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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

"Rückführung" ins Elend

Ulla Jelpke, MdB

 

Ungeachtet übereinstimmender Warnungen nationaler und internationaler humanitärer Organisationen will die Bundesregierung in den nächsten Jahren rund 10.000 Roma und 4.000 weitere Minderheitenangehörige in den Kosovo abschieben. Es handelt sich um Menschen, die nach dem NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999 geflüchtet bzw. von kosovo-albanischen UCK-Einheiten vertrieben worden waren. Etliche von ihnen leben schon seit Jahren hier, manche Kinder wurden hier geboren, dennoch sollen sie "zurück". Die angekündigten Zwangsabschiebungen sind ein Nebenprodukt der selbstproklamierten Unabhängigkeit der südserbischen Provinz. Nach dem Ende des Krieges waren 92.000 Menschen "freiwillig" zurückgegangen, 22.000 wurden aus der BRD abgeschoben. Seit 2004 ist die Zahl der Abschiebungen allerdings doppelt so hoch wie die der "freiwilligen" Rückkehrer. Unter den Abgeschobenen waren bislang nur wenige Angehörige von Minderheiten – zu denen neben Roma auch Ashkali und Balkan-Ägypter gehören. Das lag an der UN-Verwaltung, die erkannt hatte, daß Minderheiten keine ökonomische Perspektive im Land haben und ihre Sicherheit nicht gegeben sei.

Mit dieser Zurückhaltung ist nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo Schluß. Im April dieses Jahres schloß die Bundesregierung mit Pristina ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen. Das war offenbar eine Grundlage für die Anerkennung des Kosovo bzw. die weitere Unterstützung des Landes. Das deuten jedenfalls Äußerungen des Ministers für Arbeit und Soziales in Pristina, Nenad Rasic, an. Der hatte im Januar das Abkommen als Voraussetzung beschrieben, "um überhaupt über die verschiedenen Aspekte der Zusammenarbeit im Hinblick auf eine weitere Zukunft für den Kosovo zu reden". Rasic verschwieg nicht, daß die Rückkehrer ökonomisch kaum integrierbar seien. Zugleich versuchte er, ihnen die Rolle als Unruhestifter zuzuschreiben: "Wir haben die Situation jetzt unter Kontrolle, aber das heißt nicht, daß es nicht schon in den nächsten Tagen zu sozialen Ausschreitungen unter denen kommen könnte, die gezwungenermaßen zurückkehrten und unglücklich über ihren Status hier sind." Diese Polemik ist bezeichnend für die antiziganistische Stimmung im Land. Tatsächlich sind es die Roma, die um ihre Sicherheit fürchten müssen. Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma warnt davor, daß Roma Gefahr laufen, zu Sündenböcken für die desolate wirtschaftliche Lage des Landes gemacht zu werden.

Es ist frappierend, daß die Bundesregierung bei ihren Abschiebeabsichten bleibt, obwohl einhellig sämtliche Menschenrechts- und Flüchtlingshilfeorganisationen davor warnen. Die OSZE, der Hohe Flüchtlingskommissar der UNO, der Europäische Kommissar für Menschenrechte und zahlreiche deutsche Hilfsorganisationen sind sich einig, daß die Situation im Kosovo hoffnungslos und für Roma außerdem gefährlich ist. Eine Delegation des Innenausschusses des Bundestages konnte sich im April davon überzeugen, daß die Abgeschobenen zu 90 Prozent arbeitslos sind, zum Teil in provisorischen, gesundheitsschädlichen Unterkünften hausen. Ihre Kinder sprechen häufig deutsch, aber weder albanisch noch serbisch, was den Schulbesuch schwierig macht. Die Infrastruktur ist extrem ärmlich, das Gesundheitssystem in einem speziell für Alte und Kranke lebensbedrohlichen Maß unzureichend. An Arbeitsplätze ist nicht zu denken, schon wegen der rassistischen Stigmatisierung. Manche der "freiwilligen" Rückkehrer erhalten Rückkehrerhilfen, aber diese laufen nach wenigen Monaten aus. Hinzu kommt, daß die Kosovo-Behörden vor Ort über diese Hilfsprogramme häufig gar nicht informiert sind.

Das Europäische Roma-Forum hat wegen der Abschiebepläne die Bundesregierung "die romafeindlichste in Europa" genannt. Mag sein, daß Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy derzeit noch die deutsche Regierung übertrumpft. Dennoch wäre es ein Gebot der Menschlichkeit, den Roma Bleiberecht zu geben. Auch aus historischer Verantwortung: Angesichts der Ermordung einer halben Million Sinti und Roma durch die Nazis wäre es eine Chance und Verpflichtung, den Roma-Familien, die nun seit Jahren hier leben, die Perspektive für ein Leben in Sicherheit zu bieten.

Quelle: junge Welt, 21. August 2010

 

Mehr von Ulla Jelpke in den »Mitteilungen«: 

2009-10: Bilanz der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung

2008-07: Rückblick auf die Asyl-Debatte im Deutschen Bundestag vor 15 Jahren

2007-11: Bleiberecht mit Hindernissen