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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

USA und Erster Weltkrieg

Victor Grossman, Berlin

 

Der Jahrestag ist schon vorbei, ja völlig verpasst. Doch wer hätte ihn feiern wollen? Am 6. April im Jahre 1917 sind die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg eingetreten und Amerikaner durften nun auch am Töten und Sterben teilhaben, wenn auch nur noch für neunzehn Monate. Das reichte für das Sterben von 53.000 Uniformierten aus, und für 200.000 Verletzte. Auch mein Vater wurde als Soldat nach Frankreich verschifft; er hatte dabei Glück, und etwas später damit auch ich.

In der ersten Zeit nach 1914 zog es nur wenige Amerikaner zur Einmischung beim Schlachten mit; auch nur wenige von den Reichen. Der Autokönig Henry Ford zog sogar mit einem gecharterten Schiff und pazifistisch Motivierten nach Norwegen, um eine Friedensvereinbarung anzustreben. Nach vier Tagen gab er sein »Narrenschiff«-Vorhaben auf. Auch der Präsident Woodrow Wilson hatte sich klar gegen eine Kriegsbeteiligung ausgesprochen. Die populäre Losung »Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten« war wohl entscheidend für seine äußerst knappe Wiederwahl im November 1916. Doch vier Monate später sah es damit anders aus.

Patriotismus und Kriegsbereitschaft vermengt

Schon 1915 begann das Anti-Kriegssentiment zu zerbröckeln, und eine Teilnahme an der Entente wurde immer mehr begrüßt. Gewiss nicht unwichtig war, dass die mächtige Bankfirma J.P. Morgan & Co. die größte ausländische Geldanleihe der USA-Geschichte für Frankreich und England unterschrieb und dass diese Firma dann von der Entente als Hauptagent für alle Einkäufe in den USA bestimmt wurde, von Kavalleriepferden bis zu Artilleriegeschossen, im Wert von drei Milliarden Dollar. Sollten Summen wie diese bei einem falschen Sieg verloren gehen? Die meisten Medien stimmten nun fast einstimmig fürs Losschlagen und verstärkten die Kriegsbegeisterung. Es wurde begonnen, an den Grundschulen und Hochschulen »militärisch« zu üben, während Patriotismus und Kriegsbereitschaft vermengt wurden.

»Preparedness Days« wurden organisiert, Tage der Vorbereitung auf den Kriegseintritt. Die größte Parade mit 50.000 Teilnehmern fand in San Francisco statt, doch nach einer halben Stunde explodierte eine Bombe; zehn Menschen starben, vierzig wurden verletzt. Es gab zwar extreme Gruppen, die Gewalt predigten – meist nannten sie sich Anarchisten – doch griff man zwei der fortschrittlichsten Gewerkschaftsführer auf und verurteilte sie schnell zum Tode. In den nächsten Jahren konnte das Urteil in lebenslängliche Haft verändert werden, doch trotz eindeutigen Beweises, dass sie unschuldig waren, bedurfte es einer langen weltweiten Solidaritätskampagne, ehe Tom Mooney und Warren Billings 1939 endlich frei wurden.

Immer mehr (doch nie alle) Kriegsgegner aus respektablen liberalen, akademischen, christlichen und pazifistischen Milieus tendierten zur Aufgabe der aktiven Opposition oder akzeptierten gar das Hinmarschieren. Als dann Wilson alle Versprechen »vergaß« und nach den Wahlen das Land in den Krieg zog, kam es oft zu patriotischen Zusagen oder gar zur Teilnahme, wie bei Samuel Gompers, dem Vorsitzenden der großen Amerikanischen Föderation der Arbeit (AFL). Obwohl einst Sozialist und Immigrant, wirkte er gegen die Aufnahme von Schwarzen, Chinesen und ungelernten Einwanderern, vertrat also nur die dünnere Schicht hochtrainierter, USA-stämmiger weißer Facharbeiter, für die er die besten Bedingungen in der Kriegsindustrie anstrebte, während er sich gern unter den herrschenden Kreisen in Washington und der Aristokratie sonnte – die den Krieg führten.

Ein »Verbrechen gegen die Völker der USA und gegen die Nationen der Welt«

Zwei Organisationen machten nicht mit. Die kompromisslos kämpferische, anarcho-syndikalistische Organization IWW – Industriearbeiter der Welt, genannt »Wobblies« – entstand 1905 in direktem Gegensatz zur AFL. Sie organisierte gerade Einwanderer, Schwarze, Asiaten, Frauen, Ungelernte, die sie nicht in Fachverbände trennte, doch im Sinne der »einen großen Gewerkschaft« einigte. Obwohl manche meinten, ihre Aufgabe sei es weniger, gegen den Krieg zu kämpfen als gegen die Kapitalisten vor Ort, wurde es unvermeidlich, dass ihre Kämpfe gegen die Kriegsproduktion wirkten, und darin sahen ihre reichen Gegner eine Chance, diese streikenden, singenden, kämpfenden, auch selbstaufopfernden Kerle als »unpatriotische Umstürzler« endlich zu erledigen.

Die Gegenmaßnahmen waren brutal. Der IWW-Organisator Frank Little, dessen Mutter zum Teil Cherokee-Indianerin war, agierte trotz des Krieges weiter, vor allem bei den Kupfer-Bergleuten, obwohl das schon gefährlich wurde. Männer sollten sich nicht zur Armee einziehen lassen, meinte er und sprach stattdessen für die weltweite »Solidarität der Arbeiter«. Während er einen Streik gegen die Anaconda-Kupfergesellschaft in Butte, Montana, mit anführte, kamen am 1. August 1917 mehrere maskierte Männer in seine Pension und holten ihn heraus. Nachdem sie ihn geschlagen, gefoltert und durch die gepflasterten Straßen der Stadt hinter einem Wagen hergeschleppt hatten, hängten sie ihn von einer Brücke. So wurde er getötet.

Überall wurden die IWW-Mitglieder attackiert, verhaftet, ihnen wurde die Postbenutzung verweigert, es kam überall zu einzelnen Verhaftungen. Am 5. September 1917 drangen die Vorgänger des FBI innerhalb von 24 Stunden in 48 Ortsbüros und private Wohnungen von führenden IWW-Mitgliedern sowie in das Hauptbüro in Chicago ein, wo sie alles herausholten: Mitgliederlisten, Korrespondenz, ja, das gesamte Büromobiliar, einschließlich Papier, Bleistifte und Büroklammern.

Es hagelte einen Prozess nach dem anderen – wegen Subversion oder Sabotage gegen die Führung des Krieges. Im wichtigsten, in Chicago im April 1918 gegen 101 Wobbly-Leute, fehlten zwar jegliche Beweise, doch wurden Geldstrafen von 2.300.000 Dollar verhängt und zwölf der Angeklagten zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, 33 zu fünf Jahren, 35 zu 10 Jahren und 15 IWW-Mitglieder zu 20 Jahren Strafe, darunter der IWW-Präsident William »Big Bill« Haywood. (Schwer an Diabetes erkrankt, flüchtete er trotz der Kaution 1921 in die Sowjetunion, wo er 1928 starb. Ein Teil seiner Asche ist in der Kremlmauer beigesetzt worden.)

Die Gewalt, die Beschlagnahmungen, Verhaftungen und Gefängnis-Urteile – die für manche doch zehn Jahre andauerten – reichten aus, um die IWW zwar nie gänzlich zu zerschlagen, aber derart zu lähmen, dass sie ihre Rolle in der Arbeiterbewegung kaum noch wiedergewinnen konnte.

Noch eine Organisation stellte sich gegen den Krieg – die Sozialistische Partei. Ihr charismatischer Führer Eugene V. Debs, ein einstiger Eisenbahner, der die IWW mitgegründet hatte, bekam in der Wahl von 1912 zur US-Präsidentschaft schon respektable 6 Prozent der Stimmen. 1916 kandidierte er nur für einen Kongresssitz, und Woodrow Wilson bekam als damaliger Kriegsgegner viele Stimmen von Sozialisten, doch war die Partei stark unter Arbeitern, Farmern sowie in intellektuelleren Schichten. Darin ähnelte sie der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland, und auch darin, dass sich verschiedene Flügel gebildet hatten.

Doch schienen die meisten sich einig zu sein. Als die USA den Krieg erklärte, stimmte eine überwiegende Mehrheit in einer Urabstimmung dafür, dass Sozialisten in öffentlichen Ämtern, falls sie Kriegskredite bewilligten, aus der Partei ausgeschlossen werden sollten. Einen Tag nach der Kriegserklärung hielt die Partei einen Außerordentlichen Parteitag ab, um ihre Position dazu festzulegen. Eine Resolution, mit 140 von insgesamt 176 Stimmen angenommen, erklärte, dass »die Kriegserklärung durch unsere Regierung ein Verbrechen gegen die Völker der USA und gegen die Nationen der Welt« sei. »Der einzige Kampf, der die Arbeiter berechtigen würde, zu den Waffen zu greifen, ist der große Kampf der Arbeiterklasse der Welt zur Befreiung von wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Unterdrückung, und wir warnen die Arbeiter besonders vor dem Schwindel und Betrug des sogenannten Verteidigungskrieges.« Man rief auf zur »ständigen aktiven und öffentlichen Opposition gegen den Krieg, durch Demonstrationen, Massenpetitionen und alle anderen in unserer Macht stehenden Mittel«.

Front der Ablehnung des Krieges – und Spaltung

Damit reihte sich die Sozialistische Partei der USA mit den Bolschewiki, der Sozialistischen Partei Serbiens und einigen wenigen anderen – und auch mit Kämpfern wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und den Spartakisten – in die Front der Ablehnung des Krieges ein.

Manche Prominente verließen die Partei, um bei der herrschenden Hurra-Stimmung im Lande mitzumachen. Doch war es gewiss diese Antikriegs-Haltung, welche die Mitgliederzahl von etwa 80.000 bis über 100.000 steigen ließ. Trotzdem wurde die Spaltung der Partei nicht überwunden, und viele, die sich mit der Haltung ihrer Partei einverstanden erklärten, taten ganz wenig dafür und und zeigten nur wenig Interesse an Demonstrationen auf der Straße oder gar Streiks.

Es dauerte eine Zeit, eher größere Zahlen an US-Soldaten in Frankreich ankamen und in den Kampf zogen, und sie nahmen an nur zwei oder drei größeren Schlachten teil. Doch die Aussicht, dass sich bald noch Hunderttausende von frischen Soldaten aus den USA beteiligen könnten, sowie das Misslingen zweier eigener großer Angriffe überzeugte wohl das deutsche Kommando, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. Im November 1918 kam es, auch wegen des wachsenden Unwillens der deutschen Soldaten und Matrosen und des wachsenden Widerstandes in Deutschland, zum Kriegsende – und zu Versailles.

Nun zog die Aufmerksamkeit alle Teilnehmer in eine andere Richtung. Seit einem Jahr herrschte in Petrograd, Moskau und anderen Teilen des riesigen Landes die Sowjetrevolution. Wilson, der bei den Verhandlungen in Versailles leidenschaftlich für die Selbstbestimmung der Völker plädierte und für einen Völkerbund, der Kriege für immer verhindern sollte, ließ Truppen von 5.000 Mann nach Archangelsk und 7.000 nach Sibirien schicken, um die Revolution im Bürgerkrieg zu erwürgen. Das gelang nicht. Was jedoch gelang – während Wilson vergebens versuchte, eine Zusage im eigenen Kongress zur Mitgliedschaft der USA im neuen Völkerbund zu erreichen – war die Schaffung eines »Cordon sanitaire« durch die Siegermächte, eines hemmenden Gürtels von meist neuen Staaten um Russland bzw. die Sowjetunion, von der Ostsee bis zur Adria und zum Schwarzen Meer mit Finnland, den baltischen Staaten, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, und schließlich Rumänien.

Es waren vor allem Gegensätze in der Einstellung zur Oktoberrevolution, welche 1919 zur Spaltung der Sozialistischen Partei und zur Gründung von vorerst zwei Kommunistischen Parteien führten, die sich bald vereinigten. Hier organisierten sich die Kräfte, die am stärksten gegen den Krieg aktiv waren. Manche kamen auch aus der IWW.

Vieles, oft sehr Tragisches, ist im Lauf des Jahrhunderts passiert. Doch heute, fast 100 Jahre später, gibt es immer noch solche Kräfte wie Morgan & Co., nur noch stärkere, und solche Typen wie Wilson, und wenn es auch keine »kommunistische Drohung« aus dem Osten mehr gibt, haben sie in ihrem Streben, die ganze Welt unter ihre Kontrolle zu bringen, wieder genauso einen Cordon sanitaire geschaffen – mit fast genau den gleichen Teilnehmern vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Ein Krieg, der aus diesem hochgerüsteten Gürtel entsteht, könnte schnell einen fürchterlichen Massenmord entfachen, der beide Weltkriege weit übersteigt und für alle das Ende bedeuten könnte. Eine starke Friedensbewegung, mit einer Begeisterung und Einsatzbereitschaft wie damals, ist heute notwendiger denn je. Sie muss diesmal erfolgreich sein!          Der Jahrestag ist schon vorbei, ja völlig verpasst. Doch wer hätte ihn feiern wollen? Am 6. April im Jahre 1917 sind die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg eingetreten und Amerikaner durften nun auch am Töten und Sterben teilhaben, wenn auch nur noch für neunzehn Monate. Das reichte für das Sterben von 53.000 Uniformierten aus, und für 200.000 Verletzte. Auch mein Vater wurde als Soldat nach Frankreich verschifft; er hatte dabei Glück, und etwas später damit auch ich.

In der ersten Zeit nach 1914 zog es nur wenige Amerikaner zur Einmischung beim Schlachten mit; auch nur wenige von den Reichen. Der Autokönig Henry Ford zog sogar mit einem gecharterten Schiff und pazifistisch Motivierten nach Norwegen, um eine Friedensvereinbarung anzustreben. Nach vier Tagen gab er sein »Narrenschiff«-Vorhaben auf. Auch der Präsident Woodrow Wilson hatte sich klar gegen eine Kriegsbeteiligung ausgesprochen. Die populäre Losung »Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten« war wohl entscheidend für seine äußerst knappe Wiederwahl im November 1916. Doch vier Monate später sah es damit anders aus.

Patriotismus und Kriegsbereitschaft vermengt

Schon 1915 begann das Anti-Kriegssentiment zu zerbröckeln, und eine Teilnahme an der Entente wurde immer mehr begrüßt. Gewiss nicht unwichtig war, dass die mächtige Bankfirma J.P. Morgan & Co. die größte ausländische Geldanleihe der USA-Geschichte für Frankreich und England unterschrieb und dass diese Firma dann von der Entente als Hauptagent für alle Einkäufe in den USA bestimmt wurde, von Kavalleriepferden bis zu Artilleriegeschossen, im Wert von drei Milliarden Dollar. Sollten Summen wie diese bei einem falschen Sieg verloren gehen? Die meisten Medien stimmten nun fast einstimmig fürs Losschlagen und verstärkten die Kriegsbegeisterung. Es wurde begonnen, an den Grundschulen und Hochschulen »militärisch« zu üben, während Patriotismus und Kriegsbereitschaft vermengt wurden.

»Preparedness Days« wurden organisiert, Tage der Vorbereitung auf den Kriegseintritt. Die größte Parade mit 50.000 Teilnehmern fand in San Francisco statt, doch nach einer halben Stunde explodierte eine Bombe; zehn Menschen starben, vierzig wurden verletzt. Es gab zwar extreme Gruppen, die Gewalt predigten – meist nannten sie sich Anarchisten – doch griff man zwei der fortschrittlichsten Gewerkschaftsführer auf und verurteilte sie schnell zum Tode. In den nächsten Jahren konnte das Urteil in lebenslängliche Haft verändert werden, doch trotz eindeutigen Beweises, dass sie unschuldig waren, bedurfte es einer langen weltweiten Solidaritätskampagne, ehe Tom Mooney und Warren Billings 1939 endlich frei wurden.

Immer mehr (doch nie alle) Kriegsgegner aus respektablen liberalen, akademischen, christlichen und pazifistischen Milieus tendierten zur Aufgabe der aktiven Opposition oder akzeptierten gar das Hinmarschieren. Als dann Wilson alle Versprechen »vergaß« und nach den Wahlen das Land in den Krieg zog, kam es oft zu patriotischen Zusagen oder gar zur Teilnahme, wie bei Samuel Gompers, dem Vorsitzenden der großen Amerikanischen Föderation der Arbeit (AFL). Obwohl einst Sozialist und Immigrant, wirkte er gegen die Aufnahme von Schwarzen, Chinesen und ungelernten Einwanderern, vertrat also nur die dünnere Schicht hochtrainierter, USA-stämmiger weißer Facharbeiter, für die er die besten Bedingungen in der Kriegsindustrie anstrebte, während er sich gern unter den herrschenden Kreisen in Washington und der Aristokratie sonnte – die den Krieg führten.

Ein »Verbrechen gegen die Völker der USA und gegen die Nationen der Welt«

Zwei Organisationen machten nicht mit. Die kompromisslos kämpferische, anarcho-syndikalistische Organization IWW – Industriearbeiter der Welt, genannt »Wobblies« – entstand 1905 in direktem Gegensatz zur AFL. Sie organisierte gerade Einwanderer, Schwarze, Asiaten, Frauen, Ungelernte, die sie nicht in Fachverbände trennte, doch im Sinne der »einen großen Gewerkschaft« einigte. Obwohl manche meinten, ihre Aufgabe sei es weniger, gegen den Krieg zu kämpfen als gegen die Kapitalisten vor Ort, wurde es unvermeidlich, dass ihre Kämpfe gegen die Kriegsproduktion wirkten, und darin sahen ihre reichen Gegner eine Chance, diese streikenden, singenden, kämpfenden, auch selbstaufopfernden Kerle als »unpatriotische Umstürzler« endlich zu erledigen.

Die Gegenmaßnahmen waren brutal. Der IWW-Organisator Frank Little, dessen Mutter zum Teil Cherokee-Indianerin war, agierte trotz des Krieges weiter, vor allem bei den Kupfer-Bergleuten, obwohl das schon gefährlich wurde. Männer sollten sich nicht zur Armee einziehen lassen, meinte er und sprach stattdessen für die weltweite »Solidarität der Arbeiter«. Während er einen Streik gegen die Anaconda-Kupfergesellschaft in Butte, Montana, mit anführte, kamen am 1. August 1917 mehrere maskierte Männer in seine Pension und holten ihn heraus. Nachdem sie ihn geschlagen, gefoltert und durch die gepflasterten Straßen der Stadt hinter einem Wagen hergeschleppt hatten, hängten sie ihn von einer Brücke. So wurde er getötet.

Überall wurden die IWW-Mitglieder attackiert, verhaftet, ihnen wurde die Postbenutzung verweigert, es kam überall zu einzelnen Verhaftungen. Am 5. September 1917 drangen die Vorgänger des FBI innerhalb von 24 Stunden in 48 Ortsbüros und private Wohnungen von führenden IWW-Mitgliedern sowie in das Hauptbüro in Chicago ein, wo sie alles herausholten: Mitgliederlisten, Korrespondenz, ja, das gesamte Büromobiliar, einschließlich Papier, Bleistifte und Büroklammern.

Es hagelte einen Prozess nach dem anderen – wegen Subversion oder Sabotage gegen die Führung des Krieges. Im wichtigsten, in Chicago im April 1918 gegen 101 Wobbly-Leute, fehlten zwar jegliche Beweise, doch wurden Geldstrafen von 2.300.000 Dollar verhängt und zwölf der Angeklagten zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, 33 zu fünf Jahren, 35 zu 10 Jahren und 15 IWW-Mitglieder zu 20 Jahren Strafe, darunter der IWW-Präsident William »Big Bill« Haywood. (Schwer an Diabetes erkrankt, flüchtete er trotz der Kaution 1921 in die Sowjetunion, wo er 1928 starb. Ein Teil seiner Asche ist in der Kremlmauer beigesetzt worden.)

Die Gewalt, die Beschlagnahmungen, Verhaftungen und Gefängnis-Urteile – die für manche doch zehn Jahre andauerten – reichten aus, um die IWW zwar nie gänzlich zu zerschlagen, aber derart zu lähmen, dass sie ihre Rolle in der Arbeiterbewegung kaum noch wiedergewinnen konnte.

Noch eine Organisation stellte sich gegen den Krieg – die Sozialistische Partei. Ihr charismatischer Führer Eugene V. Debs, ein einstiger Eisenbahner, der die IWW mitgegründet hatte, bekam in der Wahl von 1912 zur US-Präsidentschaft schon respektable 6 Prozent der Stimmen. 1916 kandidierte er nur für einen Kongresssitz, und Woodrow Wilson bekam als damaliger Kriegsgegner viele Stimmen von Sozialisten, doch war die Partei stark unter Arbeitern, Farmern sowie in intellektuelleren Schichten. Darin ähnelte sie der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland, und auch darin, dass sich verschiedene Flügel gebildet hatten.

Doch schienen die meisten sich einig zu sein. Als die USA den Krieg erklärte, stimmte eine überwiegende Mehrheit in einer Urabstimmung dafür, dass Sozialisten in öffentlichen Ämtern, falls sie Kriegskredite bewilligten, aus der Partei ausgeschlossen werden sollten. Einen Tag nach der Kriegserklärung hielt die Partei einen Außerordentlichen Parteitag ab, um ihre Position dazu festzulegen. Eine Resolution, mit 140 von insgesamt 176 Stimmen angenommen, erklärte, dass »die Kriegserklärung durch unsere Regierung ein Verbrechen gegen die Völker der USA und gegen die Nationen der Welt« sei. »Der einzige Kampf, der die Arbeiter berechtigen würde, zu den Waffen zu greifen, ist der große Kampf der Arbeiterklasse der Welt zur Befreiung von wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Unterdrückung, und wir warnen die Arbeiter besonders vor dem Schwindel und Betrug des sogenannten Verteidigungskrieges.« Man rief auf zur »ständigen aktiven und öffentlichen Opposition gegen den Krieg, durch Demonstrationen, Massenpetitionen und alle anderen in unserer Macht stehenden Mittel«.

Front der Ablehnung des Krieges – und Spaltung

Damit reihte sich die Sozialistische Partei der USA mit den Bolschewiki, der Sozialistischen Partei Serbiens und einigen wenigen anderen – und auch mit Kämpfern wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und den Spartakisten – in die Front der Ablehnung des Krieges ein.

Manche Prominente verließen die Partei, um bei der herrschenden Hurra-Stimmung im Lande mitzumachen. Doch war es gewiss diese Antikriegs-Haltung, welche die Mitgliederzahl von etwa 80.000 bis über 100.000 steigen ließ. Trotzdem wurde die Spaltung der Partei nicht überwunden, und viele, die sich mit der Haltung ihrer Partei einverstanden erklärten, taten ganz wenig dafür und und zeigten nur wenig Interesse an Demonstrationen auf der Straße oder gar Streiks.

Es dauerte eine Zeit, eher größere Zahlen an US-Soldaten in Frankreich ankamen und in den Kampf zogen, und sie nahmen an nur zwei oder drei größeren Schlachten teil. Doch die Aussicht, dass sich bald noch Hunderttausende von frischen Soldaten aus den USA beteiligen könnten, sowie das Misslingen zweier eigener großer Angriffe überzeugte wohl das deutsche Kommando, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. Im November 1918 kam es, auch wegen des wachsenden Unwillens der deutschen Soldaten und Matrosen und des wachsenden Widerstandes in Deutschland, zum Kriegsende – und zu Versailles.

Nun zog die Aufmerksamkeit alle Teilnehmer in eine andere Richtung. Seit einem Jahr herrschte in Petrograd, Moskau und anderen Teilen des riesigen Landes die Sowjetrevolution. Wilson, der bei den Verhandlungen in Versailles leidenschaftlich für die Selbstbestimmung der Völker plädierte und für einen Völkerbund, der Kriege für immer verhindern sollte, ließ Truppen von 5.000 Mann nach Archangelsk und 7.000 nach Sibirien schicken, um die Revolution im Bürgerkrieg zu erwürgen. Das gelang nicht. Was jedoch gelang – während Wilson vergebens versuchte, eine Zusage im eigenen Kongress zur Mitgliedschaft der USA im neuen Völkerbund zu erreichen – war die Schaffung eines »Cordon sanitaire« durch die Siegermächte, eines hemmenden Gürtels von meist neuen Staaten um Russland bzw. die Sowjetunion, von der Ostsee bis zur Adria und zum Schwarzen Meer mit Finnland, den baltischen Staaten, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, und schließlich Rumänien.

Es waren vor allem Gegensätze in der Einstellung zur Oktoberrevolution, welche 1919 zur Spaltung der Sozialistischen Partei und zur Gründung von vorerst zwei Kommunistischen Parteien führten, die sich bald vereinigten. Hier organisierten sich die Kräfte, die am stärksten gegen den Krieg aktiv waren. Manche kamen auch aus der IWW.

Vieles, oft sehr Tragisches, ist im Lauf des Jahrhunderts passiert. Doch heute, fast 100 Jahre später, gibt es immer noch solche Kräfte wie Morgan & Co., nur noch stärkere, und solche Typen wie Wilson, und wenn es auch keine »kommunistische Drohung« aus dem Osten mehr gibt, haben sie in ihrem Streben, die ganze Welt unter ihre Kontrolle zu bringen, wieder genauso einen Cordon sanitaire geschaffen – mit fast genau den gleichen Teilnehmern vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Ein Krieg, der aus diesem hochgerüsteten Gürtel entsteht, könnte schnell einen fürchterlichen Massenmord entfachen, der beide Weltkriege weit übersteigt und für alle das Ende bedeuten könnte. Eine starke Friedensbewegung, mit einer Begeisterung und Einsatzbereitschaft wie damals, ist heute notwendiger denn je. Sie muss diesmal erfolgreich sein!

 

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