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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Bilanz der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung

Ulla Jelpke, MdB, Berlin

Daß die neue Koalition von CDU/CSU und SPD sich daran machen würde, die Abschottungs- und Abschiebepolitik der Bundesrepublik zu verschärfen, war von Beginn an absehbar. Nachlesen konnte es jede und jeder im Koalitionsvertrag, in dem die beiden Partner im Kapitel VIII. ("Sicherheit für die Bürger") festhielten: "Wir wollen durch geeignete Maßnahmen die Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern verbessern und praktische Hindernisse der Abschiebung (…) soweit möglich beseitigen." Die "Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer", in Alltagsdeutsch übersetzt: die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern und abgewiesenen schutzsuchenden Flüchtlingen, soll vereinfacht werden. Praktische Hindernisse der Abschiebung sind in vielen Fällen fehlende Paßpapiere, oder die ausländischen Staatsangehörigen werden von ihrem (vermeintlichen) Herkunftsland gar nicht aufgenommen.

Abschiebeabkommen mit Folterstaaten

Die Bundesregierung versucht nun, die Betroffenen auch ohne ausreichende Identitätspapiere in ihre Herkunftsländer abschieben zu können. In einer umstrittenen völkerrechtlichen Argumentation vertritt Bundesinnenminister Schäuble die Ansicht, daß die Staaten quasi verpflichtet seien, eigene Staatsangehörige "zurück"zunehmen, wenn diese aus einem anderen Staat ausgewiesen werden. Diese angebliche "Rücknahmepflicht" versucht die Bundesrepublik schon seit Jahren durch den Abschluß sogenannter Rückübernahmeabkommen verbindlich zu machen. Mittlerweile werden diese Verträge nicht nur mit europäischen Nachbarn geschlossen, sondern auch mit Folterstaaten wie Syrien. Syrien muß nun alle eigenen Staatsangehörigen, Staatenlose mit früherem Wohnort in Syrien und über Syrien illegal eingereiste Migranten aufnehmen. Der Bundesregierung ist es völlig egal, daß Syrien kein einziges völkerrechtliches Abkommen zum Schutz von Flüchtlingen und von Staatenlosen ratifiziert hat. Besonders hart trifft das staatenlose Kurden aus Syrien, denen immer vorgeworfen wurde, in Wirklichkeit aus der Türkei zu stammen und ihre Identität zu verschleiern. 3.000 von ihnen leben in der Bundesrepublik, eine genaue Erfassung findet nicht statt. Daher ist auch nicht bekannt, wie viele als anerkannte Flüchtlinge hier leben und wie viele ausreisepflichtig sind. Dazu kommen fast 6.000 syrische Staatsangehörige, die zur Ausreise verpflichtet sind. Wie viele am Ende Opfer dieses Abschiebeabkommens werden, ist nicht genau abzusehen.

An der Praxis der Rückübernahmeabkommen beteiligt sich auch eine ganze Reihe weiterer EU-Staaten, entsprechende Abkommen gibt es auch zwischen der EU und Drittstaaten, darunter Sri Lanka. Die Mehrzahl der Abkommen wurde mit den Staaten des ehemaligen Jugoslawien geschlossen. Der Abschluß solcher Verträge ist Teil der "Europäischen Nachbarschaftspolitik" (ENP), im Gegenzug winken Reiseerleichterungen für die Bürger der Vertragsstaaten und Kooperation bei der Aufrüstung der Grenzen. Die ENP-Staaten werden somit zu vorgelagerten Frontstaaten der europäischen Flüchtlingsabwehr. Weil sie alle über ihr Territorium in die EU eingereisten Flüchtlinge "zurücknehmen" müssen, entwickeln sie selbst ein Interesse an restriktiven Grenzkontrollen und effektiver Abschottung.

Kettenduldungen und (k)ein Ende

Flüchtlingspolitisch hatte der Koalitionsvertrag ansonsten nicht viel zu bieten. Das erst 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz wurde von keinem der beiden Partner grundsätzlich in Frage gestellt, schließlich hatten sie es 2004 in einer faktischen "Großen" Koalition durch Bundestag und Bundesrat gebracht. Um sich aber dennoch ein Hintertürchen für Änderungen offen zu halten, vereinbarte die Koalition: "Wir werden das Zuwanderungsgesetz anhand der Anwendungspraxis evaluieren. Dabei soll insbesondere auch überprüft werden, ob eine befriedigende Lösung des Problems der so genannten Kettenduldungen erreicht worden ist." Die Evaluation brachte vor allem zutage, daß das Problem der Kettenduldungen nicht gelöst worden war. Noch immer erhielten die Menschen lediglich eine Verlängerung ihrer Duldung statt endlich eine Aufenthaltserlaubnis. Hinzugezogene Fachleute aus Behörden, Anwälte und Richter stellten unisono fest: Die Ausländerbehörden legen die Regelungen zur Beendigung von Kettenduldungen zu eng oder sogar falsch aus. In den Stellungnahmen wurde davor gewarnt, eine stichtagsbezogene "Altfallregelung" zu schaffen. Die Vergangenheit habe gezeigt, daß diese meist nur noch weitere Probleme nach sich ziehe.

Genau eine solche "Altfallregelung" war es dann, auf die sich nach zähen Verhandlungen SPD und Union einigen konnten. Im Sommer 2007 trat eine Regelung in Kraft, die allen Geduldeten mit mehr als acht (Alleinstehende) bzw. sechs (Familien) Jahren Aufenthalt (mit Stichtag 1. Juli 2007) den Weg in eine Aufenthaltserlaubnis ebnen sollte. Doch die Regelung war von Anfang mit hohen Hürden verbunden: Die Antragsteller (oder ihre Angehörigen) durften sich nicht strafbar gemacht haben, mußten bei allen ausländerrechtlichen Angelegenheiten wie der Paßbeschaffung mitgewirkt haben und vor allem müssen sie einen eigenständigen Lebensunterhalt nachweisen. Selbst ein theoretisch bestehender, aber gar nicht wahrgenommener Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe führt zum Ausschluß vom Bleiberecht. Um zu verhindern, daß die Regelung damit sofort ins Leere läuft – immerhin handelt es sich bei den Betroffenen um Menschen, die zuvor einem faktischen Arbeitsverbot unterlagen – wurde allerdings eine Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" geschaffen. Damit sollte zunächst die Jobsuche erleichtert werden, wenn alle anderen Voraussetzungen an das Bleiberecht erfüllt sind. Ende 2009 soll nachgewiesen werden, daß zumindest "überwiegend" der Unterhalt aus eigener Arbeit bestritten werden kann.

Bereits jetzt ist klar, daß diese Regelung zu vielen neuen Problemen geführt hat und noch führen wird. Lediglich 6.901 Betroffene erhielten eine reguläre Aufenthaltserlaubnis, 28.227 eine "auf Probe" (81%). Wahrscheinlich haben, nach einer stichprobenartigen Erhebung in mehreren Ausländerbehörden durch das Bundesinnenministerium, nur ca. 60% von ihnen tatsächlich noch die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Dem Rest, also über 12.000 Menschen, droht der Rückfall in die Duldung und im schlimmsten Fall die Abschiebung. Falls, wie befürchtet, sich die Wirtschaftskrise nach der Bundestagswahl noch weiter auswachsen wird, wird es gerade für sie noch schwerer werden, einen ausreichend bezahlten Job zu finden.

Widerruf von Asyl- und Flüchtlingsstatus

Teil des "Zuwanderungsgesetzes" von 2004 waren neue Regelungen zum Widerruf von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen. Nun wird bei allen nach drei Jahren geprüft, ob die Gründe ihrer Flucht aus dem Herkunftsland weiterbestehen. Wird das verneint, wird der Status widerrufen oder zurückgenommen. Das hat auch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen, denn anerkannte Flüchtlinge sind im Aufenthaltsrecht privilegiert, sie erhalten leichter eine Niederlassungserlaubnis als andere Ausländer. Der Verlust des Asyl- oder Flüchtlingsstatus kann im schlimmsten Fall den Verlust des Aufenthaltstitels nach sich ziehen, eine Abschiebung droht. 2008 wurden besonders viele dieser Verfahren durchgeführt, weil alle anerkannten Flüchtlinge in der Bundesrepublik überprüft wurden. Davon waren ca. 48.000 Menschen betroffen. Die Widerrufsprüfverfahren arteten so zu einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus, das mit seiner eigentlichen Aufgabe, der Prüfung von Asylanträgen, kaum noch zu tun hat.

Besonders absurd wurden diese Regelungen in Bezug auf die irakischen Flüchtlinge, die vor dem Regime von Saddam Hussein geflohen waren: Ihnen wurde massenhaft der Asylstatus entzogen. Wegen der Bürgerkriegssituation im Irak konnten sie aber auch weiterhin nicht abgeschoben werden, je nach Einzelfall erhielten sie eine neue Flüchtlingsanerkennung oder lediglich einen "subsidiären Schutzstatus", also ein Abschiebungsverbot mit der Option auf Aufenthaltserlaubnis nach einer Wartefrist von unter Umständen mehreren Jahren. Erst nachdem im Bundestag entsprechend Druck ausgeübt wurde, sank die Widerrufsquote auf 2–3%. Damit wurde glücklicherweise das Ziel verfehlt, möglichst viele Flüchtlinge nach jahrelangem Aufenthalt wieder loszuwerden. Das kann aber keineswegs die Verunsicherung und Angst entschuldigen, die die Ankündigung eines Widerrufprüfverfahrens bei den Betroffenen hinterlassen haben muß. Das Beispiel zeigt aber immerhin, daß Druck von außen sich lohnt. Vor allem pro asyl, aber auch der Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks und der Kirchen hatten sich regelmäßig an die Bundesregierung gewandt und auf die katastrophalen Zustände im Irak hingewiesen. Es war dann in erster Linie die Fraktion DIE LINKE., die das Thema in einer ganzen Reihe kleiner Anfragen sowie im Innenausschuß des Bundestages immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Abschiebung in Kriegs- und Krisengebiete

Doch nicht alle Betroffenen hatten dieses "Glück". Es gab auch Widerrufe von Flüchtlingsanerkennungen, die mit der Abschiebung in Kriegs- und Krisengebiete endeten. So wurde die Abschiebung von Roma und anderen Minderheiten in den Kosovo forciert. Auch im Falle der Tamilen und anderer Minderheitenangehöriger aus Sri Lanka weigerte sich das Bundesinnenministerium lange Zeit, wenigstens eine Empfehlung für einen Abschiebestopp an die Bundesländer auszusprechen – und das, nachdem der Konflikt zwischen "Tamil Tigers" und Zentralregierung eskalierte und fast täglich hunderte Tote forderte. Auch in den Irak und nach Afghanistan organisierte die Bundespolizei in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Abschiebungen. Insgesamt wurden in den Jahren 2006–2008 27.855 Menschen abgeschoben, weitere 47.296 wurden bei ihrer Flucht an der Grenze abgewiesen. Dabei fällt auf, daß die Zahlen rapide abnehmen – Ergebnis der Vorverlagerung der Flüchtlingsabwehr an die Grenzen Europas.

Europäisches Asylsystem in weiter Ferne

Die Fortschritte in diesem Bereich sind sehr mäßig ausgefallen, zuletzt wurde mit dem "EU-Pakt zu Einwanderung und Asyl" eine Sammlung von Absichtserklärungen verabschiedet. Die Bundesregierung betätigt sich vor allem als Bremser, wenn es um ein verbessertes und vor allem verbindliches gemeinsames Asylsystem geht. Zum Beispiel soll ein EU-Unterstützungsbüro in Asylfragen eingerichtet werden, das aber kaum Handlungsmöglichkeiten in den Fällen hat, wo es eine mangelhafte Umsetzung des EU-Flüchtlingsrechts feststellt. Zu verhindern, daß im Asylbereich eine Regulierungsbehörde entsteht (die die richtige Umsetzung der Richtlinien auch formal durchsetzen könnte), war dabei eines der wesentlichen Anliegen des deutschen Innenministers Schäuble. Seine klare Linie: Jedes Aufweichen der restriktiven Flüchtlingsabwehr locke nur noch mehr "illegale Migranten" nach Europa. Statt dessen setzt man auf Abschreckung und Abwehr: Mit Hilfe der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX ist im Mittelmeer ein System von koordinierten Grenzüberwachungspatrouillen entstanden, das kaum noch von Flüchtlingen durchdrungen werden kann. Im Atlantik funktioniert das System schon so gut, daß mittlerweile kaum noch Flüchtlingsboote an den Kanaren ankommen. 2006 waren es noch 40.000 gewesen. Es sind vor allem die Deutschen, die Druck auf die Mittelmeeranrainer ausüben, ihre Grenzkontrollen zu optimieren und sich dem Ziel von "zero immigration" nach und nach anzunähern.

Dafür kopieren die Mittelmeerländer eine ganz wesentliche deutsche Methode zur Flüchtlingsabwehr: die Abschreckung von Flüchtlingen durch miserable Aufnahmebedingungen. In Deutschland steht dafür das "Asylbewerberleistungsgesetz", das Flüchtlingen nur zwei Drittel des üblichen Sozialhilfesatzes als Existenzminimum zugesteht und ihre Unterbringung in Massenunterkünften vorsieht. Aus Italien und Griechenland werden immer wieder skandalöse Zustände in solchen Flüchtlingsunterkünften bekannt. Vor wenigen Wochen kursierte im Internet ein Video, das das Innere eines Flüchtlingsgewahrsams in Griechenland auf der Insel Lesbos zeigt. Auf ca. 200 Quadratmetern werden 160 Männer festgehalten, darunter allem Anschein nach auch Minderjährige ohne Begleitung. Eine völlig verdreckte Toilette befindet sich im Raum, damit die Flüchtlinge diesen nicht verlassen müssen.

Aus diesen Bildern spricht nicht nur fehlender politischer Wille, etwas für das Schicksal dieser Menschen zu tun. Es fehlen schlicht die Mittel. Flüchtlinge mit oder ohne legalem Aufenthaltsstatus machen mittlerweile 10% der griechischen Bevölkerung aus, in Athen und anderen Städten nehmen die Spannungen zwischen den Flüchtlingen und der alteingesessenen Bevölkerung immer mehr zu. Einen Ausgleich für solche Belastungen soll eigentlich der "Europäische Flüchtlingsfonds" schaffen. Das gelingt nicht, weil das Programm viel zu starr auf Projekte mit langen Beantragungs- und Genehmigungsfristen ausgerichtet ist. Nur ein geringer Teil der insgesamt für die Jahre 2008-12 vorgesehenen Mittel von 628 Mio. Euro ist für den Fall eines plötzlichen hohen Zustroms von Flüchtlingen gedacht. Die strukturelle Unterversorgung von Flüchtlingen in den ärmeren südeuropäischen Staaten kann damit nicht behoben werden. Zudem drängte insbesondere die Bundesregierung darauf, daß Mittel aus diesem Fonds zur Grenzschutzagentur FRONTEX herübergeschoben werden, um gemeinsame Abschiebungen aus den EU-Staaten zu finanzieren. Von der auch von deutscher Seite viel gepriesenen "Solidarität" zwischen den Mitgliedsstaaten kann hier also keine Rede sein, zumindest nicht in Hinblick auf eine humanitäre Art der Flüchtlingsaufnahme. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, daß es allein darum geht, die Mittelmeeranrainer mit der hohen Zahl an Flüchtlingen allein zu lassen und so zu einer fast hermetischen Abriegelung ihrer Außengrenzen zu zwingen.

Mittel in Milliardenhöhe werden außerdem für die Entwicklung und Einführung neuer Sicherheitstechnologien aus dem EU-Haushalt zur Verfügung gestellt, die unter anderem für die Grenzsicherung eingesetzt werden können. Dabei handelt es sich um Systeme zur Raumüberwachung, die bspw. den Einsatz von Satelliten, unbemannten Drohnen und hochsensiblen Radaranlagen zu einer weitgehend lückenlosen Überwachung der See kombinieren sollen. Deutsche Militär- und Technologieunternehmen wie Siemens, Diehl und EADS gehören zu den Profiteuren dieser Förderprogramme.

Fazit

Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sollte man besser gleich Abschreckungs- und Abschiebepolitik nennen. Ziel ist es, wie bereits unter den schwarz-gelben und rot-grünen Vorgängerregierungen, die Flüchtlinge erst gar nicht ins Land und damit in ein Asylverfahren kommen zu lassen. Diejenigen, die bereits da sind, will man möglichst wieder los werden – egal, wie lange sie hier schon leben und wie gut sie sich in ihrem Herkunftsland noch zurechtfinden werden. Eine Bleibeberechtigung erhalten nur diejenigen, die sich als ökonomisch nützlich erweisen und Löcher beim Arbeitskräftebedarf schließen können – und die werden in Zeiten der Krise immer kleiner. Sollte diese Koalition ihre Arbeit fortsetzen oder sogar eine FPD/Union-Koalition an die Macht kommen, wird sich diese Politik noch weiter zuspitzen. (14. September 2009)