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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Schreibe etwas vielleicht über Frauen

Gina Pietsch, Berlin

 

Eine Würdigung für Clara Zetkin anlässlich ihres 90. Todestages am 20. Juni

 

Von ihrer besten Freundin Rosa Luxemburg ergeht die o.g. Bitte am 18. November 1918, ergänzt mit dem Satz das ist so wichtig jetzt, und niemand von uns hier versteht was davon.

Louis Aragon sah das ähnlich und sie in seinem Roman »Die Glocken von Basel« so:

Sie ist nicht schön, aber in ihrem Wesen liegt eine Stärke, die über die Frau hinausgeht. Sie ist einfach die in hohem Grad vollendete Erscheinung der neuen Frau. Was an ihr unge­wöhnlich ist, sind ihre Augen ... Diese übergroßen und herrlichen Augen, blau und lebendig wie tiefes strömendes Wasser.

Nun, man merkt, Aragon mochte sie. Viele mochten sie nicht.

In der bürgerlichen Öffentlichkeit war sie die Rote Emanze,

für Kaiser Wilhelm die gefährlichste Hexe des deutschen Reiches,

für Alice Schwarzer eine dezidiert antifeministische Sozialistin,

für Goebbels einfach eine Sau,

für uns eine der bedeutendsten Vertreterinnen der proletarischen Frauen- und Arbeiterbe­wegung.

Anlässlich ihres 70. Geburtstages schrieb sie ihrem Freund Wilhelm Pieck, Lob und Feiern zerknirscht und beschämt mich. Trotzdem, wir ehren sie als Kämpferin für das Frauenwahl­recht, als Begründerin des Internationalen Frauentages, als Politikerin, Theoretikerin, Pädagogin, Sozialistin, Marxistin, Journalistin, Pazifistin.

Feministin zu sein, spricht nicht nur Alice Schwarzer ihr ab. Warum? Verteidigung der sozia­len Rechte der berufstätigen Frau sei das Einzige, das sie interessiert hätte. Aber, sie hatte doch in »Der Student und das Weib« klar feministisch die Beziehungen zwischen Frau und Mann aufgezeigt, sowie erläutert, dass die emanzipierte, autonome Frau, die ihr volles Menschentum erreicht hatte, beide Geschlechter bereichert. Auch schon nach ihrer ersten Broschüre »Die Arbeiterinnen- und die Frauenfrage der Gegenwart« war der Vorwurf, sie habe nur die Probleme der Arbeiterin im Sinn, unbegründet. Denn immer war ihr bewusst, dass die Art der Frauen, zu denken und zu leben, mehr von ihrer Kultur als ihrer Natur abhänge, so auch der Unsinn, dass es eine weibliche Natur gäbe, die die Frau auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter einschränkt.

Gegen eine riesige Zahl von Ungerechtigkeiten

Nun, der Streit geht bis heute, deshalb zurück zu Clara: Sie wurde als Clara Eißner am 5. Juli 1857 im Dorf Wiederau in Sachsen geboren. Aufgewachsen ist sie in kleinbürgerlichen Verhältnissen, ihr Vater war Lehrer und Kantor. 1872 zog die Familie Eißner nach Leipzig. Claras Mutter, Josephine Eißner, hatte sich schon früh in der bürgerlichen Frauenbewegung engagiert, was Clara ab 1874 den Besuch des von Auguste Schmidt geleiteten Lehrerin­nenseminars ermöglichte. So schloss sie die Ausbildung als Fachlehrerin für moderne Sprachen ab, bekam aber, da seit 1878 Mitglied der SPD, keine Möglichkeit, an einer Schule zu unterrichten – also Hauslehrerin in Sachsen und Österreich. 1882 ging sie nach Zürich. Dort kam sie in engen Kontakt mit sozialistischen Emigranten. Einer, Julius Motteler, machte sie auf Bebels Die Frau und der Sozialismus aufmerksam, ein wichtiger Anstoß zu Claras Entschluss, sich in der Frauenfrage zu engagieren. Ein anderer Emigrant aber wurde für sie noch wichtiger. Denn was kann über die erste Liebe gehen? Ossip Zetkin. Sie hat ihn kennengelernt 1878 in Leipzig, in einem Zirkel emigrierter russischer Studenten und Sozialdemokraten. Claras Mutter lehnt ihn als »Nichtsnutz« ab. Clara aber, als er 1880 während einer geheimen Konferenz der Sozialisten verhaftet und aus Deutschland ausgewiesen wurde, folgt ihrem Geliebten 1882 nach Paris, nennt sich nun Zetkin und bringt ihrer beider Söhne Maxim und Kostja zur Welt. Die jungen Eltern leben in Armut von Übersetzungen und Journalismus. Clara beschreibt es im Brief an Kautsky 1887 so: Geld ist zwar Dreck, aber Dreck ist leider kein Geld, sehr praktische Ergänzung ihrer Studien zur marxistischen Theorie, quasi Claras politische Universitäten. Und es wurde schlimmer. Ossips unheilbare Rückenmarkserkrankung lähmt ihn, lässt am 29. Januar 1889 mit 39 Jahren sein Herz still stehn und ihres in Trauer erstarren. Arbeit hilft da. Am 14. Juli 1889 referierte sie auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris »Für die Befreiung der Frau« und lernt dabei, wie sie Kautsky schrieb, ihre fast unüberwindliche Schüchternheit und Unzufriedenheit mit sich selber zu überwinden. Denn Wichtiges hat sie da zu sagen: Wie der Arbeiter vom Kapitalisten unterjocht wird, so die Frau vom Manne; und sie wird unterjocht bleiben, solange sie nicht wirtschaftlich unabhängig dasteht.

Das war nun ihr ureigenster Bereich geworden, die Fragen der Frauen und Arbeiterinnen. Natürlich wurde sie dafür innerhalb und außerhalb der Partei, SPD, USPD, auch KPD, oft nicht verstanden, oft bekämpft. Freilich, sie weiß und nimmt ihre Beobachtungen sehr ge­nau. In 8 Branchen lagen die männlichen Wochenlöhne zwischen 9 und 35, die weibli­chen zwischen 6 und 18 Mark. Clara untersucht aber auch die riesige Zahl weiterer Ungerechtig­keiten für Frauen, die fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten, die Verbote, politische Ver­sammlungen zu besuchen, zu heiraten, wenn man Lehrerin war und und und. Dabei hat­te Bebel 1879 schon gesagt, dass die Befreiung der Menschheit von kapitalistischer Sklave­rei nicht gelänge, wenn 50 Prozent der Menschen ihrer Rechte beraubt blieben. Aber nein. Die wunderbare Käthe Kollwitz muss bei der großen Berliner Kunstausstellung 1898, als sie die goldene Medaille bekommen sollte, Kaiser Wilhelms Reaktion aushalten: »Ich bitte Sie, meine Herren, eine Medaille für eine Frau, das ginge dann doch zu weit … Orden und Ehrenzeichen gehören an die Brust verdienter Männer!« Hier hätte ich gern gelesen, wie der beliebte Ferdinand Lassalle dazu dachte, der ja klar der Meinung war, dass die Frau ins Haus gehöre und nicht in die Fabrik. Clara war wichtiger die für einen erfolgrei­chen Kampf um den Sozialismus notwendige Voraussetzung, dass Frauen und Männer da an einem Strang ziehen. Und siehe, die Frauenbewegung zwischen 1890 und 1914 hatte es ge­schafft, wichtige Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen zu errei­chen, was nicht wenig mit ihrem eigenen Einsatz, ihren Bemühungen um Klarheit und Ge­nauigkeit und ihrem Organisationstalent zu tun hat. Der Verlagsleiter Dietz glücklicher­weise erkennt das und vertraut ihr 1892 die Leitung der neuen Frauenzeitung »Die Gleich­heit« an. Das Blättchen rappelt sich hoch und erfüllt mindestens im vierten Jahr Claras Ziel, schulend und fördernd auf die Frauenbewegung zu wirken.

Trotz Sozialistengesetz nahm die proletarische Frauenbewegung in dieser Zeit rasanten Aufschwung. 1889 referierte sie darüber auf dem Gründungskongress der Zweiten Interna­tionale in Paris, den sie mit vorbereitet hatte, forderte die vollständige berufliche und ge­sellschaftliche Gleichberechtigung der Frau sowie ihre aktive Teilnahme am Klassenkampf. Auf ihre Initiative hin fasste man den Beschluss, die Frauen als gleichberechtigte Mitglie­der in die sozialistischen Organisationen aufzunehmen. Clara war für das Frauenwahlrecht, das die bürgerlichen Frauenwahlrechtlerinnen forderten, wenn diese sich im Kampf hinter und neben die Proletarierinnen stellen würden. Und natürlich, möchte man sagen, war sie für die Abschaffung des § 218, verteidigte die Liebe ohne Trauschein, und war für Ehe­scheidungen, auch wenn ihre eigene von ihrer zweiten Liebe, dem Maler Friedrich Zundel, nach fast 20 Jahren, ein schlimmer Schmerz für sie war. 

Wenn die Männer töten und schweigen, ...

Claras Kämpfe an ihren vielen Frauen-Baustellen brachten mit sich 1907 auf der ersten Internationalen Konferenz sozia­listischer Frauen in Stuttgart ihre Wahl zur Vorsitzenden des Internationalen Frauensekre­tariats und 1910 auf der zweiten in Kopenhagen die Einrichtung eines Internationalen Frauentags, der 1911 erstmalig begangen wurde. Von da an nahm der Hass gegen sie und die Frauenfragen in der SPD wieder gewaltig zu. Victor Adler schrieb 1910 an Kautsky: Stell Dir vor, Clara hätte ihr Mandat schon und säße mit Rosa im Reichstag! Da würdet ihr erst was erleben! Man erlebte wirklich, freilich anders als Adler sich das vorgestellt hatte. Am Beginn des Weltkrieges ruft sie den sozialistischen Frauen aller Länder zu: Wenn die Männer töten, so ist es an uns Frauen, für die Erhaltung des Lebens zu kämpfen. Wenn die Männer schweigen, so ist es unsere Pflicht, die Stimme zu erheben. Mehr noch: Clara ruft die Arbeiterinnen aller Länder zu Sabotageakten für den Frieden auf. Wenig später wird sie wegen Hochverrats angeklagt und ins Gefängnis nach Karlsruhe gebracht.

Von 1920 bis 1933 war sie im Reichstag eine der 89 Abgeordneten der KPD und hält da am 30. August 1932 als Alterspräsidentin die Eröffnungsrede. Schon 1923 hatte sie genauer als alle anderen Kommunisten prophetisch den Faschismus analysiert. Gegen die­sen plädiert sie nun, vor dem Gejohle der 230 Abgeordneten der NSDAP, beschwört die Frauen, sich von Faschisten nicht zur Gebärmaschine degradieren zu lassen, warnt vor dem kommenden Krieg und fordert erneut die Einheitsfront aller Werktätigen. Das alles erfolglos, wie wir wissen.

Nach der Machtergreifung durch die Faschisten 1933 und dem Ausschluss der KPD aus dem Reichstag flüchtet Clara Zetkin in die UdSSR, wo sie nach schwerer Krankheit in Archangelskoje am 20. Juni 1933 starb. Stalin und Molotow trugen bei ihrer Beisetzung an der Kremlmauer in Moskau ihre Urne, obwohl sie die 1928 als unzuverlässig belastete Genossin kaltgestellt hatten. An dem Trauerzug beteiligten sich mehr als 600.000 Arbeiter, Studenten sowie Soldaten der Roten Armee.

 

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