Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Gerda Taro [1], Spanien und Leipzig

Victor Grossman, Berlin

 

Über die Rolle der Frauen im Spanischen Krieg vor achtzig Jahren ist wenig bekannt, abgesehen von Dolores Ibarruri – »La Pasionaria«. Doch obwohl Frauen nur in den ersten Monaten an der Front kämpfen durften, waren viele als Krankenschwestern und Pflegerinnen aktiv beteiligt, und die meisten ertrugen in der Industrie und der Landwirtschaft ohne die fehlenden Männer äußerst harte Belastungen. Allein mit ihren Familien der Not und den Entbehrungen zu trotzen, zuweilen auch Bomben und Beschuss ausgesetzt zu sein, das verlangte viel Opfermut, oft großes Heldentum.

Meist blieb das völlig anonym. In einem Fall wissen wir mehr; es bestehen sichtbare Beweise für den Mut einer der Frauen. Denn Gerda Taro war Fotografin.

Geboren als Gerta Pohorylle 1910 in Reutlingen, in Stuttgart aufgewachsen, 1919 nach Leipzig-Gohlis gezogen, fand sie dort Kontakt zum Kommunistischen Jugendverband (KJVD). Nach Hitlers »Machtergreifung« verteilte sie illegale Flugblätter und wurde schon im März 1933 verhaftet. Sie hatte Glück, kam bald wieder frei, doch als Kommunistin und Jüdin Schlimmeres ahnend, verließ sie Deutschland.

In Paris lernte sie einen Flüchtling aus Ungarn kennen, einen Fotografen, der ihr Mentor in der Fotografie wurde und dazu ihr Geliebter. Damals schon war das Geschäft mit Bildern nicht leicht; um ihre Bilder besser zu verkaufen, nahmen die beiden leicht merkbare (und nicht jüdisch klingende) Namen an, sie Gerda Taro, er Robert Capa. Mitunter halfen sie mit ihren Fotos dem Kampf der Volksfront in Frankreich und wurden bald bekannt und geschätzt.

Als dann im Juli 1936 Francisco Franco gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung in Spanien den Putsch begann und mit Hilfe von Hitler und Mussolini den Eroberungszug vorantrieb, wussten die beiden: dort müssen sie hin.

Taro und Capa waren unter den ersten, die über den Überlebenskampf berichteten, schon am 5. August 1936 aus Barcelona, bald aus der ständig beschossenen, von Feinden fast umringten, doch noch zweieinhalb Jahre aushaltenden Hauptstadt Madrid, dann aus dem südlichen Andalusien und von dem Tränenweg vieler Tausender, die aus der von italienischen Faschisten Anfang Februar 1937 eroberten Stadt Málaga flüchteten und dabei immer wieder bombardiert wurden, vom ersten großen Sieg der Republik bei Guadalajara und von der komplizierten, aus 21 Ländern kommenden XIII. Brigade, die im Südwesten ungeduldig in Reserve bleiben musste.

Die Männer, froh über jeden aus dem Ausland, der zeigte, dass die Welt sie nicht vergessen hat, waren begeistert über den Besuch dieser jungen Frau, die nicht hinter der Front mit Generälen und Obersten dinierte, sondern mit der Kamera zu ihnen in die kärglichen Unterkünfte und an die Front kam, und Erinnerungen an Frauen und Kinder in weitentfernten Herkunftsländern hervorrief. Wo sie hinkam, war die kleine Blondine beliebt und bewundert.

Die Fotos der beiden, nun nicht mehr mit »Capa«, sondern »Capa&Taro« signiert, erschienen auch in der Weltpresse wie dem LIFE-Magazin in New York. Sie sollten auch bewirken, dass die Regierungen der Weltdemokratien auf den Ruf marschierender Demonstranten hören und den Boykott beenden, nach dem keine Waffe an die Regierung Spaniens verkauft werden durfte, während zugleich Nazi-Deutschland und das faschistische Italien ständig schwerstes Kriegsgut durch Portugal an Franco liefern konnten. Alle Bemühungen blieben vergebens; weder das von Konservativen beherrschte Großbritannien, noch das zeitweilig von einer Volksfront geführte Frankreich, ja nicht einmal die USA mit ihrem aufgeschlossenen Präsidenten Roosevelt beendeten den Boykott, der als »Nichteinmischung« – »Nonintervention« getarnt wurde. Die einzigen Staaten, die ihm trotzten und Spanien halfen, waren Mexiko und die Sowjetunion. Weder Spaniens Pavillon bei der Pariser Weltausstellung von 1937 mit Picassos berühmtem »Guernica«-Gemälde noch der Film »The Spanish Earth« mit Ernest Hemingways Text und Stimme ließen die Regierenden ihren Kurs ändern. Auch nicht der zweite internationale Schriftstellerkongress, der im Juli 1937 in Valencia in Spanien begann und wo Gerda Taro die Teilnehmer Pablo Neruda, Ilja Ehrenburg und die Deutschen Ernst Busch, Erich Weinert, Anna Seghers und Ludwig Renn fotografierte.

Wenige Tage danach startete die Armee der Republik eine erste große Offensive, die große  Schlacht von Brunete, um den Ring um Madrid endgültig zu durchschlagen. Jetzt kamen auch die Männer der XIII. Brigade, die Gerda Taro besonders schätzten, in die Kämpfe, und sie zog mit an die Front. Doch nach frühem Gebietsgewinn, unter großen Verlusten an Menschenleben, kamen deutsche Panzer und Flieger der Legion Condor sowie FIAT-Flugzeuge in einer solchen Überzahl zum Einsatz, dass man sich wieder zurückziehen musste, mancherorts leider fast fluchtartig.

Dabei geschah es. Als LKWs mit Verletzten von der Front zu den Lazaretten zurückkehrten,  fuhr Gerda Taro bei einem Fahrzeug auf dem Trittbrett mit. Plötzlich beschoss ein Tiefflieger der Legion Condor die Kolonne, auch den Lazarettwagen. Der Fahrer wendete rasch, Gerda Taro fiel herunter, und ein eigener nachkommender Panzer überrollte ihren Unterkörper. Eine Operation konnte sie nicht retten; sie starb am nächsten Tag, am 26. Juli 1937.

Ein Trauerzug von Tausenden, vom chilenischen Dichter Pablo Neruda und dem französischen Autor Louis Aragon angeführt, brachten ihren Sarg auf den Friedhof Père Lachaise in Paris.

Mit den Jahren wurde sie, wie leider viele andere, in der Öffentlichkeit kaum noch bekannt. Dann aber, im Jahre 2008, wurde in Mexiko ein Koffer gefunden, der von einem spanischen Offizier gerettet, dorthin gebracht und dann vergessen worden war. Er enthielt Tausende von Bildnegativen von Taro, Capa und einem dritten, polnischen Mitglied ihres Teams. Aus diesem Material wurde der Dokumentarfilm »The Mexican Suitcase« gedreht; viele Ausstellungen konnten dank der neuen Quellen wieder ein präziseres Bild von der Courage und der Tragik zeigen, vom Volke Spaniens und den Freiwilligen aus über fünfzig Ländern, die ihre Republik unterstützten, und dafür oft – wie Gerda – mit dem Leben zahlten.

In Stuttgart gelang sogar die Benennung eines Gerda-Taro-Platzes. In Leipzig, wo es seit 1970 eine Tarostraße gibt, konnte man nicht nur den Namen retten, sondern die Straße 2014 auch umgestalten und verschönern.

Doch wie viele wissen heute etwas mehr vom Spanienkrieg? In diesem Jahr, achtzig Jahre später, wurden 21 Tafeln über Gerda und mit ihren Fotos in der Straße des 18. Oktober in Leipzig aufgestellt – eben in der Stadt, wo sie viele Jugendjahre verbrachte. Das ehrt die Stadt – vor allem aber jene, die für die Aufstellung sorgten.

Dann geschah Schlimmes: in der Nacht vom 3. zum 4. August wurden alle Tafeln mit schwarzer Teerfarbe überstrichen!

Wie deutlich wurde hier Brechts Warnung bewiesen: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!« Der Kampf in Spanien, wenn er auch verloren wurde, bildet bis heute ein Symbol für Antifaschismus und Internationalismus. Gerda Taros Mut und ihr Vorbild gerade als weibliche Mitkämpferin ergänzen das Bild. Und davor hat man in manchen Kreisen Angst. Wie damals gibt es mächtige Leute, die sich als Bewunderer der Demokratie ausgeben, die aber statt den Fortschritt des »einfachen Volkes« zu begrüßen jene Kräfte stärken,   die sie mit Ausländerhass, Anti-Kommunismus, Brutalität missbrauchen können, um ihr großes Vermögen zu beschützen und gierig zu vermehren. Wie damals also – lieber ganz rechts als links.

Den Anschlag in Leipzig, so hässlich er war, konnte man dennoch umdrehen. Fast 5.000 Euro wurden rasch gesammelt, die Tafeln neu gemacht, und am 19. September wurden sie wieder feierlich eingeweiht. So oft sie auch gesagt wurden, hier passen die spanischen Worte so treffend wie damals: La lucha continua! No pasarán!

21. September 2016

Die Geschichte des Spanienkrieges schildert ein Buch von Victor Grossman, und zwar mit Hilfe der Worte der Teilnehmer. Sein Titel »Madrid du Wunderbare« entstammt dem von Ernst Busch im Spanienkrieg gesungenen Lied »Vier noble Generale«. GNN-Verlag Schkeuditz, September 2006, 420 Seiten, ISBN 978-3898192354.

Victor Grossmans Berlin-Bulletin – mindestens monatlich erscheinend und für Englisch-Lesende und -Lernende sehr geeignet – ist hier zu finden: theleftberlin.wordpress.com/victor-grossmans-berlin-bulletin.

 

Anmerkung:

[1]  1. August 1910 – 26. Juli 1937.

 

Mehr von Victor Grossman in den »Mitteilungen«: 

2016-02: Wer wird bei den USA-Wahlen kandidieren?

2015-11: Höhepunkt einer Revolution: Der XIII. Zusatzartikel zur USA-Verfassung

2015-04: 25. April 1945: Treffen an der Elbe – Reflexionen eines alten Kommunisten