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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Rot-Rot-Grün, mit tiefer Verankerung in der Zivilgesellschaft

Ellen Brombacher, Berlin

 

Über die Regionalkonferenz in Rostock

Auf dem Berliner Landesparteitag am 24. April 2010 kritisierten Klaus Lederer und Petra Pau den vorliegenden Programmentwurf harsch. Petra Pau sagte u.a.: "Ich würde dem Entwurf, so wie er ist, nicht zustimmen. Er ist mir zu schwarz weiß. Er ist mir zu widersprüchlich. Er ist mir zu beliebig. ... herausgekommen ist ein Mix, aus dem jede und jeder herauslesen kann, was gerade gefällt. ... Damit gewinnt man weder Zustimmung noch Zukunft. Nun weiß ich auch, daß andere den Entwurf als innerparteilichen Sieg feiern, als klare Kampfansage gegen den Kapitalismus und als Schutzschild gegen Abweichler in den eigenen Reihen. ... Der Entwurf vernebelt innerparteiliche Streitpunkte. Wir sollten sie offen legen und diskutieren. Der Entwurf reizt dazu, sich an Halbsätzen und Kommata festzubeißen. Genau das sollten wir nicht tun. Wir sollten dazu einladen, mit uns zu diskutieren, also unsere Programmdebatte für Außensichten zu öffnen. Mein Vorschlag an den Landesparteitag und an den Landesvorstand lautet daher: Laßt uns im Früh-Herbst einen eigenen Programmkonvent anbieten. Noch besser wäre eine regionale Konferenz, mit Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder anderen Landesverbänden. So, wie wir es 2006 schon einmal in Potsdam gemeinsam praktiziert haben."

Sprache kann verräterisch sein. Einen eigenen Programmkonvent? Wessen Konvent? Seinerzeit stand schon fest, daß es im November einen Programmkonvent auf Bundesebene geben wird. Der Vorschlag von Petra Pau, der ja nur im Kontext mit ihrer harschen Kritik am Programmentwurf zu bewerten war und ist, ließ zumindest vermuten, daß ein eigener Programmkonvent, "besser (noch) eine regionale Konferenz", diese Art von Kritik vervielfältigen sollte.

Am 18. September nun fand die Regionalkonferenz der Landesverbände Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin statt. Weder im ND noch in der jungen Welt war sie durch Annoncen oder anderweitig wirksam beworben worden. Die Informationen zur Regionalkonferenz, zumindest für den Berliner Landesverband, verliefen fast ausschließlich über das Internet, wenngleich viele Genossinnen und Genossen, deren Beiträge gern genommen werden, nicht über einen Internetanschluß verfügen. Trotz dieser unbeabsichtigt oder beabsichtigt lieblosen Öffentlichkeitsarbeit war die Beteiligung an der Regionalkonferenz sehr gut. Sie begann verspätet, weil eine Vielzahl zusätzlicher Stühle in den Saal gebracht werden mußten.

Das ursprüngliche Konzept für die Regionalkonferenz sah folgenden Ablauf vor:

  • Vortrag von Prof. Dr. Dieter Klein "Die Welt in der wir leben".
  • Offene Debatte (Redezeit max. 7 Minuten).
  • Podiumsdiskussion zum Thema "Zwischen guter Arbeit und bedingungslosem Grundeinkommen – der tiefgreifende Wandel der Arbeitsgesellschaft" mit Helmut Holter (Fraktionsvorsitzender im Landtag Mecklenburg-Vorpommern), Katja Kipping (stellvertretende Parteivorsitzende), Horst Schmitthenner (IG-Metall) und Margarete Steinrücke (Referentin für Arbeitszeit-, Frauen- und Geschlechterpolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen).
  • Thesen zum Thema "Sozialismus im 21. Jahrhundert – Demokratischer Sozialismus" von Kerstin Kaiser (Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag) und Christoph Spehr (Landessprecher DIE LINKE.Bremen).
  • Offene Debatte (Redezeit max. 7 Minuten).

In dieser ursprünglichen Konzeption waren die Themen Krieg und Frieden sowie das Thema Demokratie nicht berücksichtigt. Durch Auseinandersetzungen im unmittelbaren Vorfeld der Regionalkonferenz wurde das korrigiert. Im Workshop I hielt Christina Kaindl das Impulsreferat "Demokratisierung der Gesellschaft". Im Workshop II "Wie schaffen wir Frieden?" hielten Prof. Dr. Norman Paech (Völkerrechtler und Exbundestagsabgeordneter; Die LINKE), Wolfgang Gehrcke (außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag) und Hartmut Ring (Protagonist der Friedensbewegung) Impulsreferate.

Die Stimmung im Workshop II (nach unserer Schätzung waren dort 80 bis 100 Teilnehmer) war eindeutig. Hartmut Ring verwies auf die philosophische Grundfrage, auch im Zusammenhang mit den friedenspolitischen Prinzipien der LINKEN, ob nämlich der Kapitalismus friedensfähig sei oder nicht, und beantwortete diese Frage klar mit nein. Norman Paech setzte sich mit den 13 Thesen des fds auseinander, zitierte Rosa Luxemburg, daß Krieg ein unentbehrlicher Faktor des Kapitalismus sei und daß überall dort, wo Kriegs- und Kampfeinsätze stattfänden, die Bundeswehr nichts zu suchen habe. Eine Ausklammerung der Friedensproblematik aus der Programmdebatte ginge nicht. Wolfgang Gehrcke betonte, daß die Friedensfrage für DIE LINKE konstituierend sei, wenn das gebrochen würde, sei die LINKE am Ende. Der friedenspolitische Teil habe seine eigene Philosophie: Frieden durch Völkerrecht, Kampf um globale soziale Gerechtigkeit, um Abrüstung und um Demokratisierung. In der sich anschließenden lebhaften Diskussion gab es einen einmütigen Konsens, daß die friedenspolitischen Grundsätze unserer Partei erhalten bleiben müssen. Nur Gerry Woop, der Verfasser des außenpolitischen Teils der 13 Thesen, vertrat eine andere Position. In etwa 40 Staaten gäbe es Konfliktlagen. "Das", so Gerry Woop wörtlich, "wirst Du nicht ohne Militär lösen." Friedenspolitik könne man nicht mit quasipazifistischen Positionen führen. Gerry Woop verwies auf Gerüchte, maßgebliche Leute des fds würden die Partei verlassen, wenn ihre sicherheitspolitischen Vorstellungen nicht durchkämen und verneinte eindeutig eine solche Absicht. Auf die von Wolfgang Gehrcke an Gerry gestellte Frage, ob er den Einsatz der Bundeswehr an Kriegs- und Kampfeinsätzen prinzipiell ablehne, antwortete der, dies könne er nicht einfach mit ja beantworten. Abschließend kamen noch einmal die drei impulsgebenden Sprecher zu Wort, dabei fiel, auch im Zusammenhang mit den Ausführungen Gerry Woops, der entscheidende Satz: "Ihr müßt entscheiden: Entweder Ihr geht mit der Regierung oder Ihr geht mit der Partei, mit dem Parteiprogramm."

Noch einmal zurück zum Gesamtablauf der Regionalkonferenz: Sieht man von den kurzfristig zustande gekommenen Workshops ab, so kam niemand aus der LINKEN mit geplant längeren Beiträgen zu Wort, der bzw. die zu den exponierten Verteidigern des antikapitalistischen Charakters des Programmentwurfs gehören. Dieter Kleins 45minütige Rede war ein eindeutiges Plädoyer für eine rot-rot-grüne Regierung im Bund. Es gäbe für uns nur eine Machtoption, die rot-rot-grüne – mit tiefer Verankerung in der Zivilgesellschaft, so der Schluß seiner Ausführungen. Von dieser Option leiteten sich die Grundaussagen seiner Ausführungen ab, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann, die sich zu lesen aber lohnen.

"So wie Dieter gesprochen hat, stelle ich mir das Programm vor", sagte Gerry Woop in der Plenumdebatte. Halina Wawzyniak berief sich auf das von ihr gemeinsam mit Jan Korte, Stefan Liebich und Raju Sharma verfaßte Papier vom 2. September 2010 "... und der Zukunft zugewandt". Der Programmentwurf sei ein besseres Wahlprogramm ohne Visionen, ökonomistisch – so ihr Gesamturteil. Sie sprach sich zugleich gegen die Ablehnung der Rente mit 67 im Entwurf aus. "Ich möchte, daß das Programm auch in 15 Jahren noch gilt – und dann werden wir ganz andere Debatten führen", so die stellvertretende Parteivorsitzende. Mit diesen faktisch den Entwurf im Grundsatz ablehnenden Positionen blieben die Beiden im Rahmen der Vormittags-Debatte "Die Welt in der wir leben" allein. Zu dieser Thematik konnten sich 10 Diskutanten äußern; mehr Diskussionszeit war nicht vorgesehen.

Die anderen acht also kritisierten sachbezogen und einige verteidigten dabei ausdrücklich den antikapitalistischen Charakter des Entwurfs. Im abschließenden Podium zum Sozialismus im 21. Jahrhundert äußerten sich von den neun Diskutanten noch einmal fünf beinahe ausschließlich zum Programmentwurf, darunter z.B. Wolfgang Methling, der mit dem Programmentwurf "im Großen und Ganzen zufrieden" ist und kritisierte, daß es eine Zentralität der ökologischen Frage gäbe, aber die daraus folgenden Konsequenzen deutlicher ausgearbeitet werden müßten. Es sei ein Skandal, daß die Landwirtschaft so gut wie nicht vorkäme. Genosse Burmeister, der 16 Jahre als Bürgermeister in Schulzendorf (Land Brandenburg) gearbeitet hat, meinte, die Bevölkerung interessiere überhaupt nicht, wie die Partei verfasst sei. Wir müssten Antworten geben können, wenn wir Veränderungen wollen. Das war wohl eine Orientierung auf mehr oder weniger reinen Pragmatismus. Klaus Lederer griff, genau wie zuvor Halina Wawzyniak, das KPF-Papier zu den 13 fds-Thesen an. Nachdem er sich zuvor gegen einen Wahrheitsanspruch gewehrt hatte, stellte er abschließend fest, vor dem derzeitigen Programmentwurf bräuchten sich die Herrschenden nicht zu fürchten, weil es nichts bewirken könne. Die anderen Diskussionsredner gingen, wie Wolfgang Methling, auf konkrete Probleme des Entwurfs ein, ohne ihn grundlegend in Frage zu stellen. Um den Sozialismus im 21. Jahrhundert ging es in dem gleichnamigen Podium eigentlich nicht, in der Diskussion so gut wie gar nicht. Kerstin Kaiser sprach über transformatorische Momente im Rahmen der rot-roten Brandenburger Regierung, nachdem sie zuvor klar gemacht hatte, daß es, so wie in einem (im übrigen satirischen) Lied des Oktoberclubs beschrieben, nicht ginge, nämlich: "Hopsa, hopsa, rüber und nüber, jetzt gehen wir zum Kommunismus über". Das wußte, so ist mir erinnerlich, schon der Oktoberclub. Christoph Speer erläuterte im wesentlichen Überlegungen, die man auch bei Heinz Dieterich findet, ohne daß dies in der weiteren Debatte noch eine Rolle spielte. Über die Podiumsdiskussion mit Helmut Holter, Katja Kipping und anderen sowie über den Workshop I kann ich nichts sagen, da wir – die Gruppe von KPF-Berlinern – alle am Friedensworkshop teilgenommen hatten.

Resümee: Sollte es Annahmen gegeben haben, aus dieser Regionalkonferenz würde sich die Schlußfolgerung ziehen lassen, der Programmentwurf sei dort prinzipiell abgelehnt worden, so irrten die Betreffenden. Sollte es diese Annahme nicht gegeben haben: Umso besser!

 

Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«: 

2010-10: Grundlinie des Entwurfs muß verteidigt werden

2010-09: Überlegungen zu zwanzig Jahren Beitrittserfahrung

2010-08: »Adios, Diego!«