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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Nachtrag zur Causa Holm

Ellen Brombacher, Berlin

 

Der im Heft 2/2017 veröffentlichte Artikel von Ellen Brombacher zur Causa Holm hat viel Aufmerksamkeit erfahren, vor allem das sie betreffende Kündigungsschreiben aus dem Jahr 1991. Als Nachtrag dokumentieren wir das Gedächtnisprotokoll des »Evaluierungs«-Gesprächs im Bezirksamt Mitte. Redaktion

 

Werter Herr Bezirksbürgermeister Hasse,

am 1. November 1991 erhielt ich die Kündigung. Aus dem Kündigungsschreiben geht nicht hervor, dass ich als Küchenhilfskraft tätig war. Sicher fällt es nicht nur mir, sondern auch Ihnen schwer, einen rationalen Grund für die Entlassung aus dieser Hilfsarbeit zu finden.

Die im Kündigungsschreiben aufgeführten Begründungen für meine Entlassung kann ich im Einzelnen nicht nachvollziehen. Ich verstehe es so, dass ich gehen muss, weil ich zu DDR-Zeiten Verantwortung in der SED trug. Der Einigungsvertrag schreibt eine solche pauschale, a priori feststehende Entscheidung nicht vor. Wenn einem Menschen, der sich keine Menschenrechtsverletzungen hat zuschulden kommen lassen, nicht einmal gestattet wird, Geschirr abzuwaschen, dann wütet blinde Rache. […]

Entsetzt bin ich darüber, wie mit dem Inhalt meiner Anhörung umgegangen wurde. Hier finden sich so viele Halbwahrheiten aneinander gereiht, dass die Tendenz zur Verlogenheit gerät. Es ist sicher kein Zufall, dass das Gespräch zwar mitprotokolliert, mir aber nicht die Gelegenheit eingeräumt wurde, das Protokoll nach Fertigstellung zur Kenntnis zu nehmen. Ich lege Ihnen daher das Gedächtnisprotokoll bei, welches ich angefertigt habe. […]

Hochachtungsvoll, Ellen Brombacher, 10. November 1991

Brief an den damaligen Bürgermeister des Berliner Bezirks Mitte, Benno Hasse

 

Anlage: Gedächtnisprotokoll über meine Anhörung am 2. Oktober 1991

1. Eingangs wurden Angaben aus meinem Personalfragebogen verlesen. Ich wurde gefragt, aus welchen Gründen ich den Entwicklungsweg eines hauptberuflichen Funktionärs eingeschlagen habe. Ich erklärte, dass ich schon im Elternhaus im kommunistischen Sinne erzogen wurde, von Eltern, die beide im aktiven antifaschistischen Widerstandskampf gestanden hatten. Auch die Tatsache, dass ich in der Altbundesrepublik aufgewachsen bin, hätte meine Entwicklung mitgeprägt. In der 11. Klasse sei ich gefragt worden, ob ich bereit bin, gleich nach dem Abitur hauptamtlich in der FDJ zu arbeiten. Dafür würden junge Leute gebraucht. Ich hätte mich damit einverstanden erklärt, wenngleich meine Berufsvorstellungen andere gewesen seien. Ich habe nicht bei der ersten Anforderung passen wollen, die nicht meinen persönlichen Vorstellungen entsprach. So habe ich ein Abendstudium in Kauf genommen. Meine Leistungen seien so gewesen, dass ich ansonsten wohl jeden Studienplatz, für den ich mich beworben hätte, auch bekommen hätte. Alle anderen Stufen meiner politischen Entwicklung seien in der Folge dieser Grundentscheidung zustande gekommen.

2. Dann wurde ich gefragt, was ich in der Funktion als Kultursekretär gemacht habe. Ich erläuterte, dass in allen Künstlerverbänden, Theatern etc. Parteiorganisationen existiert hätten und dass meine vorrangige Aufgabe darin bestanden habe, in diesen Parteiorganisationen politisch zu arbeiten. Es sei also – so wurde ich weiter gefragt – meine Aufgabe gewesen, die Künstler auf die kulturpolitische Linie der SED zu bringen. Ich erwiderte, es sei nicht nur um Kulturpolitik gegangen, sondern mindestens gleichermaßen um Diskussionen zur Gesamtpolitik der SED. Ansonsten ließen sich Kunst- und Kulturschaffende ohnehin nicht so einfach auf eine Linie bringen. Die Diskussionen – besonders in den letzten Jahren – seinen nicht leicht gewesen. Aber das Grundverhältnis zueinander, welches sich zu vielen Künstlern und Kulturschaffenden herausgebildet hätte, sei ein anständiges gewesen.

3. Ob ich freiwillig aus der hauptamtlichen Parteitätigkeit ausgeschieden sei oder ob ich hätte gehen müssen? Ich erinnerte an die politische Atmosphäre Ende 89 / Anfang 90 und sagte, dass es mir gleich anderen darum gegangen sei, der PDS die Möglichkeit zu geben, mit neuen Leuten zu arbeiten, da wir objektiv in der damaligen Situation die Partei belasteten. So seien wir freiwillig zu dem Schluss gekommen, uns nicht wieder zur Wahl zu stellen.

4. Warum ich in die Küche gegangen sei? Ich antwortete, ein Grund sei gewesen, dass ich z.B. nicht in eine GmbH wollte. Es wurde eingeworfen: »So wie andere!« Ich sagte, andere stünden hier nicht zur Debatte. […] Dies sei ein Grund gewesen. Mich habe der Zusammenbruch des Sozialismus und der Verlust der DDR stark betroffen gemacht und ich bräuchte Zeit, dies geistig und moralisch zu verarbeiten. Hierzu hätte ich nach einer Tätigkeit gesucht, die mir diesbezüglich völlige geistige Unabhängigkeit erlaubt. Die Arbeit in der Küche wäre eine solche. Wenngleich ich wenig Illusionen zur bevorstehenden Entwicklung gehabt hätte, habe ich allerdings nicht damit gerechnet, dass es einmal zum Problem werden könnte, eine Hilfsarbeit zu verrichten.

5. Ich wurde gefragt, ob ich manchmal direkt zur Kinderbetreuung eingesetzt würde. Ich verneinte. Nach faktischer Wiederholung der Frage sagte ich, dass ich – wie andere Kollegen aus der Küche auch – hin und wieder Schlafwache gemacht habe. Da aber – wie das Wort schon ausdrückt – die Kinder da schlafen würden, könne ich ihnen so nichts Böses tun. Darum ginge es nicht, wurde mir gesagt. Es wäre vielmehr so, dass man – falls Eltern Anfragen hätten – verneinen könne, dass ich Kinder betreuen würde. Ich fragte, ob sich denn Eltern beschwert hätten. Dies wurde verneint.

6. Ich hätte gesagt, lautete eine weitere Frage, dass mich der Zusammenbruch des Sozialismus betroffen gemacht habe. Ob ich Schuld empfinden würde? Ich erwiderte, Schuld sei für mich im Zusammenhang mit einem solchen Gespräch vor allem eine juristische Kategorie. Der Begriff Verantwortung schiene mir genauer. Ich sei Verantwortungsträger im früheren System gewesen und daher würde ich mich natürlich für alle Entwicklungen und Probleme mitverantwortlich fühlen, die es gab. Ich würde also – auch weil mitprotokolliert würde – darum bitten, den Begriff »Verantwortung« zu verwenden. Der Fragesteller erklärte sich damit einverstanden.

7. Ob ich vor der Wende geahnt oder gewusst hätte, dass das System zusammenbrechen würde, und wenn ja, wann etwa mir diese Ahnung gekommen sei? Ich erwiderte, dass ich etwa ab 1987/88 zunehmend Sorge bekam, dass die Dinge an den Baum gehen würden. Ich wurde gefragt, woran ich diese Sorge festgemacht habe. Ich bemerkte, dass es ein Kompendium von Faktoren gegeben hätte. Ich erläuterte die Probleme im Verhältnis zur sowjetischen Politik: Wie auch immer Gorbatschow heute zu beurteilen sei, es wäre seinerzeit ein großer Fehler gewesen, keine Entsprechungen zur sowjetischen Politik zu suchen, die den territorialen und historischen Besonderheiten der DDR gemäß gewesen wären. Es sei nur abgeblockt worden. Dass dies z.B. gefährlich ist, sei mir bewusst gewesen. Ich wurde unterbrochen. Meine Ausführungen seien interessant. Und wenn man sich privat unterhielte, wäre auch weiterhin diese Ausführlichkeit möglich. So aber fehle die Zeit für so umfängliche Erläuterungen. Da ich gesagt habe, dass ich den Zusammenbruch vorher geahnt habe, möge ich doch darlegen, welche moralischen Konsequenzen ich daraus gezogen hätte. Ich erwiderte, dass ich eines der schwierigsten Dinge gefragt worden sei – politisch und philosophisch –, die man heutzutage gefragt werden könne. Ich würde verstehen, dass die Zeit zu ausführlichen Erklärungen nicht reicht. Zugleich bäte ich um Verständnis dafür, dass das Thema für Verkürzungen zu kompliziert sei. Ich sei bereit gewesen, die Frage in aller Offenheit und vorbehaltlos zu beantworten; allerdings so, wie sie beantwortet werden muss. Wenn dafür die Zeit fehle, könne ich nicht antworten. Der Fragesteller sagte, er würde dies akzeptieren und zöge die Frage zurück.

8. Ob ich mir bewusst sei, dass ich im öffentlichen Dienst arbeite und ob ich bereit sei, aktiv zur Durchsetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beizutragen? Ich antwortete, dass ich wüsste, dass ich im öffentlichen Dienst arbeite und dass ich auf dem Boden des Grundgesetzes der BRD stünde. Dies sei nicht gefragt worden, hielt man mir entgegen, und ich hätte die Frage sicher auch richtig verstanden. Die ursprüngliche Frage wurde wiederholt. Ich erwiderte, das Grundgesetz würde nicht vorschreiben, dass man es besonders aktiv, aktiv, mehr passiv etc. befürworten müsse, sondern es ginge um Akzeptanz oder Nichtakzeptanz. Hierzu habe ich mich eindeutig verhalten. Ich würde aber nicht abblocken wollen. So fragte ich, ob sich die Frage nach der aktiven Durchsetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch auf mein Privatleben bezieht oder auf die Arbeit. Auf die Arbeit, lautete die Antwort. Ich schilderte dann kurz worin meine Tätigkeit besteht: Dass ich Geschirr abwasche, Stullen schmiere, Essenwagen in Aufzüge schiebe etc. Ich bat darum, mir zu erklären, wie ich im Rahmen dieser Tätigkeit die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv durchsetzen soll. Mir wurde erwidert, ich wisse genau, dass die Frage ebenfalls nicht so zu verstehen sei. Früher z.B. seien doch die Kinder gegängelt worden. Ich unterbrach und sagte, früher sei ich ja noch nicht im Kindergarten gewesen. Darum ginge es nicht. Wenn ich heute z.B. dazu käme, wenn eine Erzieherin Kindern ihre Freiräume beschneidet, ob ich mich dann einmischen würde. Ich sagte, dass ich als Küchenhilfe niemals einer erfahrenen Erzieherin in ihre Kompetenzen hineinreden würde und dass das doch auch sicher nicht gewollt sei. Ansonsten hätte ich das Gefühl, die Erzieherinnen gingen sehr gut mit den Kindern um und mein Verhältnis – falls dies auch noch interessiere – zu den Kindern sei ebenfalls normal.

Es gab dann keine weiteren Fragen. Mir wurde gesagt, dass ich innerhalb von 14 Tagen eine Entscheidung mitgeteilt bekäme, ob ich bleiben könne oder nicht. Des Weiteren würde ich der Gauck-Behörde zur Überprüfung eingereicht. Das Gespräch verlief in der Form sachlich. Meine Kündigung erhielt ich am 31.10.1991, nach einem Monat also.

Ellen Brombacher

P.S.: Dies ist ein Gedächtnisprotokoll. Nicht jedes Wort im Einzelnen kann exakt wiedergegeben sein. Ansonsten aber verbürge ich mich für die Richtigkeit der Wiedergabe. Die Fragen habe ich mir gut gemerkt. Und meine Antworten waren und sind nie beliebig. Daher waren sie rekapitulierbar. E.B., 10.11.1991

 

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