme) zu bewältigen nicht in der Lage ist.
Unser Autor, der Historiker Prof. Dr. Dietrich Eichholtz, geb. 1930, Schüler von Jürgen Kuczynski, forschte und lehrte in Berlin und Greifswald. Ein Hauptwerk ist seine 1968 erschienene fünfbändige »Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945«
Mehr von Dietrich Eichholtz in den »Mitteilungen«:
2014-06: 6. Juni 1944: »D-Day« – Invasion und Antihitlerkoalition
2013-02: Stalingrader Bilanz