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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vietnams Triumph nach 30 Jahren erbitterten Krieges

Hellmut Kapfenberger, Berlin

 

Vietnams Kampf um Unabhängigkeit und Freiheit endete im Frühjahr 1975 unter dem Beifall von Millionen Menschen auf allen Erdteilen mit einer weltweit Aufsehen erregenden Offensive seiner Befreiungsstreitkräfte im Landessüden, die mit vollem Recht ihren Platz in der Militärgeschichte einnimmt. Der am 26. April um 17 Uhr Ortszeit eröffnete finale Ho-Chi-Minh-Feldzug war Schlussakt einer Anfang März im mittelvietnamesischen Hochland (Tay Nguyen) nördlich Saigons als Tay-Nguyen-Feldzug (Code-Bezeichnung Feldzug 275) gestarteten Großoffensive, die Saigons Armee den Todesstoß versetzte. So blieb den Repräsentanten des illegitimen Regimes in Saigon nichts weiter, als am 30. April um 14 Uhr Ortszeit im »Palast der Unabhängigkeit«, dem Sitz des »Präsidenten«, gegenüber bevollmächtigten Vertretern der neuen Macht die bedingungslose Kapitulation ihrer »Republik Vietnam« zu erklären. Bleibt zu bilanzieren: Washington und seine Statthalter in Saigon hatten Vietnams Führung in Hanoi, der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) keine andere Wahl gelassen, als nach jahrzehntelangem geduldigem diplomatischem Ringen, durchsetzt mit oftmals schmerzhaften Kompromissen, letztlich mit massiver militärischer Gewalt mehrmaligem flagrantem Bruch des Völkerrechts ein Ende zu bereiten. Völkerrechtsbruch Nummer eins ging auf das Konto Frankreichs. Mit britischem Beistand und US-amerikanischem Segen hatte Paris 1945/46 ein von Washington ausgerüstetes Expeditionskorps nach Indochina in Marsch gesetzt. Ziel war, vom Süden aus die nach siegreicher landesweiter Augustrevolution am 2. September 1945 in Hanoi ausgerufene unabhängige DRV gleich nach ihrer Geburt zu erdrosseln und nach dem Abzug der geschlagenen japanischen Okkupanten das französische Kolonialregime neu zu beleben. Der Sieg der vietnamesischen Volksarmee in der legendären Schlacht von Dien Bien Phu von Mitte März bis Anfang Mai 1954 brach dem Expeditionskorps das Genick. Die folgende Genfer Indochina-Konferenz von Anfang Mai bis Mitte Juli jenes Jahres machte Frankreichs Rück-eroberungsplänen - von den USA seit 1950 massiv finanziell, materiell und personell un-terstützt - ein Ende; es hatte sich aus Indochina zu verabschieden.

Völkerrechtsbruch Nummer zwei war das Werk Washingtons im Verein mit südvietnamesischen Vasallen. Von Anfang an hintertrieben sie die Vereinbarungen von Genf für eine »auf der Achtung der Prinzipien der Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Integrität fußende Regelung der politischen Probleme« der Länder Indochinas. Im Oktober 1955 erklärten sie die südliche Landeshälfte Vietnams, die in Genf lediglich - vom Norden durch eine »zeitweilige militärische Demarkationslinie« getrennt - zur Umgruppierungszone für die französischen Streitkräfte bestimmt worden war, entgegen den Genfer Vereinbarungen zu einer »Republik Vietnam« mit der Hauptstadt Saigon. Für Juli 1956 vereinbarte allgemeine Wahlen im ganzen Land lehnten sie kategorisch ab. Internationale Kontrolle der Genfer Vereinbarungen wurde systematisch sabotiert. In der Folgezeit wurde die willkürliche Spaltung des Landes mit großem Aufwand Washingtons zementiert. Gestützt auf hemmungslosen Terror gegen die patriotischen Kräfte, verfügte das innenpolitisch chronisch labile Saigoner Regime bald über eine hochgerüstete Armee. Ihr zur Seite standen einige zehntausend amerikanische »Berater« und eine Reihe Kommandozentralen der US-Streitkräfte. Im Laufe der Jahre wachsenden bewaffneten Widerstand, dann auch vom Norden unterstützt, und stetig größer werdendes befreites Gebiet nahm Washington zum Anlass, im Frühjahr 1965 zur direkten militärischen Intervention im Süden und zum barbarischen Luftkrieg gegen den Norden überzugehen. Der Erfolg blieb ihm versagt, die Niederlage war unvermeidlich. Zeugnis davon legte das Pariser Friedensabkommen ab, das von den USA mit der DRV ausgehandelt werden musste und am 27. Januar 1973 unterzeichnet wurde.

Mit dem Abkommen zur Beendigung des Krieges und zur Wiederherstellung des Friedens in Vietnam war den USA völkerrechtlich verbindlich auferlegt, sich ganz und gar aus Vietnam zurückzuziehen und die vietnamesischen Seiten, so auch die inzwischen für die befreiten Gebiete proklamierte Republik Südvietnam (RSV) in eigener Verantwortung die Angelegenheiten des Landes regeln zu lassen. Doch sie machten sich in schamloser Weise des Völkerrechtsbruchs Nummer drei schuldig. In dem Glauben, auch ohne die einst bis zu 250.000 amerikanischen Soldaten Südvietnam als antikommunistische Bastion bewahren zu können, blieben sie - vielfach belegt - finanziell, materiell und, meist zivil getarnt, auch militärisch Stütze des Regimes. Dessen verzweifelte Versuche, mit rapide zunehmender militärischer Gewalt der RSV Gebiete entreißen und so seine Position im Landessüden festigen zu können, blieben nicht ohne Antwort. In immer größerer Zahl aus dem Norden entsandte Einheiten der Volksarmee und südvietnamesische Kämpfer, die gemeinsam unter dem Banner der Nationalen Befreiungsfront (FNL) Südvietnams operierten, fügten Saigons modernst ausgerüsteter Armee schwere Verluste zu. Spätestens im Laufe des Jahres 1974 erwies sich, dass diese mehr und mehr demoralisierte Armee trotz des amerikanischen Rückhalts den Befreiungsstreitkräften nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Tausende im Laufe der Kämpfe gefangen genommene Soldaten wurden von den Befreiungstruppen einfach nach Hause geschickt.

»Hurra! Frieden! Kein Tod mehr!

Als die Befreiungsstreitkräfte Ende April 1975 zum Sturm auf Saigon ansetzten, waren der ganze nördliche und mittlere Teil des Landessüdens wie auch schon ein Teil des südlichen Drittels in ihrer Hand. Am 29. April um 00:00 Uhr begann aus allen Richtungen der Angriff auf die letzten Verteidigungspositionen des Gegners im unmittelbaren Umfeld der größten Stadt Vietnams. Im Laufe jenes Tages und in der folgenden Nacht stießen die Befreiungstruppen in die Peripherie der Stadt vor. Als Panzerspitzen und Infanterieeinheiten schließlich in den Morgenstunden des 30. April aus allen Richtungen über die Hauptverkehrsadern in die Innenstadt einrückten, fiel kaum noch ein Schuss. Einwohner säumten an vielen Stellen die Straßen, berichteten Augenzeugen. Ihre Gesichter hätten oftmals eher Freude über das Ende von Krieg und Unterdrückung denn Furcht vor den Kommunisten widergespiegelt. Soldaten der Saigoner Armee traten auf den Bürgersteigen mit erhobenen Händen ihren bisherigen Feinden gegenüber. Vor einem großen Ausbildungslager inmitten der Stadt stürmten mehr als 20.000 Rekruten auf die Straße und warfen mit Rufen wie »Hurra! Frieden! Kein Tod mehr!« Waffen weg. Überall lagen Stahlhelme, Uniformstücke, Stiefel, Gewehre und Dokumente desertierter Soldaten.

»Saigon wurde befreit, nicht erobert oder besetzt«, schlussfolgerte Spiegel-Korrespondent Tiziano Terzani als Augenzeuge in einem von der vietnamesischen Presse wiedergegebenen Bericht. Er erlebte, wie Menschen Fahnen des alten Regimes zerrissen, auf Panzer kletterten und jubelnd Mannschaftswagen voller junger Soldaten eskortierten. Die Befreiungstruppen marschierten in eine Stadt mit nur einigen unbedeutenden Schäden und Zerstörungen ein. Ein paar Häuser hatten bei sporadischem Feuer Treffer abbekommen. Völlig unbeschadet hatten die Industriebetriebe und andere Einrichtungen des Wirtschaftssektors wie auch die Krankenhäuser das Ende der militärischen Auseinandersetzungen überstanden. Ohne Widerstand besetzten die Truppen das Telegrafenamt, den Sitz des Generalstabs der Armee, das Hauptquartier der Polizei, das Rathaus, Ministerien und alle anderen bedeutenden militärischen und zivilen Einrichtungen der Stadt. Die Stunde der Befreiung schlug am selben Tag auch für mehr als 7.000 politische Gefangene des Regimes im Saigoner Gefängnis Chi Hoa und Tausende in Gefängnissen der Umgebung der Stadt Eingekerkerte.

Um 9:30 Uhr durchstieß ein T-54, gefolgt von weiteren Panzern und Infanterie, das schmiedeeiserne Tor zum Präsidentensitz. Im Palast trafen die ersten Kämpfer in einem der Konferenzsäle auf nahezu die gesamte Spitze des ausgehebelten Regimes. Gemeinsam mit dessen amtierendem Staatschef General Duong Van Minh - Diktator General Nguyen Van Thieu hatte sich Tage zuvor in die USA abgesetzt - erwarteten dort Vizepräsident Nguyen Van Huyen, Regierungschef Vu Van Mau und zahlreiche Minister in Gegenwart ihrer Familien Beauftragte der Befreiungstruppen. Duong Van Minh hatte am 29. April zweimal über Radio Saigon die »Streitkräfte der Republik« aufgerufen, sich bedingungslos den Befreiungstruppen zu ergeben, und den gesamten Verwaltungsapparat von der lokalen bis zur zentralen Ebene für aufgelöst erklärt.

Am Morgen des 1. Mai präsentierte sich Saigon als die gewohnt pulsierende Großstadt. Alle Geschäfte hatten geöffnet. Überall waren Einwohner im Gespräch mit den jungen Soldaten der Befreiungstruppen. Die ganze Einwohnerschaft sei auf den Straßen gewesen, berichtete Terzani. Im Palast erwarteten an diesem Tag die führenden Repräsentanten des gestürzten Regimes Weisungen der neuen Behörden. Von einem Korrespondenten der vietnamesischen Armeezeitung befragt, warum er seine Truppen aufgerufen hatte, sich bedingungslos zu ergeben, antwortete General Duong von Minh: »Unsere militärischen Kräfte waren nicht mehr in der Lage, Widerstand zu leisten. Unter diesen Umständen war die bedingungslose Kapitulation die einzig mögliche Entscheidung.« Und weiter: »Weil wir Ihnen vertrauten, haben wir unsere Familien hierher gebracht, um auf Ihre Ankunft zu warten.« Regierungschef Vu Van Mau erinnerte an seine Herkunft aus einem Kreis nahe Hanoi und äußerte die Hoffnung, bald sein Heimatdorf aufsuchen und Studienfreunde der Juristischen Fakultät der Hanoier Universität wieder sehen zu können.

Um 17 Uhr saßen im Empfangssaal des Palastes Mitglieder der Militärischen Verwaltungskommission für die Stadt und Vertreter des Armeekommandos 16 Repräsentanten der einstigen Saigoner Administration gegenüber. Angeführt von Duong Van Minh, war fast die ganze Ministerriege zugegen. Ein Vertreter der Verwaltungskommission informierte über den Beschluss der RSV-Regierung, den Mitgliedern der alten Administration als freie Männer die Heimkehr zu ihren Familien zu erlauben. Er verband das mit der Hoffnung, dass sie entsprechend ihren Fähigkeiten zum Wiederaufbau des Landes beitragen werden. Danach versammelte man sich im Salon zum freimütigen Gespräch. Tage später wurde es dem Ex-»Staatschef« erlaubt, nach Hanoi zu fliegen, um seinen dort lebenden Bruder Duong Van Nhat zu besuchen.

Es gab keine Berichte in Saigon verbliebener Korrespondenten über massenweise Verhaf-tungen oder eventuelle Erschießungen. Der Austro-Amerikaner und bekennende Antikom-munist Joseph Buttinger, zeitweise Berater des Regimechefs in Saigon, attestierte in einem seiner Vietnam-Sachbücher: »Selbst ehemalige Offiziere und Regierungsbeamte wurden nicht verhaftet, sondern mussten sich nur melden und zu einer ›Umerziehung‹ bereit erklären, die bei untergeordneten Beamten und bei Offizieren niedrigen Dienstgrades darin bestand, dass man sie bloß ein paar Tage dort behielt und belehrte. Berichte aus Saigon vom Oktober 1975 besagen, dass hohe ehemalige Beamte und sogar Generale, die zwecks Umerziehung interniert waren, wieder zu ihren Familien zurückkehren dürfen.« Noch im April hatte US-Vizepräsident Nelson Rockefeller eine Mehrheit im Kongress in Washington, die sich der Bewilligung weiterer finanzieller Mittel für das Saigoner Regime widersetzte, mit den ungeheuerlichen Worten zu erpressen versucht: »Wenn die Kommunisten zur Macht kommen und eine Million Menschen umbringen, dann wissen wir, wer schuld ist.« Kommentar überflüssig.

Am 27. April 2015, 19 Uhr stellt Hellmut Kapfenberger in der jW-Ladengalerie sein Buch »Saigon ist frei! 30 Jahre Krieg und Vietnams Triumph.« vor, das im Wiljo Heinen Verlag erscheinen wird. Eintritt 5 €, ermäßigt 3 €. Um Anmeldung unter (030) 53635556 oder mm@jungewelt.de wird gebeten.

 

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