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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

US-Blockade gegen Kuba auf der Anklagebank

Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg, im Interview mit den »Mitteilungen«

 

In der Tradition der Russel-Tribunale

 

Die Fragen stellte Kristian Glaser aus Hamburg:

Am 16. und 17. November wird in Brüssel [1] ein internationales Tribunal gegen die US-amerikanische Finanz-, Wirtschafts- und Handelsblockade gegen Kuba durchgeführt. Das ist ein gerichtsähnlicher Prozess mit »Richtern«, »Verteidigern« und »Anklägern«, die die Rechtmäßigkeit der Blockade prüfen werden. Als renommierter Völkerrechtler wirst Du die Funktion des Vorsitzenden Richters übernehmen. Kannst Du ein aus völkerrechtlicher Warte besonders drastisches Beispiel der Blockade nennen?

N. P.: Aufgabe des Tribunals wird es sein, zum einen die unmittelbaren Folgen der Sanktio­nen und der über sechzig Jahre nun schon dauernden Blockade auf die Bevölkerung und das Leben in Kuba zu untersuchen. Zum anderen geht es um die sog. Drittwirkungen der Sanktionen auf andere Staaten und ihre Unternehmen, die mit Kuba Handel treiben möch­ten. Das Tribunal sieht sich in der Tradition der Russel-Tribunale seit dem ersten Tribunal über den Vietnam-Krieg in Stockholm und hält sich in seiner Untersuchung und Bewertung streng an das Internationale Recht, obwohl es weder die gleiche Stellung, Mittel und Macht eines offiziellen Gerichts hat. Es wäre überflüssig, wenn z.B. der Internationale Gerichtshof über die Blockade entscheiden würde.

Ich will der Verhandlung nicht vorgreifen, aber besonders schwere Auswirkungen hat die Blockade auf den Gesundheitssektor, wo gerade während der Corona-Pandemie die Ent­wicklung eines eigenen Impfstoffes sehr stark unter dem Ausschluss vom internationalen Markt gelitten hat. Es ist eine außerordentliche Leistung, dass dennoch ein eigener Impf­stoff entwickelt wurde.

K. G.: Die US-Blockade soll erklärtermaßen zu Unmut bei Kubas Bevölkerung führen und einen »Regime change« auslösen. Steht eine solche einseitige Zwangsmaßnahme eigentlich in Einklang mit dem Völkerrecht?

So vieles unklar in der juristischen Einschätzung von Sanktionen, Boykott und Blockade auch ist, Sanktionen mit dem Ziel eines »regime change« sind eindeutig rechtswidrig. Doch nur selten wird von den sanktionierenden Regierungen ein solches Ziel offen ausgespro­chen – es wird sich also immer um einen sogenannten Indizienbeweis handeln.

»El bloqueo«, wie die Kubaner sie nennen, hat auch »extraterritoriale Auswirkungen« auf andere Länder. Was versteht man darunter, und gehörten eigentlich nicht auch die europäi­schen Regierungen auf die Anklagebank, die sich die Verletzung der Souveränität ihrer Län­der gefallen lassen?

Extraterritoriale oder Drittwirkungen sind Auswirkungen gezielter Sanktionen, die Dritt­staaten oder deren Unternehmen in Mitleidenschaft ziehen, obwohl das nicht immer von gezielten Sanktionen beabsichtigt ist. Darin unterscheiden sich offensichtlich die gegen Kuba und die z.B. gegen Syrien gerichteten Sanktionen. In der juristischen Bewertung macht das aber keinen Unterschied. Nur kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu einer unterschiedlichen Einschätzung der Drittwirkungen führen.

Zuletzt verschärfte US-Präsident Trump die Situation, indem er Kuba auf die Liste der den Terrorismus begünstigenden Staaten setzte. Zur Begründung hieß es, Kuba beherberge aus­ländische Terroristen, dabei handelte es sich um eine offizielle Delegation zu den innerko­lumbianischen Friedensverhandlungen. Erhoffst Du Dir vom Ausgang des Tribunals mehr internationale Achtung vor dem Völkerrecht?

Das ist schwer einzuschätzen. Aus der Erfahrung der vergangenen Tribunale schätze ich den Lehr-Wert solcher Unternehmen eher skeptisch. Das letzte Tribunal, an dem ich teil­nahm, war in Paris 2018. Es hat die Kriegsführung Erdogans gegen seine eigene kurdische Bevölkerung vornehmlich in Süd-Ost Anatolien, Nord-Kurdistan, untersucht und endete mit einer deutlichen Verurteilung Erdogans und seiner Militärführung. Der Lerneffekt bei dem Verurteilten wie bei den ihn unterstützenden Staaten – unter anderen die Bundesrepublik – war gleich null.

Das Tribunal wird getragen von den Solidaritätsbewegungen in Europa und den USA, zudem von Juristenorganisationen, US-Gewerkschaften und der Europäischen Linken. Das ist eine neue Qualität an Internationalismus. Steht das aus Deiner Sicht im Zusammenhang mit dem offensiveren Auftreten lateinamerikanischer Staaten gegenüber den USA und der EU?

Das mag sein. Entscheidender ist aber meiner Einschätzung nach, dass die Einsicht in die untragbare Situation, die der über 60 Jahre andauernde Boykott und die Empörung über die durch nichts zu rechtfertigende Politik aller US-Administrationen sich international auch über Lateinamerika hinaus durchgesetzt hat.

Hinzu kommt das Unverständnis darüber, dass außer einer alljährlichen Verurteilung der USA durch die UN-Generalversammlung kein sichtbarer Widerstand gegen diese zynische Gewalt gegen ein kleines Land, dem außer einer fortschrittlichen Politik im Dienste seiner Menschen nichts vorzuwerfen ist, aufgetreten ist.

Du bist bekannt dafür, dass Du mit Deiner juristischen Expertise an der Seite vieler von Kolo­nialismus und Imperialismus bedrängter Länder stehst. Du warst auch schon an der Freilas­sung der »Cuban Five« beteiligt, der fünf kubanischen Aufklärer, die wegen Aufdeckung von geplanten Terroranschlägen lange Haftstrafen in den USA abbüßen sollten. Nun also vorsit­zender Richter des Blockade-Tribunals. Was bewegt Dich, den Kampf so intensiv zu führen?

Das ist auch mir ein Rätsel, vor allem, weil ich bisher nichts habe bewegen können und mir diese Ausdauer nicht in die Wiege gelegt wurde. Es liegt wohl daran, dass Sisyphos mein Schutzpatron ist, auf den schon Günter Grass sich berief: »Auf ihn, der die Götter lästert, konnte ich mich allzeit verlassen: Sankt Sisyphos.«

September 2023.

 

Anmerkung:

[1] Über Datum und Ort dieses geplanten Tribunals haben die Mitteilungen im Juli 2023 auf Seite 34 im Beitrag »Eure Solidarität mit Kuba ist auch ein Kampf um eure eigene Souveränität!« informiert. Fernando González Llort hatte schon am 28. März 2023 in Berlin darüber gesprochen. – Red.

 

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2023-04: Vor 20 Jahren: Der Krieg gegen Saddam Hussein

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