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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Österreichs Neutralität

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch

 

Das Jahr 1955 war ein Jahr einschneidender Entscheidungen in den internationalen Beziehungen, deren Folgen bis in die Gegenwart hinein wirken. Es war ein Jahr besonders intensiver Bemühungen der Sowjetunion und der volksdemokratischen Staaten zur Gestaltung von politischen und völkerrechtlichen Bedingungen friedlicher Verhältnisse in Europa.

Durch die Ratifizierung der Pariser Verträge im Februar 1955 und die damit vollzogene Eingliederung der BRD in die Westeuropäische Union und in die NATO sind aber auf dem Wege zur Gestaltung friedlicher zwischenstaatlicher Beziehungen in Europa und damit auch auf dem Wege zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten neue Hindernisse entstanden.

Die Sowjetunion, die DDR und ihre Verbündeten mussten zunehmend der Tatsache Rechnung tragen, dass eine mechanische Vereinigung eines remilitarisierten Westdeutschlands mit der DDR unmöglich wurde, dass der Weg zur Vereinigung beider deutscher Staaten auf friedlicher und demokratischer Grundlage über die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa und über die Annäherung der beiden deutschen Staaten führen muss.

Diese Erfahrung fand ihren Niederschlag in zahlreichen Vorschlägen und Maßnahmen. Dazu gehört die Gründung der Warschauer Vertragsorganisation im Mai 1955 als Antwort auf die Politik der NATO und die Einbeziehung der BRD in die NATO. Schon auf der Berliner Außenministerkonferenz der Vier Mächte (Januar/Februar 1954) stellte die Sowjetunion außer dem Entwurf eines deutschen Friedensvertrages Vorschläge zur Entspannung und zur Festigung des Friedens in Europa, über den Abschluss eines Staatsvertrages mit Österreich sowie einen Entwurf eines gesamteuropäischen Vertrages über die kollektive Sicherheit in Europa zur Diskussion. Konkretisiert durch die Ergebnisse der Diskussion hat sie auf der Genfer Konferenz der Regierungschefs der Vier Mächte (Juli 1955) einen neuen Entwurf für einen »Gesamteuropäischen Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa« vorgelegt. Die Westmächte lehnten auch diesen Vorschlag ab. Gleiches taten sie auch auf der Genfer Konferenz der Außenminister der Vier (Oktober/November 1955), wo die SU den Entwurf erneut einbrachte. Die UdSSR legte der Konferenz weiterhin einen Vorschlag über die Schaffung einer Zone mit beschränkter Rüstung und Inspektion in Europa zur Diskussion vor. Die Vertreter der Westmächte lehnten es erneut ab, das Problem der europäischen Sicherheit in der Praxis zu lösen. Sie forderten als Vorbedingung für die Erörterung der sowjetischen Vorschläge, dass die UdSSR die Regierung der BRD als einzige deutsche Regierung anerkennen und sich auch mit einer Revision der deutschen Ostgrenzen einverstanden erklären solle. Da die Sowjetunion die Annahme von breiten Beschlüssen nicht erreichen konnte, sprach sie sich für den Abschluss von Abkommen über Teilmaßnahmen vor allem auf dem Gebiet der militärischen Entspannung und Abrüstung aus.

Moskauer Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und Österreich

Im Rahmen ihrer Bemühungen um die Minderung der internationalen Spannungen sah die Sowjetregierung in der Friedensregelung mit Österreich einen wichtigen Schritt. Ihre Bemühungen richteten sich auch in dieser Frage darauf, die Wiederherstellung eines unabhängigen demokratischen Österreich zu erreichen und seine Einbeziehung in die Militärblöcke der Westmächte zu verhindern. Sie trat aktiv mit konkreten Schritten dafür ein, den Abschluss eines Staatsvertrages mit Österreich voranzubringen. Sie knüpfte dabei auch an der Erklärung der Moskauer Außenministerkonferenz vom November 1943 an, in der die Alliierten ihre Absicht verkündeten, Österreich wieder als freien und unabhängigen Staat entstehen zu lassen. In diesem Sinne wurde auch durch eine Konferenz der stellvertretenden Außenminister der Großmächte in der Zeit von 1947 bis 1949 in 250 Sitzungen der Entwurf eines österreichischen Staatsvertrages ausgearbeitet. Seine Umsetzung wurde aber durch die Westmächte und durch ihre Politik verhindert, die zur Gründung der NATO, zur Remilitarisierung der BRD und zu ihrer Einbeziehung in die NATO führte.

Die USA und ihre NATO-Partner hatten immer wieder versucht, die Lösung dieser Frage zu verhindern, da sie beabsichtigten, Österreich in die NATO einzubeziehen. Ihre destruktive Haltung kam u.a. darin zum Ausdruck, dass sie, im Gegensatz zu den vorherigen Vereinbarungen der Mächte, einen separaten Entwurf für einen sogenannten Kurzvertrag vorlegten, der für die Sowjetunion wie für Österreich völlig unannehmbar war. Die Westmächte strebten danach, mit Österreich einen separaten Friedensvertrag abzuschließen. Es war die Regierung Österreichs, die diesen Vorschlag ablehnte, um das Land nicht in zwei Teile zu zerreißen, wie es mit Deutschland aufgrund der Politik der Westmächte geschehen war.

Die Berliner Außenministerkonferenz 1954

Die sowjetische Regierung traf 1953 eine Reihe von Maßnahmen, um das Besatzungsregime zu erleichtern und die Beziehungen zu Österreich zu normalisieren. In Bezug auf den Staatsvertrag erklärte sie, dass Österreich als unmittelbar interessierte Seite an den Verhandlungen über den Vertragsabschluss teilnehmen sollte. Dementsprechend wurde zur Berliner Außenministerkonferenz ein Vertreter Österreichs eingeladen. Dieser erklärte im Namen seiner Regierung, dass »Österreich nicht beabsichtigt, sich irgendwelchen militärischen Bündnissen anzuschließen«.

An diesen Standpunkt der österreichischen Regierung anknüpfend, unterbreitete die UdSSR auf der Berliner Konferenz folgende Vorschläge: innerhalb von drei Monaten den endgültigen Text des Staatsvertrages mit Österreich auf der früher vereinbarten Grundlage vorzubereiten; den Vertrag durch die Verpflichtung Österreichs zu ergänzen, keiner militärischen Gruppierung beizutreten, die gegen die Staaten gerichtet ist, die an der Befreiung Österreichs teilgenommen haben, und österreichisches Territorium nicht zur Anlage ausländischer Militärstützpunkte zu überlassen. Angesichts der Remilitarisierung in der BRD und der Forderungen bekannter Kreise nach einem neuen »Anschluss« schlug die Sowjetunion noch vor, in Österreich zeitweilig geringe Truppenkontingente der vier Mächte bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland zu belassen, wobei diese keine Besatzungsfunktionen ausüben sollten.

Da diese Vorschläge von den Westmächten nicht angenommen wurden, erklärte die UdSSR im Februar 1955, dass sie es für möglich halte, die Truppen aus Österreich abzuziehen, ohne den Friedensvertrag mit Deutschland abzuwarten. Die sowjetische Seite bestand aber auf einer Lösung, »die die Möglichkeit ausschließt, einen neuen Anschluß Österreichs durch Deutschland vorzunehmen«. Es sollte unverzüglich eine Konferenz der Außenminister der vier Mächte einberufen werden, die sowohl die deutsche als auch die österreichische Frage erörtern sollte. Auch dieser Vorschlag wurde von den Westmächten nicht akzeptiert.

Moskauer Verhandlungen

Angesichts dieser Blockade-Politik der Westmächte schlug die sowjetische Außenpolitik einen anderen Weg ein. Sie nahm direkte Verhandlungen mit der Regierung Österreichs auf. Vom 12. bis 15. April 1955 fanden in Moskau zweiseitige Verhandlungen zwischen Regierungsdelegationen der UdSSR und Österreichs statt. Im Ergebnis (Memorandum) versprach die österreichische Regierung, eine Erklärung abzugeben, in der sie sich verpflichte, dass Österreich »ständig eine solche Neutralität wahren wird, wie die, an die sich die Schweiz hält«. Die österreichische Regierung verpflichtete sich weiter, entsprechende Schritte zu unternehmen, damit diese Erklärung vom österreichischen Parlament angenommen wird und internationale Geltung erhält. Es wurde vereinbart, dass Österreich den Westmächten vorschlägt, dass die vier Mächte Garantien für die Integrität und Unantastbarkeit des österreichischen Territoriums übernehmen.

Die sowjetische Seite erklärte die Bereitschaft, »unverzüglich den österreichischen Staatsvertrag zu unterzeichnen und die Erklärung über die Neutralität Österreichs anzuerkennen«. Sie stimmte auch »dem Abzug der Truppen der vier Mächte aus Österreich nach Inkrafttreten des Staatsvertrages spätestens bis zum 31. Dezember 1955« zu.

Die Moskauer Verhandlungen bildeten die Grundlage für die Lösung der gesamten österreichischen Frage. Am 15. Mai 1955 unterzeichneten die Vertreter der vier Mächte und Österreichs den »Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs«. Durch die Neutralität Österreichs gab es nun in Europa noch ein Land, das außerhalb der Militärblöcke blieb. Es wurde eine Lösung erreicht, die sowohl den nationalen Interessen Österreichs als auch der europäischen Sicherheit entsprach.

Deutsche Reaktionen

Die Regierung der DDR begrüßte die erzielten Ergebnisse und würdigte den Anteil der Sowjetunion. Sie wies darauf hin, dass die Ergebnisse auch deshalb möglich wurden, »weil die österreichische Regierung sich entsprechend dem Willen und Streben des österreichischen Volkes nach Frieden, Sicherheit und Unabhängigkeit bereit erklärte, auf die Beteiligung Österreichs an militärischen Bündnissen und auf die Zulassung ausländischer Militärstützpunkte auf dem Territorium Österreichs zu verzichten«: Die »Vereinbarungen zeigen dem deutschen Volk eindeutig, dass es auch jetzt noch Möglichkeiten zur friedlichen Lösung der Deutschlandfrage gibt, wenn die Pariser Verträge beseitigt, Westdeutschland in keinerlei aggressiver Militärbündnisse eingegliedert, die Zulassung ausländischer Militärstützpunkte auf dem Territorium Westdeutschlands abgelehnt und der Weg der Verständigung und des Friedens beschritten wird«. (Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. II, S.88)

Für die Bundesregierung war es aber Staatsräson, dass es zur »Westintegration« keine Alternative geben dürfe.

Die Neutralitätserklärung und die Gegenwart

Mit der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages am 15. Mai 1955 erklärten die Außenminister der drei Westmächte, dass sie keine Einwände gegen einen vom sowjetischen Außenminister vorgelegten Entwurf einer Viermächteerklärung über Anerkennung der österreichischen Neutralität erheben, wenn das österreichische Parlament der Neutralitätserklärung zustimmt. Diese Zustimmung erfolgte am 26. Oktober 1955 einstimmig. Der Inhalt der Neutralitätserklärung besagt: »1. Zum Zwecke der dauernden und immerwährenden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen, zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebiets sowie im Interesse der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität und wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. 2. Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen.« Am 6. Dezember 1955 erklärten die vier Großmächte in gleichlautenden Noten, dass sie die Neutralitätserklärung zur Kenntnis nehmen und die immerwährende Neutralität anerkennen.

Bei Würdigung dieser historischen Vorgänge ist aber nicht zu übersehen, dass Beeinträchtigungen mit dem Beitritt des Landes zur EU (1995) eingetreten sind. Die militärische Bündnisfreiheit Österreichs wurde zwar aufrechterhalten, aber das Land beteiligt sich an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU! Zunehmend erschöpft sich die Wirkung der Neutralität auf den oben in Art 1, Absatz 2 zitierten Punkten.

Um die Beteiligung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu ermöglichen, wurde Artikel 23f der Bundesverfassung formuliert, der Österreich die Teilnahme an humanitären Aufgaben und Rettungseinsätzen, friedenserhaltenden Maßnahmen sowie Kampfeinsätzen bei Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffenden Maßnahmen ermöglicht. 1994 ist Österreich der NATO-Partnerschaft für den Frieden beigetreten. 1999 hat die von den USA angeführte NATO-Koalition im Kosovokrieg für ihre Luftangriffe auf Serbien den österreichischen Luftraum benutzt. Österreich hat zwar diplomatisch protestiert, es blieb aber dabei.

Die Diskussion in Österreich über den Komplex der Neutralität des Landes wird besonders angesichts der Politik der NATO und des Verhältnisses von NATO und EU weiter geführt. Dabei geht man in politischen Kreisen davon aus, dass die Neutralität des Landes noch immer von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert und als Teil der österreichischen Identität empfunden wird.

 

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2015-06: Die Bundesrepublik Deutschland und Bosnien-Herzegowina

2014-12: Ukraine im Visier

2014-11: Die USA und die Ukraine