Vier Tischbeine der USA-Politik
Victor Grossman, Berlin
»Überschwemmungen in Missouri!« – »Tornados in Texas!« – »Große Waldbrände verwüsten Nord-Arizona«! Daran – irgendwie – sind bestimmt wieder die verdammten Russen schuld!
Nein, das sagen nicht viele – noch nicht. An Etlichem seien sie aber doch schuld, wie an Donald Trump und sonstigen Plagen. »The Russians did it!« Diese Tendenz nahm eine alarmierende neue Spitze, als nur zwei von 100 Senatoren und drei von 435 Repräsentanten den Mut fanden, gegen eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland (und Iran und Nordkorea) zu stimmen. Die Weltuhr der Kriegsgefahr tickte wieder schneller!
Politiker und Leitartikler deklamieren schon wie in alten Zeiten vom »Gegner« oder »Feind«. Die zeitweilige Chefin der Demokratischen Partei, Donna Bazile, scheinbar konfus aber gar nicht ohne Absicht, warnte, »jetzt diktieren die Kommunisten die Debattenlinien«. Sie meinte damit Russland!
Gewiss, arabische oder muslimische Terroristen müsse man auch fürchten. Doch schließlich sind der König von Saudi-Arabien und Sisi in Ägypten muslimische Araber und gute Freunde. Da sucht man sich gern den alten Erzfeind hinzu, und bei manchen Demos sieht man karikierende Plakate mit kyrillischen Buchstaben, Hammer und Sichel und dem drohenden Antlitz von Wladimir Putin. Wenn der nur einen großen Schnurrbart trüge, könnte man sich wirklich um siebzig Jahre zurückversetzt denken!
Wer mischt dort mit? Die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses haben jetzt die Republikaner. Etwa wie die CSU-CDU. Ihr Hauptanliegen seit über hundert Jahren ist es, maximale Vorteile und minimale Steuern für die Reichen durchzusetzen, damit sie mehr Schlösser bauen und noch dickere Konten etwa auf den Cayman-Inseln oder in Liechtenstein aufhäufen können. Das verlangt die Kürzung aller Sozialprogramme für Arme, Kranke, Alte, Junge, benachteiligte Gruppen aller Farben und Ursprünge – und die Schwächung oder Vernichtung von deren Verteidigern, vor allem der Reste einer einst starken Gewerkschaftsbewegung. Solche Republikaner herrschten in den Amtszeiten von Reagan, Nixon und den beiden Bushs, und sie wollen weiter herrschen.
Sie erblicken aber eine Zunahme der Gruppen, die sich dagegen einsetzen können, vor allem der schwarzen Amerikaner und der Latinos, viele Frauen, besonders Alleinstehende, auch die Ureinwohner des Landes und immer mehr Jugendliche, wovon fast die Hälfte sich gegen den Kapitalismus, ja für den Sozialismus äußern.
Daher verwenden sie jeden Trick, um dennoch oben zu bleiben. Wichtig ist die geschickte Festlegung der Wahlbezirke zugunsten konservativer, ländlicher Wählergruppen. Auch die Forderung nach bildlicher Identifizierung der Wähler, oft kompliziert und teuer in einem Land ohne Personalausweise, gehört dazu. In manchen Staaten fordert man den Ausschluss von Verurteilten, auch wenn sie die Strafen längst abgesessen haben (Im Justizsystem sind das vorwiegend ärmere und farbige Menschen), die Einschränkung von Wahlzeiten (denn Wahltag ist immer dienstags, meist ohne einen Feiertag) und schließlich die schlüpfrige Kontrolle der elektronischen Wahlgeräte, die ja in den modernen USA das einfache Ankreuzen mit Bleistift ersetzen. Damit hoffen sie, ihre Herrschaft und ihre Ziele auch über 2018 und 2020 hinaus zu erreichen. Im Moment ist ein Hauptziel das Abschaffen des ärztlichen Versicherungsgesetzes von Obama, das zwar begrenzt ist, aber dennoch vielen einen Schutz bietet.
Als Ziel die Welt
Außenpolitisch wollen sie die gesamte Welt mit dem »American Way of Life« noch weiter segnen, also mit den fettesten McDonald's-Whoppern, den zuckerreichsten Cola-Getränken – und dafür den teuersten Diabetes-Arzneimitteln. Auch mit den mörderischsten Raketenwerfern, Drohnen oder Flugzeugträgern und, als Verschönerung, der geschicktesten Medienwirkung, mit Disney und Murdock, mit Facebook und Twitter. Um das zu erreichen und zu festigen, wird keine Regierung geduldet, die sich dagegen wehrt. Daher müssen die letzten Glieder im Ring um Russland geschlossen werden, von Norwegen und Grönland bis Georgien und Aserbaidschan, womöglich auch mit Sewastopol und dem letzten Uferstück am Schwarzen Meer. Manche träumen schon von einer Zugabe der blutigen Maidan-Platz-Inszenierung auf dem Roten Platz in Moskau.
Als feste Opponentin gilt die Demokratische Partei. Schon seit der Amtszeit von Franklin Roosevelt 1933-1945 galt sie als die fortschrittlichere Partei, näher den Gewerkschaften, liiert mit den Afroamerikanern, für die ärmeren Amerikaner gegen die ganz Reichen. Manche glauben noch heute dran. In der Tat, ist sie, der SPD ähnlich, mit etlichen Gewerkschaftsführern verbunden und von den meisten schwarzen Amerikanern unterstützt, schon wegen des erstaunlichen Siegs von Barack Obama 2008 und 2012. Die Demokraten waren nicht so sichtbar für die Milliardäre engagiert; sie verhinderten manche Kürzungen auf der sozialen Ebene und werden deshalb, auch weil sie als »kleineres Übel« galten, von vielen liberal denkenden, auch fortschrittlichen Amerikanern unterstützt. Es gibt unter ihren Repräsentanten einige echt Fortschrittliche.
Eine fatale Nabelschnur
Doch ist ihre Nabelschnur zu den Großmonopolen, vor allem zu Großbanken, nie durchschnitten worden, gerade nicht vom großen Hoffnungsträger Obama. Außenpolitisch ließ er Kriege in Irak und Afghanistan weiter brennen, in Libyen bomben, schickte mengenweise Waffen, Berater, und immer mehr Drohnen in ein Land nach dem anderen, und bestrafte keinen der Folterknechte der Bush-Zeit. Nur mit Hilfe des geschickten Taktierens von Putin ließ er sich in Syrien und mit dem Iran-Vertrag vor der eigenen harten Linie retten.
Hillary Clinton, als Senatorin, Außenministerin, Kandidatin und nun mit ihrem Mann als wichtige Stimme in der Demokratischen Partei, stand fast unentwegt rechts – gewaltvoll rechts – von Obama. Und das ist heute die Linie der Demokratischen Partei, die die provokative Weltpolitik der Republikaner energisch mitmacht, ja zuweilen übertrumpft. Gewiss, etliche Abgeordnete blieben der Abstimmung fern, doch kein einziger Demokrat erhob die Stimme oder die Hand gegen die verschärften Sanktionen gegen Russland. (Sanders, der das mutig tat, gehört ja nicht dieser Partei an.) Wie beim Koreakrieg, beim Vietnamkrieg, den Attacken gegen Kuba und sonst fast überall gab es eine gemeinsame Front, und Unterschiede zwischen den beiden Parteien in der Ausweitung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Kraft der USA sind kaum wahrnehmbar.
Das dritte Tischbein
Doch ein Tisch hat vier Beine. Das dritte, unübersehbar, heißt Donald Trump. Die konservativen Republikaner liebten ihn nie; er ist ungehobelt, eigenwillig, unberechenbar und gehörte nicht zum alten Team. Dennoch hat er viele überrascht und die Wahlen gewonnen, und manchen im Kongress damit zum Wahlsieg verholfen, »auf seinen Rockschößen« wie es heißt. In den meisten Fragen zeigte er sich schnell bereit, trotz aller Versprechen an die Wähler, mit dem gutgeschmierten Programm der Republikaner weiterzumachen, zugunsten des einen Prozents, zu dem er gehört.
Doch in einer Frage zeigte er sich eigensinnig. Aus welchen Gründen auch immer – womöglich aus einfachen Geschäftsgründen – suchte er eine Verständigung mit Putin und Russland. In der Nordkorea-, Syrien-, Iran-, Palästina-, auch der NATO-Frage schaukelte, ja, taumelte er hin und her und machte den Eindruck, dass er, was die Außenwelt betraf, nur eins begriff: Hotels. Aber mit Putin redete er, auch in Hamburg. Nach den Zielen fast aller Republikaner und Demokraten war gerade das tabu!
Trump absetzen?
Zu den Beziehungen zwischen dem Trump-Team und den Russen im Wahlkampf gibt es so viele Behauptungen, Verwicklungen, Vermutungen und Lügen, dass sie kaum zu entwirren sind. Das ist aber Zweck der Sache. Weil Trump, trotz allen Drucks, in der dringendsten, bewegendsten Frage der Welt, Krieg oder Frieden, bereit schien, sein Land ein Stückchen weg vom Abgrund zu bewegen, sind die Clinton-Demokraten und jene aus der eigenen Partei, die ihn nie mochten, zum Angriff bereit – gegen ihn, im Grunde wegen der einzigen Frage, wo er kein Monster ist, sondern eine Spur von Vernunft andeutet. Sie wollen keine Annäherung, keine Verständigung mit Russland! Auf keinen Fall!
Viele möchten ihn loswerden. Dazu verlangt die Verfassung, dass eine Mehrheit der Repräsentanten ihn anklagt, kaum möglich, denn die Mehrheit stammt ja von seiner Partei. Auch wenn das gelänge, müsste eine Zweidrittelmehrheit des Senats ihn wie vor Gericht verurteilen und absetzen. Nur zwei Präsidenten sind je damit konfrontiert worden – und wurden nicht verurteilt: Andrew Johnson 1865 dank einer Stimme, William Clinton 1998 noch viel günstiger. Nixon entkam dem Ganzen, indem er vorzeitig zurücktrat. Würde Trump aber doch abgesetzt, der Nachfolger Michael Pence ist zwar klüger und berechenbarer – aber fanatisch rechts.
Wege zur Einigung
Das vierte Tischbein ist nun das wichtigste. Bernie Sanders, im Senat als Unabhängiger, ist immer noch ein Symbol und ein Bannerträger gegen die reaktionäre Welle, welche die USA bedroht. Er steht wirklich für die Maßnahmen, wonach sich Millionen sehnen – und manche, die von Clinton angewidert in falscher Hoffnung für Trump stimmten und nach und nach ihren Fehler bemerken könnten. Es besteht auch die Hoffnung, dass die schwierige Aufgabe zu meistern wäre, viele kämpferische Gruppen und Organisationen, die eine neue Richtung suchen, hinter Sanders oder in einer neuen von ihm inspirierten Bewegung zu einigen. Eine – sie nennt sich »Unsere Revolution« – besteht schon. Kann man dafür Black Lives Matter (»Schwarze Leben zählen«) gewinnen – die Bewegung vor allem junger Schwarzer, die gegen die Brutalität der Polizei und der Justiz aktiv wird? Und die, welche die ärmsten Walmart- und McDonald's-Angestellten für einen 15-Dollar-Mindestlohn organisiert? Auch jene geeinten Ureinwohner, die gegen das Verseuchen des Landes mit giftigen Pipelines kämpfen, und solche, die sich gegen ein Privatisieren der Schulen, der Gefängnisse, auch der öffentlichen Wälder, Berge und Prärien einsetzen? Und die Frauen, die um das Entscheidungsrecht für die eigenen Körper ringen, sowie die kämpferische Gewerkschaft der Krankenschwestern?
Eine Frage trennt noch viele. Soll das dringende Zueinanderfinden darauf zielen, die Demokratische Partei von unten aufwärts umzuändern, denn sie hat noch die Anhängerschaft – wenn auch zur Zeit weniger begeistert – und noch Millionen von Wählern? Oder soll es sich stattdessen auf den schwierigen, gewagten Weg begeben, eine linke Partei zu bilden – und so das zweifache Korsett der US-Politik endlich zu durchbrechen? Einige kleine Ansätze gibt es schon. Sollen sie vielleicht auf beiden Wegen voranzukommen versuchen – um zu sehen, welcher eher gedeiht?
Ganz gleich, auf welchen Wegen eine neue Bewegung sich formieren kann, eine dringende Bedingung stellt die Weltlage: die Richtung der Clintons, leider auch Obamas und vieler reicher Apparatschiks, weiterhin auf Expansion zu setzen, die Konfrontation zu riskieren, Waffen zu vermehren und gestiefelte Einsätze – das bringt Dividende, aber keine Verbesserung für die Menschen. Mit ihrem Putin-Hass, so wie in früheren Zeiten, lenken sie nur von den echten Zielen ab und versuchen, die Reihen zu spalten. Das erklärt die jetzigen Manöver in Washington. Auf solche Irrwege – auch hier in Deutschland – dürfen sich Fortschrittliche nicht verführen lassen. Die Gefahren sind groß!
27. Juli 2017
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