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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Bericht des Sprecherrates an die 2. Tagung der 15. Bundeskonferenz

Berichterstatterin Ellen Brombacher

 

Liebe Genossinnen und Genossen, am 4. September 2010, kurz nachdem Präsident Obama vorerst weitere Tiefseeerdölbohrungen vor US-amerikanischen Küsten untersagt hatte, wurde über ntv verbreitet, BP habe erklärt, die Kosten für die Katastrophe im Golf von Mexiko seien nicht zu tragen, wenn man nicht weiter in der Tiefsee bohren könne. Mit anderen Worten: Man könne Katastrophenfolgen nicht beheben, ohne neue Katastrophen heraufzubeschwören. Das ist eine kaum zu überbietende Dreistigkeit. Doch es ist weit mehr als das. Der Kapitalismus ist offenbar an einem Punkt angelangt, der ihm diese Dreistigkeit als notwendige Daseinsweise auferlegt. Er kann kaum noch ein gesellschaftliches Problem lösen, ohne mit der Lösung zugleich neue, meist größere produziert zu haben. Noch ist er potent genug, um immer wieder Wege der Herrschaftssicherung zu finden. Seine Anpassungsfähigkeit impliziert auch fortschrittliche Momente. Die bestimmende Entwicklungstendenz jedoch ist eindeutig destruktiv. Der Programmentwurf, so nicht nur Matthias Höhn, zeichne ein düsteres Bild und strahle wenig Optimismus aus. Wir sagen: Der Programmentwurf beschreibt im Wesentlichen die Realität. Die Unersättlichkeit, Profit zu machen, produziert Krisen globalen Ausmaßes. Die Krisen werden recht und schlecht »bewältigt«, indem – in bisher ungekanntem Maße – die Verluste vergesellschaftet und die Gewinne privatisiert werden. Diese Polarisierungen erzeugen soziale Verwerfungen aller Art, mit denen zwangsläufig die Erosion der bürgerlichen Demokratie einhergeht, gekennzeichnet auch durch die von sozialer Not profitierenden, demagogisch Einfluss gewinnenden faschistoiden und faschistischen Rechten. Nehmen wir nur Entwicklungen in den Niederlanden, Ungarn, Österreich, Dänemark, der Schweiz, in Schweden, im Baltikum sowie in Italien und zum Teil auch in Frankreich oder Großbritannien. Und wir alle erleben gerade in den letzten Monaten einen abgrundtief reaktionären Vorstoß der Sarrazins & Co. Rechte und rechtslastige Demagogen machen es sich zunutze, dass sich gesellschaftliche Strukturen auflösen. Lauter wird der Ruf nach der Volksgemeinschaft und dem starken Mann. Die Umwelt nimmt immer größeren Schaden und das Kapital, das die Profitmaximierung nur noch um den Preis steter Katastrophen »beherrscht«, sucht nach einem prinzipiell entlastenden Ausweg. Dieser Ausweg hieß fast immer Krieg. Weltwirtschaftskrisen müssen nicht zwangsläufig Weltkriege nach sich ziehen, allerdings gingen beiden Weltkriegen derartige Krisen voraus. Heute würde ein großer Krieg wohl in einen Atomkrieg münden. In den vergangenen Monaten hat Fidel Castro wieder und wieder vor einem solchen gewarnt. Er spricht von einer Welt, die sich »in ihrer bislang gefährlichsten Phase« befindet. Auf einer Großkundgebung Anfang September warnte er vor dem Ausbruch eines Nuklearkrieges, sollten die USA und Israel den Iran angreifen.

Welche Informationen Castro von wem auch immer bezog und bezieht: Was er sagt ist ernst zu nehmen und berechtigt zu der Feststellung, dass die wichtigste Frage der Gegenwart in der Verhinderung eines Atomkrieges besteht. Nach der Wahlniederlage der US-Demokraten vom 2. November drängen republikanische Politiker auf einen härteren Konfrontationskurs gegen Iran. John McCain rief Präsident Obama auf, »irgendetwas dramatisch anderes« als die bisherige Sanktionspolitik gegen den Iran zu unternehmen. In diesen Tagen steht das neue strategische Konzept der NATO auf der Agenda. Die Militarisierung des Lebens nimmt immer beunruhigendere Formen an und Minister zu Guttenberg fordert eine offene und ehrliche Debatte über den Zusammenhang von Wirtschaftsinteressen und Militäreinsätzen. Köhler musste für eine ähnliche Äußerung, die sich übrigens sinngemäß bereits im 2006 erschienen »Weißbuch« der Bundeswehr findet, vor einem halben Jahr noch das Handtuch werfen. So schnell entwickeln sich die Dinge.

Wir – Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN – arbeiten in einem Land, dass in der Weltpolitik eine einflussreiche Rolle spielt. In diesem Land herrscht eher keine Kriegsstimmung. Das Gegenteil ist der Fall, auch wenn sich das nicht in Aktionen auf den Straßen niederschlägt. Es gibt einen latenten Widerspruch zwischen einer Mehrheitsstimmung gegen Krieg und der Regierungspolitik, für die das Kriegführen zur Normalität gehört. Deutschland will auch heute den Platz an der Sonne. Eine Partei wie die unsere muss den Widerspruch zwischen Bevölkerungsstimmungen und Regierungshandeln öffentlich machen und als Teil der Friedensbewegung mit darum kämpfen, dass der Tag kommt, an dem für den Frieden nicht weniger Menschen auf die Straße gehen als gegen Atomkraftwerke. Die Antiatomkraft-Demonstration am 18. September mit 100.000 Teilnehmern war zutiefst beeindruckend, ebenso die standhaften, mutigen Aktionen Anfang November im Wendland. Die Teilnahme von KPF-Mitgliedern an beiden Massendemonstrationen war selbstverständlich. Zugleich ist festzustellen: Mindestens so wichtig wie der Kampf gegen die Atomkraftlobby ist der Kampf gegen die Lobby derer, die bereit sind, das Risiko eines Atomkrieges einzugehen.

Liebe Genossinnen und Genossen, wesentliche Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der LINKEN war und ist die Beibehaltung ihrer friedenspolitischen Prinzipien. Den antikapitalistischen Charakter des vorliegenden Parteiprogrammentwurfs zu verteidigen heißt daher primär, keine Abstriche an diesen Prinzipien zuzulassen. Alle möglichen Kompromisse sind denkbar. In der Friedensfrage darf es keinen Kompromiss geben. Am 6. September veröffentlichte das fds 13 Thesen zum Programmentwurf der Partei DIE LINKE. Der Bundessprecherrat hat mit dem Beschluss »fds setzt massive Polarisierung auf die Tagesordnung« sofort und unmissverständlich auf dieses Papier reagiert. Die fds-Thesen belegen nicht zuletzt, dass dieser Zusammenschluss weg will von den in der LINKEN geltenden friedenspolitischen Grundsätzen. Zugleich möchte das fds den Eindruck vermeiden, es ginge in dieser Frage um die Schaffung der notwendigen Vorraussetzung für eine Regierungsbeteiligung im Bund. Denn: Nicht nur wir wissen, dass die Basis in ihrer übergroßen Mehrheit nicht bereit ist, an diesen Grundsätzen rütteln zu lassen. Und somit soll der Bär gewaschen werden, ohne ihm den Pelz zu nässen. Lieber, so scheinen sich die fds-Protagonisten daher zu sagen, ein Programm ohne oder mit im Unverbindlichen schwebenden friedenspolitischen Grundsätzen als die Beibehaltung der bisherigen. Sie schlagen allen Ernstes vor, eine Paralleldebatte zur Friedenspolitik zu führen und dazu Gesondertes zu beschließen. Das ist etwa so, als würden die Grünen aus einer Programmdebatte die Umweltpolitik ausklammern wollen. Die Friedenspolitik ist das Herzstück des Wirkens unserer Partei. Was haben wir, und das meint nicht nur die KPF, nicht alles schon geschluckt, in der Überzeugung: Solange unsere Partei in der Friedensfrage gegen den Zeitgeist steht, solange unsere Genossinnen und Genossen in der Bundestagsfraktion öffentlich machen, dass Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln für uns absolut inakzeptabel ist, solange nehmen wir vieles in Kauf. Denken wir nur an all die unsäglichen Erklärungen zur Geschichte oder an so manche Entscheidung, dort wo es rot-rote Landesregierungen gab oder gibt. Wir sind, da uns die Friedensfrage die wichtigste ist, in der Partei geblieben: nicht schweigend zwar – erinnert sei nur an unsere Stellungnahmen zur Geschichte – aber uns der weitgehenden Erfolglosigkeit unseres Widerstands in bestimmten Positionen bewusst. Das hat uns nicht in die Resignation getrieben. Wir werden – wie bereits in unserer oben erwähnten Erklärung formuliert – vehement dagegen kämpfen, dass das fds mit seinem absurden Vorschlag durchkommt, der darauf zielt, im Programm auf Verbindlichkeiten hinsichtlich der Friedensfrage zu verzichten und auf einen außenpolitisch günstigen Zeitpunkt zu warten, wo ein aktueller Einzelfall vermitteln soll, dass die Einzelfallprüfung ein notwendiges Prinzip unserer Politik werden muss.

Jörg Prelle, Mitglied im Bundesvorstand des fds äußerte in der jw vom 13. September, es gäbe eine ganze Kette von Ereignissen, bei denen Grenzlinien zwischen bewaffneten Bandenkämpfen, Bürgerkriegen und Genoziden schwer zu ziehen seien. In »bunter« Reihenfolge, so Prelle, Sierra Leone, Liberia, Ost-Kongo, Ruanda, Somalia, etc., etc. Jeder Fall sei ein Fall für sich und hätte eigentlich in einer internationalistischen Partei eine jeweils gesonderte Diskussion innerhalb des Zielkonflikts auslösen müssen: »Nationale Souveränität« und »Verhinderung von tausend- und abertausendfachem Mord« hätten zwingend diskutiert werden müssen. Und Prelle fährt fort: »Die Diskussion darüber ersparen wir uns seit Jahren mit dem ewigen Mantra ›Münster‹!« Und Gerry Woop schreibt im ND vom 23./34. Oktober unumwunden: »Wer davon ausgeht, dass die Gewalt aus den internationalen Beziehungen nur über einen langen Zeitraum zurückzudrängen ist, wird die auf zahlreiche Kriterien gestützte Einzelfallprüfung für Auslandeinsätze auch bei allem Vorrang für zivile Komponenten nicht ausschließen können. Dazu werden noch bis kommenden Herbst programmatische Debatten geführt. ... Nicht jeder bewaffnete Einsatz auf der Welt ist im Sinne des Völkerrechts rechtswidrig (...) und nicht jeder Einsatz mit UN-Mandat ist ablehnenswert.« Ähnliches finden wir bei Stefan Liebich, Paul Schäfer und anderen.

Es gibt keinen Zweifel mehr: Wie bereits in Münster wird sich auch in der laufenden Programmdebatte die Kernauseinandersetzung auf die Frage der Einzelfallprüfung konzentrieren. Die damalige Vorstandsmehrheit wollte 2000 mit ihrem Antrag in Münster einen Beschluss darüber erwirken, dass Beschlüsse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta in jedem einzelnen Falle dahingehend geprüft werden, ob die Partei einem solchen Beschluss zustimmend oder ablehnend gegenübersteht. Das hätte der Installierung eines generellen Prüfungsvorbehaltes entsprochen. Wer allerdings einem solchen Prüfungsvorbehalt den Rang eines Beschlusses geben will, hebt faktisch den Grundsatz auf, Gewaltanwendung als Mittel der internationalen Politik strikt abzulehnen. Der Prüfungsvorbehalt impliziert, Militäreinsätze als ultima ratio zu akzeptieren. Wenn sich allerdings, was beim existierenden Kräfteverhältnis unwahrscheinlich, aber doch theoretisch nicht gänzlich auszuschließen ist, eine Situation ergäbe, welche die Prüfung unserer Position zu einem Militäreinsatz unumgänglich machte, so könnte eine solche durch einen Sonderparteitag erfolgen. Damit niemand auf die Idee kommt, wir würden uns mit dieser Überlegung einer Befürwortung der Einzelfallprüfung nähern, sei hervorgehoben: In einem solchen, theoretisch nicht gänzlich auszuschließenden Fall handelte sich um eine konkrete Ausnahme von der Regel und nicht um die Infragestellung der Regel durch einen Prüfungsvorbehalt. Soweit noch einmal zur Einzelfallprüfung.

Ansonsten haben auch wir die Debatten um Ost-Timor, Ruanda und andere Stätten des Völkermords nicht vergessen. Ebenso wenig haben wir die Völkermorde vergessen, die nicht thematisiert wurden, weil sie keine Großmachtinteressen berührten oder sich sogar in Übereinstimmung mit diesen befanden. Wir möchten auf der heutigen Konferenz nicht all die Argumente wiederholen, die sich bereits im in den Aprilmitteilungen veröffentlichten Beschluss unserer Bundeskonferenz vom 27. März finden. Wir verweisen auch auf den Artikel von Prof. Gregor Schirmer »Militäreinsätzen nicht zustimmen« aus dem nd vom 2. August, dokumentiert in den Oktobermitteilungen. Wir verweisen ebenso auf die Themenseite in der jungen welt vom 8. Oktober »Angriff auf den Grundkonsens«, dokumentiert in den Novembermitteilungen. Ebenso empfehlen wir das nd vom 1. November, in dem Jan van Aken »Über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten« schreibt. Und wir empfehlen den Artikel von Inge Höger und Paul Grasse in der jungen Welt vom 5. November »Blut und Bodenschätze – Ist Osttimor tatsächlich ein Beispiel für erfolgreiche Militäreinsätze mit Mandat der UNO? ...«

Wir bitten Euch sehr, mit diesen Materialien zu arbeiten. Zugleich werben wir für die von uns und dem MF organisierten Podiumsdebatte, die am 19. Januar 2011 um 18 Uhr im ND-Gebäude stattfindet. »Für jeden Einzelfall eine neue Antwort?« Unter diesem Motto diskutieren über Krieg und Frieden Sahra Wagenknecht, Stefan Liebich, Tobias Pflüger und Paul Schäfer. Es moderiert Prof. Gregor Schirmer.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Partei fiel bisher zu keinem Zeitpunkt mehrheitlich auf die Behauptung herein, dass ihre Zustimmung zu Bundeswehreinsätzen, insbesondere zu Kampfeinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta notwendig werden könnte. Ungezählte Genossinnen und Genossen wussten und wissen, worum es eigentlich geht. Der ehemalige Chef der SPD-Fraktion im Bundestag Struck hat es am 12. September mit dankenswerter Offenheit so formuliert: »Sie (DIE LINKE) muss ihre Position in Sachen Außenpolitk deutlich ändern«, nur dann könne sie ein Gesprächspartner für die SPD sein. Herr Gabriel meinte, mit direktem Bezug auf ein zukünftiges, im Herbst 2011 zu beschließendes Programm: »Für alle Fragen der Zusammenarbeit auf Bundesebene gilt ...: Wiedervorlage Ende 2011«. Und am 15. November äußerte Matthias Platzeck im ND: »Der Härtetest für die LINKE wird die Debatte über ihr Parteiprogramm sein. Am Programm wird sich zeigen, ob eine Regierungsbeteiligung der LINKEN auf Bundesebene denkbar ist.«

Diese Protagonisten der SPD und andere – außerhalb und innerhalb der LINKEN – fordern von unserer Partei nicht mehr und nicht weniger als Kompatibilität für eine rot-rot-grüne Koalition 2013 auf Bundesebene. Wir müssen überall deutlich machen, was auf dem Spiel steht: Auf dem Spiel steht der Wert unserer Partei für die Gesellschaft, in der wir leben. Sie ist die einzige in Parlamenten vertretene Partei, die prinzipiell gegen Krieg eintritt, in einer Zeit, die nichts so sehr benötigt, wie Frieden. Gäbe die LINKE diese Rolle auf, so täte sich massiv die Frage auf, wofür sie eigentlich noch gebraucht würde. Summa summarum: Die entscheidende Frage für die zukünftige Programmatik der LINKEN ist die der Beibehaltung der geltenden friedenspolitischen Prinzipien. Alles, was wir als Kommunistinnen und Kommunisten dazu beitragen können, werden wir tun.

Die Ausgangslage für unser weiteres Handeln ist so, wie Sahra sie am 9. November im ND beschrieb: »Nach meinem Eindruck lehnt eine überwältigende Mehrheit in der Partei Krieg als Mittel der Politik ab und damit auch jegliche Militäreinsätze. Wenn einige meinen, dass man diese prinzipielle Haltung verändern muss, müssen sie das beantragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dem viele folgen werden.«

Liebe Genossinnen und Genossen, natürlich begrenzen sich die unterschiedlichen programmatischen Positionen nicht auf die Friedensfrage. Um es etwas salopp zu sagen: Manchen passt die ganze Richtung des vorliegenden Programmentwurfs nicht. Sie wollen einen neuen. Entsprechende Äußerungen gibt es seit März zur Genüge. Im Oktober verlieh der Landesvorstand Sachsen faktisch diesem Wunsch Beschlusscharakter. Auf dem jüngsten sächsischen Landesparteitag bekräftigte der Landesvorsitzende Rico Gebhardt die Forderung nach einem überarbeiteten zweiten Entwurf des Programms – und zwar nicht erst acht Wochen vor dem Bundesparteitag im Oktober 2011, sondern »im März, spätestens im Mai.« In einem Offenen Brief vom 30. September 2010 wandten sich daher 83 Genossinnen und Genossen an den Parteivorstand der LINKEN, darunter die MdB Sevim Dagdelen, Heike Hänsel, Inge Höger, Ulla Jelpke und Kornelia Möller, darunter Heinrich Fink, Uwe-Jens Heuer, Hermann Klenner, Harry Nick und Eberhard Panitz. Sie schreiben: »Den am 20. März vorgelegten Programmentwurf ... haben wir vorwiegend positiv aufgenommen. […] Die Klarheit der Kapitalismusanalyse des Programmentwurfs muss erhalten bleiben.« Gegenwärtig haben mehr als 400 Mitglieder und SympathisantInnen den Offenen Brief unterschrieben. Die Unterschriftensammlung wird von den Erstunterzeichnern bis März 2011 weitergeführt, auch die KPF wird sich weiter an dieser Aktion beteiligen. Die KPF hatte die Verteidigung des Programmentwurfs von Anbeginn auf ihre Fahne geschrieben. Bereits auf unserer Bundeskonferenz am 27. März formulierten wir: »Jetzt kommt es darauf an, dass Kommunistinnen und Kommunisten überall in der Partei aktiv an der Organisierung der Programmdebatte mitwirken und dabei ihren inhaltlichen Beitrag leisten. Eines«, so stellten wir weiter fest, »lässt sich bereits eine Woche nach der Veröffentlichung des Entwurfs klar sagen: Er ist zu verteidigen.« Diese Einschätzung erfuhr schon auf der Konferenz Ende März mehrheitliche Zustimmung. Auf seiner Beratung am 8. Mai beschloss der Bundeskoordinierungsrat in den Junimitteilungen veröffentlichte Schwerpunkte zur Führung der Programmdebatte.

Liebe Genossinnen und Genossen, seit unserer Bundeskonferenz sind knapp acht Monate vergangen. Sie waren und sind eine Bestätigung unserer damaligen Einschätzung. Keine der etablierten bürgerlichen Parteien und kaum ein bundesweit bekannter Antikommunist hat es versäumt, den Entwurf zu attackieren. Aber auch innerhalb der LINKEN hat es an Angriffen nicht gefehlt. Wir haben eine von Wulf Kleus erarbeitete entsprechende Zitatensammlungen in den Oktober-Mitteilungen veröffentlicht. Die Hauptstoßrichtung der Attacken richtet sich gegen den antikapitalistischen Grundzug des Entwurfs. Bei den Etablierten der bürgerlich orientierten Parteien, SPD und Grüne inbegriffen, sowie bei militanten Antikommunisten wie Knabe und Gauck ist der Grund hierfür klar: Ein antikapitalistisches Programm ist in ihren Augen des Teufels und nicht von dieser Welt. Ihre Vorstellungen von Realpolitik schließen ein, es für normal zu halten, dass Kapitaleigner die Welt an den Rand des Abgrundes zocken dürfen, und dass anschließend die nichtsbesitzenden Nichtzocker dafür aufkommen müssen. Für Kommunisten und Sozialisten allerdings ist das ein Horrorszenario, verbunden mit dem Willen, ein System, welches so funktioniert, letztendlich zu überwinden. Darauf orientiert auch der Programmentwurf. Wer den Kapitalismus überwinden will, so nun die veröffentlichte Meinung, ist nicht nur ein Traumtänzer sondern zugleich ein Feind der Demokratie. Die Umwandlung einer Gesellschaft, in der in täglich zunehmenden Maße die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden, in eine Gesellschaft, in der das Allgemeinwohl im Mittelpunkt steht, muss aufhören, so will man uns einreden, demokratisch zu sein. Der Mensch tauge nicht für Umstände, unter denen – durch die Veränderung der Eigentumsverhältnisse – die Gewinne der Ausgestaltung der Gesellschaft zugute kämen. Der Mensch sei nicht geschaffen, für das Allgemeinwohl zu wirken. Das habe schon einmal nicht funktioniert, sagen die Reaktionäre aller Schattierungen und viele der von ihnen Betrogenen beten es nach. Mit dem Wegfall der Profitdominanz ersetze die politische Diktatur die ökonomischen Hebel und zerstöre die schöne Idee einer gerechten Welt. Der Kapitalismus sei zwar partiell ungerecht aber in ihm sei der einzelne frei in seinem Tun und Sagen. Und nun legt die LINKE all diesen Apologeten einen Programmentwurf vor, der keinen Bogen um die Tatsache macht, dass der Kapitalismus die Hauptursache für die wesentlichen Übel dieser Welt ist und überwunden werden muss. Das wirkt wie eine Provokation. Und auch mancher in unserer Partei will, aus bereits erwähnten Gründen, zwar Kapitalismuskritik nicht aber Antikapitalismus.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Mehrheitsstimmung in der LINKEN dürfte das nicht sein. Es reicht jedoch nicht aus, dies nur festzustellen. Die ideelle Unterstützung großer Teile der Basis für den vorliegenden Entwurf muss in öffentlich relevante aktive Zustimmung verwandelt werden. Es geht um weitere Unterschriften unter den bereits erwähnten Offenen Brief an den Parteivorstand. Es geht ganz besonders um die Initiierung und Mitwirkung an Veranstaltungen zur Programmatik unserer Partei. Das bewiesen nicht zuletzt unsere gemeinsam mit dem Marxistischen Forum organisierten Podiumsdebatten zum Programmentwurf, so am 12. November zum Thema »Brauchen wir rote Linien für Regierungsbeteiligungen ...« mit Uwe Hiksch, Stefan Ludwig, Thomas Nord und Dr. Arthur Pech. Gleichzeitig geht es darum, dass sich möglichst viele Basisorganisationen und ebenso einzelne Genossinnen und Genossen an den Parteivorstand wenden, um die Beibehaltung des antikapitalistischen Charakters des Programmentwurfs zu fordern. Das schließt Anträge nicht aus, sehr wohl aber jede linke Korrespondenz mit den Angriffen von rechts. Am 12. November haben sich auf Initiative von Nele Hirsch verschiedene Zusammenschlüsse auf einer gemeinsamen Beratung zu diesbezüglichen inhaltlichen und organisatorischen Schwerpunkten verständigt, die im heutigen Referat durchgängig verarbeitet sind und daher an dieser Stelle nicht wiederholt werden müssen. Die Vertreter der Zusammenschlüsse, Strömungen und Jugendorganisationen Sozialistische Linke, Cuba sí, Marxistisches Forum, KPF, Geraer Dialog, AKL, der BAG Frieden und Internationale Politik, ['solid] und sds kamen überein, ihre programmatischen Aktivitäten bis zum Programmparteitag – voraussichtlich am 15./16. Oktober 2011 – zu beraten und weitgehend zu koordinieren. Und noch eine Bemerkung zur Programmdebatte: Auch auf dem Hannoveraner Programmkonvent, der im übrigen die breite Basiszustimmung zum Programmentwurf deutlich widerspiegelte, war davon die Rede, dass es für die Partei problematisch wäre, wenn über das zukünftige Programm etwa mit einem Stimmverhältnis von 60:40 abgestimmt würde. Dem können wir nur zustimmen. Das letzte Wort in punkto Programm hat die Parteibasis der LINKEN und ihr muss ein Programmentwurf vorliegen, dem eine große Mehrheit zustimmen kann. Darin liegt die Verantwortung des Programmparteitages.

Liebe Genossinnen und Genossen, bis zu den Bundestagswahlen sind es noch knapp drei Jahre und auf dem Weg dorthin entwickelt sich im Land eine Atmosphäre, die zumindest beunruhigend ist. Vor zwei Jahren – Sarrazin hatte sein Buch über Deutschlands Selbstabschaffung noch nicht fabriziert, Oberst Klein hatte den Befehl zur Ermordung von bis zu 140 Menschen durch Bombardierung noch nicht erteilt, die Bundesregierung hatte den Empfängern von ALG II noch nicht die Demütigung von 5 Euro plus zugefügt, in Stuttgart und Gorleben hatte die Polizei noch nicht mit Wasserwerfern und Pfefferspray friedliche Demonstranten attackiert und auch manches andere stand noch aus – vor zwei Jahren also hatten wir im Sprecherratsbericht an die Bundeskonferenz zitiert: »Wer nicht sieht, dass es ganze Gesellschaftsschichten sind, ganze Klassen und Kasten, die so verkommen, so heruntergekommen in ihrem moralischen Empfinden, von so frechem Hochmut sind – wer nicht sieht, dass man diesen Beamten, ihren Söhnen, diesen Studenten, Professoren, Oberlehrern, Medizinern, diesen Balkan-Deutschen die Macht zeigen muss, die unlogische, nicht objektive, ungerechte, einfache Macht: der richtet das Land zugrunde. Und wir wollen uns nicht zugrunde richten lassen.«

Dieses Zitat wurde vom Bunderverwaltungsgericht Leipzig im Zusammenhang mit dem Verfahren Bodo Ramelow ./. Bundesrepublik Deutschland hochstilisiert zu einem der Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in der Partei DIE LINKE und zugleich zu einem Grund für die Beobachtung des KPF durch den Verfassungsschutz. Wahrscheinlich hat Kurt Tucholsky diese Worte unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel geschrieben, um sich nicht schon zu Beginn der dreißiger Jahre dem Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit auszusetzen und ebenso wahrscheinlich hat ein moderner Schlapphut nunmehr den Ignaz Wrobel – Klarname Tucholsky – als KPF-Mitglied ausgemacht. Jedenfalls hat uns das BVerwG dieses Tucholsky-Zitat – passend gekürzt und willkürlich mit anderen Formulierungen verknüpft – als kaum verhohlenes Bekenntnis zur Gewaltanwendung vorgeworfen. Ähnliches widerfuhr der KPF im Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster auch mit den von uns vielfach zitierten Marx-Worten über eine Gesellschaftsordnung, »in welcher die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft und der Mensch nicht länger ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«

Man kann letzteres übrigens auch ganz anders interpretieren: Wer Verhältnisse zementieren will, indem der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, der steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, heißt es doch in ihm: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Ist menschliche Würde hier und heute unangetastet? Das wird wohl niemand behaupten wollen, in Anbetracht von 16,5 Cent, die erwachsene Hartz-IV-Bezieher pro Tag mehr erhalten sollen. Hartz-IV-Bezieher, die sogenannten Aufstocker – die von ihrer Arbeit ohne staatlichen Zuschuss nicht existieren können, inbegriffen – müssen, um den täglichen Kalorienbedarf befriedigen zu können, an der Qualität der Lebensmittel oder an anderen Bestandteilen des Hartz-IV Regelsatzes sparen. Kopfschmerzen sollten sie nicht bekommen. Schnupfen auch nicht. Medikamente gegen beides, u.v.a.m., gibt es nicht auf Kassenrezept. Die s.g. Gesundheitsreform vertieft und verstetigt in schlimmer Weise die Zweiklassenmedizin. Als der Bundestag am 12. November 2010 das Ende des Solidarprinzips beschloss, nannte Gregor Gysi Röslers Vorgehen Klientelpolitik zugunsten der Pharmaindustrie und der Privatkassen. Der Minister sei dabei, eine »Dreiklassenmedizin in Deutschland einzuführen« – privat Versicherte, gesetzlich Versicherte, die sich Behandlungen auf Vorkasse leisten können, und solche, denen das Geld dazu fehlt. Wie viel Demütigung liegt allein in dieser Dreigliederung. Viele Fakten ließen sich noch anführen, die von Verletzungen der menschlichen Würde zeugen. Aber – es geht ja eben nicht um Würde sondern um Profit. Die Einführung von Hartz IV hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen für immer weniger Geld beinahe jede Arbeit annehmen. Exemplarisches Beispiel hierfür sind die Leiharbeiter und Eineurojober. Wenn die Eineurojobs aktuell infrage gestellt werden, so primär deshalb, weil sie zu teuer sind. Ihren Zweck haben sie längst erfüllt. So ist in Deutschland in den vergangenen sechs Jahren – 2005 wurde Hartz IV eingeführt – ein gewaltiger, das gesamte Tarifgefüge belastender Niedriglohsektor entstanden. Der mittlerweile größte in der EU. Zu dieser Entwicklung hat die weltweite Krise das ihre beigesteuert. Dass gleichzeitig die Profite ins Unermessliche steigen, verwundert nur diejenigen, die glauben, auch dass große Kapital leide unter der Krise. Das große Kapital ist einfach nur asozial. Die Einkommen aus Vermögen und Unternehmertätigkeit sind in den vergangenen 10 Jahren um beachtliche 31,1 Prozent gestiegen, die Nettolöhne und -gehälter dagegen seit Anfang des Jahres 2000 um 2,5 Prozent gesunken.

Wie lange, liebe Genossinnen und Genossen, sind die so unausbleiblichen gesellschaftlichen Verwerfungen im Rahmen der gegebenen bürgerlichen Ordnung zu beherrschen? Auf welche Optionen bereiten die Herrschenden sich vor? Ganz offen laufen diese Vorbereitungen. Denn: Hier herrscht Meinungsfreiheit. In der bürgerlichen Gesellschaft ist in punkto Meinungsfreiheit beinahe alles erlaubt. Die Bildzeitung darf schreiben was sie will, und die Mitteilungen der Kommunistischen Plattform dürfen es auch. Wir sind sozusagen gleichberechtigt. Nur unsere Kapitaldecke ist etwas unterschiedlich beschaffen und das wirkt sich geringfügig auf Auflagenhöhe und Erscheinungshäufigkeit aus. Meinungen werden von denen gemacht, die die Medienlandschaft beherrschen.

Ein Viertel der Bevölkerung sei inzwischen fremdenfeindlich eingestellt, konstatiert eine im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung erstellte, am 13.10.2010 in Berlin vorgestellte Studie. 2008 sei es noch ein Fünftel gewesen. Gut 55 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: »Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten die Araber unangenehm sind«. Die Feindseligkeit gegenüber dem Islam, so die Studie, sei besonders ausgeprägt. Welch unglaubliche Überraschung! Wenn ein Hund einen Haufen in eine Küche machen würde, würde in einer solchen Studie vermutlich alarmierend festgestellt werden, dass es in dieser nicht nach Essen sondern nach Hundescheiße riecht. In der Studie über die Fremdenfeindlichkeit jedenfalls werden die Ergebnisse als »Alarmsignal für Politik und Gesellschaft« gewertet. Als würden nicht Politiker, als würde nicht die kapitalistische Gesellschaft den widerwärtigen Gestank des Rassismus erzeugen und mit Hilfe der mainstream-Medien verbreiten.

Nun hatte sich ja der Bundespräsident Wulff mit seiner Rede am 3. Oktober offensichtlich um ein wenig Schadensbegrenzung bemüht. Doch das kann BILD z.B. nicht hinnehmen. Tagelang fragte sie auf der Seite 1 mit dicken Balkenüberschriften ihre ohnehin schon besorgten Leser, wie viel Islam dieses Land denn aushalten könne. Am 11. Oktober stand auf dem Titelblatt: »Kein Alkohol! Kein Schweinefleisch! Keine Zins-Geschäfte! 1. Mietvertrag mit Islam-Klausel!« Diese Mietklausel mache fassungslos, beginnt der folgende Kommentar. In der BILD-Zeitung vom 6. Oktober war zu lesen: »... immer mehr Bürger fragen sich: Warum reden wir eigentlich soviel über Minderheiten – und so wenig über die Mehrheit? Müssen wir künftig etwa auch die Werte des Islam achten? Wer denkt eigentlich an uns?« Und weiter »informiert« BILD: »66% der Deutschen sagen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Nur 24% stimmen Wulf zu«. Es folgen, immer noch in BILD, Stimmen aus dem Internet: »Was haben Muslime mit der deutschen Einheit zu tun? Haben sie die Mauer niedergerissen?« Oder: »Wäre doch zu schön, wenn deutsche Politiker auch wieder wirklich die Interessen ›ihres Volkes‹ vertreten würden.« Und Politiker wie der CDU-Abgeordnete Norbert Schindler kümmern sich sogleich: Schindler bemängelte in BILD an der Rede Wulfs, er hätte sich »mehr zu den Sorgen der Menschen« äußern sollen. Da ist sie wieder die Volksgemeinschaft, da sind sie wieder, die schmarotzenden Minderheiten und eine, wie die FAZ kommentierte, »sich bedrängt fühlende, politisch unbetreute Mehrheit«. Eine solche gibt es in der Geschichte nicht zum ersten Mal. Einst hieß es: »Dem Heer von Offizieren, Staatsbeamten, Künstlern und Gelehrten stand eine noch größere Armee von Arbeitern gegenüber, dem Reichtum der Aristokratie und des Handels eine blutige Armut. ... Kaum in einer deutschen Stadt war die soziale Frage besser zu studieren ... Aber man täusche sich nicht. Dieses ›Studieren‹ kann nicht von oben herunter geschehen. Wer nicht selber in den Klammern dieser würgenden Natter sich befindet, lernt ihre Giftzähne niemals kennen. Im anderen Falle kommt nichts heraus als oberflächliches Geschwätz oder verlogene Sentimentalität. Beides ist von Schaden. Das eine, weil es nie bis zum Kerne des Problems zu dringen vermag, das andere, weil es an ihm vorübergeht.« Zum Kern dringt Hitler – dies war ein Zitat aus »Mein Kampf« dann vor: Der Kern des Problems waren die Juden, Bolschewisten und Novemberverräter. Kann man vielleicht auch hier sagen? Der analytische Teil stimmt, nur die Schlussfolgerungen sind etwas krude, wie es Buschkowski am 15. Oktober im ARD-Morgenmagazin über Sarrazins Auslassungen formulierte. Auch Peer Steinbrück äußerte sich jüngst in BILD, abgesehen von den letzten Kapiteln könne man weiten Teilen von Sarrazins Analyse kaum widersprechen; er, Steinbrück, sei gegen einen Parteiausschluss.

Zurück zur heutigen, laut FAZ, »sich bedrängt fühlenden, politisch unbetreuten Mehrheit«. Der politisch unbetreuten Mehrheit werden fünf Euro zusätzlich zugebilligt, und die gleichen Leute, die über dieses Almosen entschieden oder es herbeigeschrieben haben, beweinen die Konsequenzen ihrer Entscheidung mit dem verlogenen Verweis darauf, die Gesellschaft befasse sich zuviel mit den nichtdeutschen Hartz-IV-Empfängern. Oder aber: Die Gesellschaft befasse sich zuviel mit den Hartz IV Empfängern und zu wenig mit denen, die trotz Arbeit unter unzulänglichen materiellen Bedingungen existieren müssen. Und dann sind da noch die Alten, die ihre Rente auf Kosten der Jungen erhalten und deshalb, ohne eine reale Chance auf dem s.g. Arbeitsmarkt, bis 67 arbeiten müssen. Darauf läuft alles hinaus – auf das uralte, der Herrschaftsausübung brillant dienende Prinzip: Teile und herrsche! Nicht um Integration von Migranten, nicht um die sozialen Probleme von Menschen – deutscher oder nichtdeutscher Herkunft – geht es in der laufenden Debatte. Worum es wirklich geht, bleibt im Nebel: Um die Ablenkung von der zunehmenden sozialen Misere und von der immer brutaler werdenden Ausbeutung, um die Ablenkung vom Tagesgeschäft Krieg und der Gefahr eines Atomkrieges, um die Ablenkung von der sich rapide ausbreitenden Umweltzerstörung – um die Ablenkung von der ganzen Verkommenheit der fast ausschließlich auf Profitmaximierung fixierten kapitalistischen Gesellschaft.

Und während die CIA, auf jegliches Völkerrecht pfeifend, in Pakistan hightec-Morde beging und begeht, warnte sie über den US-amerikanischen Fernsehsender FOX vor islamistischen Anschlagsvorbereitungen gegen den Berliner Fernsehturm und andere frequentierte Gebäude in diesem Land. Und gerade in diesen Tagen, da der Innenminister hinsichtlich der Anschlagsgefahr in Deutschland von einer neuen Lage spricht – natürlich wird nun erneut über die Wiederaufnahme der Vorratsdatenspeicherung geredet –, gerade in diesen Tagen wird mancher Bildzeitungsleser, wenn er einen z.B. arabisch aussehenden Menschen in einem Kaufhaus sieht, schon hin und wieder fürchten, dass der gleich einen Anschlag verüben könnte. In der Studie heißt das dann – wie bereits erwähnt – bei 55 Prozent der Befragten: »Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten die Araber unangenehm sind«. Und dann sagt sich dieser Bildleser – und das ist seine ganz eigene Meinung – dass von denen, die so undeutsch aussehen in Deutschland ohnehin zu viele rumlaufen und den »Altdeutschen«, so hatte Herr Gauck die nicht Zugewanderten genannt, ohnehin die Arbeit wegnehmen und zumindest unsere Steuern verfressen. Da muss dann Herr Gabriel, der Herrn Sarrazin wegen dessen Gen-Äußerungen sehr gerügt hatte, zumindest Herrn Buschkowski auf dem SPD-Parteitag exponiert zu Wort kommen lassen und auch selber sagen, dass, wer sich nicht integrieren will, hier auch nichts zu suchen habe. Frau Merkel erklärt Multi-Kulti für vollkommen gescheitert und Seehofer putscht die CSU-Volksseele auf Kosten der Migranten auf, um sein Stimmergebnis zu puschen. Und die sogenannte Mitte der Gesellschaft ist sich – da es ja bekanntlich Arbeitsplätze noch und noch gibt – in einer weiteren Frage einig: Wer (angeblich!) – nicht arbeiten will – das gilt auch für die Herrenrasse – der verdient nicht mehr als eine ALG II Erhöhung von fünf Euro. Rassismus und Sozialdarwinismus sind zwei Seiten einer Medaille. Dessen sind sich die auf beiden Seiten Betroffenen zu häufig nicht bewusst und daher sind sie auf schlimme Weise gegeneinander ausspielbar. Dies Spiel zu spielen, darin sind sich die Herrschenden einig. Es ist lächerlich, wenn Sarrazin, seinen Rücktritt erklärend, meinte, er könne nicht der gesamten politischen Klasse des Landes widerstehen. Er ist ein ideologisch besonders reaktionärer und sozial erbarmungsloser Vertreter dieser Klasse. Und die Klasse distanziert sich von ihm, wo es heute noch zu unappetitlich ist und gebraucht ihn zugleich für die Erzeugung von miesesten Stimmungen in der Gesellschaft, in der sich nach Möglichkeit alle etwas angewidert von integrationsunwilligen Türken abwenden sollen und in der nach Möglichkeit keiner von der erneut von Steuergeldern mit 40 Mrd. gestützten HRE reden sollte. Und das klappt nicht schlecht.

Liebe Genossinnen und Genossen, bleiben wir noch einen Moment bei Sarrazin. Am 13. September wurde vermeldet, dass Sarrazin wegen eines Plakates Anzeige gegen die NPD erstattet hat. Die Berliner Polizei entfernte am 10. September an der Bundeszentrale der NPD in Berlin-Köpenick ein Transparent mit dem Konterfei des Provokateurs und der Aufschrift »Sarrazin hat recht«. Sarrazin will natürlich nicht als Nazi gelten. Denn Nazis sind immer noch nicht salonfähig. Da Sarrazin nun aber kein Nazi ist, hat er natürlich auch keine Nazimeinung. Außerdem hätten sonst ganz viele eine Nazimeinung. Denn ganz viele meinen, Sarrazin hätte in vielem recht. Um dies zu meinen, müssen sie sein Buch gar nicht gelesen haben. Die Medien predigten monatelang Kernsätze aus diesem Machwerk – von morgens bis in die Nacht. Sarrazin rannte von talkshow zu talkshow und wurde zunächst buchstäblich zum Märtyrer, weil zumindest in den anfänglichen Gesprächsrunden die politisch Korrekten um ihn herumsaßen, die ihn wegen der Genfrage beschimpften. Auf seinen schon älteren Vorschlag, Hartz IV-Bezieher, denen die Heizkosten unbezahlbar seien, könnten ja einfach dicke Pullover anziehen, kamen die politisch Korrekten nicht zu sprechen. Die Sache mit den Genen ist politisch nicht korrekt, Sozialdarwinismus hingegen schon – sonst könnte man ihn ja in dieser anständigen bürgerlichen Gesellschaft nicht, wie bereits erwähnt, praktizieren. Nach den jüngsten, auch Heizkosten betreffende Kürzungen für die Hartz IV-Empfänger hat sich Sarrazin in diesem und in anderen Punkten geradezu als Vordenker erwiesen. Auch deshalb warben clevere Journalisten dafür, Sarrazin nicht zu verurteilen, sondern die Auseinandersetzung zu führen. Nur keinen Märtyrer solle man aus dem Mann machen. Auch der Kriminologe Pfeiffer aus Niedersachsen, der die jungen Nazis in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und sonst wo im Osten auf das in den DDR-Kindergärten übliche Topfen zurückführte, warnte davor, Sarrazin auszuschließen. Man müsse sich gegen seine falschen Argumente wehren, und über das Richtige nachdenken. So zu argumentieren heißt, auch das sogenannte Falsche hoffähig zu machen. Wenn jemand wie der Neuköllner Bürgermeister der sogenannten deutschen Unterschicht unterstellt, sie würde, bekäme sie mehr Kindergeld, dieses nur versaufen, dann liegt die erbarmungslose Kälte in der dreisten Verallgemeinerung. Natürlich gibt es Alkoholiker – übrigens nicht nur – unter den Armen. Das festzustellen ist keine Beleidigung, selbst wenn man nicht gleich dazu sagt, dass bedrückende Lebensumstände Labilität sehr begünstigen können. Rassismus und Sozialdarwinismus beginnen nie bei Faktenbenennungen, sondern bei deren Interpretation. Und Sarrazin begann mit seiner Art, Fakten zu interpretieren bereits als Senator einer rot-roten Regierung in Berlin. Dort wurde er irgendwann zu peinlich. Also ging der Berliner SPD-Senator und wurde – Bundesbankvorstand. Dann kam die Sache mit den Genen: eine schöpferische Weiterentwicklung seiner Bemerkungen über die Kopftuchmädchen produzierenden Türken und Araber, die ansonsten bestenfalls noch Gemüse verkaufen können. Die Sache mit den Genen, da er bezogen auf die jüdischen missverstanden wurde, war nun wiederum der Bundesbank unangenehm und auch dem Bundespräsidenten. Also war man Sarrazin sehr zu Dank verpflichtet, als er freiwillig seinen Bankposten abgab. Und flugs nahmen seine früheren Bundesbankkollegen Vorwürfe gegen ihn zurück – und, in Ermanglung einer Abfindung – ermöglichten sie ihm die zusätzliche Zahlung von 1.000 Euro monatlich zur Pension. Er bekommt jetzt eine Pension, wie sie ihm am Ende seines Vertrages im Jahr 2014 zugestanden hätte, eine monatliche Altersversorgung von 10.000 Euro. Hinzu kommt: Bis Anfang Oktober wurden 1,1 Millionen Exemplare seines Pamphlets »Deutschland schafft sich ab« gedruckt, insgesamt wurden mehr als 650.000 Exemplare verkauft. Derzeit wird die 14. Auflage ausgeliefert. Da Sarrazin sich also um seine soziale Situation nicht sonderlich sorgen muss, hat er jetzt richtig Zeit. Wir werden sehen, was noch alles kommt und wasdie Sarrazins, die geschichtsrevisionistischen Steinbachs, die Stattkewitz’ und andere für Zukunftsüberraschungen bereit halten. Stattkewitz, Ex-Chef der Pankower CDU, war einer der Protagonisten der Bewegung gegen den Moscheebau in Heinersdorf und plant mit seiner neuen Rechtspartei »Die Freiheit« an der nächsten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus teilzunehmen. Als Wahlkampfhelfer hatte er schon einmal den holländischen Rassisten Wilders eingeladen. »Die Propaganda ist in Inhalt und Form auf die breite Masse anzusetzen und ihre Richtigkeit ist ausschließlich zu messen an ihrem wirksamen Erfolg«, sagte schon Adolf Hitler in »Mein Kampf«. Und – der Massenmörder gleich noch einmal: »In einer Volksversammlung der breiten Schichten spricht nicht der Redner am besten, der der anwesenden Intelligenz geistig am nächsten steht, sondern derjenige, der das Herz der Masse erobert.« Entsprechend dieser Feststellung wird auch heute nicht selten verfahren. Wie sonst ist die Wirksamkeit des nationalistischen Gifts zu erklären. Kommen wir noch einmal auf die bereits erwähnte Studie zurück. Mehr als 30 Prozent der Deutschen stimmen Aussagen zu wie »Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen« oder durch die »vielen Ausländer« werde Deutschland »in einem gefährlichen Maß überfremdet«. Zugleich wünsche sich jeder vierte Deutsche eine »starke Partei«, die die »Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«. Die Forderung, Deutschland solle wieder die »Macht und Geltung verschafft werden, die ihm zusteht«, findet ebenfalls bei mehr als jedem vierten Befragten Zustimmung. Für ein »hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland« ist jeder Dritte, und »Mut zu einem starken Nationalgefühl« wünschen sich fast 40 Prozent. Deutschland – ein Sommermärchen? Heines Wintermärchen eher: »Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht«. Einem Katalysator gleich hat die Sarrazin Debatte auf die Ausprägung eines nationalistischen, ins chauvinistische gehende Klima gewirkt. Ein Katalysator ist bekanntlich ein Stoff, der eine chemische Reaktion beeinflusst, ohne dabei selbst eine dauernde Veränderung zu erfahren, ohne im Endprodukt enthalten zu sein. Sarrazin selbst kann sich in die Stimmungsmache einbringen und sich auch zurückziehen: Die Veränderungen, die er mit erzeugt hat, sind, dank der Medien, in der Welt.

Und die Medien senden und senden und drucken und drucken und ganze Säle erheben sich vor dem ach so aufrichtigen Mann, und vor Gert Wilders nicht minder. Endlich sagen welche, was viele denken. Sarrazin hätte es tischfeiner sagen müssen, kommentierte Altkanzler Helmut Schmidt. Wir erlebten besonders im vergangenen halben Jahr exemplarisch, wie Stimmungen gepuscht werden: Die taffe Lena Meyer-Landrut, der mutige, bodenständige Gauck, der Held Sarrazin, die aufrechte Steinbach. Die Nation fühlt mit ihnen, denkt irgendwo wie sie und manchmal denkt die Nation auch, dass man so etwas nicht tut: Den Ausdruck Gene z.B. benutzt man nicht. Es reicht zu sagen, dass Araber und Türken weniger intelligent sind, als z.B. Deutsche. Ein Nebeneffekt dieser Manipulationsprozesse: Man bereitet sich langfristig auf Bundestagswahlen vor. Man wird im Wahlkampf vielleicht manches nur etwas tischfeiner machen. Und die sich links verordnenden Parteien werden sich sehr genau überlegen, wieweit ihre Solidarität mit Migranten und Flüchtlingen geht, insbesondere für Muslime. Das erleben wir schon jetzt. Nachdem Gabriel das Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin wieder und wieder verteidigt hatte, nicht ohne festzustellen, dies würde der SPD in Umfragen schaden aber man sei schließlich nicht opportunistisch, äußerte er – wie bereits erwähnt, Nichtintegrationswillige hätten in unserem Lande nichts zu suchen. So macht man das! Schließlich waren bis Ende August im Willy Brand-Haus mehr als 2.000 E-Mails eingetroffen – gegen Sarrazins Parteiausschluss. Irgendwie muss so etwas kompensiert werden. Würde die SPD-Spitze Sarrazins Treiben wirklich für gefährlich halten, nicht erst seit Erscheinen seines Buches übrigens, so wäre folgendes geschehen. Spätestens nach seinen Kopftuchbemerkungen wäre er im Eilverfahren aus der SPD geschmissen und als Senator entfernt worden. Das geht so nicht? Hätte Sarrazin ähnlich über Juden gesprochen wie über Muslime, so wäre das gegangen. Damit hier jegliche Fehlinterpretationsmöglichkeit ausgeschlossen ist: Dass Judenhass nicht geduldet wird, ist einschränkungslos notwendig und gut. Nicht gut ist es, dass man über Muslime Dinge sagen darf, die über Juden – ich wiederhole es – zum Glück, wenigstens nicht offen, gesagt werden dürfen. Was Nazis dennoch schon wieder wagen, davon zeugten die jüngsten Schmierereien in Berlin-Oberschöneweide: »Judas verrecke«, »Gas und Stein dem Judenschwein« und »6 Millionen waren nicht genug«. Da wird einem nicht nur übel. Das macht Angst. Angst macht auch der widerwärtige Antiziganismus in Europa. Es gibt keinen schlimmen und weniger schlimmen Rassismus. Dass es eine unterschiedliche Behandlung der Spielarten von Rassismus und übrigens auch von Sozialdarwinismus gibt, zeugt nicht nur von der Dreistigkeit Sarrazins sondern nicht minder von dem Zustand der Gesellschaft, die sich demagogisch herausredet mit der Feststellung, es sei eben doch nicht alles falsch, was Sarrazin äußert. Ist es auch nicht. Hitlers Beobachtungen in »Mein Kampf« waren auch nicht alle falsch. Und ehrlich war Hitler auch irgendwie. Er hatte in »Mein Kampf« nicht nur damit gedroht, die Juden zu vernichten. Als er es konnte, tat er es. 20 Millionen ermordeter Sowjetbürger sind auch ein beachtliches Ergebnis. Eine Übertreibung? Für jeden, der erst wach wird, wenn die Schlächter zu wüten begonnen haben, sogar eine unzulässige.

Liebe Genossinnen und Genossen, Kommunistinnen und Kommunisten haben immer die geistigen Brandstifter ebenso ernst genommen, wie die realen. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für unsere Arbeit aus dem eben Dargelegten? Wo immer es möglich ist, müssen wir die Zusammenhänge von Weltwirtschafts- und Finanzkrise, Sozialdarwinismus und Rassismus aufdecken. Das muss besonders in den bevorstehenden Wahlkämpfen gewährleistet werden. Die LINKE muss sich gerade in diesem Punkt prinzipiell vom Zeitgeist absetzen. Wir müssen faschistoide Entwicklungen offen ansprechen und prinzipiell als Antifaschisten wirksam sein. Besonders wichtig ist unsere Arbeit in antifaschistischen Bündnissen, so nicht zuletzt in Vorbereitung der Verhinderung der Nazidemonstration im Februar 2011 in Dresden. Auch die Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 9. Januar wird besonders im Zeichen des Antifaschismus und Antirassismus stehen. Dem Internationalismus muss in der Gesamtpartei wieder ein größerer Stellenwert eingeräumt werden. Internationalismus beginnt in diesem Land. Es gilt, unsere Solidarität mit Migrantinnen und Migranten, mit Flüchtlingen und Asylbewerbern zu verstärken. Kommunistinnen und Kommunisten müssen intensiver als bisher in Flüchtlingsräten, in antirassistischen Initiativen und ähnlich gelagerten Organisationen und Gruppen mitwirken und in der LINKEN selbst mehr dafür tun, damit die Forderungen von Flüchtlingsinitiativen intensiver unterstützt werden. Einige seien genannt: ein großzügiges Bleiberecht; die Gleichberechtigung von Flüchtlingen; die Legalisierung von Menschen ohne Papiere; Wohnungen statt Flüchtlingslager und Chancengleichheit, z.B. beim Bildungsrecht.

Liebe Genossinnen und Genossen, noch einige Bemerkungen zum Geschichtsteil im Programmentwurf. Die in ihm gemachten Feststellungen über den gewesenen Sozialismus sind oberflächlich. Auf dem Programmkonvent in Hannover haben wir uns hierzu konkret geäußert. Das wird in den Dezembermitteilungen nachlesbar sein. Zugleich wissen wir, dass der Geschichtsteil noch bedeutend undialektischer aussehen könnte. Auch davon zeugen die 13 Thesen des fds. Sich mit den in den Thesen gemachten Bemerkungen zu befassen würde bedeuten, einer Provokation auf den Leim zu gehen. Wir werden zum Geschichtsteil Anträge formulieren, wissend, dass es besonders schwer ist, diesbezüglich Änderungen durchzusetzen. Forderungen nach einem vorurteilsfreien Umgang mit der Geschichte der DDR werden zu häufig als nostalgisch motiviert abgetan und zu selten wird erkannt, dass dem in der BRD vorherrschenden Streben nach kompletter Delegitimierung des gewesenen Sozialismus vor allem die Absicht zugrunde liegt, eine nichtkapitalistische Gesellschaft als eine für alle Zeiten zum Scheitern verurteilte abzustempeln. Mit der gleichen Macht der Medien, mit der die Sarrazinschen Formeln in die Hirne von Millionen gepresst werden vollzog und vollzieht sich die Stigmatisierung des Versuchs auf deutschem Boden, ohne die BASF, Siemens & Halske, ohne die Deutsche und Dresdner Bank zurecht zu kommen. Keine Lüge bleibt da unerlaubt, kein Makel der DDR bleibt unerwähnt und unaufgeblasen. Keine Dummheit und kein Unrecht bleibt ungenannt. Die Vorzüge der DDR sind in der veröffentlichten Meinung der BRD hingegen nicht existent. Das alles geht auch an Genossinnen und Genossen unserer Partei nicht spurlos vorüber. Und daher haben sich so manche, auch aus dem Osten, die es besser wissen müssten, der zumindest oberflächlichen Art, mit der auch in der LINKEN mit Geschichte umgegangen wird, längst angepasst. Der eine oder andere weiß auch, dass nichts so karriereschädigend ist, wie in punkto Geschichte wider den Stachel zu löcken.

Liebe Genossinnen und Genossen, wenn Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende und MdB, im Zusammenhang mit den Bespitzelungen der Beschäftigten in namhaften, riesigen Unternehmen äußerte, »Die Wirtschaftsverbände verhalten sich geschichtsvergessen. Es darf keine Stasi-Methoden am Arbeitsplatz geben«, dann weiß sie genau, dass sie korrekterweise von Geheimdienstmethoden reden sollte. Diese waren keine MfS-Besonderheit und wurden auch nicht vom MfS erfunden. Niemals würde sich Katja Kipping oder sonst wer wagen, deutschen Diensten, Unternehmen oder sonst wem etwa Gestapo-Methoden vorzuwerfen. Wäre auch, von Ausnahmen abgesehen, falsch. Deutsche Dienste und Unternehmen foltern nicht und lassen nicht foltern. Es sei denn, sie waren zu Zeiten der faschistischen Diktatur in Argentinien oder zu Zeiten der Apartheid in Südafrika angesiedelt. Dann wurden schon einmal Gewerkschafter denunziert, die dann zu Tode kamen oder einfach verschwanden. Das alles weiß jeder, der sich ein wenig mit Politik oder Geschichte befasst. Wer diese Fakten allerdings in einen Zusammenhang mit den Bespitzlungen bei Lidl, der Telekom, der Deutschen Bahn-AG oder anderen Unternehmen brächte, und diese zudem als Gestapomethoden bezeichnete, der würde durch die veröffentlichte Meinung erledigt. Der käme, wollte er z.B. MdB bleiben oder werden, im Vorfeld der nächsten Bundestagswahlen in keiner Partei auf einen aussichtsreichen Listenplatz. Dass das MfS für alles herhalten muss, sogar für die miese wirtschaftliche Lage im Osten heutzutage, das stört kaum jemanden. Im Gegenteil: Wer sich links an dieser Hatz beteiligt, ist so etwas wie ein reuiger Sünder. Im Lukas-Evangelium, Kapitel 15, Vers 7 heißt es: »Wahrlich ich sage Euch, es gibt mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der umkehrt als über 99 Gerechte, die eine Umkehr nicht nötig haben.« In diesem Sinne löst ein Schabowski größere Freude aus, als 99 konservative Wilmersdorfer Witwen. Und Schabowski hat Schule gemacht, auch wenn viele seiner Schüler mit Fingern auf ihn zeigen, weil er es übertreibt. Projektion nannte Freud diesen Vorgang. Kurz gesagt: Der Umgang mit der Geschichte in dieser Gesellschaft ist abgrundtief verlogen und macht auch vor unserer Partei nicht halt. Alles, was sich dagegen stellt, wird bekämpft. Und die wirkungsvollste Kampfmethode ist das Totschweigen anderer Positionen. Denken wir nur an den öffentlichen Umgang mit den »Klartext(en)«. Es wurde offensichtlich nichts gefunden, was leicht angreifbar wäre, also wird das Buch totgeschwiegen – nunmehr schon seit über einem Jahr. Damit müssen wir leben und daher mehr tun, um das Buch zu verbreiten. Das gleiche gilt für die Verbreitung des »Vermächtnis(ses)« von Michael Benjamin und unsere Arbeit mit den Mitteilungen. Gegenwärtig gibt es knapp 1.700 regelmäßige Leser unserer Publikation und per 17. November wurden 12.378 Euro für die Mitteilungen gespendet. Herzlichen Dank allen Spendern, verbunden mit der Bitte an alle Leser, mit dem Spenden für die Mitteilungsdruckkosten 2010 noch nicht aufzuhören; deshalb auch unsere heutige Sammlung zu diesem Zweck.

Liebe Genossinnen und Genossen, seit der Bundeskonferenz im November 2009 ist die Anzahl der der LINKEN zugehörigen Plattformmitglieder um 153 Genossinnen und Genossen gewachsen. Wir sind jetzt 1.223.

Mit dieser quantitativen Größe verbindet sich eine kontinuierliche Arbeit der meisten Landessprecherräte und des Bundeskoordinierungsrates. Dafür und für die Arbeit der Mitteilungsredaktion ein herzliches Dankeschön. Wer regelmäßig unsere Mitteilungen liest, kann sich ein gutes Bild über die KPF-Aktivitäten machen. Hier über alles zu reden, würde den Rahmen sprengen. Aber selbstverständlich haben wir uns auch öffentlich zur Bundespräsidentenkandidatur von Herrn Gauck geäußert, selbstverständlich haben wir an den Regionalkonferenzen im Herbst teilgenommen und darüber berichtet. Selbstverständlich haben in den Ländern lebhafte KPF-Landeskonferenzen stattgefunden und in plattform aktiv war darüber nachzulesen. Unsere Wirksamkeit wird allerdings besonders dadurch erschwert, dass wir über die Mitteilungen hinaus nur selten Öffentlichkeit erhalten. In den letzten Monaten hat die junge welt da allerdings sehr geholfen. Danke auch dafür.

Liebe Genossinnen und Genossen, die insgesamt positive Entwicklung der KPF in den letzten Jahren ist natürlich kein konfliktfreier Prozess. Die Versuche, die KPF zu schwächen waren in den vergangenen Monaten massiv. Und wir wollen es hier unverblümt sagen: Besonders viel Kraft und Zeit haben uns seit der letzen Bundeskonferenz die Vorgänge gekostet, die sich in der KPF selbst abspielten. Da war zunächst einmal die Angelegenheit Gregor Janik.

Am 20. April 2010 wurden wir von einer E-Mail des damaligen Bundesgeschäftsführers eiskalt überrascht. Dietmar Bartsch schrieb: »Hiermit bitte ich um Eure Sachinformation zu unten stehender Meldung.« Die von Bartsch erwähnte Meldung aus www.bnr.de betraf Gregor Janik, geboren am 03. Oktober 1955, aus Westdeutschland stammend, der Mitte der neunziger Jahre in die NPD eintrat und nunmehr Mitglied der LINKEN und der KPF war. Janik wurde 1998 in Stavenhagen in den NPD-Bundesvorstand gewählt, wo er als Ansprechpartner des »AK Christen und Sozialisten in der NPD« fungierte. Als Rechtsanwalt war Janik u.a. für den verstorbenen sächsischen NPD-Funktionär Uwe Leichsenring tätig. Für die 2001 bundesweit als kriminelle Vereinigung verbotene Neo-Nazi-Truppe »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) führte Janik »Rechtsbelehrungen« durch. Bartsch bat um Mitteilung, »ob in dieser Angelegenheit bereits etwas unternommen wurde bzw. solches beabsichtigt ist«. Der Homepage der KPF Görlitz könne er zumindest entnehmen, dass G. Janik dort als Kontaktpartner aufgeführt ist. Für Prüfungen irgendwelcher Art blieb uns, dem Bundessprecherrat, nunmehr keine Zeit.

Thomas Hecker übermittelte die o.g. E-Mail nebst erwähnter Meldung aus www.bnr.de sofort an den sächsischen Landessprecherrat, mit der Bitte, Veto einzulegen, wenn etwas an der Meldung nicht stimme. Ansonsten würde Janik am 20. April 2010 um 12:00 Uhr von der Liste der der KPF angehörenden Genossinnen und Genossen gestrichen. Es stellte sich heraus, dass der LSR zwar darüber Bescheid wusste, dass Janik in der NPD gewesen war, nicht aber über die exponierte Stellung, die er bekleidet hatte. Die Erklärung des BSR über die Streichung Janiks erfolgte mit Kenntnisnahme des LSR. Aus Gründen, die wir bestenfalls ahnen können, bat uns die sächsische Landesgeschäftsführerin, unseren Beschluss, Janik zu streichen, rückgängig zu machen. Wir lehnten das selbstverständlich ab. Wir hatten unsere eigene Entscheidung zu treffen. Und die war eine politische. Das Kernstück des »modernen« Antikommunismus ist die Totalitarismusdoktrin. Stets sind unsere Gegner bemüht, Nazis und Kommunisten gleiche Eigenschaften und Verhaltensweisen zu unterstellen und sie gleichzusetzen. Stets versuchen sie daher, Verbindungen zwischen Nazis und Kommunisten herzustellen bzw. herauszufinden.

Jedes Problem, welches damit im Zusammenhang steht, bedarf daher einer äußerst sensiblen Behandlung. Im Zusammenhang mit der Angelegenheit Gregor Janik fehlte diese Sensibilität zweifellos einigen Genossinnen und Genossen in Zittau. Das eigentliche politische Problem dieser Angelegenheit war und bleibt, dass weder Bundeskoordinierungsrat noch Bundessprecherrat jemals darüber informiert worden waren, dass mit Gregor Janik in Zittau ein Mitglied der LINKEN mit einer solchen Vergangenheit in die Plattform gekommen war. Diese Situation war der Anlass für eine Grundsatzentscheidung. Wir legten den Mitgliedern des Bundeskoordinierungsrates auf der Sitzung am 8. Mai den Entwurf eines Beschlusses über den Umgang mit ehemaligen Nazis, die in die KPF wollen, vor.

Dieser Beschluss, veröffentlicht in den Juni-Mitteilungen, gibt nun auf diese Frage eine klare Antwort: Wir können und wollen die Mitgliedschaft eines ehemals exponierten Nazifunktionärs politisch nicht verantworten. Einen anderen Beschluss konnte es nicht geben. Wir wissen, dass einige Genossen in Sachsen und einige ehemalige Genossen in Baden- Württemberg diesen für nicht demokratisch halten. Aus keinem anderen Bundesland ist bei uns auch nur eine E-Mail bzw. auch nur ein Brief eingetroffen, worin Nichteinverständnis mit dem Beschluss vom 8. Mai 2010 bzw. dem Sprecherratsbeschluss vom 20.April geäußert worden wäre. Nach der Entscheidung des Bundessprecherrates über Janiks Streichung meldeten die Medien diesen Tatbestand und seither ist Ruhe.

Ellen Brombacher und Jürgen Herold nahmen am 20. Juni 2010 an einer Sitzung des Landeskoordinierungsrates in Sachsen teil, wo das Thema Janik im Land erstmalig behandelt wurde. Bei einem beträchtlichen Teil der Genossen stießen wir auf Verständnis für unser Vorgehen.

Inzwischen gab es neue Hiobsbotschaften aus Zittau. Man wollte uns eine Stalindebatte aufdrängen. Wir haben in den September-Mitteilungen darauf bereits reagiert und wollen heute noch einmal unsere diesbezügliche Position unterstreichen: »Die KPF hat sich zu keinem Zeitpunkt der Stalinismuskeule gebeugt und sie hat daher zu keinem Zeitpunkt die Existenz dieser antikommunistischen Waffe geleugnet. Aber – sie hat auch zu keinem Zeitpunkt den Kampf gegen die Stalinismuskeule damit verwechselt, Dinge zu leugnen, die – so bitter es ist – nicht zu leugnen sind. Wer dies tut, ist entweder politisch vollkommen unbedarft oder wirkt wie ein Provokateur. Das sei besonders unter dem Eindruck eines Leserbriefes von Dominik Gläsner aus Zittau in der »Roten Fahne 08/10« gesagt, der darauf zielte, der Partei und der KPF eine apologetische Debatte über die Rolle Stalins im Allgemeinen aufzudrängen und im Besonderen eine Diskussion über die Katyn-Akten im Zusammenhang mit der Erschießung polnischer Offiziere 1940. Solcherart Geschichtsdebatte anzustoßen, ist völlig verantwortungslos und kann uns zerstören. Die KPF – dies ergab die Sitzung des Bundeskoordinierungsrates vom 8. August 2010 ohne jede Einschränkung – steht für derartiges politisch-ideologisches Abenteurertum nicht zur Verfügung.«. Entsprechend haben wir uns verhalten.

Das betraf auch unser Vorgehen hinsichtlich der Situation in Baden-Württemberg. Vorab sei gesagt: Hier hat sich die Lage inzwischen grundlegend verbessert. Wenn wir dennoch im heutigen Referat einiges zu den hinter uns liegenden Auseinandersetzungen sagen, dann nur, um deutlich zu machen, wie einige wenige die Absicht von vielen Genossinnen und Genossen, praktisch zu arbeiten durch einen, u.E. gezielt zerstörerischen Kleinkrieg zeitweise paralysieren können. Nach der Konstituierung der KPF im Februar begannen dort mehr oder weniger vier Genossen zu agieren, die mittlerweile aus der LINKEN ausgetreten sind und somit bei uns nicht mehr geführt werden. Ihre Angriffe auf die AG Betriebe und Gewerkschaft zwangen den Bundessprecherrat, sich bei der BAG dafür zu entschuldigen. Dafür ernteten wir Angriffe jenseits jeglichen Kulturniveaus. Dann solidarisierten sich die Betreffenden mit einigen Zittauer Genossen, was wiederum mit wüsten Beschimpfungen verbunden war. Wir kommen darauf zurück. Wir wunderten uns nicht allzu lange. Friedrich Rabe kannte den schlimmsten Scharfmacher aus Sachsen Anhalt. Dahin war der inzwischen in BW ansässige Jürgen Angelbeck in der Wendezeit als Gewerkschaftsfunktionär gekommen. Zuvor hatte er in den alten Bundesländern verschiedene staatliche und Gewerkschaftsfunktionen inne. Ab März 1990 war er im Beratungsbüro der ÖTV für den Bezirk Halle tätig. Von 1990 bis 1994 war er MdL, davon bis Oktober 1991 Mitglied der SPD-Fraktion. Von Dezember 1991 bis Januar 1992 war er Mitglied einer neu gegründeten Freien Fraktion und ab Februar 1992 Gast der CDU-Fraktion. Medial trat Angelbeck besonders durch eine gemeinsame Aktion mit dem CDU-Abgeordneten Carsten Knolle, einem ehemaligen Fallschirmjägeroffizier, in Erscheinung. Beide schleusten aus Ex-Jugoslawien eine Gruppe von Waisenkindern mit Erzieherinnen aus Bosnien-Herzegowina illegal aus, wobei zwei Kinder durch Beschuss ums Leben kamen. Bei Ankunft der Kinder in der BRD stellte sich heraus, dass hierzulande keinerlei Absprachen und Vorbereitungen für den Verbleib und aufenthaltsrechtlichen Status der Kinder getroffen worden waren. Eine PR-Aktion eben. Als Friedrich, seinerzeit MdL für unsere Partei, schlimmsten antikommunistischen Angriffen ausgesetzt war, gab es von A. kein Zeichen der Solidarität. Und derselbe Mann findet sich plötzlich in der KPF BW wieder und schickt linksradikale E-Mails durch die Gegend, verbunden mit persönlichen Beleidigungen. Hier – im Zusammenhang mit dem Vorgang Janik – ein kleiner Schnupperauszug: "Während östlich von Elbe und Werra linke Positionierung und Betätigung in der Regel geeignet waren, die Kaderperspektive zu fördern, lösten sie hier Maßregelung bis hin zum Berufsverbot aus. Darauf bilde ich mir zwar nichts ein, erwarte aber von Genossinnen und Genossen, denen das Glück beschieden war, Linkssein und Antifaschismus bis Herbst 1989 mit planmäßigem Wohlergehen verbinden zu dürfen, dass sie sich jeden Dünkel auch beim Umgang mit dem Thema »Kampf gegen die Nazis« versagen ... Euer Umgang mit Genossen Gregor Janik mag dort populär sein und gut ankommen, wo Antifaschismus als gestanzte Parole auf niedrigstem Niveau ohne jede im Normfall gebotene Denkanstrengung daherkommt. ... Und noch ein Leckerli aus der Angelbeck-Feder: »Merke: Ihr habt in der KPF Baden-Württemberg auch mit Leuten zu tun, die sich ein gesundes Gefühl für gebotene Distanz zu übergeordneten Gremien und Organen unter den Bedingungen eines Realkapitalismus westlich von Elbe und Werra bereits hart erarbeiten mussten, als man sich östlich davon im Realsozialismus mit kritiklosem Abnicken allen Sinns – aber auch Unsinns – der von oben kam, positive Auswirkungen auf die eigene Kaderperspektive gleichsam erkriechen konnte.« Und noch einmal auf BW bezugnehmend heißt es dann: »Wir sind weder die SED noch ist die KPF eine Art Privat-Biotop sich autoritär gebärdender Zukurzgekommener und erst recht nicht der Ku-Klux-Klan.« Mit zig Seiten E-mails wurden wir bombardiert, die alle von solchen Beleidigungen strotzten. Nicht viel besser waren nämlich die Reaktionen von Kaltofen und Kolarczik. Eines sei heute ein für alle mal gesagt: Der Bundessprecherrat wird sich auch in Zukunft unter keinen Umständen darauf einlassen, auf solche E-Mails anders als rein geschäftsmäßig zu antworten. Wir werden uns an anderswo üblichen Kulturlosigkeiten, Schlammschlachten per E-Mail oder über das Internet zu führen, nicht beteiligen. Man kann uns mailen, was immer man will. Wie wir antworten, ist alleine unsere Sache. Noch einmal zurück zu Angelbeck und Co. Nachdem Rainer Kaltofen als Kreisvorsitzender der LINKEN Sigmaringen, sein Stellvertreter Karl-Magnus Friederich sowie der stellvertretende Kreisvorsitzende der Ravensburger LINKEN Jürgen Angelbeck und der dortige ehemalige Kreisvorsitzende Mirco Kolarczik, die den Rücktritt von Klaus Ernst gefordert hatten, mit ihrem Antrag an den Landesausschuss BW mit der Gegenstimme von Angelbeck unterlagen, traten sie aus der Partei aus. Kolarczik hatte vorher schon seine Funktion im Bundeskoordinierungsrat niedergelegt.

Thomas Hecker, Ellen Brombacher und Friedrich Rabe waren am 26. September in BW. Die Landeszusammenkunft verlief in einer ausgesprochen sachlichen, ja freundschaftlichen Atmosphäre. Vorher hatte es mit den vorläufigen Sprechern Genossin Renata und Genossen Herbert Eckhoff vertrauensvolle Absprachen gegeben und dies, obwohl es bis dahin deutliche Differenzen gegeben hatte. Im Ergebnis der Beratung vom 26. September wurde allen KPF-Mitgliedern Bw’s ein gemeinsamer Brief des LSR und des BSR übermittelt, in dem vor allem auf die vor uns stehenden Aufgaben orientiert wird. In diesem Zusammenhang wird heute sicher auch von den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 die Rede sein. Noch einmal zurück zu unseren Erfahrungen in der KPF Baden-Württemberg: Wo Leute wie Angelbeck ihr Unwesen treiben, kann es zeitweise zu Entfremdungen auch zwischen Genossinnen und Genossen kommen, die das Gleiche wollen. Da hilft nur eins: Offenheit, miteinander reden und Vertrauen neu entwickeln.

Liebe Genossinnen und Genossen, im September 2010 verständigte sich der Bundeskoordinierungsrat zur Situation in der KPF – und kam zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • Unsere Partei insgesamt ist unter Beschuss. Die politischen Gegner der LINKEN in ihrer jetzigen Verfasstheit – wohlgemerkt: in ihrer jetzigen Verfasstheit – verfolgen das Ziel, die politische Grundlinie unserer Partei bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen. Daraus machen sie keinen Hehl. Daher auch die massiven Angriffe auf den Programmentwurf.
  • Die Angriffe über den Verfassungsschutz sind Teil der Kampagne des Establishments. Kürzlich fragte eine Genossin in der Diskussion, warum denn die KPF speziell beobachtet würde, wenn es stimme, dass wir uneingeschränkt öffentlich arbeiten und unsere Inhalte zwar nicht denen des FdS sehr wohl aber den Auffassungen breiter Teile der Parteibasis entsprächen. Wir werden in der Tat nicht beobachtet, weil wir konspirativ den Untergang des Abendlandes vorbereiten. Wir sind Realisten. Deshalb versuchen wir auch das Unmögliche, wie Che Guevara es einst formulierte: Wir sind mit einem Kapital konfrontiert, dass einerseits übermächtig ist und andererseits von seinem eigenen Mechanismus zum Abgrund gesteuert wird. Da ist Sozialismus im Moment kaum denkbar wenngleich notwendig. Auf unserer politischen Agenda steht die Anstrengung, dazu beizutragen, dass unsere Partei den Abwehrkampf gegen das Kapital führt, statt verführt zu werden, Hilfspfleger am Krankenbett des Kapitalismus zu sein. Nicht mehr und nicht weniger. Die KPF nimmt in diesen Auseinandersetzungen für die Mitgliedschaft unserer Partei einen berechenbaren Platz ein. Die KPF wendet sich daher auch gegen die jüngsten Ansätze, den in Rostock gewählten Parteivorstand zu demontieren. Wir haben das 2002 nach dem Geraer Parteitag und vor dem Berliner Sonderparteitag im Juni 2003 schon einmal erlebt, wie systematisch demontiert wird, und wir haben das nicht vergessen. Das war im Übrigen auch im Vorfeld eines Programmparteitages, der 2003 in Chemnitz stattfand. Es lief seinerzeit ein feines Wechselspiel zwischen Medien und einigen Protagonisten der PDS. Die Medien berichteten kaum noch über die PDS. Dann kamen Stimmen aus der Partei, die mitteilten, die Partei befasse sich zuwenig mit den Sorgen der Menschen, man höre nichts von ihr. Das wurde in den Medien natürlich kolportiert. Und flugs wurde kommentiert, die Partei beschäftige sich nur noch mit sich selbst und ihren Querelen. Und das Spielchen nahm kein Ende, bis Gabi Zimmer ihre Bereitschaft zum Rücktritt erklärte. So ist das mit sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Wir fordern von unserer heutigen Konferenz aus mit Nachdruck, dass solche Spielchen nicht wiederholt werden. Ohnehin ist uns jede Hinterzimmerpolitik zuwider. Die KPF ist kein Karrierenetzwerk und in ihr wird nicht gekungelt.
  • Die Triebkraft des politischen Handelns der Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN ist die Überzeugung, dass die historische Verantwortung unserer Partei darin besteht, auf breitestmöglicher Basis einen gemeinsamen Nenner zu haben: den Antikapitalismus. Das ist übrigens nicht grundgesetzwidrig. Und wenngleich dies nicht grundgesetzwidrig ist, geht doch genau diese Position über das durch den Mainstream zugelassene Maß an Kapitalismuskritik hinaus. Dagegen richtet sich die Beobachtung durch den VS. Es wird demonstriert: Wer Kommunistin oder Kommunist ist, wird beobachtet, nicht, weil er heute etwas Verbotenes tut, sondern weil es eigentlich verboten sein müsste, Kommunist zu sein. Aber soweit ist Deutschland eben noch nicht. Und machen wir uns nichts vor: Für Genossinnen und Genossen, die Arbeit haben, kann es durchaus riskant sein, sich als Kommunistin oder Kommunist erkennen zu geben. Die Beobachtung ist auch ein Mittel, jüngere und junge Genossinnen und Genossen davon abzuhalten, sich der KPF zugehörig zu erklären. Ein weiterer Aspekt ist der, dass durch die Beobachtung Druck auf die Partei ausgeübt werden soll, nach dem Motto: Solange ihr organisierte Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei duldet, wird Euch die bürgerliche Gesellschaft nicht als stinknormale Partei behandeln.
  • Natürlich richtete sich auch die Festlegung, kein Mitglied des geschäftsführenden Vorstands dürfe sich strömungspolitisch betätigen, in erster Linie gegen uns. Es ging darum, Sahra von der KPF zu lösen. Dass Sahras Mitgliedschaft ruht, ist für uns einerseits ein Problem. Andererseits ist es ein großer Gewinn für die marxistisch orientierten Kräfte in der LINKEN, also nicht zuletzt für die KPF, dass Sahra stellvertretende Parteivorsitzende und wirtschaftpolitische Sprecherin unserer Bundestagsfraktion ist. Sie bleibt doch Kommunistin in ihren Positionen – und entscheidend sind stets die Inhalte.
  • Die Angriffe auf die KPF sind wesentlicher Bestandteil der Angriffe auf die Partei. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Angriffe nur von außen erfolgen. Das hieße, die Effizienz der verschiedensten Dienste sträflich zu unterschätzen. Dies einzukalkulieren darf wiederum nicht bedeuten, jede und jeden in der KPF, der eine andere Meinung vertritt und sich im Alltag zuweilen unbequem verhält, zu verdächtigen. Wenn wir das täten, hätten die Dienste bereits einen Teil ihrer Zielstellung erreicht. So wie auch in den vergangenen zwanzig Jahren müssen wir offen sein für die schwierigsten Debatten und dem besseren Argument den Hauptrang einräumen. Das kostet viel Zeit und bisweilen Nerven. Aber wir haben keinen anderen Weg, wenn wir nicht zu den Fehlern unserer Vergangenheit zurückkehren wollen. Natürlich wollen wir mit wenig Störungen unsere Arbeit machen, und da ist man schnell verführt, sogenannte Ruhestörer nicht haben zu wollen. Und manche stören durchaus sehr bewusst. Das wissen wir doch. Aber wo ist die Grenze? Welchen Grad des Unbequemen akzeptieren wir? Der untergegangene Sozialismus hatte Feinde zur Genüge, darunter auch solche, die wir selbst zu Feinden gemacht haben, weil wir sie verdächtigten, statt ihnen kritisch zu vertrauen. Das dürfen wir nicht wiederholen.
  • Deshalb ist die Streichung von der KPF zugehörigen Genossinnen und Genossen aus unserem Zusammenschluss kein Weg. Prinzipiell anders verhält es sich, wenn wir annehmen müssen, es mit Nazi-Querfrontstrategien zu tun zu haben. Dafür gibt es in der KPF seit dem 8. Mai 2010 einen eindeutigen Beschluss.
  • Ansonsten haben wir nur einen erfolgversprechenden Weg zur weiteren Festigung der KPF: Die Landessprecherräte sowie der heute planmäßig neu zu wählende Bundeskoordinierungs- und der Bundessprecherrat müssen die qualifiziertesten Angebote für die Arbeit der Plattform machen und deren Umsetzung professionell organisieren. Inhaltliche und organisatorische Qualität und die Fähigkeit, operativ zu handeln, muss überzeugen und daher Mehrheiten sichern.

Wie dies in den kommenden Monaten gewährleistet werden soll, haben wir im euch vorliegenden Beschlussentwurf formuliert, zu dem wir um eure Zustimmung bitten.

 

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