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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Volksfront gegen Faschismus und Krieg!

Prof. Dr. sc. Heinz Karl, Berlin

 

Erst vor wenigen Wochen gedachten wir des 65. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus. Es war dies auch Anlaß, den Blick zu lenken auf die Verhältnisse, aus denen der 1945 zerschlagene Faschismus erwuchs – und die seit 1989/90 wieder in ganz Europa herrschen –, auf die höchst unterschiedliche Auseinandersetzung mit den für ihn verantwortlichen, ihn tragenden und nutzenden gesellschaftlichen Kräften in beiden deutschen Staaten, und darauf, daß nicht nur in der BRD, sondern in immer mehr europäischen Staaten von den Niederlanden bis Ungarn und in die Ukraine, von Italien bis ins Baltikum neofaschistische und faschistoide Kräfte sich formieren, ausbreiten und – zum Teil rapid – an Einfluß gewinnen. Dies macht deutlich, daß Faschismus kein Problem der Vergangenheit ist. Im Gegenteil – der Untergang seines Todfeindes, des europäischen Sozialismus, eröffnete ihm offenkundig neue Möglichkeiten.

Deshalb sind die historischen Erfahrungen mit dem Faschismus von aktuellem Interesse und zunehmender Bedeutung. Der Faschismus war die größteGefahr, mit der die Menschheit im 20. Jahrhundert konfrontiert war. Die im Kampf gegen den Faschismus, für die Beseitigung seiner politischen Strukturen und gesellschaftlichen Wurzeln, die Überwindung seiner Ideologie erzielten gesellschaftlichen Veränderungen und Verbesserungen gehören zu den wichtigsten positiven Ergebnissen des vergangenen Jahrhunderts.

Als organisierte politische Kraft entstand der Faschismus unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Regierungspartei und den Charakter des bürgerlichen Staates zur faschistischen Diktatur verändernd wurde er erstmals 1922 in Italien mit Mussolini als Regierungschef. Die Kommunistische Internationale (KI) nahm bereits auf ihrem IV. Weltkongreß 1922 zu dieser Entwicklung Stellung. Auf dem anschließenden III. Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der KI 1923 entwickelte Clara Zetkin erste tragfähige Erkenntnisse über das neue politische Phänomen.

Mit der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland 1933 [Vgl. H. Karl: 30. Januar 1933 – Erfahrung und Warnung. In: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS, H. 1/2003, S. 19-25] wuchs die faschistische Gefahr enorm, erlangte eine neue Qualität. Der Faschismus und seine Bekämpfung und die damit zusammenhängenden Fragen der Strategie und Taktik, der ideologischen und organisatorischen Arbeit standen im Mittelpunkt des VII. Weltkongresses der KI, der vom 25. Juli bis 20. August 1935 in Moskau tagte. Das Hauptreferat "Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der KI im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus" hielt Georgi Dimitroff, der auch zum Generalsekretär der KI gewählt wurde.

Kennzeichnend für den Kongreß waren die kritische Überprüfung bisheriger Orientierungen, Erfahrungen und Methoden und das Bemühen um eine ernsthaftere, vor allem konkrete Analyse und realistische Schlußfolgerungen. Dimitroff konstatierte einen ungenügenden bis fehlenden Kampf gegen das Sektierertum. Es sei keine "Kinderkrankheit" mehr, von der Lenin sprach, "sondern ein tief eingewurzeltes Laster" (S. 155) [Seitenangaben im Text in Klammern beziehen sich auf: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Resolutionen, Berlin 1975]. Angelpunkt sei die Qualität der Analyse. Man müsse "die konkrete Situation richtig einschätzen ..., nicht auf Grund unserer Wünsche, sondern auf Grund dessen, was in Wirklichkeit ist." (S. 156) Sehr wichtig war seine Feststellung: "Wir sind Feinde jedes Schematismus. Wir wollen die konkrete Lage in jedem Moment und an jedem gegebenen Ort berücksichtigen und nicht überall nach einer bestimmten Schablone handeln. Wir wollen nicht vergessen, daß die Stellungnahme der Kommunisten unter verschiedenen Bedingungen nicht die gleiche sein kann." (S. 162/163) Man dürfe nicht die konkrete Analyse "durch allgemeine Redensarten und allgemeine Losungen, wie ‘revolutionärer Ausweg aus der Krise’, ersetzen, ohne irgendeinen ernsthaften Versuch, zu erklären, unter welchen Umständen, bei welchem Kräfteverhältnis der Klassen, bei welchem Grad der revolutionären Reife des Proletariats und der werktätigen Massen, bei welchem Niveau des Einflusses der Kommunistischen Partei ein solcher revolutionärer Ausweg aus der Krise möglich ist." [G. Dimitroff: Ausgewählte Schriften, Bd. 2, Berlin 1958, S. 627] Und an anderer Stelle erklärte er unmißverständlich: "Wir haben mit den tönenden Phrasen von den revolutionären Perspektiven ... aufgeräumt." [Ebenda, S. 681]

Was ist Faschismus?

Dimitroff begann sein grundlegendes Referat mit einer Analyse des Faschismus. Er ging von der Schlüsselfrage jeder wissenschaftlichen Faschismus-Analyse aus: der Bestimmung seines Klassencharakters. Er bekräftigte die Einschätzung des XIII. Plenums des Exekutivkomitees der KI (Dezember 1933): "Der Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals." [Die Kommunistische Internationale (Auswahl von Dokumenten und Reden vom VI. Weltkongreß bis zur Auflösung der Kommunistischen Internationale, 1928-1943), Berlin 1956] Das reflektierte zutreffend beispielsweise das politische Kräfteverhältnis und die Herrschaftsstrukturen und -mechanismen im faschistischen Deutschen Reich wie auch die Widersprüche innerhalb der herrschenden Klasse. Natürlich handelt es sich hier nicht um eine umfassende Definition des Faschismus als gesellschaftliches und historisches Phänomen in all seinen Aspekten, sondern um den Faschismus als Herrschaftsform, als eine Form des bürgerlichen Staates. Aber dies ist seine zentrale, entscheidende Eigenschaft, durch die er vor allem – leider – geschichtsmächtig wurde, seine endgültige Gestaltung erfuhr, in der sich mehr als in jedem anderen Moment sein innerstes Wesen offenbarte. Die Nazi-"Bewegung" hingegen paßte sich fortwährend den Bedürfnissen der ökonomischen, politischen und militärischen Eliten an und wurde deshalb von ihnen gegenüber ihren konservativen und rechtsextremen Konkurrenten favorisiert. Auch die Nazi-Ideologie hatte eine sehr wichtige Funktion: möglichst breite Massen für die Ziele der Herrschenden zu mobilisieren und zugleich deren Wesen zu verschleiern. Aber ihre Inhalte waren durch die Interessen des deutschen Imperialismus vorgegeben.

Äußerst wichtig war Dimitroffs nachdrückliche Feststellung, das faschistische Regime sei "nicht die einfache Ersetzung einer bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern die Ablösung einer Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, der bürgerlichen Demokratie, durch eine andere, durch die offene terroristische Diktatur. Die Ignorierung dieses Unterschiedes wäre ein ernster Fehler."(S. 94) Zudem habe man "in einer Reihe von kapitalistischen Ländern konkret für den heutigen Tag zu wählen, nicht zwischen proletarischer Diktatur und bürgerlicher Demokratie, sondern zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus". [G. Dimitroff. Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 645] Diese Sicht orientierte nicht nur auf einen verstärkten, einen umfassenden Kampf zur Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten, sondern war auch Voraussetzung für die Herbeiführung breiter antifaschistischer Bündnisse.

Der VII. Kongreß rückte besonders die Tatsache in den Vordergrund, daß es der bürgerlichen Reaktion mit faschistischen Parteien und Bewegungen gelang, die Wendung von den traditionellen bürgerlichen Parteien enttäuschter kleinbürgerlicher und proletarischer Wähler nach links zu verhindern und sie als Massenbasis für extrem reaktionäre, faschistische Bestrebungen zu mißbrauchen. Ein genereller Hebel war nationalistische und revanchistische Demagogie. Besonders unter den Bedingungen der verheerenden Weltwirtschaftskrise und ihres Massenelends aber war – besonders von den Nazis – auch eine hemmungslose "antikapitalistische" Demagogie entfaltet worden. Vor allem bei bäuerlichen, kleinbürgerlichen, christlichen Bevölkerungsgruppen und unter der bürgerlichen Intelligenz nutzte man den Antisemitismus als imperialistische Mobilisierungsideologie.

Gerade der scheinbare Widerspruch zwischen der großbürgerlichen Klassenfunktion und einer weitgehend kleinbürgerlichen, zum Teil selbst proletarischen Massenbasis des Faschismus wie auch dessen Demagogie verführte (und verführt) dazu oder wurde ausgenutzt (und wird ausgenutzt), das Wesen des Faschismus zu verwirren oder zu verschleiern. Dimitroff verwies auf Interpretationen des Faschismus als über den Klassen stehend oder als Herrschaft des Kleinbürgertums oder des Lumpenproletariats. August Thalheimer definierte den Faschismus als "die Verselbständigung der Exekutivgewalt, die Vernichtung der politischen Herrschaft der Bourgeoisie und die politische Unterwerfung aller übrigen Gesellschaftsklassen unter die Exekutive." [A. Thalheimer: Programmatische Fragen, Mainz (1993), S. 62] Im Neuen Deutschland (29. Juni 2007) konnte man lesen, daß "die antisemitische Politik der zentrale Bezugspunkt des NS-Staates war" und die marxistische Analyse zur "ökonomistischen Deutung des deutschen Faschismus" abgewertet wurde. Auch Wolfgang Wippermann wertet sie als "Reduktion des Faschismus auf seine soziale Funktion". [W. Wippermann: Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute, (Darmstadt 2009), S. 9] Alle diese Auffassungen werden durch die Herrschaftsstrukturen und -mechanismen des faschistischen Deutschland völlig widerlegt. Tatsächlich hat zu keiner Zeit davor oder danach das Großkapital so unmittelbar Politik gestaltet und Staatsgewalt ausgeübt wie von 1933 bis 1945.

Dem deutschen Faschismus wurde vom VII. Kongreß besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dimitroff sagte, er sei "die reaktionärste Spielart des Faschismus", spiele "die Rolle des Stoßtrupps der internationalen Konterrevolution, des Hauptanstifters des imperialistischen Krieges, des Initiators eines Kreuzzuges gegen die Sowjetunion" (S. 93). Es wurde deutlich, daß der Nazi-Begriff "Nationalsozialismus", die demagogische Selbstdarstellung der Hitlerfaschisten, keinerlei Realitätsbezug hatte. Er diente von Anfang an der Ablenkung vom Wesen dieser extrem reaktionären bürgerlichen Partei, die Anfang der 1930er Jahre zur größten und wählerstärksten bürgerlichen Partei wurde, weil sie die Mehrheit der Wähler der anderen bürgerlichen Parteien aufsaugte. Auch heute wird dieser Begriff der Naziideologie von bürgerlichen Politikern und Ideologen favorisiert, weil er das durch und durch bürgerliche Wesen von Politik und Ideologie des deutschen Faschismus vernebelt und im Sinne der Totalitarismusdoktrin eine Nähe von Faschismus und Sozialismus suggeriert.

Dimitroff ging auf ein Kernproblem der Entwicklung in Deutschland ein, wenn er darlegte, "daß vor der Errichtung der faschistischen Diktatur die bürgerlichen Regierungen in der Regel verschiedene Etappen durchlaufen und eine Reihe reaktionärer Maßnahmen durchführen, die den Machtantritt des Faschismus vorbereiten und unmittelbar fördern. Wer in diesen Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie und gegen den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des Faschismus zu verhindern, der fördert ihn vielmehr." (S. 95) Ohne die Tätigkeit des (von der SPD als "kleineres Übel" "tolerierten") Präsidialkabinetts Brüning (1930-1932) und seiner kurzzeitigen Nachfolger Papen und Schleicher wäre die Einsetzung des Kabinetts Hitler/Papen/Hugenberg durch Hindenburg am 30. Januar 1933 nicht möglich gewesen.

Für die antifaschistische Volksfront

Von der bisherigen Entwicklung – der Niederlage der antifaschistischen Kräfte in Deutschland und den erfolgreichen Abwehraktionen der französischen Antifaschisten gegen faschistische Angriffe – ausgehend beschloß der VII. Weltkongreß, daß "die Herstellung der Einheitskampffront der Arbeiterklasse ... die wichtigste, nächstliegende Aufgabe der internationalen Arbeiterbewegung" (S. 308) ist. Ausgangspunkt und Hauptinhalt der Einheitsfront sollten die Verteidigung der unmittelbaren wirtschaftlichen und politischen Interessen, der bürgerlich-demokratischen Freiheiten, der Kampf gegen die faschistische Offensive und die Gefahr eines imperialistischen Krieges sein.

Der Angelpunkt für die Herstellung der Einheitsfront war die Entwicklung eines neuen Verhältnisses zur sozialdemokratischen Bewegung. Die Bedingungen dafür gestalteten sich günstiger. Zum einen war auch die Sozialdemokratie Opfer der faschistischen Offensive geworden, hatte ihre Regierungspositionen und selbst ihre Legalität eingebüßt – oder war davon bedroht. Zum anderen war in der Krise die Politik der Klassenzusammenarbeit und der Koalition offenkundig gescheitert.

Anknüpfend an das Problem der Einheitsfront im Kampf gegen den Faschismus, stellte der VII. Weltkongreß die Aufgabe, auch im Widerspruch zum Faschismus stehende bzw. geratende bäuerliche, kleinbürgerliche, intellektuelle, christliche, bürgerlich-demokratische Bevölkerungsgruppen für ein antifaschistisches Bündnis, für die antifaschistische Volksfront, zu gewinnen.

Der VII. Weltkongreß zog in Betracht, daß eine erfolgreiche Entwicklung der Einheitsfront- und Volksfrontbewegung zur Bildung von Regierungen der proletarischen Einheitsfront oder antifaschistischen Volksfront führen könnte. Das wären keine sozialistischen Regierungen, sondern Regierungen des Kampfes gegen Faschismus und Reaktion, auf einer antifaschistischen Plattform. Bedingungen für die Bildung solcher Regierungen wären vor allem der mächtige Aufschwung einer antifaschistischen Massenbewegung und eine Dominanz entschiedener Einheits- und Volksfrontanhänger in den teilnehmenden Parteien.

In engem Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Faschismus wurden auf dem Kongreß die Probleme des Kampfes um den Frieden erörtert. Palmiro Togliatti (Ercoli) hielt dazu ein spezielles Referat "Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der KI". Seine sehr realistische Prognose lautete: "Der Vorstoß des Faschismus – das ist die offensichtlichste Form des Hineinschlitterns der kapitalistischen Welt in einen neuen Weltkrieg." (S. 183) Er brandmarkte die Aggressionen Italiens in Afrika und Japans in China, unterstrich aber, daß das Hauptfeuer "gegen den Hauptfeind des Friedens, gegen den deutschen Faschismus" (S. 189) gerichtet werden müsse. Er erläuterte, wie sehr der sozialistische Aufbau die Verteidigungskraft und das internationale Gewicht der Sowjetunion erhöht hatte. Wie der Kongreß feststellte, hatte die Friedenspolitik der Sowjetunion nicht nur die auf ihre Isolierung gerichteten imperialistischen Pläne durchkreuzt, sondern auch die Grundlage geschaffen für ihre Zusammenarbeit "mit jenen Staaten, die im gegebenen Moment an der Erhaltung des Friedens interessiert sind" (S. 326). In diesem Zusammenhang hatte Togliatti ausdrücklich die von der UdSSR mit Frankreich und der Tschechoslowakei abgeschlossenen Beistandsverträge gewürdigt – die ersten derartigen Verträge mit kapitalistischen Staaten, darunter einer imperialistischen Großmacht. Dieser zu dieser Zeit eingeleitete Kurs erlangte seine volle Entfaltung und historische Wirkung in der Zeit der Antihitlerkoalition.

Die vom VII. Weltkongreß der KI eingeleitete antifaschistische Volksfrontpolitik fand auch Kritiker. So unterstellte ihr die von August Thalheimer geleitete Zeitschrift Der Internationale Klassenkampf, daß sie im antifaschistischen Kampf "die besonderen Klasseninteressen u. Ziele des Proletariats den Gesichtspunkten der bürgerlichen Demokratie, d.h. den bürgerlichen Klasseninteressen der Kapitalisten, die angeblich als Bundesgenossen im Kampf gegen die faschistische Diktatur in Frage kommen, unterordnet". [Volksfrontpolitik, ihre Ursachen und Folgen am Beispiel Frankreichs und Spaniens, (Bremen o.J.), S. 84] Statt dessen müßten die Kommunisten "den Kampf für den Sturz des Hitlerregimes als Kampf für die Herbeiführung des Sozialismus führen; das ist aber nicht unter der Losung der bürgerlichen Demokratie, sondern nur unter der Losung der Rätediktatur, nicht mit kapitalistischen Verbündeten, sondern nur gegen die Bourgeoisie als Klasse möglich." [Ebenda, S. 88] Diese Kritik und die angebotene Alternative (die keine ist) wird erstaunlicherweise auch heute noch vertreten. [Th. Bergmann: Internationalismus im 21. Jahrhundert, Hamburg (2009), S. 38/39]

Was brachte die Volksfrontorientierung? Der VII. Weltkongreß fand ein reges internationales Echo. Den kommunistischen Parteien vermittelte er viele Impulse für eine intensivere und elastischere Einheitsfrontarbeit und die Realisierung des Volksfrontkurses. In sozialdemokratischen Parteien und in bürgerlich-demokratischen Kreisen entwickelte sich eine Diskussion über die Vorschläge der KI. Dies vollzog sich auch unter den deutschen Emigranten, die sich besonders um Diskussionszirkel in Paris, Prag, London und Stockholm gruppierten. Der Pariser Lutetia-Kreis erklärte sich zum Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Am stärksten entwickelte sich die Volksfrontbewegung in Frankreich und Spanien. In beiden Ländern wurden im Januar 1936 Abkommen über die Bildung der Volksfront abgeschlossen. Im Februar in Spanien, im Mai in Frankreich siegte die Volksfront bei den Parlamentswahlen und bildete die neuen Regierungen, in die in Spanien nach dem faschistischen Putsch auch die Kommunisten und die Anarchisten eintraten. Die spanische Volksfrontregierung organisierte die Verteidigung der Republik gegen die Putschisten und die deutsche und italienische Intervention. Die internationale Solidaritätsbewegung für die spanische Republik – die die bis dahin größte Bewegung dieser Art – gab der Volksfrontbewegung weiteren Auftrieb.

1938/1939 vollzogen sich international Entwicklungen, die sich auf die Volksfrontpolitik, ihre Resonanz negativ auswirken mußten: das Münchener Diktat im September 1938, dessen demoralisierende Wirkung auf Teile des spanischen republikanischen Lagers, die Zerschlagung der Tschechoslowakei durch Hitlerdeutschland und Horthy-Ungarn unter dem Beifall des polnischen Regimes im März 1939, der Zusammenbruch der Spanischen Republik im März/April 1939, die anhaltende Rechtsdrift der französischen Volksfrontregierung unter Chautemps und beschleunigt unter Daladier, das Lavieren der Westmächte zwischen Hitler und der Sowjetunion – dies alles unter maßgeblicher Beteiligung der britischen konservativen Regierung und deren ständigem Druck auf die schwankende französische Regierung. Angesichts der sich radikal verschlechternden Bedingungen kann man die Rückläufigkeit der Volksfrontbewegung wohl kaum als ihr Scheitern werten. Angesichts der erdrutschartigen Veränderungen, des Umsturzes von Kräfteverhältnissen im August/September 1939, ihrer ungeheuren Tragweite, ihren unumgänglichen Konsequenzen kann man auch nicht davon sprechen, daß die Sowjetunion und die KI mit der Volksfrontpolitik "gebrochen" hätten.

Die 40er Jahre brachten eine machtvolle Wiederbelebung der Volksfrontpolitik im Rahmen des von Nationalen Fronten getragenen antifaschistischen Befreiungskampfes, dessen Protagonisten in vielen Ländern die Regierung übernahmen. "Die kommunistischen Bewegungen Europas erreichten" – schreibt Eric Hobsbawm – "den Höhepunkt ihres politischen Einflusses in den Jahren 1945-47" [Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme, (München Wien 1995), S. 213]. Das Volksfrontkonzept des VII. Weltkongresses kam zur vollen Entfaltung und erreichte seine größte Wirksamkeit.

Zäsur in der Geschichte der kommunistischen Bewegung

Der VII. Weltkongreß war die bedeutendste Tagung der kommunistischen Bewegung zwischen dem IV. Kongreß 1922 und dem XX. Parteitag der KPdSU 1956. Wie diese beiden Tagungen faßte er an einem Wendepunkt des internationalen Klassenkampfes prinzipielle, tiefgreifende Entschlüsse, die eine politische Wende bedeuteten, große Auswirkungen hatten und weite Entwicklungsmöglichkeiten eröffneten.

Der Kongreß war ein Beispiel kritischen und damit produktiven Umgangs mit der eigenen Entwicklung, den eigenen Erfahrungen. Er demonstrierte schöpferischen Marxismus.

 

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