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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Nur Differenzen in Einzelfragen?

Ellen Brombacher, Berlin

 

"Links ist die Solidarität mit den Schwachen, den Wehrlosen, den Opfern. Wer diesen Grundwert aufgibt, gibt tatsächlich die Grundwerte einer universalistischen und internationalistischen Linken auf und landet schließlich beim Isolationismus" (Hervorhebung vom Verf.). Auch dies schrieb Joschka Fischer 1995 in seiner "öffentlichen Antwort auf den offenen Brief von Kerstin Müller, Claudia Roth, Jürgen Trittin und Ludger Vollmer". Worum es Fischer eigentlich ging, formulierte er an anderer Stelle seines Briefes: "‚Deutschland als Wehrdienstverweigerer’ ist keine realisierbare außen- und sicherheitspolitische Option für die zukünftige deutsche Politik, sondern wird die Bündnisgrünen vielmehr auf der Ebene der Protestpartei festhalten und von der außen- und sicherheitspolitischen Gestaltung der deutschen Politik fernhalten. Und dies gilt nicht nur abstrakt, sondern bezogen auf die Vereinten Nationen hieße dies ganz konkret, daß Deutschland seinen Einfluß zur Stärkung der UN eben nicht zum Tragen bringen könnte".

Längst haben die Grünen ihre pazifistischen, antimilitaristischen Positionen über Bord gehen lassen. Die alten Kämpfe sind beinahe vergessen. Vielleicht glauben deshalb in der LINKEN einige, diese Kämpfe in unserer Partei wie neue führen zu können. In der Kreiszeitung der Partei DIE LINKE in der Uckermark vom November 2011 lesen wir bei Jörg Dittberner: "Die Frage, ob sich Deutschland gegenüber außenpolitischen Konflikten isolationistisch (Hervorhebung der Verf.) verhält oder wie weit und wie intensiv man sich an mandatierten Einsätzen beteiligen soll, muß geklärt werden. Der LINKEN täte eine solche Debatte gut, auch wenn sie innerparteilich kontrovers geführt werden würde." Was eigentlich muß nach fünfzehnjähriger Diskussion, die an ihren programmatischen Schnittpunkten immer wieder bei den geltenden friedenspolitischen Prinzipien endete, so dringend geklärt werden? Und woher nimmt der Autor die Zuversicht, diese Debatte täte der LINKEN gut? Das Gegenteil, davon bin nicht nur ich überzeugt, wäre wohl der Fall.

An anderer Stelle übrigens kann man bei Dittberner nachlesen: "Klar und unstrittig ist die unnachgiebige Forderung nach der Beendigung der unsäglichen Militäreinsätze im Ausland."

Ein paar Sätze weiter steht dann geschrieben: "Die Debatte zum Thema Bundeswehr sollte offen geführt werden. Offen für viele Denkansätze und unter Einschluß internationaler Ansatzpunkte. Der Ausschluß von Gewalt aus den internationalen Beziehungen ist – leider – noch eine nur schöne Vision. Dazu bedarf es mehr als einer nationalen Änderung. Mein Votum für die Bundeswehr ist ein Votum für eine moderne, im Rahmen nationaler Verteidigungsaufgaben gebundene Berufsarmee. Keinesfalls möchte ich zurück zum Stumpfsinn des Kasernenhofalltags wie ich ihn kennen gelernt habe. Ob er heute anders ist, entzieht sich meiner Betrachtung." Was denn nun, fragt man sich unwillkürlich? Unsägliche Militäreinsätze im Ausland oder Denkansätze unter Einschluß internationaler Ansatzpunkte? Gewaltfreiheit ist nur eine schöne Vision – da hat der Autor recht. Seine Schlußfolgerung ist offenbar, daß die LINKE somit darüber nachdenken müßte, ob sie nicht doch mandatierten Einsätzen zustimmen könnte. In diesem Zusammenhang spricht er von Isolationismus wie weiland Joschka Fischer. Nun könnte jemand sagen: Wen interessiert die Auffassung von Jörg Dittberner, den womöglich außerhalb der Uckermark nur wenige kennen?

Das wäre auch korrekt, könnte man nicht z.B. unter www.berlinliebich.de folgendes finden: "Nur wenn mehr und mehr auch andere Politiker sich unseren Argumenten öffnen, die einen Weg aufzeigen müssen, wie eine friedliche Welt möglich wird, können wir die bisherige unheilvolle Politik umkehren." Und dann folgt die beinahe unglaubliche Feststellung: "Dafür sollten wir auf ein Alleinstellungsmerkmal verzichten können." Für diese Feststellung gibt es auch eine Begründung. Aus der sei zitiert: "Die Entscheidung darüber (über Krieg und Frieden, die Verf.) kann gegenwärtig nur der UN-Sicherheitsrat treffen. Wir wissen um dessen Machtverhältnisse und Demokratiedefizite, aber in der Welt wie sie heute ist, gibt es leider keine legitimiertere Institution. ... Ich bin dafür, daß DIE LINKE eine realistische Utopie für eine friedliche Gesellschaft erarbeitet. Ich schlage aber auch vor, daß wir über jeden von der UNO entschiedenen Einzelfall klug entscheiden, statt pauschale Antworten zu geben, denn Ursachen, Verlauf und Lösungsmöglichkeiten von Konflikten unterscheiden sich. DIE LINKE sollte einer UN-Mission aber nicht deshalb zustimmen, weil sie von der UNO beschlossen wurde. UN-Zustimmung ist Minimalvoraussetzung, nicht aber hinreichend für unsere Positionierung." Da haben wir sie wieder, die in Münster und auch danach mehrfach abgelehnte Forderung nach dem Prinzip der Einzelfallprüfung. Und nach wie vor gilt: Mit der Konstruierung von Sonder- oder Einzelfällen beginnt die Etablierung des Regelfalls. Davon zeugt die Entwicklung der Grünen exemplarisch. Nicht ein schlüssiger Grund für die Einzelfallprüfung ist seit dem Münsteraner Parteitag im Jahr 2000 hinzugekommen; dafür vielfältige Gründe, bei den geltenden friedenspolitischen Prinzipien der Partei zu bleiben, oder – um es anders auszudrücken – bei dem Alleinstellungsmerkmal der LINKEN: "Nein" zum Krieg ohne Wenn und Aber; strikte Ablehnung militärischer Gewaltanwendung als Mittel der internationalen Politik! Seit nunmehr gut fünfzehn Jahren findet in unserer Partei eine kontroverse Debatte über den Stellenwert dieses Alleinstellungsmerkmals statt. Ich war daher irritiert, als ich im ND vom 27./28. November 2010 in einem gemeinsamen Leserbrief von Wolfgang Gehrcke und Stefan Liebich las: "Als Mitglieder einer Friedenspartei sehen wir beide unsere Hauptaufgabe darin, bei Konflikten auf einen völkerrechtskonformen und zivilen Weg der Lösung zu drängen. Es mag Differenzen in Einzelfragen geben, die Gemeinsamkeiten überwiegen bei weitem." Mag sein, dies trifft auf die beiden Lesebriefautoren zu. Das kann ich nicht beurteilen. Die Gemeinsamkeiten zwischen den Auffassungen, wie sie Stefan Liebich, Gerry Woop, Jörg Dittberner und andere vertreten, und den Standpunkten, die ich in einer Vielzahl von Basisveranstaltungen zu den im Programmentwurf fixierten friedenspolitischen Prinzipien mehrheitlich zu hören bekam, waren eher gering. Warum spielt der Leserbrief diesen Konflikt herunter? Darüber nachzudenken könnte sich lohnen.

 

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2011-01: Mit dem »Stalinismus als System« gebrochen

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