Uns steht eine harte Programmdebatte bevor
Ellen Brombacher, Berlin, im UZ-Interview
André Brie hat die eigene Partei, die gerade formierte Linke, im Spiegel vom 30. Juli 2007 vor Populismus, bolschewistischer Machtpolitik und Schwarz-Weiß-Denken gewarnt. Ist das reine Nestbeschmutzung, oder was meint er damit?
Man täte Brie unrecht, würde man ihm schlichte Nestbeschmutzung vorwerfen. Wenn der ein so grundsätzliches Interview gibt, will er nicht schlechthin mit Dreck werfen, sondern prinzipiellen Einfluß auf die Parteilinie nehmen. Das setzt voraus, daß ihm die momentane Linie der Partei Die LINKE zumindest punktuell nicht paßt. Es paßt ihm die Forderung nicht, die deutschen Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Solidarische Aussagen zu Venezuela und Kuba sind ihm ebenso wenig genehm wie der Ruf nach Systemüberwindung oder auch klare Ansagen gegen Privatisierungen. Und da wird dann nach dem Prinzip verfahren: Haltet den Dieb. Er hat mein Messer im Rücken. Die den kompletten Verkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft ablehnen, betreiben bolschewistische Machtpolitik und die Linkspartei.PDS-Immobilienmakler gehören zu den kritischen Leuten in der Partei, die eingeschüchtert werden.
Brie fordert im Gegensatz zur erklärten Politik der Linkspartei, daß die deutschen Truppen in Afghanistan bleiben müßten. Die Linkspartei müsse über realistische Lösungsmöglichkeiten nachdenken und dürfe keine reine Protestpartei werden. Welche Rolle spielen solche Überlegungen in der Partei?
Brie warnt vor der reinen Protestpartei: "Da kann man sogar verwechselbar werden mit den Rechten. Wir haben das 2004 erlebt, bei den Anti-Hartz-Demonstrationen – da konnte man auf Demonstrationen gehen, die innerhalb von Minuten von links nach rechts kippten." So wird eine Bewegung von Hunderttausenden diffamiert. Nicht nur, daß Hartz-Gegnern mangelnde Distanz zu Nazis unterstellt wird. Brie stempelt sie zu Idioten, die sich in Minutenschnelle manipulieren lassen. Dem Widerstand gegen Sozialabbau und Krieg wird so strukturelle Kompatibilität zu den Rechten unterstellt. Grundlos! Linke bleiben erkenntlich, wenn sie über die Ursachen all der Schweinereien aufklären, die unseren Alltag zunehmend bestimmen. Für die Nazis sind die Ausländer an allem schuld – die Juden natürlich auch. Und die Lösung für alles ist "nationale Solidarität". Volksgemeinschaft hieß das einmal. Wir sind Antirassisten. Jeder Antisemitismus ist uns ebenso zuwider wie die Stigmatisierung der Muslime. Unsere Solidarität ist internationalistisch. Linke brauchen keine Sündenböcke, weil Verschleierung nicht in ihrem Interesse ist. Im Gegenteil. Uns liegt daran, daß immer mehr begreifen: Die Ursachen für Elend und Not weltweit – imperialistische Kriege eingeschlossen – entspringen primär der Profitmaximierung. Wer sich zu solchen Positionen bekennt, wird nicht mit Nazis verwechselt. Brie weiß das. Und ebenso weiß er, daß die Haltung zu deutschem Militär in Afghanistan in direktem Bezug zu Regierungserwägungen, "übrigens schon mit Blick auf 2009", steht. Die unbedingten Regierungsbefürworter der LINKEN hätten, wenn überhaupt, nur eine Chance auf Koalitionsbeteiligung im Bund, wenn die Partei außenpolitisch kompatibel ist. Das ist sie aber nicht. Die in harter Auseinandersetzung vor sieben Jahren auf dem Münsteraner Parteitag bewahrten friedenspolitischen Prinzipien der PDS, die jüngst in den programmatischen Eckpunkten bekräftigt wurden, passen weder zu den NATO-Verpflichtungen der BRD noch zu den militärischen in der EU. Uns steht eine harte Programmdebatte bevor.
Umsetzung von Sozialabbau in Berlin, weithin sichtbarer G8-Protest in Heiligendamm; Lob der kapitalistischen EU-Geschichte als Erfolgsstory und positiver Bezug auf die bolivarianische Revolution in Venezuela. Was ist das wahre Gesicht der Linkspartei?
Das der Widersprüchlichkeit.
Das Wort von der bestehenden Mehrheit links von CDU und FDP macht die Runde. Brie fordert, daß die Linkspartei schon für 2009 eine solche Regierung anstreben solle. Wie sähe deren programmatische Basis aus? Wie sähe eine Linkspartei in einer Konstellation mit SPD und Grünen aus?
Ich finde Lafontaines Überlegungen, unter welchen Bedingungen Beck als Kanzler wählbar wäre, nicht unsympathisch: Abzug der Truppen aus Afghanistan, Abschaffung von Hartz IV und der Rente mit 67 und die Einführung eines Mindestlohnes. Würden diese Forderungen realisiert, käme das einem Paradigmenwechsel gleich. Ob Lafontaine einen solchen Paradigmenwechsel bei den Grünen und der SPD für möglich hält, kann ich nicht einschätzen. Ich kann ihn mir nicht vorstellen – und daher auch keine Regierungsbeteiligung im Bund. Sollten Lafontaines richtige Forderungen keine Chance haben, so bestimmen sie die weitere Richtung der Opposition. Eine Koalition jenseits dieser Forderungen – zu den Bedingungen von SPD und Grünen also – ist des Nachdenkens nicht wert. Deren programmatische Basis wäre der blanke Opportunismus. Das machte die Partei nicht nur für Kommunistinnen und Kommunisten überflüssig.
Bei Brie gibt es einen Zungenschlag gegen Oskar Lafontaine, dem er abspricht, das Bündnis mit der SPD knüpfen zu können. Statt dessen empfiehlt er Bisky und Gysi. Was steckt dahinter?
Ich habe das Interview anders gelesen. Das ist nicht nur ein Zungenschlag gegen Lafontaine, sondern ein voll genommener Mund. Und den nimmt Brie nicht etwa innerhalb der Partei voll. Nicht auf einem Parteitag meldet er sich zu Wort und polemisiert mit Lafontaine. Er meldet sich via SPIEGEL. Nichts Neues übrigens. Neu wäre, wenn er uns – sagen wir über al Djazeera – eine Videobotschaft zukommen ließe – aufgenommen vielleicht in einem Lager der iranischen Volksmujaheddin im Nordirak. Genug der Ironie. Das Interview ist ein Frontalangriff auf Lafontaine; ein Frontalangriff auf alle in der Partei, denen Opposition gegen die schlimmsten Auswüchse dieser Gesellschaft noch etwas gilt. Um mehr geht es nicht. Aber auch nicht um weniger. Die Empfehlung, Bisky und Gysi sollten sich mehr einmischen und die Konflikte austragen, ist ein Aufruf zur Polarisierung. Lafontaine soll tun, was Brie sich vorstellt, oder aber er soll isoliert werden. Brie weiß natürlich, welche Bataillone bereit stehen – so das Forum demokratischer Sozialisten: eine Art innerparteiliche Vereinigung der Parteihauptamtlichen und Fraktionäre, die nicht wünschen, daß man ihre Kreise stört. Die meisten von ihnen werden mit dem Inhalt des Brieschen Spiegel-Interviews keine Probleme haben, vielleicht hier und da mit seiner Hemdsärmeligkeit. Vielleicht.
Die Fragen stellte Adi Reiher.
Unsere Zeit, 10. August 2007
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