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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Unselige Tradition: Vom »Tag der Wehrmacht« zum »Tag der Bundeswehr«

Hellmut Kapfenberger, Berlin

 

Eine Nachricht, die aufhorchen lassen muss, ist seit einigen Wochen zu vernehmen. »Premiere in ganz Deutschland: Tag der Bundeswehr am 13. Juni« verkündet die Website der Truppe. Und triumphierend: »Sage und schreibe 60 Jahre musste die Bundeswehr auf ihn warten - am 13. Juni ist es endlich so weit. Der Tag der Bundeswehr feiert seine Premiere und das gleich an 15 Standorten bundesweit.« Man liest: »Von Flensburg im Norden bis Bischofswiesen im tiefen Süden Deutschlands, von Nörvenich im Westen bis Storkow im Osten der Republik öffnen an diesem Tag die Standorte ihre Kasernentore und locken Besucher mit einem attraktiven Erlebnisprogramm.« Mit dabei seien auch »die Standorte Eckernförde, Wilhelmshaven, Rostock, Hannover, Burg, Fritzlar, Leipzig, Koblenz, Laupheim, Manching und Bonn«. Beteiligt seien »alle Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche der Bundeswehr«.

Zum »attraktiven Erlebnisprogramm« sollen gehören: Flugvorführungen der Luftwaffe mit Eurofighter, Tornado, Transport- und Kampfhubschrauber in Manching, Kriegsschiffbesichtigung in Warnemünde und Wilhelmshaven, Demonstration der Einsatzmöglichkeiten der Kampf-, Schützen- und Brückenlegepanzer des Heeres in Bischofswiesen. In Hannover locken Feldjäger, in Bischofswiesen auch Gebirgsjäger. Natürlich fehlen nicht »Attraktionen für Kinder, Militärmusik und Einblicke in die Karrieremöglichkeiten« bei einer Truppe, die »heute nicht nur eine Armee im weltweiten Einsatz, sondern ein hochmoderner, global agierender Konzern« sei.

Mich schaudert, Erinnerungen werden wach. Derartige »attraktive Erlebnisprogramme« einer »Armee im weltweiten Einsatz« hat es doch schon einmal gegeben!

17. März 1940, Altenburg in Thüringen. Jung und Alt war auf dem Weg. Die Propaganda hatte zum »Tag der Wehrmacht« gerufen, und Tausende kamen. An der Hand meiner Mutter zog es auch mich, einen fast siebenjährigen Knaben, hinaus zum Flugplatz Nobitz. Ein faszinierendes Schauspiel zog mich schon in seinen Bann, noch bevor wir das Ziel erreicht hatten. Ju-52, für mich wahre Riesenvögel, starteten zu Demonstrationsflügen. Der Tag sollte sich tief in mein Gedächtnis graben, ist bis heute unvergessen. So auch der »Tag der Wehrmacht« am 23. März 1941, der fesselnde Anblick von Artilleriegeschützen und Panzern auf dem Gelände einer Altenburger Kaserne, und genauso jener Tag im folgenden Jahr.

»Tag der Wehrmacht«. Erstmals 1936 mit großem Pomp veranstaltet, hatte man ihn damals als Hitlers erste demonstrative Waffenschau auf den Schlusstag des 8. »Reichsparteitages« der NSDAP in Nürnberg, den 14. September, gelegt. Ab 1937 war zur Erinnerung an die Einführung der Wehrpflicht am 16. März 1935 jeweils ein März-Wochenende dazu auserkoren, Herzen und Hirne des Volkes zu gewinnen, ihm unbedingten »Wehrwillen« einzuimpfen. Wen von denen, die da im März 1940 zum Altenburger Flugplatz pilgerten, wird wohl interessiert haben, dass möglicherweise eben jene Ju-52 im Herbst 1939 aus Spanien zurückgekehrt waren und im Dienste der deutschen »Legion Condor« an der Seite der Franco-Faschisten ihren ersten Kriegseinsatz absolviert hatten? Wer von jenen Ungezählten, die im März 1941 nicht nur in Altenburg der Wehrmacht die abverlangte Reverenz erwiesen, wird sich wohl darüber Gedanken gemacht haben, dass inzwischen nicht nur Polen, sondern auch Dänemark und Norwegen, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich unter deutschen Soldatenstiefeln stöhnten?

Nun also ein »Tag der Bundeswehr«. Das Volk ist aufgerufen, überall im Lande freudvoll und unbeschwert eine Armee zu feiern, die nach ihrer Afghanistan-Kampferfahrung laut offizieller Lesart zu einer weltweit operierenden »Einsatzarmee« geworden ist und derzeit schritt-weise gegen Russland in Stellung gebracht wird. Der Tag wird aber auch einer Armee gewidmet, an deren Spitze nicht nur bei ihrer »Geburt« vor 60 Jahren, sondern noch viele Jahre später Männer gestanden haben, denen einst der »Tag der Wehrmacht« gegolten hat. Sie hatten auf höchsten Kommandoebenen an den Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen der Wehrmacht teil und haben dann über viele Jahre das Gesicht der »neuen Wehrmacht«, so der erste Bundesverteidigungsminister Theodor Blank 1955, geprägt. Noch Ende der 60er Jahre hatte keiner der Generale und Admirale der Bundeswehr einst in der Nazi-Wehrmacht einen niedrigeren Rang als Oberst inne; fast 50 waren schon unter Hitler General. Sieben Generale der Bundeswehr waren als Kriegsverbrecher verurteilt worden. An die Frühgeschichte der Bundeswehr wird am 13. Juni wohlweislich nicht erinnert werden.

Für die westdeutschen Militärs der ersten Stunde stehen Namen wie Adolf Heusinger, Hans Speidel, Friedrich Albert Foertsch, Heinz Trettner. Der einstige Reichswehr-Generalstäbler Heusinger hatte ab 1937 als Major dem Generalstab des Heeres angehört und war ab 1940 als Oberst Chef der Operationsabteilung und stellvertretender Generalstabschef des Heeres. In diesem Amt war er führend an der Ausarbeitung der Pläne für den Überfall auf andere Länder beteiligt, so des »Planes Barbarossa« für den Angriff auf die UdSSR. Im August 1942 befahl die Operationsabteilung allen Heeresgruppen im Osten die »Zusammenstellung von Jagdkommandos zur Bandenbekämpfung«, die zehntausende erschossene, erhängte oder lebendigen Leibes verbrannte Männer, Frauen, Kinder und Greise wie auch viele hundert niedergebrannte Dörfer und Siedlungen bedeutete. Heusinger wurde Ende 1941 Generalmajor und Anfang 1943 Generalleutnant. Beim Attentat in der »Wolfsschanze« am 20. Juli 1944 stand er als »Vortragender« neben Hitler. Er wurde verwundet und – wie sich erwies – von der Gestapo grundlos drei Monate inhaftiert.

Speidel, ebenfalls Generalstäbler der Reichswehr, war ab Oktober 1933 als Hauptmann Gehilfe des deutschen Militärattachés in Paris und wurde 1936 Leiter der Abteilung Fremde Heere West im Oberkommando des Heeres (OKH). Im August 1940 avancierte er zum Chef des Stabes beim Militärbefehlshaber im besetzten Frankreich, mitverantwortlich auch für massive Versuche, die Résistance zu eliminieren. Seit 1942 an der Ostfront, wurde Generalmajor Speidel 1943 Chef des Stabes der Heeresgruppe Süd. Auch auf sein Konto ging die Taktik der »verbrannten Erde« beim Rückzug vor der anstürmenden Roten Armee. 1944 wurde er Generalleutnant und Chef des Stabes der von Generalfeldmarschall Rommel befehligten Heeresgruppe B an der Westfront. Seit September 1944 ohne Urteil in Küstrin in Gestapohaft, gestattete man ihm im April 1945, vor der anrückenden Roten Armee zu entkommen und im Bodenseekreis untertauchen.

Am 12. November 1955 als erster Bundesminister für Verteidigung vereidigt, ernannte Blank Heusinger und Speidel zu Generalleutnanten und damit zu den ranghöchsten ersten Angehörigen der Bundeswehr. Sie machten schnell weiter Karriere. Am 1. Juli 1957 wurde Heusinger General und erster Generalinspekteur der Bundeswehr. Als er 1961 den Vorsitz im NATO-Militärausschuss in Washington übernahm, forderte die UdSSR von den USA seine Verhaftung und Auslieferung wegen Kriegsverbrechen auf sowjetischem Boden.

Speidel avancierte im April 1957 zum Oberkommandierenden der alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa mit Sitz in Fontainebleau nahe Paris. Einen Monat später ging ein Aufschrei durch Frankreich, forderte die demokratische Öffentlichkeit, ihn des Landes zu verweisen. Gestützt auf sensationelle Dokumente von September/Oktober 1934, entlarvten Zeitungen den einstigen Gehilfen des deutschen Militärattachés in Paris als Organisator eines Mordanschlags in Marseille. Am 9. Oktober jenes Jahres waren in der französischen Hafenstadt der jugoslawische König Alexander I. und Frankreichs Außenminister Louis Barthou von einem gedungenen jugoslawischen Agenten, einem Mitglied der faschistischen Terrororganisation I.M.R.O. (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation) erschossen worden. (*) Drahtzieher waren der italienische faschistische Geheimdienst und ein als »Forschungsamt« im Reichsministerium für Luftfahrt in Berlin getarnter, Göring unterstehender militärischer Geheimdienst. Die Dokumente bewiesen, dass der Auftrag für das Unternehmen »Teutonenschwert« von Hitler erteilt und von Göring zusammen mit »Durchführungsbestimmungen« des »Forschungsamtes« an Speidel weitergegeben worden war. (*)

Die Führungsakademie der Bundeswehr: Nach nur kurzer Amtszeit des Gründungschefs der 1957 aus der Taufe gehobenen Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg-Blankenese stand ab Oktober 1959 bis März 1962 ein Mann mit ganz besonderen Meriten an der Spitze dieser Kommandeursschmiede, Heeres-Generalmajor Hellmuth Laegeler. Er war vom 21. Juli 1944 bis zum Ende des »Großdeutschen Reiches« am 8. Mai 1945 als Generalmajor Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres der Wehrmacht. (*) Unmittelbarer Vorgänger als Stabschef war bis zu seiner standrechtlichen Erschießung in Berlin am 20. Juli Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der Kopf des fehlgeschlagenen Attentats auf Hitler in dessen ostpreußischer »Wolfsschanze«. Das seit 1939 von Generaloberst Friedrich Fromm befehligte Ersatzheer unterstand ab 21. Juli auf Weisung Hitlers nicht mehr der Wehrmachtsführung, sondern Heinrich Himmler persönlich, dem Reichsführer SS, Chef der Deutschen Polizei und Reichsinnenminister. Er ernannte SS-Obergruppenführer Hans Jüttner zum Befehlshaber des Ersatzheeres. Laegeler genoss als Chef des Stabes bei Jüttner offen-sichtlich das volle Vertrauen Hitlers und Himmlers. Im Anschluss an die erzwungene Nachkriegspause ging es auch für Laegeler bald weiter. Als einer der ersten Generale der Bundeswehr inspizierte er an der Seite Adenauers zusammen mit Heusinger, Speidel und Blank 1955 das erste Lehrbataillon in Andernach.

Die Generalinspekteure der Bundeswehr: Dem ersten Generalinspekteur Heusinger folgte auf diesem höchsten Posten der Bundeswehr 1961 General Friedrich Albert Foertsch. Er war einst Verfasser des persönlichen Eides, den die Soldaten der Reichswehr am 2. August 1934, dem Todestag von Reichspräsident Paul von Hindenburg, erstmals auf Hitler abzulegen hatten: »Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingt Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.« Diese Eidesformel nahm den Namen vorweg, den die Reichswehr offiziell mit der Einführung der Wehrpflicht am 16. März 1935 bekam. (*) Foertsch geriet im Mai 1945 als Generalleutnant im Kurland-Kessel in sowjetische Gefangenschaft und wurde 1950 als Kriegsverbrecher zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Die ihm als Generalstabschef der 18. Armee unterstellten Truppen hatten, so die sowjetische Anklage, »die Städte Pskow, Nowgorod und Leningrad zerstört und historische Kunstdenkmäler in den Städten Gatschina, Peterhof, Pawlowsk und Puschkin vernichtet«. (*) Er kam 1955 als nicht amnestiert nach Deutschland zurück und konnte im Jahr darauf als Generalmajor den Dienst antreten.

Ab 1. Januar 1964 stand General Heinz Trettner, Nachfolger Foertschs, als Generalinspekteur an der Spitze der Bundeswehr. Seit 1929 Offizier, erhielt er 1938 eine Generalstabsausbildung. Zuvor war er »von November 1936 bis Januar 1938 zunächst Adjutant von Generalmajor Hugo Sperrle und anschließend Staffelkapitän der Legion Condor während des Bürgerkrieges in Spanien.« (*) Er leitete im Mai 1940 als Major und Stabschef von General Kurt Student die Planung der »Eroberung Hollands und erhielt dafür das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes.« (*) Trettner nahm 1941 am Kreta-»Unternehmen Merkur« teil, war dann als Generalstabschef eines Korps in der Sowjetunion im Einsatz und kommandierte zuletzt als Generalmajor und Eichenlaubträger in Italien eine Division der Fallschirmjäger, die sich dort zahlreicher Gräuel schuldig gemacht haben. Der Träger auch der höchsten franco-spanischen Kriegsauszeichnungen trat 1956 als Generalmajor den Dienst in der Bundeswehr an.

Die Heusinger-Foertsch-Trettner-Tradition an der Spitze der Bundeswehr setzte sich ungebrochen fort. Von 1966 bis 1972 hatte General Ulrich de Maiziere den höchsten militärischen Posten inne. Er war 1955 als Oberst in der Bundeswehr angetreten, 1962 nach Laegeler Kommandeur der Führungsakademie und 1964 als Generalmajor Inspekteur des Heeres geworden. Die Befähigung für den Aufstieg in der Bundeswehr hatte er sich ab 1941 als Generalstäbler vorwiegend an der Ostfront erworben. Ab Februar 1945 gehörte er als Oberstleutnant und Erster Generalstabsoffizier der von Heusinger befehligten Operationsabteilung des Oberkommandos des Heeres an. »In dieser Funktion nahm er im Frühjahr 1945 auch an den Lagevorträgen bei Adolf Hitler in der Berliner Reichskanzlei teil.« (*)

Die Inspekteure der Teilstreitkräfte: Erster Inspekteur der Marine wurde Vizeadmiral Friedrich Ruge. Er hatte als Kapitän zur See am »Polenfeldzug« teilgenommen. »Der von ihm geführte Verband war unter anderem an der Einnahme von Gdingen (Gotenhafen) beteiligt«; 1940 befehligte er als Kommodore eine Kriegsschiffgruppe »während des Norwegenfeldzuges«. (*) In der Urkunde zur Verleihung des Ritterkreuzes hieß es, er »zeichnete sich während des Polenfeldzuges durch hervorragenden persönlichen Schneid aus«. (*) Ende 1943 als Admiral z.b.V. dem Stab Rommels bei der Heeresgruppe B an der Westfront zugeteilt, erlebte er das Kriegsende als Chef des Amtes für Kriegsschiffbau im Oberkommando der Marine (OKM). [...]

Als erster Inspekteur des Heeres fungierte Generalleutnant Hans Röttiger. Er hatte sich die Qualifikation dafür nicht nur als Offizier in Erstem Weltkrieg und Reichswehr erworben. Seit 1934 Generalstabsoffizier und ab 1938 als Oberstleutnant dem Generalstab des Heeres zugehörig, nahm er an den Überfällen auf Polen, Frankreich und die UdSSR teil. In den letzten Kriegsjahren war er als General der Panzertruppe Chef des Generalstabs von Heeresgruppen an der Ostfront und in Italien. Ihm folgte auf dem Posten des Heeres-Inspekteurs bis September 1964 Generalleutnant Alfred Zerbel, seit Mitte der 30er Jahre Generalstäbler, später Oberst und Chef der Abteilung Ausbildung im Oberkommando des Heeres (OKH), dann unter anderem Chef des Generalstabs eines Armeekorps an der Ostfront. 1956 winkte wieder die Uniform eines Obersten.

Das Führungspersonal der neuen Luftwaffe wies alles überragende Meriten im gewünschten Sinne auf. [...]

Der »Tag der Bundeswehr« ein landesweites Volksfest? Geht es makabrer?

Anmerkung: Exakte Quellenangaben zu den mit (*) gekennzeichneten Zitaten und Fakten können meinem Buch Berlin-Bonn-Saigon-Hanoi – Zur Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen entnommen werden (Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2013). – Redaktionell leicht gekürzt.

 

 

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