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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Als Besatzungssoldat zurückgekehrt – in sein zerrüttetes Land

Ellen Brombacher, Berlin

 

Am 27. Dezember 2017 starb unser Genosse Kurt Gutmann. Er war Mitglied der LINKEN und Aktivist der KPF Berlin. Am 18. Februar 1927 wurde er in Krefeld geboren. Er war der jüngste von drei Brüdern, die keinen Vater mehr hatten. Der war an einer Lungenkrankheit gestorben, als Kurt anderthalb Jahre alt war. Die Mutter brachte die Jungen durch. Es kam die Nazizeit. Kurt erzählte, wie ihn seine »Klassenkamera­den« auf dem Heimweg in der Grup­pe überfielen. Einzeln trauten sie sich nicht an ihn heran, weil er kräftig war. Gemeinsam warfen sie ihn zu Boden und prügelten ihn. Wieder und wie­der. Die Mutter Jeannette kühlte ihm die blutverschmierten Wunden. Wie grauenhaft für ihn und für die Mutter.

Nach Jahren des Martyriums kam Kurt dann im Juni 1939 mit dem letzten Kindertransport kurz vor Ausbruch des II. Weltkrieges nach Schottland in ein jüdisches Waisenhaus. Als der Krieg begann, rissen die letzten postalischen Verbindungen zur Familie. Er erfuhr noch, dass Mutter und Bruder Hans-Josef aus dem Haus der Großeltern ausziehen mussten. Sie wurden mit Leidensgenossen im ehemaligen Gemeindehaus zusammengepfercht. Was Kurt damals nicht erfuhr: Die Mutter erhielt am 22. April 1942 die Aufforderung, sich zum Transport zu melden. Der große Bruder Hans-Josef, der noch die minimale Chance gehabt hätte, abzutauchen, begleitete sie freiwillig. Beide wurden in das Ghetto Izbica deportiert. Als das Ghetto aufgelöst wurde, gehörten sie wohl zu jenen, die nach Sobibor zur Verga­sung verbracht wurden. 2005 fuhr Kurt mit seiner Enkelin Tanja an den Ort, an dem seine Liebsten ermordet wurden. Er hat dort in der Allee, durch welche die Menschen zu den Gaskammern geführt wurden, für die Mutter und den Bruder Hans-Josef einen Baum ge­pflanzt. Nun hätten beide ein Grab und er ein wenig Ruhe gefunden.

In Schottland meldete er sich freiwillig zur Arbeit in einem Be­trieb der Rüstungsindustrie. Dort traf er auf deutsche Emigranten. Darunter Kommunisten. Er erinnerte sich: Nur einer seiner Klassenkameraden, der Sohn eines kommunistischen Bergarbeiters, hatte sich nie an den Gewalttaten gegen ihn beteiligt; war so still solidarisch gewesen. Nun hatte Kurt mit Genossinnen und Genossen zu tun, die ihn politisch für sein Leben prägten.

Mit siebzehneinhalb – früher war es nicht möglich – meldete sich Kurt freiwillig zur bri­tischen Armee. So kam er als Besatzungssoldat zurück in sein geistig, moralisch und mate­riell zerrüttetes Land – zunächst ins Ruhrgebiet.

1948 schied Kurt aus der Armee aus und ging – da viele seiner politischen Freunde von dort kamen – nach Berlin. Zunächst arbeitete er in einem Pankower Metallbetrieb. Bis zu seiner Pensionierung war er dann vorwiegend als Dolmetscher, Übersetzer und als Redakteur bei Radio Berlin International tätig. Er hatte es – zurückhaltend for­muliert – nicht immer leicht. Westemigrant, ehemaliger Angehöriger der britischen Streit­kräfte und ein Bruder in Großbritannien – Anknüpfungspunkte genug für demütigendes Misstrauen, welches ihn schmerzte. Zugleich gab es für ihn nie einen Zweifel, dass die DDR der antifaschistische, friedensstiftende Teil Deutschlands war. Das war für Kurt das Entscheidende.

Kurt war bei allen Bitternissen seines Lebens letztlich Optimist geworden und geblieben, weil er Menschen trotz alledem liebte. Wohl nicht zuletzt, weil er so ein großes Herz hatte. Das schlägt nun nicht mehr. Die Erinnerung an ihn und sein Vermächtnis bleiben.

 

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