Sanders, Biden und die Demokraten
Victor Grossman, Berlin
Es war ein böser Winter! Kaum Schnee, doch mehr als genug Zittern sowie Eis ums Herz! Wir dürfen weiter hoffen, dass die Attacken des Virus allmählich nachlassen. Doch unsere rosigen politischen Hoffnungen auf Jeremy Corbyn und Bernie Sanders – sie welkten und gingen ein. Die schuldigen Gärtner sind leicht auszumachen.
Seit 2016 war es klar, dass die Mächtigen der USA absolut entschlossen waren: Bernie Sanders, ein erklärter Gegner der Milliardäre, dürfe unter keinen Umständen siegen.
Sanders? Nie und nimmer!
Nein, ein Kommunist ist er nicht (obwohl manche ihn boshaft so bezeichnen). Zur Enteignung von Produktionsmitteln und Banken hat er nie aufgerufen. Dennoch reichte es schon, wenn er einen Medizinplan fordert, der gegen eine minimale Steuer sämtliche Menschen umfasst und gänzliche Behandlungen und Medikamente umfasst. Das würde das Ende des unbegrenzten Profiteinheimsens der Pharma-Herren bedeuten, auch das Stutzen der luxuriösen Flügel der Privatkrankenhäuser und - oh weh – wohl ein Ende für die privaten Krankenversicherungen, die sich obszön übersättigen durch die Misere betrogener Versicherter.
Sanders und die meist jungen Sanders-Bewegten fordern gebührenfreie Hochschulbildung. Das würde jene Hochschulpräsidenten bedrohen, die hoch in der Sechsstellenskala und häufig in Millionenhöhe kassieren, während sieben Millionen Absolventen oft ein Leben lang ringen, um durchschnittlich 37.000 Dollar Schulden abzubezahlen, und oft nicht mal die jährlichen Zinsen schaffen.
Wie können Männer wie Jeff Bezos, mit einem Vermögen von 110 Milliarden der reichste Mann der Welt, es sich je leisten, schuftenden Lagerarbeiterinnen genug zu bezahlen, damit sie nicht Sozialhilfe und Essentafeln zum Überleben brauchen? Schon einmal musste er knapp erhöhen – wegen Sanders.
Wie könnten Saudi-Arabien und die Emirate ihren Krieg in Jemen weiterführen, wenn ihnen keine US-Waffen mehr verkauft würden? Und, mit am kontroversesten, wie käme in Israel Netanjahu oder seine Nachfolger aus, wenn das jährliche Einpumpen von über 3 Milliarden Dollar aufhörte?
Nein! Es gab zu viele Gründe: Sanders? Nie und nimmer!
Das gilt aber nicht nur für Republikaner, die, ob fröhlich oder mit Bedenken, sich am Ende fast vollzählig für Trumps Sieg einreihen. Gerade für bedrohte Führende bei den Demokraten, ebenfalls mit Zweigen der gleichen Klasse wie die Republikaner innigst verflochten, galt und gilt: Sanders? Nie und nimmer!
Wer könnte ihn diesmal bremsen? Die misslungene Hillary Clinton wohl kaum! Die drei mit afro-amerikanischen Wurzeln? Zu sehr in den korrupten Politik-Maschinen verwickelt, begeisterten sie fast keinen. Andrew Yang und Julian Castro, nicht ganz uninteressant, doch kaum bekannt, begeisterten wenige und schieden schon – vielleicht aus Angst vor Rassisten – aus. Die rechte Senatorin Amy Kobuchar, nach einem einzigen gelungenen Symposium-Schlag, hat (außer einen Redakteur der New York Times) kaum begeistert. Auch der adrette Bürgermeister Pete Buttigieg, ein Kleinstadt-Bürgermeister, wurde als frischer junger Gegner von Sanders herausgefischt, schied aber aus wegen seiner zu offenen Bindung zu Ultrareichen, des Mangels an einem Programm und des kaum versteckten Rassismus. In Verzweiflung ließ man den Milliardär Michael Bloomberg zu, der dafür sich für seinen bösen Rassismus als einstiger Bürgermeister von New York stotternd entschuldigte. Doch auch das nutzte ihm gar nicht. Nichts schien zu wirken. Auch waren manche fast so weit, mangels anderer die schwächere Linksneigung von Senatorin Elizabeth Warren zu akzeptieren – als wohl leichter nach rechts zu rücken als beim sturen Linken Sanders.
Die Rettung?
Endlich kam die Rettung, gerade mit dem Mann, der anfangs hoffnungsvoll, später aber nur für den Notfall bereitgehalten wurde. Nun war der eingetreten, und Joe Biden wurde eingesetzt. Nun hat er die allerbeste Chance, als Kandidat der Demokaten am 3. November in die Schlacht gegen Trump zu ziehen!
In seiner langen politischen Karriere stand Biden am rechten Flügel der Demokraten. Mit stets guten Beziehungen zu den Republikanern gegenüber im Senatsraum. Kürzung von Renten und anderen Sozialmaßnahmen, die Bejahung des Irak-Kriegs und eines Gesetzes, das vor allem junge Schwarze und Latinos massenweise verurteilt und einkerkert, das und Ähnliches hat er, oft gemeinsam mit Obama, bejaht und befördert. In früheren Wahlkampagnen und in dieser hat er unverschämt gelogen; etwa, dass er in Apartheid-Südafrika verhaftet wurde oder als junger Mensch bei Boykotts und Märschen im Bürgerrechtskampf sich stark engagiert hätte. Über Sanders log er auch. Schlimmer war, obwohl er ein Jahr jünger ist als Sanders, dass sein armer Kopf manchmal nicht mehr ganz mitmachte, wodurch ab und zu Erstaunliches zu hören war, und oft nicht ein richtiger Satz.
Und trotz alledem setzt man sicherlich fast ganz auf Biden – falls er bis November durchhält. Es scheint klar, die Bonzen bei den Demokraten wollen lieber Trump denn Sanders!
Keine Experimente
Wie konnte man einen robusten Sanders, sein dringend nötiges Programm und so viel Begeisterung mit dem tatterigen Biden besiegen?
Bis auf wenige kleine linke stellten sich die ganzen Medien, wie 2016, massiv gegen Sanders. Auch als seine Kundgebungen, übervoll mit 10.000, 20.000 und mehr Begeisterten, nicht mehr zu ignorieren waren, schrieben sie über ihn nur Saures, Abschreckendes, mit jedem negativen Adjektiv und Adverb im reichen Vokabelschatz der New York Times, Washington Post, Wall Street Journal und der kleineren. Man tat alles, um seine Chancen zu mindern und die Wähler für andere zu bewegen. Egal für welche anderen!
Vor allem kolportierten sie, dass sein Programm, obwohl von sehr großen Teilen der Bevölkerung erwünscht, doch zu radikal, unpraktisch und unbezahlbar wäre, was ihnen hohe Steuern bringen würde. Solche Lügen hatten bei vielen ihre Wirkung.
Sanders wurde besonders von der Jugend und von Latinos begeistert bejubelt. Doch hatte er es wieder schwer, gerade ältere Afro-Amerikanerinnen zu gewinnen. Weil gerade Schwarze in der Demokratischen Partei sehr wichtig sind, hat dieses Manko gerade bei der wichtigen Abstimmung in Südkarolina seine kurze Siegesserie beendet. Viele hängen emotionell noch sehr fest an Barack Obama, an dem ersten schwarzen Präsidenten, mit allem, was das für sie bedeutete. Und Biden war nun acht Jahre lang Obamas Vizepräsident, was er zu erwähnen nie versäumte. Sie erfuhren dagegen fast nichts von seinen asozialen, gar rassistischen Entscheidungen oder über seine Lügen.
Wohl am wichtigsten für viele Demokraten, aber besonders für die schwarzen: die Medien konnten sie überzeugen, trotz etlicher Umfragen, dass Sanders' »Radikalität« viele abschrecken würde, während Bidens Moderat-Sein eine bessere Chance hätte. Die Lektion der Niederlage von Hillary und anderen »Moderaten« vergaß man angesichts der Furcht vor weiteren vier Jahren mit dem Rassisten Trump, dessen Anhänger schon in Richtung Faschismus zogen. Dann lieber sichergehen, ohne Experimente. Begünstigt wurden diese Tendenzen durch die Reden von einigen Afro-Amerikanern im Kongress. Obwohl schwarze Abgeordnete oft die fortschrittlichsten waren, es ist den Geldleuten gelungen, etliche der schwarzen zu beeinflussen oder gar zu kaufen, genauso wie die meisten weißen Abgeordneten. Man ist noch stolz auf ihren Erfolg – und hört ihren Ratschlägen zu.
Was ist zu erwarten?
Wird Bernie das Handtuch werfen, wie man eigentlich von Anfang an aus transparenten Gründen empfiehlt?
Es sieht momentan so aus, als ob er warten will, bis die letzten wichtigen Delegierten gewählt werden, um, wenn auch ohne die nötige Mehrheit gegenüber Biden, doch einen möglichst großen Einfluss im Wahlkampf zu erreichen, wie auch auf die weitere Entwicklung der Demokraten (zu denen er als Unabhängiger nie gehört hatte).
Wird er, wie etliche erwarten, ungefähr sagen: »Mit Bidens Karriere und Programm oder dem Mangel daran bin ich zwar nicht einverstanden, doch ist Trump weitaus gefährlicher, und ich werde Biden bis November unterstützen«? Er ist wirklich das weitaus »kleinere Übel«.
Andere meinen, Biden sei in vielem kaum besser als Trump. Von den Demokraten kann man, gerade nach dem Triumph über ihren linken Flügel, wohl kaum einen Vorwärtsgang erwarten.
Es sei höchste Zeit, aus manchen kleinen Parteien und etlichen kämpferischen Organisationen eine neue »Dritte Partei« aufzubauen, vielleicht gar als echte nicht-kapitalistische Alternative. Eine Abspaltung, mit oder ohne Sanders, ist durchaus für den entscheidenden Parteikongress im Juli denkbar.
Doch, wenn auch viel Wahrheit in dieser Analyse liegt, die Strategie birgt auch eine Gefahr. 1948 gab es den begeisterten Versuch, eine Progressive Party mit Henry Wallace als Kandidaten zu formieren. Doch bei der offenen Feindschaft fast aller Medien, ohne Teilnahme der meisten Gewerkschaften, die es lieber mit ihren Kumpeln bei den Demokraten hielten, und ohne einen Großteil der schwarzen Wähler zu erreichen (damals weitaus weniger an der Zahl), wurde der Versuch durch Antikommunismus, Rassismus und Nationalismus niedergeschlagen, und das Resultat war die empfindliche Schwächung aller Linken für mehr als zehn Jahre, mit schwächster Gegenwehr gegen Expansion, Krieg und McCarthyismus. Droht heute eine ähnliche Gefahr?
Für manche scheint der beste Weg zweispurig; alle Protestkräfte trotz verschiedener Interessen oder Differenzen außerhalb der Demokratischen Partei zu sammeln, aber dennoch Linke bei den Demokraten zu unterstützen, sie dabei unter ständigen Druck zu setzen mit dem Ziel, möglichst schnell eine große unabhängige Gegenkraft zu bilden, auch mit einigen der besten unkorrumpierten Demokraten. Ist das möglich? Etwa dreißig oder vierzig Prozent der Amerikaner unterstützen viele von Bernies Forderungen, oft ohne zu wissen, dass sie von ihm vertreten werden. Wie viele von denen – und dann mehr – können erreicht und gewonnen werden?
Die jetzige Epidemie kann große Änderungen mit sich bringen. Trump, obwohl er sie zuerst als nichtexistent abtat, versucht nun, daraus mit populären Maßnahmen vier weitere Jahre für sich zu gewinnen. Das kann ihm gelingen. Biden ist durch seine rechtsgerichtete Vergangenheit von Trumps Lanzen leicht verletzbar; es bleibt auch offen, ob er bis November geistig durchhält.Millionen von Amerikanern könnten beim fortschreitenden Chaos scharf nach rechts rücken, aber es ist auch denkbar, dass sie mit neuer Durchsicht vieles in Frage stellen und weitreichende Änderungen fordern. Die politische Zukunft ist so wenig voraussehbar wie der Verlauf des Coronavirus. Hoffentlich entdecken und verstärken wir die Wege aus dem giftigen Sumpf!
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