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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Wer wird bei den USA-Wahlen kandidieren?

Victor Grossman, Berlin

 

Wichtige, schwierige Entscheidungen

Im Herbst bekomme ich aus New York einen Brief mit Wahlzettel und Anweisungen (auf Englisch, Spanisch und Chinesisch), wie ich per Post abstimmen kann. Welches Kreischen soll ich ankreuzeln?

Heute steht die Auswahl noch nicht fest: erst bei bunten, lauten Kongressen im Sommer werden die großen Parteien, Demokraten wie Republikaner, je einen Mann oder eine Frau in den Kampf ums Weiße Haus losschicken, gemeinsam mit jemandem für eine Nebenrolle als »Vize«. Wenn Sie diese Worte lesen, wird man schon etwas klüger sein; es kommen die ersten wichtigen Entscheidungen über Delegierte in den Staaten Iowa, New Hampshire, Nevada und Südkarolina und dann das Gros im März. In jedem Staat sind die Regeln verschieden. Zwei Überraschungskandidaten sind auch ganz verschieden: Trump und Sanders.

Wie bei Sarrazin

Donald Trump, bei den Republikanern führend, fällt zuerst mit dem nach vorn gebürsteten Haarschopf auf, ob echt oder nicht ist unsicher. Ganz sicher ist dafür sein Immobilienbesitz: imposante Luxuswohntürme an eleganten Orten, Golfplätze, das Taj Mahal Casino (Baukosten 1 Milliarde, mit 2.000 Spielräumen und Striptänzerinnen), dagegen ein Kinder-Karussell in New Yorks Central Park. Mit seinen Milliarden prahlt er unaufhörlich, besonders wenn Kameras surren. Dabei, ja bei jedem Auftritt, zieht er eigenartige Grimassen. Jahrelang führte er einen Fernsehwettbewerb durch, wo er den Aspiranten für seine Unternehmen, zu einem nach dem anderen, »Sie sind entlassen!« sagte, bis ein Glücklicher übrigblieb. Pro Episode bekam er 3 Millionen. Regierungsämter hatte er nie; seine Geschäftserfahrung genügt fürs Weiße Haus. »Meine Schönheit liegt daran, dass ich sehr reich bin.«

Seine politischen Ansichten, gelegentlich populistisch-linkisch, auch extrem rechts, ändert er bei jeder Gelegenheit. Er liebt es am meisten, Gegner zu beleidigen, etwa: »Sie sind ein Verlierer!« Doch bieten manche Sprüche einen Einblick. Wie manche auch in Deutschland sät er Hass gegen »die anderen«, gegen in den USA schikanierte mexikanische Immigranten, welche die mieseste Schufterei für die niedrigsten Löhne verrichten. Trump meint: »Sie bringen Drogen her, sie bringen Kriminalität, sie sind Vergewaltiger«, und er werde gegen sie »eine große Mauer bauen, und man glaube mir, keiner baut Mauern besser als ich; ich werde billig bauen, aber Mexiko zwingen, sie zu bezahlen.«

Zu Umweltfragen hatte er einen Witz parat: »Es friert und schneit in New York; wir brauchen globale Erwärmung.«

Trump ist hart gegen Muslime, möchte keine reinlassen, viele Moscheen schließen, und für alle, die schon da sind, ein Melderegister einführen, ein Schritt, der manche an gelbe Sterne erinnert.

Wenn er über Frauen spricht, fragt man sich, ob er psychische Probleme hat. Als Hillary Clinton nach einer Pause wohl vom Klo auf die Bühne kam und sich zwei Minuten verspätete, sagte er: »Ja, das ist ekelhaft, wirklich ekelhaft!« Am notorischsten: nachdem eine Journalistin ihn ärgerte, hieß es: »Da kommt sie raus und beginnt, mir allerlei dumme Fragen zu stellen - dabei sieht man … dass Blut aus ihren Augen kommt, Blut aus woher auch immer!« Und Trump entschuldigt sich grundsätzlich nie.

Ob beschränkt, krank, auch lachhaft, Trump ist beängstigend. Durch sein Vermögen »von den Banken unabhängig« will er »Amerika wieder groß machen«! Demagogisch spricht er jenen Teil des weißen Mittelstandes an, der durch die Murdock-Medien in Angst versetzt wird, die Ursache ihrer wachsenden Sorgen seien »Regierungsgeschenke an die Faulen«, womit Schwarze und Latinos gemeint sind. »Er ist ja mutig, so etwas laut zu sagen!« Wie bei Sarrazin!

Solche Taktiken mögen bei Vorwahlen wirken, wo meist nur sehr überzeugte oder fanatische Republikaner abstimmen. Wer im November gewinnen will, muss auch Wechselwähler überzeugen. Und wenn sich die Republikaner kaum Stimmen der Schwarzen erhoffen, dann brauchen sie welche von den immer zahlreicher wählenden Latinos. Für Trump stimmen sie kaum! Eine große Niederlage mit Trump bereitet manchen in dieser alten, rechts-stehenden Partei große Sorgen.

Mehrere möchten gern Trumps führende Stelle übernehmen. Die einstige Hoffnung, Jeb Bush, spielt kaum mehr eine Rolle. Trump am nächsten liegt Senator Ted Cruz aus Texas. Da er in Kanada geboren wurde, mit kubanischem Vater und USA-Mutter, meinen manche (wie Trump), er sei nicht wählbar. Das ist umstritten. Unumstritten ist, dass er zwar glatter, doch politisch noch schlechter als Trump ist. Er kann gewiss Latinos gewinnen, wie Tea-Party-Reaktionäre und Jesu-Fundamentalisten, denen er nahe steht. Für ISIS hat er ein Rezept: »Wir schicken sie durch Teppich-Bomben ins Nichts. Ich weiß nicht, ob Sand in der Dunkelheit glüht; das werden wir feststellen.« Er ist gegen den Mindestlohn, gegen Abtreibung, gegen allgemeine Krankenversicherung, gegen Homo-Ehen, gegen Verträge mit Kuba und Iran - doch für die Todesstrafe. Im Senat, heißt es, sei er schon nach zwei Jahren von allen verhasst.

Die anderen Republikaner unterscheiden sich kaum voneinander. Alle wollen weniger Steuern für die Superreichen, weniger Hilfe für die Armen, schärfere Kontrollen über das Leben der Amerikaner. Sie bauen auf Furcht vor ISIS und vor allen Muslimen und Farbigen.

Bernies fortschrittliches Engagement

Bei den Demokraten geht es noch sehr spannend zu. Bis zum Sommer galt Hillary Clinton schon als Siegerin. Der allen bekannte Name als First Lady, Senatorin und Außenministerin, Unmengen an Geld für die Wahlkampagne, die Beliebtheit ihres Mannes gerade unter schwarzen Amerikanern und die Hoffnung vieler Frauen, endlich eine Präsidentin zu haben, machten ihre Position scheinbar eisern.

Dann kam ein älterer Herr (Jg. 1941) mit unfolgsamen weißen Haaren aus dem abgelegenen Vermont, der sogar wagte, sich »demokratischer Sozialist« zu nennen und Hillary Clinton um die Kandidatur herausforderte. Lange haben die Medien Bernard Sanders ignoriert, kurz erwähnt oder belacht. Doch bald strömten Hunderte zu seinen Kundgebungen, dann Tausende, in Texas 13.000, in Los Angeles 27.000 - nur um »Bernie« zu hören. Punkt um Punkt stieg er in den Umfragen; während ich schreibe, scheint es möglich, dass er Clintons Rang in Iowa nahekommt oder gar überrundet. In New Hampshire scheint das fast sicher.

Sanders Vater kam aus Polen; seine Eltern starben im Holocaust. Die Familie wohnte in einem armen jüdischen Viertel von New York; Bernie behält bis heute Spuren vom Brooklyn-Dialekt. Nach dem Studium und einigen Jahren in einem Kibbuz in Israel zog er ins konservative Vermont, wo es fast keine Schwarzen oder Latinos gab und Juden so gut wie unbekannt waren. Nach einigen Jahren als Zimmermann, Autor und Lokalaktivist wurde er 1981 mit einer Mehrheit von nur zwölf Stimmen Bürgermeister von Vermonts größter Stadt, Burlington, und bald der Liebling der Stadt, die er sehr verbessern konnte; das Seeufer rettete er vor teurer, eleganter Hochhausverbauung und ließ dafür einen herrlichen Park mit Uferpromenade schaffen. Mehrmals wiedergewählt, wurde er dann siebenmal Vermonts Abgeordneter in Washington, dann zweimal Senator, der erste der USA-Geschichte, der als Sozialist kandidierte.

In Washington setzte er sich für die Rechte der Arbeiter, der Ärmeren, der Schwarzen und der Frauen ein, stimmte gegen den Krieg in Iran (anders als Vizepräsident Biden, Außenminister Kerry - und Hillary Clinton). Er war einer der fortschrittlichsten und aktivsten in beiden Kammern. Um diese Politik fortzusetzen, und weil er es hoffnungslos fand, als Unabhängiger (oder gar Sozialist) zu kandidieren, beschloss er, es als Demokrat zu versuchen. Er meinte: »Wir haben eine manipulierte Wirtschaft … Wir haben ein korruptes Wahlfinanzsystem wo Millionäre und Milliardäre außerordentliche Mengen Geld ausgeben, um Wahlen zu erkaufen. In dieser Kampagne geht es um eine politische Revolution, nicht nur um einen Präsidenten zu wählen, sondern um das Land zu transformieren.«

Sanders fordert staatliche ärztliche Versicherung für alle, einen Stundenlohn von mindestens 15 Dollar, unentgeltliches Studium, die Reform eines Strafrechts, das marodierende Bankchefs straflos lässt, aber über zwei Millionen meist Schwarze, Latinos und Arme hinter Gitter sperrt. Er fordert höhere Steuern für Millionäre und Milliardäre, um die riesige Lücke zwischen obszön Reichen und voll Arbeitenden, doch völlig Armen, zu verengen, mit Gesetzen gegen die Allmacht der Riesenbanken und des oberen Ein-Prozents. Zwar bestreiten manche, dass das als demokratischer Sozialismus zu bezeichnen sei, doch denen, die ihn hören, ist klar, dass »Bernie« zutiefst ehrlich und für sie engagiert ist. Deshalb lieben ihn so viele, auch solche, die noch nie einen linken Gedanken hatten.

Bei Hillary Clinton merkt man das nicht so. Sie ist eine kluge, geschickte Rednerin und Taktikerin und hat einige von Bernies Schwächen herausgesucht; etwa, weil er in seinem Bundesstaat, wo die Mehrzahl Farmer sind, die gern Truthahn, Elch und Bär jagen, nie stark für Waffenkontrolle war. Jetzt musste er versprechen, seine Ansichten darüber zumindest zu modifizieren. Sie versucht, seine Position zur Krankenversicherung als unrealistisch darzustellen - und schickte ihre Tochter Chelsea als junge Mutter aus, um damit Bernie emotional, aber bewusst irreführend zu attackieren. Doch wie schon oft: das brachte nur noch mehr Geldspenden für Bernie.

Außenpolitisch vage

Seine Kampagne lebt von kleinen Spenden; er nimmt nichts von Korporationen. Und obwohl Clinton sich durch ihn gezwungen sah, mehr links zu reden, endlich etwa gegen TPP (wie TTIP für die Pazifikregion), das viele Geld in ihren Wahlkampfkoffern verrät sie: die größten Spender sind Banken: Citigroup, JPMorgan Chase, Morgan Stanley, Goldman Sachs. Reden von ihr und ihrem Mann bekamen sechsstellige Honorare von Firmen, die Kanada-Pipelines bauen oder Handelsvorteile suchen. Als sie Außenministerin war, erlaubte ihr Ministerium milliardenschwere Waffenverkäufe an Länder, die für die Clinton-Stiftung spendeten: Saudi-Arabien, Kuwait, die Emirate, Katar. Waffenbauer wie Boeing and Lockheed zeigten sich auch reichlich dankbar.

Als Senatorin und Ministerin war Hillary Clinton ein scharfer Kriegsfalke: Bomben auf Afghanistan und Libyen, Euphorie über Gaddafis Foltertod, Pläne für eine Flugverbotszone in Syrien, also ein großer Schritt Richtung Krieg, und in der Ukraine noch mehr für Konfrontation als Obama.

Sanders hat schon in vielen Fragen Fenster für frische Luft mit Wahrheiten geöffnet, die selten gehört oder gedruckt wurden. Leider, obwohl mitnichten ein Falke wie sie und gegen Kriegs-Einsätze, ist er bisher außenpolitisch vage und spricht schon mal für die USA als Rechtsbringer für die Welt, die alte USA-Formel. Über Israel und Palästina würden manche sicher mit ihm streiten. Er ist damit auch vage, doch langsam scheint er klarere Positionen zu suchen. Dabei will er aber keine Wahlstimmen verlieren.

Doch auch bei größter Popularität; wäre ein solcher Bekämpfer der Milliardäre geduldet? Die Apparatschiks und mächtigen Sponsoren der Demokratischen Partei tun alles, um seinen Sieg zu verhindern. Könnten sie ihn dann aber am Ende dulden? Oder kaufen? Beides scheint unmöglich. Welche Lösung fänden sie?

Manche trauen keinen Demokraten und unterstützen die kämpferische Kandidatin der sehr linken Green Party, Jill Stein, die aber 2012 nur 0,36 Prozent erhielt. Andere sagen, sehr begeistert, kämpfen wir für Bernie, bauen aber dabei eine Bewegung auf, die mit keiner Person verbunden ist. Ganz gleich, wie weit er kommt: eine Bewegung von kämpferischen Gewerkschaftern, Schwarzen, Latinos, Frauen, Schwulen, StudentInnen, Friedens- und Umweltkämpfern muss bei merklich wachsenden Bedrohungen endlich geschmiedet werden. Jetzt bietet sich wie selten eine Chance.

20. Januar 2016

 

 

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