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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Notizen zur Lage

Günter Herlt, Berlin

 

Je verworrener – weil dynamischer und verflochtener – die Weltlage, umso eher hilft es – nicht vom Bauchnabel aus, sondern mit großem Abstand zu analysieren! Profitjäger kön­nen das nicht unter der Peitsche der Börse. Die derzeitige Lage bleibt bedrohlich, weil der politische, soziale, religiöse und militärische Sprengstoff auf allen Kontinenten rasch an­wächst. Viele Herrscherhäuser sind von »Erbeben« erfasst, weil die Oben nicht mehr so können und die Unten nicht mehr so wollen wie gehabt.

Viele Aktionen der rabiatesten Herrschaftszirkel erscheinen zwar wie Zeichen der Offensiv­kraft des Westens. Im Kern sind es aber Ausbruchsversuche aus der historischen Defensi­ve des kapitalistischen Systems, weil dem immer mehr Menschen die Gefolg­schaft verwei­gern. Infolge dessen sind die Bestrebungen des Großkapitals zur Besitzver­teidigung und Expansion von der Verschärfung der innenpolitischen Überwachung und von außen­politischen »Stoßtrupp-Unternehmungen« begleitet. Als Stoßdämpfer gibt es gewisse sozia­le und verbale Zugeständnisse für die rebellierenden Volksschichten. Das alles aber in neu­er Qualität, weil die digitale Vernetzung die Kontrolle und Steuerung von Aktionen und Ge­genwehr wesentlich beschleunigt und verbreitert hat!

Gemessen daran sind die Aktivitäten der LINKEN – meines Erachtens – zu zaghaft, zu sel­ten, zu unparteiisch, zu wenig koordiniert und oft auch zu ungeschickt für das Ringen um mehr Masseneinfluss!

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Der amtierende US-Präsident wurde in dieses Amt gehoben, um eine »neue Weltord­nung« durchzusetzen. Das versucht er mit der alten »Politik der Stärke« und seinen unberechen­baren Attacken gegen Freund und Feind. Für ihn als Multimillionär ist das ein »Freistil-Ring­kampf« im Auftrag der Sponsoren seiner Klasse. So durchbrach er die Regeln der Diploma­tie, zerfetzte er wichtige internationale Abkommen und forciert er ein neues Wettrüsten.

In den 90er Jahren schien der »Endsieg« des Kapitalismus durch die Implosion des sozialis­tischen Lagers alter Struktur erreicht. Der Westen schaltete politisch, ökonomisch und wenig später auch militärisch um auf Turbo-Expansion. Er brachte mehr als ein Dutzend Staaten im Baltikum, im Balkan, im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und Südame­rika unter seine Kontrolle.

Hingegen waren die Linken aller Erdteile noch immer unter dem Eindruck ihrer histori­schen Niederlage in Lethargie und Streit versunken, wenngleich einzelne Abteilungen un­serer internationalen Bewegung auch lernten, aus der Niederlage neue Erkenntnisse zu gewinnen und die Spielräume der bürgerlichen Demokratie zu nutzen. Die Debatten über Marktgesetze, Medieneinflüsse, Machtpotentiale und Mitbestimmungsmöglichkeiten führ­ten zu neuen antikapitalistischen Reform-Strategien und Teilerfolgen. Was aber we­gen un­serer reduzierten und zersplitterten Kräfte sowie der mangelnden Kooperation mit anderen progressiven Verbänden oft im Sande verlief.

Dennoch entwickelten sich neue globale Machtverhältnisse zwischen den USA, der eurasi­schen Staatengruppe um Peking und Moskau sowie den Staaten der Europäischen Uni­on. Die bi-polare Welt wurde multi-polar.

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Der verwerfliche Terrorangriff auf das New Yorker World-Trade-Center 2001 ließ erst­mals die asymmetrische Verwundbarkeit der USA, aber auch aller Metropolen dieser Welt, er­kennen. Weitere Anschläge in Europa und bis nach Neuseeland schürten die Angst vor dem Terror religiöser und politischer Fanatiker. Der Schrei nach Gewaltfreiheit wird un­überhörbar, und Drohnen sind keine Antwort. Das nährt »die sanfte Gewalt der Vernunft«!

2008 zeigte der Bankenskandal, dem über hundert Geldhäuser erlagen, dass das Großka­pital dutzende Regierungen an der Leine hat. So werden die Staatskassen geplündert, die Steuern diktiert und die unschuldigen Bürger von den Oligarchen in Geiselhaft ge­nommen. Doch mit solcher egoistischen Gier kann keines der dringlichen Weltprobleme gelöst wer­den. Keine Klimakrise, Rohstoffkrise, Bildungskrise, Hungerkrise, Flüchtlings­krise, Woh­nungskrise, Rentenkrise, Pflegekrise oder sonstige Existenzkrise.

Zunehmend gelingen Umstürze zu Präsidial-Diktaturen. In den USA, Lateinamerika, Nahost, Nordafrika, dem Balkan und Osteuropa gewannen nationalistische und popu­listische Parteien und Personen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik, was jähe Wen­dungen begünstigt und daher wirksame Gegenwehr verlangt.

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Inzwischen zeichnet sich aber erneut ein ungefähres strategisches Gleichgewicht zwi­schen der eurasischen Staatengruppe und dem NATO-Bündnis ab. Weil sich China zur stärksten Weltmacht entwickelt. Weil Russland trotz Sanktionen relativ stabil und militä­risch nicht zu knacken ist.

Hinzu kommt das Anwachsen starker antikapitalistischer Bewegungen in Europa für Frieden, Umweltschutz und soziale Grundrechte. Der US-Präsident wird von der Opposi­tion im Kongress blockiert. Großbritannien wackelt unter dem Protest der BREXIT-Geg­ner. Frankreich kann die »Gelb-Westen« nicht bändigen. In Deutschland ziehen zehntau­sende Schüler für den Klimaschutz durch die Straßen, unterstützt von 12.000 Wissen­schaftlern. Die Frauen erkämpfen sich bessere Lebensbedingungen. Die Intellektuellen wehren sich gegen die verkappte Zensur und Einschüchterung. Die Migration aus den zerstörten und verarmten Ländern ist auch mit Mauern nicht zu stoppen.

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China investiert in Afrika und plant, bis 2025 den Westen technisch einzuholen und zum 100. Jahrestag der Volksrepublik 2049 das reichste und stärkste Land der Welt zu sein. Seine Währung entwickelt sich zu einer begehrten Weltwährung. China setzt Maßstäbe in der Digitalisierung der Industrie und Elektrifizierung des Verkehrs. Und dafür wirken dort 90 Millionen KP-Mitglieder. Jetzt wächst dort die alte »Seidenstraße«, die einst mit Able­gern in alle Himmelsrichtungen den Orient und Okzident als bedeutenden Wirt­schafts- und Handelsraum verbunden hat.

Russland wird seine Potenzen ebenso nutzen. Egal, wer noch versucht, einen »Knoten« in die Gas-Pipelines zu drehen oder Minen in die Meeresstraßen zur Krim zu legen. Das Deba­kel im Zustand von Teilen der Armee und veralteter Waffen wurde offenbar durch Um­rüstung und Modernisierung behoben. Das ist als Schutzschirm zwar teuer und schreck­lich, aber doch nötig, weil in den NATO-Stäben nur Fakten zählen. Die USA han­deln seit je skrupelloser, z.B. wenn sie Öl riechen.

Diese Aufzählung einiger neuer Potenzen soll verdeutlichen, an welche Wand sich Deutsch­land anlehnen sollte, statt in blinder »Bündnistreue« vor der russischen Grenze aufzumar­schieren und in 15 Konfliktherden der Welt deutsche Soldaten und Waffen zu verheizen. Europa konnte nie gedeihen, wenn es in Feindschaft mit den Großmächten des Ostens lebte!

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Die deutschen Herrschaftszirkel leben nicht erst seit der Übernahme der DDR und den 2+4-Beschlüssen der ehemaligen Alliierten nach der Devise: »Wir sind wieder wer!« Tat­sächlich hat Deutschland auf vielen Feldern der Ökonomie und Finanzen, des Kultur- und Lebensniveaus nach bürgerlichen Maßstäben einen Spitzenrang erklommen. Aber das rechtfertigt noch lange nicht, dass unsere Außen- oder Finanzminister, Parteipolitiker oder Meinungsmacher sich mit breiter Brust als Vormund und Hauptschiedsrichter vor andere Staaten und Regierungen hinstellen und lauthals »fordern«, diese und jene Maß­stäbe und Verhaltensweisen vom Abendland zu übernehmen! So wird unter den leidge­prüften Nachbarvölkern nur alter Argwohn über unseren alten Größenwahn genährt.

Die derzeitigen Spannungen innerhalb der Europäischen Union eskalieren nicht nur durch die infektiöse Ausbreitung des Nationalismus und Chauvinismus. Denn Großbri­tannien ist nun mal Dirigent oder Erster Solist eines alten globalen Imperiums, das keine Beschnei­dung seiner Souveränität duldet. Und auch Frankreich nennt sich seit je eine »große Na­tion«, die nicht erst durch Napoleon oder die bürgerliche Revolution für »Frei­heit, Gleich­heit und Brüderlichkeit« zur Weltgeltung kam. Auch als Mitstreiter im Rahmen der Anti-Hit­ler-Koalition haben sie »ältere Rechte« als Vormund gegenüber deutschen Hegemonie-An­sprüchen. Das gilt übrigens für Rom und Athen ähnlich.

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Die Frage bleibt: Wo ist der Platz Europas zwischen den zwei weltpolitischen Zentren? Wird dieser Erdteil zur Knautschzone der alten und neuen Großmächte und ihrer Kern­waffen? Soll Europa zur Festung werden, die Gegenschläge anzieht? Ist seine Rolle als Brücke und Drehscheibe der friedfertigen Zusammenarbeit aller Staaten oder als »Mo­dell einer sozia­len Marktwirtschaft« erloschen?

In Deutschland haben linke Koalitionen schon rechnerische Mehrheiten erreicht! Das macht die Herrschenden nervös. So konnte, mehr befördert als behindert, unter Ausnut­zung der politischen und sozialen Widersprüche, die nationalistische und rassistische »Al­ternative für Deutschland« in alle 16 Landesparlamente einziehen und im Bundestag Oppo­sitionsführer werden. Das war ein Erdrutsch unter Missachtung aller Lehren unse­rer Ge­schichte!

Hinter dem Schutzschild dieser Ultras rückte die CSU weiter nach rechts. Die CDU stützt sich auf neue und alte erzkonservative Kader. Die Liberalen wurden wiederbelebt als Mehr­heitsbeschaffer. Die Grünen bieten sich längst als Regierungshelfer an. Die SPD hat sich von Schröders neoliberalen Verrat mit der Agenda 2010 nicht erholen können. Sie über­nahm viele Forderungen der LINKEN und hofft, das politische Vakuum in der Mitte der Ge­sellschaft ausfüllen zu können. Die LINKE soll analog zur AfD an den Rand ge­drückt wer­den. Womit der Auftrag der bündnistreuen Atlantiker erfüllt wäre.

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In solcher Konstellation sehe ich den Auftrag der LINKEN darin, die »Entfremdung« zur SPD und Gewerkschaft, und die Selbstisolation durch Flügelkämpfe mit utopischen oder auch abschreckenden Losungen zu überwinden. Nach jeder Krise oder Katastrophe war stets der erste Schwur, die Aktionseinheit der natürlichen Verbündeten herzustellen und zu pfle­gen! Unsere Argumente diktiert der Alltag der prekären, enttäuschten und verun­sicherten Schichten und die Fürsorge für eine friedliche und gedeihliche Zukunft aller gutwilligen Menschen.

Wir »enteignen« nicht, wir verteidigen die tatsächlich enteigneten Bürger.

Wir sind nicht gegen Verteidigungsbündnisse, aber gegen die Abschlachtung fremder Völ­ker mit deutschen Waffen und Soldaten.

Wir prahlen nicht: »Wir sind wieder wer!«, weil zu viele unter uns dieselben sind wie ihre El­tern und Großeltern, die aber Opfer der Abrichtung zur Hinrichtung waren. Die LINKEN sind die Lernfähigen!

Wir sind keine Amateure in Sachen Wirtschaft und Finanzen, wir haben nur eine andere Haltung zur maßlosen Mästung der Superreichen.

Wir machen uns nicht zum Vormund anderer Staaten, schon gar nicht gegenüber jenen Nachbarstaaten, die unter Deutschlands Größenwahn in zwei Weltkriegen zu leiden hat­ten.

Wir wollen nicht die besten Waffen, sondern die besten Schulen haben. Wir brauchen nicht die höchsten Wolkenkratzer, sondern bezahlbare Wohnungen und kostenlose Kitas.

Wir brauchen keine Geländewagen, die zwei Parkplätze füllen, sondern ausreichend Plät­ze und Steckdosen für mehr giftfreie E-Autos und Mofas. Wir brauchen keine Schicki-Micki-Zeitungen und Sabbel-Sendungen, sondern verlässliche Informationen und kom­plexe ana­lytische Zusammenhänge.

Wir brauchen schon gar nicht die Anfeindung und Verleumdung unserer populären »Ga­lionsfiguren«, die redlich und nach Kräften unseren Zielen dienen. Unsere Funktionäre und Mandatsträger brauchen alle eine solide Bodenhaftung, zumal die meisten Klein­städte und Dörfer gar nicht spüren können, dass es uns gibt. Ohne Verbreiterung unse­rer gesell­schaftlichen Wirkungsbasis durch hilfreiche Bündnisse werden wir zum Traditi­onsverein.

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Es gibt also viel zu tun, weil es nicht genügt, ein »guter Mensch« zu sein, sondern weil wir eine gute Welt für unsere Kinder und Enkel hinterlassen wollen. OB und WANN und WIE daraus ein demokratischer Sozialismus in solidarischer Verbundenheit mit dem grö­ßeren Teil der Welt erwächst, das sollen die Nachkommen entscheiden. Sie dürfen sich nur nicht blenden lassen! Uns haben die »revolutionäre Ungeduld« und die heimtücki­schen Profiteu­re aller Zwistigkeiten und Gemetzel zu oft ein Bein gestellt. Was unsere Verdienste als Her­ausforderer durchaus nicht schmälert!      

 

Mehr von Günter Herlt in den »Mitteilungen«: 

2018-05: »Ein Riese an Denkkraft …«

2018-02: »Tischlein deck dich!« – Ein Kalenderblatt

2017-11: Die »Aurora« und ich