Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Maßgebliche Unterschiede

Ellen Brombacher, Berlin

 

Nach ungezählten Gesprächen und Diskussionen, viele davon am Telefon; nach dem Lesen zahlreicher Artikel in Zeitungen und im Netz und nach hunderten einschlägigen Fernsehsendungen wächst in mir der Wunsch, einen polemisch zugespitzten eigenen Standpunkt zu formulieren. Und genau deshalb verzichte ich auf Polemik und bemühe mich um Sachlichkeit im Umgang mit der Situation. Es gibt derzeit mindestens vier Varianten der Sicht auf die Lage.

  1. Die Pandemie ist gefährlich (die Argumente, die diese Position stützen, werden als bekannt vorausgesetzt). Mehr oder weniger alle in diesem Zusammenhang hierzulande ergriffenen Maßnahmen sind zu begrüßen und werden wieder aufgehoben, wenn der Grund für ihre Anwendung entfällt.
  2. Die Pandemie wurde künstlich erzeugt, damit einige wenige davon profitieren können.
  3. Die Pandemie ist weit weniger gefährlich, als uns weisgemacht wird (die Argumente, die diese Position stützen, werden als bekannt vorausgesetzt). Sie kommt einer Inszenierung gleich, um Menschen massenhaft zu manipulieren, um handstreichartig Herrschaftsinteressen durchsetzen zu können und um letztlich das politische System zu ersetzen.
  4. Die Pandemie ist gefährlich. Die ergriffenen Maßnahmen sind in ihrem Wesen ambivalent. Sie sind momentan vielfach – natürlich nicht uneingeschränkt – zweckmäßig und bergen gleichermaßen die Möglichkeit, zunehmend und vor allem in Zukunft für Herrschaftszwecke missbraucht zu werden. Daher kann auch das Verhältnis zu ihnen nur ambivalent sein. Die zeitweilige Nichtablehnung bestimmter Maßnahmen ist nur im Kontext mit klaren Warnungen vor deren Missbrauch zu akzeptieren. Das schließt ein, die Nöte sehr vieler Menschen ernst zu nehmen und in den stattfindenden und kommenden sozialen Auseinandersetzungen auf deren Seite zu stehen. Ein solches Herangehen findet sich z.B. exemplarisch in den Artikeln »Virus und Veritas« von Felix Bartels [1] oder »Katalysator Corona« von Stefan Huth [2].

Drei der vier Varianten scheinen antikapitalistischen Charakter zu haben. Real können sie von linken Protagonisten vertreten werden, aber auch von rechts ausgerichteten Kräften. Die Scheidelinie ist die diametral entgegengesetzte Vorstellung von einem veränderten System. Die Linken lehnen den Kapitalismus ab und die Rechten wollen ihn retten – durch ein völkisch-rassistisch-diktatorisches Regime. Damit sind nicht alle von Rechten Verführten gemeint; sehr wohl aber deren Finanziers und Protagonisten.

Nachfolgend soll Variante 1 vernachlässigt werden. Die Ablehnung der dieser Sicht innewohnenden Verharmlosung des sogenannten Shutdown ist antikapitalistischen Kräften vermutlich gemeinsam.

Es soll auch nur stichpunktartig auf die Variante 2 eingegangen werden. Angenommen, es wäre möglich, eine solche Pandemie künstlich zu erzeugen, um bestimmte Interessen durchzusetzen – was sich meiner politischen und organisatorischen Fantasie uneingeschränkt entzieht –, wessen Interessen sollten es dann sein? Die der USA, die China und Iran schaden wollten? China ist inzwischen in einer offenkundig weit besseren Lage als die USA. Haben es also doch die Chinesen gemacht, wie Trump es behauptet – ausgehend von faschistischen Stimmungsmachern und diese befeuernd – verbunden mit unerträglichen, gefährlichen Angriffen auf China? Oder war es tatsächlich Bill Gates? Aber wie konnte der sich faktisch weltweit durchsetzen, was Abstimmungen mit diametral entgegengesetzten Kräften auf höchstem konspirativem Niveau einschließen würde. Denn mittlerweile machen doch mehr oder weniger alle mit. Mit anderen Worten: Die massiven Interessensgegensätze in dieser Welt unter einen Hut zu bringen, um ein gemeinsames Interesse durchzusetzen – die totale Herrschaft – wäre ein überirdisches Wunder namens Weltverschwörung. An so etwas zu glauben und diesen Glauben zu befördern, hat in der Geschichte nur Unheil gebracht. Und noch ein Aspekt: Wer sich auf diese Art Spekulationen einlässt, muss sie dann auch zulassen, wenn es z.B. um Russland, China oder Kuba geht.

Nun zu den Varianten 3 und 4. Sie unterscheiden sich kaum im Hinblick auf Befürchtungen, welche die zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen betreffen. Beide Varianten gehen davon aus, dass im Kontext mit den Folgen der jetzigen Lage jene Maßnahmen zur Anwendung kommen können, ja voraussichtlich früher oder später kommen werden, die aktuell unter dem Begriff Ausnahmezustand gefasst werden. Beide gehen davon aus, dass die weltweite ökonomische Krise – und damit deren sozialen Folgen – nicht durch die Corona-Pandemie erzeugt wurde, dass aber diese Pandemie die Krisenprozesse maßgeblich verstärkt und beschleunigt (welche Rolle Krisen im kapitalistischen Zyklus spielen, wird als bekannt vorausgesetzt). Beide gehen davon aus, dass die aktuellen Prozesse manipulativ beeinflusst werden.

Welche sind die maßgeblichen Unterschiede?

  • Während in Variante 4 davon ausgegangen wird, dass die Pandemie real als ernsthafte Gefahr existiert und daher aktuell eine Reihe von Maßnahmen unumgänglich sind, wird in Variante 3 davon ausgegangen, dass die Gefährlichkeit der Pandemie maßlos aufgebauscht ist, um den Vorwand für die Abschaffung jeglicher demokratischer Rechte herzustellen.
  • Während in Variante 4 davon ausgegangen wird, dass es unangebracht wäre, alle ergriffenen Maßnahmen per se in Frage zu stellen und darauf orientiert wird, über die Komplexität der Vorgänge antikapitalistisch aufzuklären, die Instrumentalisierungsmöglichkeiten der ergriffenen Maßnahmen zu entlarven und somit auf die drohenden Gefahren aufmerksam zu machen und sich auf deren Abwehr vorzubereiten, wird in Variante 3 auf sofortigen Protest gesetzt, ohne Rücksichtnahme darauf, dass dieser Protest von all jenen schwer nachvollzogen werden kann, welche die Pandemie für gefährlich halten.
  • Während die Variante 4 für alle möglichen schillernden, auch rechten Gestalten keine Anziehungskraft ausübt, ist das bei Variante 3 durchaus der Fall. Rechte vereinnahmen Proteste von Skeptikern. Proteste, meist reduziert auf das Einfordern politischer Grundrechte. Soziale Themen sind weit weniger im Spiel. Plötzlich gehen deutschlandweit rechte Kräfte im Namen der Demokratieverteidigung mit auf die Straße und verschaffen sich Gehör – lautstark und ohne bei den Mitdemonstrierenden auf großen Widerstand zu treffen. Objektiv bildet diese Konstellation Andockmöglichkeiten für Querfrontanhänger. Querfrontbestrebungen sind nach meiner Überzeugung inakzeptabel.
  • Während Vertreter der Variante 4 aufgrund der Anerkennung der Pandemie-Gefährlichkeit keine Notwendigkeit sehen, das Tempo vorsichtiger Lockerungen anzugreifen, finden sich die Anhänger von Variante 3 in einer Reihe mit jenen, die ein schnelleres Tempo einfordern. Das betrifft aber nicht nur – nachvollziehbar – unzählige Mittelständler, die um ihre Existenz bangen müssen, sondern primär maßgebliche Kräfte des internationalen Kapitals. Stellvertretend für sie alle sei Elon Musk genannt.

FAZIT: Die konkreten Fakten – und somit die Zeit – werden zunehmend zeigen, welche Sicht auf die Pandemie und somit auf linke Kampforientierungen realitätstauglich ist. Davon unabhängig sind alle Schnittpunkte mit Querfrontprotagonisten zu vermeiden – durch öffentliche Zurückweisung dieser Kräfte.

 

Anmerkungen:

[1] Felix Bartels: »Virus und Veritas. Wir hatten eine Art Coronakonsens. Folgt jetzt der Zustand kollektiver Verdrängung?«, junge Welt, 30. April 2020.

[2] Stefan Huth: »Katalysator Corona. In der Pandemie sortiert sich der Kapitalismus neu – die Linke muss es auch tun. Die Krise treibt faschistischen Kräften neue Massen zu.«, junge Welt, 16. Mai 2020.

 

Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«: 

2020-05: Positionen der Kommunistischen Plattform Im Quasi-Ausnahmezustand

2020-04: Erinnerung an Reiner Zilkenat 

2020-02: Den Kalten Krieg stoppen, damit es kein heißer wird, Eine Erklärung wider den Irrsinn