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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

27. Januar 1973 - Friedensabkommen für Vietnam unterzeichnet

Hellmut Kapfenberger, Berlin

 

Nach jahrelangen zähen Verhandlungen und mehrmaligen Versuchen der Administration in Washington, der Gegenseite mit massiver militärischer Gewalt Bedingungen zu diktieren, konnte am 27. Januar 1973 in Paris das Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam unterzeichnet werden. Die Außenminister der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) und der USA, Xuan Thuy und William P. Rogers, setzten ihre Namenszüge unter ein Dokument, das von den Gegnern der US-amerikanischen Krieges auf der indochinesischen Halbinsel sehnlichst erwartet worden war und von der demokratischen Weltöffentlichkeit leidenschaftlich begrüßt wurde. Ein zweites Exemplar signierten neben ihnen die legendäre Nguyen Thi Binh, Außenministerin der Provisorischen Revolutionären Regierung der 1969 für die damals bereits befreiten Gebiete im Landessüden proklamierten Republik Südvietnam (RSV), und der Außenminister des als Republik Vietnam firmierenden Saigoner Regimes, Tran Van Lam.

Dem Jahresanfang 1973 mit der Unterzeichnungszeremonie in einer Kongresshalle der französischen Hauptstadt unmittelbar vorausgegangen war, was sich allenfalls den politischen und militärischen Führungen in Washington und Hanoi als direkte Vorstufe eines Friedensschlusses dargestellt haben dürfte. "USA-Ausrottungs-Luftangriffe" - "Überraschungsangriff" - "Strategischer Blitzkrieg" - so benannte die DRV, was am 18. Dezember 1972 begonnen hat und am 29. Dezember endete. In einer amtlichen Hanoier Bilanz war seinerzeit zu lesen: "Die Nixon-Administration hat in der Nacht zum 19. Dezember den Luftkrieg gegen die Provinzen, Städte und Ortschaften nördlich des 20. Breitengrades in großem Maßstab und mit einer in der ganzen Geschichte der amerikanischen Aggression gegen Vietnam nicht gekannten Grausamkeit wieder aufgenommen."

Nördlich des 20. Breitengrades - das waren etwa zwei Drittel Nordvietnams von Thanh Hoa etwa 100 Kilometer südlich der Hauptstadt bis zur chinesischen Grenze. Der Süden Nordvietnams als das Hinterland der in Südvietnam unter dem Banner der Nationalen Befreiungsfront (FNL) kämpfenden Truppen hatte bis dahin ohnehin bereits nahezu permanent im Bombenhagel gelegen. In jenen zwölf Tagen und Nächten im Dezember tobten sich nach vietnamesischen Angaben 140 achtstrahlige B-52-Bomber des Strategischen Luftkommandos (SAC) der USA, 30 modernste F-111-Kampfflugzeuge und bis zu 700 trägergestützte Jagdbomber über ganz Nordvietnam aus. Über 100.000 Tonnen Bomben richteten auch in Hanoi gewaltige Schäden an. Allein die Hauptstadt meldete 2.579 tote und 1.318 verletzte Zivilpersonen. Die Hafenstadt Haiphong lag in Teilen in Trümmern. Warum diese Barbarei zu diesem Zeitpunkt?

Präsident Lyndon B. Johnson, auf dessen Befehl hin im August 1964 nach dem von der USA-Marine inszenierten sogenannten "Zwischenfall im Golf von Tonkin" die Kriegshandlungen gegen ganz Nordvietnam aus der Luft und von See her begonnen hatten, ordnete Ende März 1968 nach Verhandlungssignalen beider Seiten die Einstellung der Angriffe auf die Gebiete nördlich des 20. Breitengrades an. Anlass für seinen Schritt waren ausbleibende durchschlagende Erfolge auf dem südvietnamesischen Schlachtfeld, unüberhörbarer Protest gegen den amerikanischen Aggressionskrieg in der ganzen Welt und den USA selbst wie auch in jenem Jahr anstehende Präsidentschaftswahlen. Im Mai 1968 aufgenommene, dann in offizielle Verhandlungen übergegangene vorbereitende Gespräche zwischen beiden Seiten bewirkten schließlich einen von Johnson verkündeten gänzlichen Bombardierungsstopp ab November 1968. Unter seinem Nachfolger Richard Nixon kam es zu einigen Jahren erbitterten Pokerns auf dem Kriegsschauplatz in Süd und Nord, am Verhandlungstisch, in inoffiziellen Gesprächen, auf internationalem Parkett, in der Propaganda. Bis Herbst 1971 gab es wieder Aufklärungsflüge über dem ganzen Territorium Nordvietnams, flogen Jagdbomber sporadisch erneut Attacken bis in die weitere Umgebung Hanois. Dann kehrte im Norden abermals Ruhe ein.

Spätestens Ende 1971 ließ ein Patt in der militärischen Auseinandersetzung klar werden, dass nur ein Kompromiss zwischen Maximalforderungen beider Seiten dem Krieg ein Ende setzen konnte. In den ersten Monaten 1972 nahm, wie zu vernehmen war, hinter verschlossenen Türen in Paris ein Friedensschluss erste Konturen an. In dieser Situation fielen - vermutlich auch für die DRV-Führung überraschend - B-52 erstmals über das Herzstück Nordvietnams her, legten die Stratofortress mit ihren Bombenteppichen in der Nacht zum 16. April ganze Viertel Haiphongs in Trümmer. Offenkundig wollte Washington fundamentale Zugeständnisse der DRV erpressen und mehr retten, als es bei einem Friedenskompromiss zu retten imstande war. Fortan lag bis zum Herbst der ganze Norden wieder unter Bomben. Am 8. Mai ließ Nixon die Häfen, Flussmündungen und Küstengewässer Nordvietnams aus der Luft verminen.

In Paris wurde mit gelegentlicher Unterbrechung weiterverhandelt. Anfang Oktober konstatierte die DRV-Führung "rasche Fortschritte" am Beratungstisch. Nennenswerte Zugeständnisse der DRV gegenüber dem Stand vom Jahresanfang habe es nicht gegeben, war zu hören. Am 11. Oktober erzielte man prinzipielle Einigung über den Inhalt eines umfassenden Friedensabkommens. Ab dem 22. Oktober herrschte wiederum Ruhe an Nordvietnams Himmel. Am selben Tag sollte das Abkommen paraphiert werden, die Unterzeichnung durch die Außenminister wurde für den 30. Oktober vereinbart. Dazu kam es nicht. Saigons Administration, Juniorpartner der USA bei den Verhandlungen, lief Sturm, hieß es. Ob für Washington böse Überraschung oder willkommener Vorwand, sollten Archive zuverlässig beantworten. Nixon stellte jedenfalls das Abkommen in Gänze wieder in Frage und verlangte ultimativ Neuverhandlung. Die DRV lehnte das ab, doch Kontakte gingen weiter.

Tatsächlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel folgten jene zwölf Tage und Nächte im Dezember. Damit war eines klar: Mit einer der letztmöglichen Stufen der Kriegseskalation, dem erstmaligen Einsatz der strategischen Bomber gegen das Herz Nordvietnams, suchte Nixon im Interesse Saigons und somit der eigenen Positionen im Süden gravierende Korrekturen am Friedensabkommen zu erzwingen. Den Einsatz der SAC-Kräfte gegen Vietnams Hauptstadt hätten, darin waren sich Beobachter einig, nur noch ein Angriff auf Nordvietnam zu Lande oder ein Kernwaffenschlag übertreffen können. Beides war in Washington durchaus schon Gegenstand von Überlegungen politischer und militärischer "Falken" gewesen.

Am 8. Januar 1973 kamen die Chefunterhändler beider Seiten in Paris wieder zusammen. Am Tag danach wurde definitiv Einigung auf einen Abkommenstext erzielt, wie er im Oktober nahezu wortgleich bereits vorgelegen hatte. Nixon ordnete am 15. Januar die neuerliche Einstellung aller Kriegshandlungen gegen Nordvietnam an. Am 23. Januar paraphierten Le Duc Tho und Henry Kissinger in Paris das Abkommen, vier Tage danach griffen die beiden Außenminister zum Füllhalter. Der Wahnsinn vom Dezember hatte lediglich diesen Unterzeichnungsakt und in der Folge das Ende der offenen militärischen Präsenz der USA in Vietnam um drei Monate verzögert. Zu welchem Preis! In Nordvietnam vielerorts gewaltige neue Zerstörungen, tausende Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung. Die USA zahlten nach vietnamesischen Angaben mit 81 Flugzeugen, darunter 34 B-52. Die weltweite Protestbewegung gegen den Vietnam-Krieg feierte das Abkommen als Sieg über politischen und militärischen Wahnwitz einer imperialistischen Großmacht.

Das neun Kapitel mit 23 Artikeln umfassende Abkommen besagte in Kapitel I: "Die Vereinigten Staaten … respektieren die Unabhängigkeit, Souveränität, Einheit und territoriale Integrität Vietnams, wie sie in den Genfer Abkommen über Vietnam von 1954 anerkannt wurden." Damit war das 1955 unter Bruch jener Abkommen von den USA in Südvietnam installierte Separatregime im Prinzip delegitimiert, sah sich die 1945 proklamierte, nach Genf quasi um die Hälfte ihres Territoriums beraubte DRV im Nachhinein in ihrem nie geleugneten Willen bestätigt, mit allen Mitteln - auch mit dem Einsatz ihrer Volksarmee im Süden - für die Durchsetzung ihrer Grundrechte zu kämpfen. Für den weiteren Lauf der Dinge bis 1975 war das aus völkerrechtlicher Sicht von grundlegender Bedeutung.

Mit dem Inkrafttreten des Abkommens und von vier begleitenden, Details regelnden Protokollen am Unterzeichnungstag um 24 Uhr GMT hatten entsprechend Kapitel II in Südvietnam die Waffen zu schweigen. Die USA hatten zeitgleich alle militärischen Aktivitäten gegen Nordvietnam einzustellen und waren verpflichtet, die Minen zu räumen. Binnen 60 Tagen hatte sämtliches Militärpersonal der USA und ihrer ausländischen Verbündeten mitsamt allem Kriegsmaterial aus Südvietnam abzuziehen, waren alle ausländischen Militärstützpunkte im Süden aufzulösen. Kapitel III regelte die gegenseitige Übergabe der militärischen und zivilen Gefangenen parallel zum Truppenabzug. Die Kapitel IV und V waren den Modalitäten zur Regelung der innervietnamesischen Angelegenheiten mit dem Ziel der Wiedervereinigung "Schritt für Schritt mit friedlichen Mitteln" gewidmet. Als Bestimmung bis zur Wiedervereinigung hieß es ausdrücklich: "Die militärische Demarkationslinie zwischen beiden Zonen am 17. Breitengrad ist nur provisorisch und keine politische oder territoriale Grenze …"

In Kapitel VI war die sofortige Bildung dreier militärischer Kontrollorganismen vereinbart: einer Vierseitigen gemeinsamen Militärkommission (der vier Abkommensunterzeichner), einer (zweiseitigen gemeinsamen) Militärkommission beider südvietnamesischer Seiten sowie einer Internationalen Kontroll- und Überwachungskommission (IKÜK) aus militärischen Vertretern Kanadas, Ungarns, Indonesiens und Polens. Kapitel VII galt Friedensregelungen in Kambodscha und Laos, Kapitel VIII dem Verhältnis zwischen DRV und USA. Darin verpflichteten sich die USA, "zur Heilung der Wunden des Krieges und zum Nachkriegsaufbau in der Demokratischen Republik Vietnam und in ganz Indochina" beizutragen. Dieser Verpflichtung ist Washington nie nachgekommen.

Von einem historischen Tag war am 27. Januar, einem normalen Arbeits-Sonnabend, in Hanoi nichts zu spüren. Am Sonntag aber präsentierte sich die Metropole in einem über Nacht angelegten Festkleid. Zur abendlichen Großkundgebung zogen "20.000 Vertreter der fast 300.000 Werktätigen Hanois", wie es dann in den Medien hieß, unter einem Wald von Transparenten, Fahnen und Ho-Chi-Minh-Porträts im Zentrum auf. Freude und Stolz gaben das Gepräge. Natürlich war mehr von Sieg als von Opfern, Leid und Trauer die Rede, wurde die politische und moralische Niederlage der USA auch als militärische gewertet. Allen Versammelten dürfte aber klar gewesen sein, dass nach diesem teuer erkämpften Anfang noch ein langer steiniger Weg zu einem friedvollen und im Geiste der Unabhängigkeitserklärung von 1945 wieder vereinigten Vietnam zurückzulegen sein werde. An die Notwendigkeit einer Frühjahrsoffensive 1975 zur endgültigen Erlangung von Frieden und Einheit dachte wohl niemand. Die Wunden des Krieges heilen und das Land aufbauen, wurde als vorrangige Aufgabe formuliert. Die Versicherung, die Abmachungen von Paris strikt zu respektieren, war verbunden mit dem Verlangen nach gleichem Tun der anderen Seite.

Gestützt von den USA, ließ das Saigoner Regime aber in Wort und Tat vom ersten Tag an keinen Zweifel an seiner rigorosen Ablehnung des Abkommens. Gleich einsetzende militärische Offensiven gegen befreite Gebiete verbanden sich mit anhaltendem Terror gegen patriotische Kräfte in Südvietnam und der Weigerung, die aus den Kapiteln IV und V resultierenden Pflichten zu erfüllen. Die USA selbst unterliefen neben vielem anderen die Bestimmungen von Kapitel II, überließen der Saigoner Armee Militärbasen und Kriegsmaterial und zogen ihr Militärpersonal nicht wie vereinbart ab. Mitte 1974 befanden sich rund 25.000 Militärangehörige der USA in Zivil oder pro forma Demobilisierte unter Pentagon-Vertrag als Berater in Südvietnam. Einstige militärische Stäbe und Kommandos der USA blieben bestehen und wurden lediglich umbenannt. Saigons Armee wurde unter Bruch des Abkommens massiv aufgerüstet. Es war nur logisch, dass die DRV diesem Treiben nicht tatenlos zuzusehen bereit war. Anfängliche örtliche oder regionale Gegenwehr mündete in jene großangelegte Frühjahrsoffensive 1975 und die Befreiung Saigons am 30. April. Die Niederlage der USA war endgültig besiegelt.