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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Por todo Chile – por todo Pablo

Gina Pietsch, Berlin

 

Für alle Chile – für alle Pablo – zwei 50. Todestage:

23. September 1973, der Pablo Nerudas

11. September 1973, der der Unidad Popular

Eine Würdigung

 

Seine Memoiren lesen sich so schön und wichtig wie sein Canto General – sein Großer Gesang, wie alles von ihm.

Da erfährt man: Er hat einen langen Namen: Neftali Ricardo Reyes Basoalto und ein kurzes Zusammensein mit seiner schönen Mutter. Einen Monat nach seiner Geburt am 12. Juli 1904 stirbt sie an Schwindsucht. Der Vater hat einen kurzen Namen. Er hieß José del Carmen und war Eisenbahner, Führer eines Schotterzuges. Wir lesens im Canto so:

     Meine Kindheit war durchnäßte Schuhe, morsche, im Walde

     niedergestürzte Stämme, von Lianen und Käfern gefressen,

     liebliche Tage im Haferfeld und der goldschimmernde Bart meines Vaters,

     da er fortging bis zur herrlichen Welt der Eisenbahnen

Auch der Sohn wollte als Pseudonym einen kurzen Namen. 1920 nannte er sich Pablo Neruda, nicht wissend, dass ein böhmischer Schriftsteller von 1834 bis 1891 noch kürzer hieß, nämlich Jan Neruda. Noch ohne Pseudonym und kaum, dass er schreiben konnte, kritzelte er sein erstes Gedicht auf Papier, was den Vater veranlasste zu der Frage: »Wo hast Du das abgeschrieben?« Dann aber, 1923, unter seinem neuen Namen erschienen die ersten poetischen Werke, Morgen- und Abenddämmerungen, deren Druck alles auffraß, was er besaß, die Uhr vom Vater, die ersten eigenen Möbel und die schwarze Dichter­tracht, die er sich zugelegt hatte. Nach den Zwanzig Liebesgedichten, die jeder junge Dich­ter schreiben muss, mischt sich die Politik in seine Dichtung und sein Leben. Die chileni­sche Volksbewegung erhob sich und der Arbeiterführer Luis Emilio Recabarren hatte Gewerkschaftszentren und Zeitungen gegründet. Pablo schrieb nun wöchentlich für die Arbeiterzeitung »Claridad«. Hierbei und durch sein Pädagogikstudium lernte er:

Welch gute Sprache, die meine, welch gute Zunge haben wir von den fürchterlichen Konquistadoren ererbt.

Sein Lob der Sprache seines Landes können wir ergänzen durch unser Lob der Dichter­sprache des Pablo Neruda. Er beschreibt uns das Härteste in ungeheuerer Zartheit, Genau­igkeit und Schönheit:

     Bald aber vertrieben sie, die Hemden trugen, den Conquistador

     und errichteten die Conquista des kolonialen Warenlagers.

Seht doch das Blut in den Straßen

Ab 1927 freilich muss er mit anderen Sprachen zurechtkommen. Denn er wird Konsul, in Rangun, Colombo, Batavia, Singapur, Buenos Aires, Barcelona, Madrid. Das war aufregend und lehrreich. Er beschreibt es in Aufenthalt auf Erden und in seinen Memoiren, die Pilger in Indien, den Kolonialismus in Bombay.

Es gibt keine Häuser, kein Brot, keine Medikamente. Unter derartigen Umständen hat das zivilisierte, stolze England sein Kolonialimperium aufgegeben. Es hat sich von sei­nen einstigen Untertanen verabschiedet, ohne ihnen Schulen zu hinterlassen, Industri­en, Wohnstätten, Spitäler, nur Gefängnisse und Gebirge von leeren Whiskyflaschen.

Jede von Pablos Konsulstationen lohnte die Besprechung. Ich will mich auf 1934 bis 1937 konzentrieren, also Spanien. Spanien im Herzen, schreibt er, und meint die Bewunderung und Unterstützung der Kämpfer des großartig-furchtbaren Spanienkrieges nach dem Putsch des Generals Franco gegen die spanische Republik am 18. Juli 1936. Und er meint die Freundschaft mit der jungen spanischen Dichtergeneration, Rafael Alberti, Miguel Hernández und – wohl schon Liebe zu nennen – Federico, also García Lorca.

Welch ein Dichter! Von allen Dichtern Spaniens war er der am meisten geliebte, der beliebteste, der dank seiner wunderbaren Fröhlichkeit einem Kinde ähnlichste. Wer konnte annehmen, dass es auf der Erde, auf seiner Erde, Ungeheuer gäbe, die imstan­de waren, ein derart unbegreifliches Verbrechen zu begehen. Die spanischen Faschis­ten begannen den Krieg in Spanien mit dem Mord an ihrem besten Dichter.

Spanien im Herzen ist Nerudas Lorca-Buch, man kann auch sagen Ehrenburgbuch, denn Ilja Ehrenburg hatte es hervorragend ins Russische übertragen und wurde einer von Neru­das engsten Freunden. Aber zurück erst einmal zur Entstehung des Buches. Mitten in die­sem fürchterlichen Spanienkrieg entstanden, wurde es hergestellt von denen, für die es geschrieben war, die Frontsoldaten. Die lernten Drucktypen setzen und Papier herstellen, das fehlte, aus blutigen Feldröcken und Fahnen des Feindes. Aber kaum, dass es fertig gedruckt war, war auch die Republik geschlagen. Kommt, seht doch das Blut in den Stra­ßen, schreibt er und endet so sein wunderbares Gedicht Erklärung einiger Dinge, das ich mein ganzes Leben über nicht vergessen kann.Das schmerzlichste Ereignis in der Ge­schichte Spaniens, nennt es Neruda und wird für seine Teilnahme an der Verteidigung der spanischen Republik auf Beschluss der chilenischen Regierung seines Konsulpostens ent­hoben. Freilich wechselt 1939 die chilenische Regierung in eine der Chilenischen Volks­front, die Pablo nun wieder als Konsul nach Paris schickt und beauftragt, Spanier aus ihren Gefängnissen zu holen und zur Einwanderung nach Chile vorzubereiten.

Bei den ersten Kugeln, die durch Spaniens Gitarren schossen ... ist mein Weg eins mit dem Weg aller. Und ich sehe plötzlich, daß vom Süden der Einsamkeit aus ich zum Nor­den gegangen bin, der das Volk ist, dem meine bescheidene Dichtung als Degen dienen will und Schweißtuch zum Trocknen seiner großen Schmerzen und als Waffe im Kampf ums Brot.

Das Jahr 45 kommt. Die Ärmsten der Armen, die Leute ohne Schule und Schuhe, wie er schreibt, wählten ihn am 4. März 1945 zum Senator der Republik. Es sind vor allem die aus dem härtesten Gebiet von Chile, dem großen Kupfer- und Salpeterbergbaugebiet, die für ihn stimmten, und es ist eine schwere Arbeit, sie zu vertreten, die da größtenteils analphabe­tisch in der »Mondwüste« lebten und ihn trotzdem immer wieder baten, seine Gedichte vorzulesen. Schönster Lohn für ihn, als aus dem Stollen ein Mann heraustrat, ihm die Hand entgegenstreckt, die mit ihren Schwielen und Furchen die Landkarte der Pampa war und sagt »Ich kenne dich seit langem, Bruder«.

Sie meint er, wenn es im Canto heißt:

     Ich schreibe nicht ... für vergessene Kunstjünger der Lilie,

     sondern für schlichte Erdenbewohner, die Wasser und Mond verlangen,

     Schulen, Brot und Wein, Werkzeuge und Gitarren.

     Ich schreibe für das Volk, auch wenn es mit seinen

     ländlichen Augen meine Dichtung noch nicht lesen kann ...

     Und Schulter an Schulter mit meinem barfüßigen Bruder

     wollte ich des schmutzigen Geldes Herrschaft ändern.

Dichtung ist Aufstand

Am 5. Juli 1945 tritt er in die Kommunistische Partei Chiles ein, unterstützt ein Jahr später den Präsidentschaftskandidaten der Christdemokratischen Partei González Videla, klagt ihn dann aber öffentlich an, weil er seine Wähler verriet 1947, wird dafür vom Obersten Gericht 1948 mit Verhaftung bedroht, von Freunden in ein Versteck gebracht, wo er, über ein Jahr, von ständiger Lebensgefahr bedroht, den Canto General schreibt und ihn am 5. Februar 1949 beendet. In diesem Jahrhundertwerk beschreibt er, mit historischer Spann­weite sich an alle wendend, alles, was das Leben betrifft, die Ströme, Orinoco, Amazonas und Bio Bio, die Andentanne, das Lama mit den unschuldsvollen Augen, Macchu Picchu, die Erniedrigung der Indiovölker Süd- und Mittelamerikas durch Conquistadores und Yan­kees und ihre Heldentaten der Befreiung. Vom ihm so gesagt.

Das Licht kam trotz der Dolche

Natürlich achtet oder liebt er die Völker, die an ihrer Befreiung gearbeitet haben oder ar­beiten, überall auf der Welt, an den vielen Orten, die er kennen lernen durfte. Dabei ent­deckt er Erstaunliches:

Das chinesische Volk ist eines der lächelndsten der Welt ... durch Revolutionen, Hun­gersnöte, Gemetzel lächelt es, wie kein anderes Volk zu lächeln versteht.

Vom sowjetischen Dogmatismus in den Künsten weiß er, aber auch von deren Infragestel­lungen und Korrekturen, weil

das Leben stärker ist und hartnäckiger als Vorschriften.

Er will leben in einer Welt dauernder Freundlichkeit, die erkämpft werden muss, als Dichter auch in Aufständen. Dichtung ist Aufstand, findet er und ist stolz, dass Che ihm einmal er­zählte, wie er den Barbudos in der Sierra Maestra seinen Canto vorgelesen hat. Und er liebt Che. Nun ja, wer liebt Che nicht? Aber warum? Für diesen Grund muss man Pablo lieben:

Ich aber sehe Che Guevara noch immer als medidativen Menschen, der in seinen hero­ischen Schlachten der Poesie stets ein Plätzchen neben seinen Waffen ließ.

Nerudas Weg endet am 23. September 1973. Er stirbt nicht am Krebs, wie man bis 2017 meinte. Nun aber haben neue Untersuchungen ergeben, dass der 69-Jährige mittels Injektion einer todbringenden Bakterie ermordet wurde. Nerudas Neffe, der Anwalt Rodolfo Reyes sagt:

Im Exil hätte er wie kein anderer die Kräfte gegen die Diktatur vereinen können.

Neruda endete so eindrücklich, wie er begonnen hatte, sicher nicht mehr mit durchnäßten Schuhen, aber immer noch mit den einfachen Dingen, die er hinreißend in seinen Elemen­taren Oden beschreibt, die Zwiebel, die Tomate, die Kartoffel, das Holz, das Buch, das Meer und den Regen überm Meer. All das möchte er hinterlassen den erniedrigten Söhnen seines Heimatlandes in seinem Haus am Rand des Meeres auf der Isla Negra, dass sie Kräfte sammeln können für die kommenden Kämpfe. Er selber ist versehen mit hohen Ehrungen, als Ehrendoktor an großen Universitäten in aller Welt, mir besonders wichtig, an meiner Uni, der Leipziger Karl-Marx-Universität zu meiner Studienzeit 1968, als Nobel­preisträger 1971, als Botschafter der Regierung der Unidad Popular in Frankreich, als engster Gefährte seines Präsidenten Salvador Allende, als Revolutionär und Dichter der schönsten Friedensverse:

     Friede für die Abenddämmerungen, die kommen.

     Friede für die Brücke, Friede für den Wein.

     Friede dem Bäcker und seinen Liebschaften

     und Friede für das Mehl: Friede

     für alles Getreide, das wachsen soll,

     für alle Liebe, die Laubdickicht sucht,

     Friede für alle, die leben: Friede

     der gesamten Erde und den Wassern.

 

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