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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Bundesrepublik Deutschland und Bosnien-Herzegowina

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch

 

Während der gesamten Nachkriegsperiode bis 1990 ist es der Führung des BdKJ [1] und Jugoslawiens gelungen, den Vielvölkerstaat zu sichern, ihn zu einem angesehenen Faktor der internationalen Beziehungen zu entwickeln und damit einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität der gesamten Balkanregion zu leisten.

Nach der Konterrevolution in den sozialistischen Ländern Europas wurde im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch der Krieg wieder als Mittel zur Durchsetzung der Ziele der imperialistischen Mächte auf den europäischen Kontinent zurückgebracht. Mit der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation, deren Wirken entscheidend zum Frieden im Europa der Nachkriegszeit beigetragen hat, und mit der Zerstörung der Sowjetunion hat sich auch die Kräftekonstellation auf dem europäischen Kontinent grundlegend verändert.

In der aktuellen Propaganda wird, wenn überhaupt, meistens einseitig und pauschal vom Bombenkrieg gegen Jugoslawien gesprochen, der 1999 zwar den militärischen Höhepunkt der Aggressionspolitik des Imperialismus gegen Jugoslawien bildete. Es wird aber verschwiegen, dass diese Aggression schon spätestens 1991 mit der Anerkennung der Sezession Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien durch die BRD eingeleitet wurde. Am 6. April1992 erkennt die Bundesrepublik Deutschland Bosnien-Herzegowina als selbständigen Staat an.

Jahrzehnte lebten die verschiedenen Völkerschaften in Jugoslawien friedlich zusammen. Jetzt wurde eine Grundlage dieses Zusammenlebens, die staatliche Einheit Jugoslawiens, zerschlagen. Der Nationalismus wurde durch die Einmischungspolitik der NATO-Mächte in die inneren Angelegenheiten der selbständigen Staaten nicht nur in Jugoslawien wieder verstärkt und zielgerichtet als politische Waffe eingesetzt. Das brachte den Krieg in Bosnien-Herzegowina – und das alles wurde vor allem von Deutschland und den USA gemeinschaftlich unter Einsatz der NATO betrieben.

Die Rolle der BRD

Anfang Juni 1995 beschlossen die EU und die NATO gegen den Widerstand Russlands die Bildung einer 10.000 Mann starken Schnellen Eingreiftruppe. Am 30. Juni 1995 hat der Bundestag die Teilnahme der Bundeswehr an der Schnellen Eingreiftruppe gebilligt und damit den Bosnien-Einsatz der Bundeswehr beschlossen, der ein weiterer Schritt der BRD war, eine friedliche Lösung des Konfliktes zunichte zu machen.

Schon am 12. Juli 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Bundeswehr an jeglicher Art von bewaffneten Einsätzen unter dem Dach der Vereinten Nationen auch außerhalb des Bündnisgebietes der NATO teilnehmen darf. Damit schuf das Bundesverfassungsgericht – gegen die Verfassung, aber auf Wunsch der Bundesregierung – die rechtliche Basis, mit der die BRD auch den Einsatz ihres militärischen Potenzials verstärkt für die Erreichung außenpolitischer Ziele juristisch rechtfertigen konnte. Sie konnte sich ungehindert am gesamten internationalen Einsatzspektrum beteiligen. Das war eine Folge der Einverleibung der DDR in den Bestand der BRD und der veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen.

Mit dem Einsatz in Bosnien wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik deutsche Soldaten nach dem 2. Weltkrieg in einem Krisengebiet außerhalb der NATO eingesetzt. Die Bundeswehr, die militärische Macht des deutschen Kapitals, wurde wieder zu einem normalen Mittel der deutschen Außenpolitik gemacht.

Zu Beginn waren 1.500 Soldaten und Tornado-Kampfflugzeuge entsandt worden. Das war auch der erste Kampfeinsatz der bundesdeutschen Luftwaffe nach dem zweiten Weltkrieg!

Dieser Einsatz war zugleich Bestandteil eines breiteren Engagements der Bundeswehr, der, nach ihren offiziellen Angaben [2], Einsätze im Rahmen der Luftbrücke Sarajevo (Juli 1992 bis März 1996) die Beteiligung der Bundeswehr auch an den Operationen SHARP GUARD (Juli 1992 bis Juni 1996) und DENY FLIGHT (April 1993 bis September 1996) umfasste. Auf der Basis der UN-Sicherheitsratsresolutionen 713 (1991), 757, 781 und 787 (alle 1992) waren rund 600 deutsche Soldaten in diese Operationen eingebunden. In der Operation DENY FLIGHT wurden 5.048 AWACS-Überwachungsflüge durchgeführt. Im Rahmen der Operation SHARP GUARD wurden über 74.000 Schiffe angerufen, knapp 6.000 Schiffe gestoppt und überprüft, davon rund 260 durch deutsche Einheiten. Etwa 700 Aufklärungsflüge wurden mit Seeaufklärern der Marine durchgeführt.

Zur Unterstützung des Schnellen Einsatzverbandes im ehemaligen Jugoslawien, einschließlich der Unterstützung eines möglichen Abzugs der UNO-Kräfte aus Kroatien, beteiligte sich die Bundeswehr vom 8. August bis 19. Dezember 1995 auf der Grundlage der UN-Sicherheitsratsresolutionen 998 (1995) und des Bundestagsbeschlusses vom 30. Juni 1995 mit rund 1.700 Soldaten, einem deutsch-französischen Feldlazarett, 14 Aufklärungsflugzeugen vom Typ »Tornado« sowie Transportflugzeugen C-160 »Transall«. Es wurden über 920 Flüge durchgeführt, davon 160 über Bosnien und Herzegowina.
Ab Dezember 1996 wurde die Stabilisation Force (SFOR) in Bosnien und Herzegowina eingesetzt. Die Bundesrepublik hatte von Anfang an einen substanziellen Anteil an diesen multinationalen militärischen Operationen.

Seit 1996 waren insgesamt rund 63.500 Bundeswehrsoldaten unter NATO-Kommando zur »Friedenssicherung« in Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien eingesetzt.
Nach rund 9 Jahren beendete am 2. Dezember 2004 die NATO ihre SFOR-Operation in Bosnien Herzegowina. Sie übergab die Aufgabe der weiteren »Stabilisierung« Bosniens an die Europäisch Union.
Im Rahmen der gegründeten EUFOR wurden deutsche Soldaten bis Dezember 2007 in den verschiedenen multinationalen Stäben der Brigaden und Task Forces in Mostar, im multinationalen Hauptquartier WEUFOR im Camp Butmir/Sarajevo sowie aus dem Feldlager Rajlovac/Sarajevo heraus in der gesamten Bandbreite der Einsatz»erfordernisse« eingesetzt. Sie waren, wie es heißt, u.a. zur Aufrechterhaltung eines sicheren und stabilen Umfelds  sowie zur »Informationsgewinnung« im Lande eingesetzt.

Der Rat für Außenbeziehungen der EU hat am 25. Januar 2010 den Aufbau eines Ausbildungs- und Beratungszentrums für die bosnisch-herzegowinischen Streitkräfte beschlossen. Am 16. November 2012 endete die deutsche Beteiligung an der Operation Eufor Althea. Damit wurde nach 17 Jahren der erste große und bislang längste Auslandseinsatz der Bundeswehr beendet, der im Juli 1995 mit einem deutschen Kontingent bei UNPROFOR und im Dezember 1995 bei IFOR begann.

Die Bundesrepublik Deutschland ist der einzige Staat, der das Balkanland im letzten Jahrhundert zum dritten Mal mit Krieg überzog. Damit hat sie deutlich demonstriert, dass sie – nach der Herstellung der Einheit Deutschlands unter den Fahnen des deutschen Imperialismus – nicht gewillt ist, in ihrer Außenpolitik die Lehren zu befolgen, die die Menschheit und die friedliebende deutsche Bevölkerung aus dem Verlauf und dem Ende des 2. Weltkrieges gezogen haben. Indem diese Lehren verfälscht und in die Archive der Geschichte verbannt wurden und werden, indem Gedenkreden gehalten werden, die mit kirchlicher Geschicklichkeit zu Tränen rühren, um die tatsächlichen Inhalte zu verschleiern, bekennen sich die regierenden Administratoren und Vertreter der Interessen des deutschen Imperialismus zu den Grundsätzen und Zielen seiner über ein Jahrhundert verfolgten außenpolitischen Programme.
Der ehemalige Außenminister der BRD, Klaus Kinkel, erklärte zum außenpolitischen Programm der BRD nach der Einverleibung der DDR: »Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht«. (FAZ, 19. März 1993) Er fordert im Namen seiner Regierung dazu auf, das anzustreben und zu verwirklichen, was der deutsche Imperialismus in zwei Weltkriegen nicht erreichen konnte! Das ist Bruch des Potsdamer Abkommens und aller anderen internationalen Abkommen und der Verfassung des Staates, den er führend zu vertreten hatte.

Es ist Bruch mit dem Grundsatz, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf, der als eine der wichtigsten Lehren dieses Weltkrieges in der Verfassung der DDR verankert war und als deutsche Verpflichtung gegenüber den anderen Völkern noch immer gilt. Durch diese Politik hat die Bundesrepublik Deutschland gegen das Friedensgebot ihrer eigenen Verfassung, des Grundgesetzes, verstoßen, das in Artikel 26 besagt: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.« Im Interesse der Durchsetzung der Interessen der herrschenden Klasse vollzogen die Regierenden Deutschlands mit der proklamierten und offen praktizierten Expansionspolitik eine totale Negation des Friedensgebotes ihrer eigenen Verfassung, auf die sie ihren Eid geschworen haben.

Es ist zugleich Verletzung des geltenden Völkerrechts, denn die UNO-Charta besagt in Artikel 1 eindeutig, dass ihr zentrales Ziel darin besteht, »den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen.«

Die Bundesrepublik hat mit ihren diesbezüglichen außenpolitischen Handlungen gegen die Verpflichtung verstoßen, den »Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren«. Sie hat ebenso die Verpflichtung verletzt, »wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um  Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen«.

Die USA

Die außenpolitischen Handlungen der BRD in jener Periode wurden dabei dadurch begünstigt, dass die Haltung der USA gegenüber der BRD von dem Interesse diktiert war, die Verstärkung der Partnerschaft mit der BRD unter der Losung »partners in leadership« zu verfolgen. In diesem Zusammenhang haben die USA der BRD-Führung jenen Handlungsspielraum bei der Durchsetzung ihrer eigenen geopolitischen Interessen gegenüber Jugoslawien gewährt, der in ganz entscheidendem Maße die Lawine zur Teilung Jugoslawiens und zur Entfesselung eines mörderischen Krieges losgetreten hat.

Gleichzeitig sahen sie in der Aggression gegen Jugoslawien einen Weg zur Zerschlagung des Sozialismus in Jugoslawien. Diese Aggression sollte eine willkommene Möglichkeit bieten, ihre Führungsrolle in der NATO und in Europa wieder zu stabilisieren und auszubauen, um ihre Weltmachtambitionen durchzusetzen. Dafür nahmen sie auch bestimmte Kompromisse in Kauf.
Sie waren und sind sich einig – im Antikommunismus!

Mai 2015

 

Anmerkungen:
[1] Bund der Kommunisten Jugoslawiens – Red.
[2] Vgl.:

http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw

 

Mehr von Anton Latzo in den »Mitteilungen«:

2014-12: Ukraine im Visier

2014-11: Die USA und die Ukraine

2014-04: Zur Geschichte deutscher Kolonialpolitik