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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Mit dem "Stalinismus als System" gebrochen

Ellen Brombacher, Berlin

 

"Es gab", so Dietmar Bartsch laut Ostseezeitung vom 29. November 2010, "Schlimmeres in der DDR als die Stasi". Will Dietmar sich seine Karriere versauen? Ausgerechnet das MfS verteidigt er. Und wer oder was – um Gottes willen – sollte schlimmer gewesen sein? "Das Sandmännchen", raunte mir ein in verschwörungstheoretischen Fragen sehr erfahrener Genosse und SU-Absolvent zu. Es habe den Kindern – den Wehrlosesten der Gesellschaft – Abend für Abend Sand in die Augen gestreut – ein hochmanipulativer Vorgang! Ich halte dies für eine eklatante Überschätzung des Sandmännchens, selbst dann, wenn die Gerüchte stimmen, es habe als IM Wüstensturm Woche für Woche Berichte über Frau Elster und Herrn Fuchs verfaßt. Nein, der Sandmann war nicht schlimmer als das MfS. Andere Vergleiche erbrachten mir auch keine Antwort. Einen Moment zögerte ich, als mir Margots Volksbildung in den Sinn kam. Aber dann fielen mir die Finnen ein. Die hätten doch nicht weitgehend die Strukturen von etwas übernommen, was noch verruchter war als die Stasi. Nach langem Grübeln erschloß sich mir, was gemeint sein könnte: Die SED war schlimmer als das MfS. Die Stasi war ja lediglich Schwert und Schild. Wie unsagbar böse aber muß etwas gewesen sein, das sich vom schon schlimmen Bösen verteidigen ließ?

Diese Frage hätten sich seinerzeit natürlich weder Dietmar noch ich, weder Lothar noch Helmut, weder Petra noch Heinz, weder Wulf noch Rosemarie gestellt. Wir alle und viele andere mehr haben das zu DDR-Zeiten selbstverständlich anders gesehen – sonst wären wir ja nicht Mitglieder der ehrenwerten SED gewesen. Nichtparteimitgliedschaft war erstaunlicherweise nicht strafbar. Dennoch kam seinerzeit kaum jemand von all denen, die sich nunmehr voller Reue quälen, auf die Idee, der Überlegung von Groucho Marx zu folgen: "Ich möchte keinem Club angehören, der mich als Mitglied akzeptiert". Wie auch immer: Nunmehr, da wir alle seit zwanzig Jahren die schönen Segnungen des Kapitalismus genießen dürfen, überkommt so manchen endlich die Erkenntnis, daß es in der DDR Schlimmeres gab als die Stasi.

Steffen Bockhahn, Landesvorsitzender der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, lieferte auf dem Landesparteitag die dafür lange überfällige Erklärung. Das Argument, es habe sich (mit dem MfS) um einen ganz normalen Geheimdienst(1) gehandelt, wolle er nicht gelten lassen. "Sprechen wir doch darüber, daß es ein Geheimdienst gewesen ist, der seine Weisungen direkt von der Partei bekommen hat, nicht von Regierungen oder Parlamenten". Als ich das las, zitterten mir die Knie. Ich stellte mir vor, die beiden BND-Agenten, die den Amis in Bagdad zu bombardierende Ziele übermittelten, hätten ihre Aufträge von der SPD bekommen. Steinmeier war ja zu dieser Zeit Geheimdienstkoordinator. Doch beruhigte ich mich schnell wieder. Der BND erhält seine Weisungen ja gerade nicht von einer Partei und ist somit eben ein ganz normaler Geheimdienst; auch wenn das Parlament im oben genannten Fall ausnahmsweise einmal nichts von der geheimen Operation wußte. Schon unter der Oberhoheit von Reinhardt Gehlen, unter Hitler Chef des Geheimdienstes "Fremde Heere Ost", war der BND ein normaler Dienst und Gehlen demzufolge ein Demokrat, da sein Wirken nunmehr parlamentarisch kontrolliert wurde, vor allem seine Operationen für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz in der Sowjetunion, in Jugoslawien oder in der DDR. Wen er einst als faschistischer General bekämpft hatte, unterwanderte er nun als Demokrat, ebenso wie seine Mitarbeiter, von denen viele der SS, dem SD oder der Gestapo angehört hatten. Das MfS, weil von der SED kontrolliert, gab keinem ihrer Gründerväter – fast ausnahmslos ehemalige antifaschistische Widerstandskämpfer – die Chance, ein Demokrat zu werden. Die Stasi kann nur froh sein, daß die DDR unter Führung der SED nicht an Kriegen beteiligt gewesen ist. Sonst wäre ihre Verruchtheit grenzenlos.

Ansonsten erzählt man sich in Mecklenburg-Vorpommern, die gewesene Landesschatzmeisterin der Linken Renate Malchow – und nicht nur sie – habe aus ihrer Tätigkeit für das MfS nie einen Hehl gemacht. Sie habe die entsprechende Offenlegung nur nicht auf jedem Kreis- oder Landesparteitag wiederholt. Daß sie dennoch zurücktreten mußte, ist ein schöner Beweis dafür, daß unsere Partei mit dem "Stalinismus als System" gebrochen hat.

(1) Ein ganz normaler Geheimdienst ist einer, der eigentlich gar nicht geheim arbeitet, weil er sich unter parlamentarischer Kontrolle befindet.

 

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