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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das fehlende Kreuzchen ist es wohl kaum

Ellen Brombacher, Berlin

 

Offener Brief an Landesvorstand und Landesausschuss der Partei DIE LINKE. Berlin

 

Im Entwurf einer vom Berliner Landesvorstand der LINKEN initiierten und vom Landesausschuss am 20. Januar 2017 mit inhaltlich geringfügigen Änderungen bei nur einer Gegenstimme angenommenen Erklärung [1], heißt es zur Causa Holm unter anderem:

»Wir bedauern, dass sich die Debatte um seine Biografie auch durch unsere Versäumnisse in dieser Wucht entwickelt hat. Dafür möchten wir uns sowohl bei ihm und seiner Familie, wie auch bei Opfern des SED-Regimes entschuldigen. Wir haben unterschätzt, wie lebendig und nah diese Geschichte vielen Menschen in unserer Stadt nach wie vor ist. Gleichwohl verläuft diese Debatte nicht nur zwischen den Polen Schwarz und Weiß; es wurden auch Zwischentöne hörbar. Wir nehmen diese Debatte zum Anlass, unseren Prozess zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte und der Geschichte unserer Vorgängerpartei zu intensivieren und die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen im Austausch mit Verbänden und Fachleuten anzugehen.«

Unsere Vertreterin im Landesausschuss hatte im Namen des Berliner KPF-Landessprecherrates beantragt, diese Passage ersatzlos zu streichen. Sie begründete diesen Antrag vor allem damit, dass eine antikommunistische Hetzkampagne Andrej Holm im Interesse der Immobilienwirtschaft zum Sturz gebracht hätte. Dafür stünden exemplarisch die Ausführungen von Hubertus Knabe, der nun, da Andrej Holm zurückgetreten sei, weiter hetze, indem er Dietmar Bartsch für die von ihm in diesem Kontext geforderte differenziertere Geschichtsbetrachtung angriffe. »Wir als Linke«, so beschloss sie ihre Antragsbegründung, »sollten uns an solchen Kampagnen nicht beteiligen.« Diese Antragstellung löste zumindest eine Debatte über die oben zitierte Passage aus und zeigte, dass nicht nur die KPF hiermit Bauchschmerzen hat. Für unseren Antrag an den Landesausschuss, die o.g. Passage zu streichen, stimmten drei Genossinnen und Genossen.

Gegen das Papier in Gänze stimmte dann letztendlich nur unsere Genossin.

Erinnern wir uns noch einmal kurz an die Ereignisse um den gewesenen Staatssekretär.

Am 16. Januar zog Andrej Holm die Reißleine. Er trat als Baustaatssekretär zurück. Die Immobilienhaie können jubeln, gemeinsam mit Hubertus Knabe. Scheinbar haben die einen mit dem anderen – dem Herrn Knabe – nichts zu tun. Doch der Zusammenhang existiert. Die Immobilienwirtschaft gehört zu den besonders unappetitlichen Auswüchsen des Kapitalismus, der sich durch unversöhnlichen Hass auf den historischen Versuch auszeichnet, ohne den Profitmechanismus auszukommen, was z.B. bezahlbare Mieten einschloss. Im gerade veröffentlichten Wahlprogrammentwurf der LINKEN zu den Bundestagswahlen am 24. September 2017 heißt es u.a.: »Die Wohngemeinnützigkeit wurde in Deutschland 1990 abgeschafft.« Welch überraschender Zufall. Aber solche »Zufälle« gab es viele nach dem Herbst 89.

Zurück zur Causa Holm: Es geht nicht um die Frage, ob er wegen der sogenannten Stasivorwürfe oder wegen der Immobilienhaie gehen sollte – und dies dann auch tat. Beide Faktoren sind gleichwertige, miteinander durchaus wesensverwandte Gründe für die Anti-Holm-Kampagne, die letztendlich dessen Rücktritt zur Folge hatte. Es half nichts – dies sei ohne jede Häme und in Solidarität mit ihm konstatiert – dass Andrej Holm in seinen Erklärungen – begonnen auf dem Berliner Landesparteitag Anfang Dezember 2016 – gängige Klischees des Zeitgeistes bediente. Und – diese Annahme sei ausgesprochen: Es hätte ihm möglicherweise auch nichts genutzt, wenn er 2005 uneingeschränkt die Wahrheit angekreuzt hätte. Hätte ihn die Humboldt-Universität dann eingestellt, oder hätte der »zur Bewertung einer Tätigkeit für das MfS« [2] eingerichtete sogenannte Ehrenausschuss doch anders entschieden? Letzteres hätte der ehrwürdigen Alma Mater natürlich die Studentenproteste gegen die Entlassung Holms auch aus seiner Beschäftigung an der Universität erspart.

Das, was im Nachfolgestaat des sogenannten Dritten Reiches im Umgang mit den meisten Nazis die Normalität war, sie nämlich nicht zu belangen für ihre direkte oder indirekte Teilnahme an den monströsen Verbrechen der deutschen Faschisten in beinahe ganz Europa, ist im Umgang mit jenen, die der DDR dienten, unvorstellbar. Um jedes Missverständnis zu vermeiden: Die – mit der Tendenz zur Gleichsetzung – permanent vorgenommenen Vergleiche zwischen Hitlerdeutschland und der DDR sind total inakzeptabel.

Ja, es hat in der DDR Unrecht gegeben, Willkür auch und also Opfer von Unrecht und Willkür – von Fehlern und Fehlentwicklungen ganz zu schweigen. Das unterschied die DDR von der Bundesrepublik Deutschland, in der es kein Unrecht gab oder gibt, keine Willkür und also keine Opfer, keine Fehler und schon gar keine Fehlentwicklungen – sieht man von ein paar Kleinigkeiten ab. So von der Tatsache, dass seinerzeit Globke, Kiesinger und zigtausende andere einst leitende Faschisten in wiederum leitenden Positionen die bundesrepublikanische Demokratie mitgestalten durften, so von heutzutage legal operierenden Nazi-Organisationen, so von diversen Kriegseinsätzen der Bundeswehr oder auch von den Mietpreisen.

Nein, der Vergleich zwischen der Causa Holm und dem Umgang mit Nazis in der Altbundesrepublik wird hier nur zu einem Zweck vorgenommen: Es soll verdeutlicht werden, dass die Herrschenden in diesem Land damit, dass ihr System – das kapitalistische – den Faschismus gebar, ein bedeutend geringeres Problem haben als mit dem historischen Versuch, aus diesem System auszubrechen. Das ist es, worum es geht.

Und wenn im Kontext mit der Causa Holm der Berliner SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh äußerte, »Wir haben immer die Moral vor die Macht gestellt. Das hat uns unangreifbar gemacht«, dann kann man nur hoffen, dass die besten Kabarettisten dieses Landes diese verlogene Geschichtsvergessenheit thematisieren. Eine nichtkabarettistische Auseinandersetzung mit dieser dummdreisten Äußerung ist beinahe unmöglich.

Es ist an der Zeit, dass unsere Partei in puncto Umgang mit der Geschichte einen grundlegenden Politikwechsel einleitet. Es ist langsam genug mit der Denunziation der Überzeugungen sehr vieler Menschen, die ihre guten Gründe hatten, für die DDR zu arbeiten.

Und niemand soll kommen und erzählen, es sei ja bei Holm nicht darum gegangen, dass er sich für das MfS verpflichtet hatte, sondern um sein Versäumnis, an der richtigen Stellen ein Kreuzchen zu machen. Ich weiß sehr genau, worüber ich hier rede.

Am 5. März 1990 habe ich – aus freien Stücken – einen Arbeitsvertrag als Küchenhilfskraft in einer Kinderkombination unterschrieben. Meine Kolleginnen und Kollegen wussten, dass ich in der DDR, bis Ende Februar 1990, leitende Funktionen innehatte, in der FDJ und in der SED. Ich habe nichts verschwiegen, wollte es nicht und hätte es auch nicht gekonnt. In kürzester Zeit hatte ich einen vertrauensvollen Kontakt mit den Kolleginnen und dem einen Kollegen, auch mit den Erzieherinnen. Meine Arbeit habe ich unbeanstandet gemacht. Ich kam gut zurecht und ging – so merkwürdig das klingen mag – gern in die Kinderkombi, so hieß das damals noch. Im Herbst 1991 lud mich das Bezirksamt zu einem Evaluierungsgespräch ein. Dieses Gespräch war ausschließlich eine Gesinnungsprüfung. Kein einziger konkreter Vorwurf wurde erhoben. Es war eine Farce.

Meine Kolleginnen warteten auf mich, auch die von der Frühschicht, die eigentlich schon Feierabend hatten. Ich erzählte ihnen, wie es gewesen ist und sie meinten, da könne ich ja wohl bleiben. Man habe mir ja nichts Konkretes anlasten können. Ich sagte ihnen, dass sie mich feuern würden, weil es ums Prinzip ginge. Eine ehemals leitende SED-Funktionärin dürfe nicht im öffentlichen Dienst arbeiten, auch nicht Geschirr abwaschend.

Sie glaubten mir nicht. Dann kam am 21. Oktober 1991 das Kündigungsschreiben.

Das ist nun ein Vierteljahrhundert her. Und es ist Zehntausenden so gegangen wie seinerzeit mir und jetzt Andrej Holm; egal ob Küchenhilfskraft oder Staatssekretär. Egal, ob Kreuzchen an der richtigen Stelle gemacht oder nicht. Wie lange soll das noch so weitergehen und wie lange will meine Partei damit noch so umgehen wie in der gemeinsamen Erklärung von Landesvorstand und Landesausschuss vom 20. Januar 2017?

Der Offene Brief und das mich betreffende Kündigungsschreiben des Bezirksamtes Berlin-Mitte vom 31. Oktober 1991 (nur in der Printausgabe) wurden am 23. Januar 2017 über den Landesgeschäftsführer an den Landesvorstand und den Landesausschuss der Partei LINKE.Berlin geschickt.

 

Anmerkungen:

[1]  Siehe: www.die-linke-berlin.de/die_linke/partei/landesausschuss/beschluesse/05/04.

[2]  Vgl. »Erklärung der Präsidentin der HU zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Herrn Dr. Holm«, www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/nr1701/nr_170117_00.

 

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