Regierungserklärung einer früheren FDJ-Sekretärin – beredtes Zeugnis für zivilisatorischen Fortschritt
Ellen Brombacher, Berlin
Es hätte gelohnt, die Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan vom 22. April 2010 in Gänze zu dokumentieren, doch dafür ist sie zu lang. Die Merkelrede ist die erste von einer deutschen Regierungschefin nach dem 8. Mai 1945 gehaltene Rede, in der in aller Offenheit das Führen von Kriegen zur Staatsräson erklärt wird. Zwar ist das in der Sache spätestens seit der Bombardierung Jugoslawiens 1999 der Fall, aber: Nun wird nicht mehr drumherumgeredet. Deutschland führt wieder in aller Form Krieg. Merkel sagt:
"Der Einsatz der Bundeswehr ist und bleibt nur Ultima Ratio. Er kann stets nur das äußerste Mittel sein, streng gebunden an Völker- und Verfassungsrecht. Deutschland übt sich auch aufgrund seiner Geschichte nicht nur in Afghanistan in militärischer Zurückhaltung. Ich sage: Deutschland übt sich aus gutem Grund in militärischer Zurückhaltung. Militärische Zurückhaltung und der Einsatz militärischer Mittel als Ultima Ratio – das ist Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, und zwar verbunden mit der politischen Verantwortung, die wir aufgrund unserer wirtschaftlichen Stärke, unserer geografischen Lage im Herzen Europas wie auch als Mitglied unserer Bündnisse wahrnehmen." Und:
"War es unter den Bedingungen des Kalten Krieges noch völlig undenkbar, so stand die Bundeswehr wenige Jahre nach der deutschen Einheit bereits als Teil von Friedenstruppen in Somalia oder auf dem Balkan. 1999 erfolgte die Beteiligung Deutschlands am Einsatz im Kosovo. Ohne Zweifel, es sind diese Einsätze im Ausland, die heute den Auftrag, die Struktur und den Alltag der Bundeswehr wesentlich bestimmen."
Ja, als Angela Merkel noch FDJ-Sekretärin war, führte Deutschland noch keine Kriege, und ich könnte mir vorstellen, daß auch sie diese Tatsache mit der Existenz der DDR und des Warschauer Vertrages in Verbindung brachte.
Lang, lang ist's her. Heute hören wir von der Bundeskanzlerin:
"Unsere Sicherheit, in einem freien Rechtsstaat leben zu können, wird heute von Entwicklungen gefährdet, die weit außerhalb unserer Grenzen entstehen können. Das ist an sich keine neue Entwicklung, aber in Zeiten der Globalisierung hat es eine neue Qualität erlangt. Der internationale Terrorismus und die von ihm ausgehende sogenannte asymmetrische Bedrohung durch Menschen, denen ihr eigenes Leben nichts bedeutet – dies ist eine der großen Schattenseiten der Globalisierung. Doch so wenig man die Globalisierung abschaffen kann – was ich nicht will, was aber auch gar nicht ginge, selbst wenn man es wollte –, so wenig dürfen wir in unseren Anstrengungen nachlassen, den Gefahren für das Recht, die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes dort zu begegnen, wo sie entstehen."
"Der berühmte Satz unseres früheren Verteidigungsministers Peter Struck bringt das für mich auf den Punkt. Er sagte vor Jahren: Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt."
Aber, Frau Merkel bleibt nicht abstrakt; sie kann es auch nicht, in Anbetracht der toten deutschen Soldaten (für Kundus entschuldigt sie sich nicht). "Sie alle", so sagt Merkel über die toten Bundeswehr-Angehörigen, "sind gestorben, weil sie Afghanistan zu einem Land ohne Terror und Angst machen wollten." … "Die im Einsatz in Afghanistan gefallenen Soldaten haben wie alle ihre Kameraden, die als Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit tätig sind, einen Eid geleistet, diesen Eid: Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Ja, die im Einsatz gefallenen Soldaten, derer wir heute gedenken, haben der Bundesrepublik Deutschland treu gedient, indem sie einem Mandat folgten, das der Deutsche Bundestag in den letzten acht Jahren mit unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen auf Antrag von Bundesregierungen in unterschiedlicher Zusammensetzung immer wieder beschlossen hat. Dieses Mandat ist über jeden vernünftigen völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben. Es ruht auf den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Es ist unverändert gültig."
Es sei hier angemerkt: Gerade der letzte zitierte Satz sollte nur noch einmal vor Augen führen, daß die LINKE einen substantiellen Fehler machen würde, käme sie irgendwann zu dem Schluß, sie müßte sich hinter UN-Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII stellen. Mehr noch: Der Einsatz in Afghanistan begann als ein Mittelding zwischen Kapitel VI und VII. Wir können wirklich nur den Schluß ziehen: Die friedenspolitischen Grundsätze unserer Partei müssen unantastbar bleiben.
Zurück zu Merkels Regierungserklärung:
"Ich habe es in den letzten Tagen und Wochen häufiger gesagt und wiederhole es heute: Daß die meisten Soldatinnen und Soldaten das, was sie in Afghanistan täglich erleben, Bürgerkrieg oder einfach nur Krieg nennen, das verstehe ich gut. Wer täglich fürchten muß, in einen Hinterhalt zu geraten oder unter gezieltes Feuer zu kommen, der denkt nicht in juristischen Begrifflichkeiten. Wer so etwas erlebt, der fürchtet vielmehr, daß derjenige, der völkerrechtlich korrekt vom nicht internationalen bewaffneten Konflikt spricht, die Situation zu verharmlosen versucht. Deshalb sage ich ganz deutlich: Niemand von uns verharmlost; niemand von uns – ob er im Deutschen Bundestag für oder gegen diesen Einsatz gestimmt hat – verharmlost das Leid, das dieser Einsatz bei unseren Soldaten und ihren Familien, aber auch bei Angehörigen unschuldiger ziviler afghanischer Opfer hinterläßt."
Und etwas später zitiert Frau Merkel einen deutschen Hauptfeldwebel. Sie mußte dies nicht tun. Es ist auch so alles gesagt. Daß sie es dennoch macht, ist von hohem Symbolgehalt. Sie sanktioniert, nicht nur abstrakt, sondern ganz konkret – daß getötet werden kann, ja, daß getötet werden muß.
"In einem Interview, das am letzten Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen ist, hat Hauptfeldwebel Daniel Seibert minutiös ein Gefecht beschrieben, in das er am 4. Juni des letzten Jahres geriet. Auf die Frage, ob er selbst in diesem Gefecht geschossen und einen Menschen getötet hat, antwortet er – ich zitiere –: Ich habe ihn erschossen. Er oder ich, darum ging es in diesem Fall.
Daniel Seiberts Handeln während des Gefechts war es zu verdanken, daß ein Spähtrupp aus einem Hinterhalt der Taliban befreit werden konnte. Hauptfeldwebel Seibert wurde für Tapferkeit ausgezeichnet. Das bedeutet ihm, wie er in dem Interview weiter ausführt, nicht viel. Wichtiger seien ihm Anerkennung und Respekt für die Härte seines Einsatzes, Anerkennung und Respekt von uns allen, von allen Bürgerinnen und Bürgern, Respekt für ihn und alle Soldaten, die in Extremsituationen ihres Lebens kommen, die wir uns in Deutschland kaum oder gar nicht vorstellen können.
Anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises am 10. Dezember des letzten Jahres hat der amerikanische Präsident Barack Obama gesagt – ich zitiere –: Ja, die Mittel des Krieges spielen eine Rolle in der Erhaltung des Friedens. Und doch muß diese Wahrheit neben einer anderen bestehen, nämlich der, daß Kriege menschliche Tragödien bedeuten, wie gerechtfertigt sie auch immer sein mögen. Der Mut des Soldaten ist ruhmreich, ein Ausdruck der Aufopferung für sein Land, für die Sache und für seine Waffenbrüder. Doch der Krieg selbst ist niemals ruhmreich, und wir dürfen ihn niemals so nennen. In anderen Worten: Wir müssen das Leid beim Namen nennen."
Die Bundeskanzlerin nennt nicht das Leid beim Namen. Sie vermittelt vielmehr, daß Krieg nun einmal Leid produziert. Ihre Schlußfolgerung ist nicht, das Leid zu beenden, indem man sich aus dem Krieg zurückzieht. Ihre Schlußfolgerung lautet vielmehr:
"Auf der Grundlage dieses rechtlichen Rahmens für unsere Bundeswehr sage ich unmißverständlich: Zum Einsatz der Bundeswehr im multilateralen Rahmen wie den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Nato sind wir bereit, wenn er dem Schutz unserer Bevölkerung oder dem unserer Verbündeten dient. Wer deshalb heute den sofortigen, womöglich sogar alleinigen Rückzug Deutschlands unabhängig von seinen Bündnispartnern aus Afghanistan fordert, der handelt unverantwortlich."
Gregor Gysi hat Angela Merkel gerade auf diesen Vorwurf eine unmißverständliche Antwort gegeben.
Quelle der Zitate: www.bundestag.de/dokumente/protokolle/
Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«:
2010-05: Antikapitalismus unerwünscht
2010-04: Wider die Profiteure aus Krieg, Rüstung, Sicherheitswahn, …
2010-04: Fünf Fragen – fünf Überlegungen