Nach vorn offen - Nachbetrachtungen zum Cottbusser Parteitag
Ellen Brombacher, Berlin
Nicht nur die überregionalen Medien schenkten dem Cottbusser Parteitag gebührende Aufmerksamkeit. Hier ein Auszug aus den nicht gerade links angesiedelten Schaumburger Nachrichten vom 26. Mai 2008.
"Johlen, Stampfen. Klatschen und Pfeifen tost durch den Saal. Viele springen, die Arme hochgereckt, in die Luft, als habe da gerade ein Popstar auf der Bühne sein Konzert beendet. Oskar Lafontaine hebt die Hand zum Gruß, sein rotfleckiges, verschwitztes Gesicht erscheint auf den Großbildschirmen, ... Mehr als eine Stunde war Lafontaine in bellendem Ton der Einpeitscher beim ersten Parteitag der LINKEN in Cottbus, jetzt genießt er die Hingebung von Hunderten Delegierten. Die Lärmwand verdeckt, daß nicht jeder im Saal dem demagogischen Saarländer, dessen Führung auch als ‚Oskariat’ verspottet wird, willig folgt – obwohl Lafontaine doch davon gesprochen hatte, nicht ‚Alleinherrscher’ sein zu wollen. Viele ostdeutsche Delegierte stehen dennoch nicht auf zum Applaudieren; sie rechnen einige Stunden später mit Lafontaine ab. Er wird mit lediglich 78,5% im Amt bestätigt, 9,4% weniger als auf dem Gründungsparteitag vor einem Jahr. Sogar Lothar Bisky, gleichberechtigter Parteichef neben Lafontaine, hängt ihn ab: 81,3% holt der Brandenburger; 2007 waren es 83,6% gewesen."
Linke Dynamik
Zunächst einmal: Ich gehöre zu jenen, die sitzen blieben. Mit der Rede von Lafontaine konnte ich mich weitgehend identifizieren und habe ihn natürlich gewählt. Nur – das Aufstehen habe ich mir vor zwanzig Jahren so gut wie abgewöhnt. Zurück zur Provinzpresse. Lafontaine – ein verschwitzter, rotfleckiger Popstar, ein Einpeitscher mit bellendem Ton, ein Demagoge. Zudem ein Alleinherrscher. Eine tiefe Abneigung verbirgt sich hinter diesen ehrabschneidenden Formulierungen. Es ist die totale Aversion von Teilen des Establishments gegen Lafontaine. Doch auch jene in der LINKEN, deren sehnlichster Wunsch es ist, bei den Etablierten anzukommen, mögen ihn nicht unbedingt. Ein Gutteil derer dürfte zu den etwa 20% gehören, die Lafontaine die Stimme verweigerten. Diese Situation wird sich wohl nach seinem Auftritt bei Anne Will am 1. Juni 2008 noch verschärft haben. Zum wiederholten Male Kritik an der rot-roten Koalition in Berlin zu üben, ist in den Augen einiger beinahe blasphemisch. Es liegt auf der Hand: Lafontaine hat dem Begriff "links sein" neue Dynamik verliehen. Das macht ihn für so manchen zu einem unsicheren Kantonisten. Am 23. Mai 2008, am Vortag des Cottbusser Parteitages also, war André Brie Gast im Morgenmagazin. Die spannendste Frage, so meinte er, sei, was nach Lafontaine und Gysi käme. Der Übergang dürfe nicht verschlafen werden. Schon merkwürdig. Einen Tag vor der Wahl der Parteivorsitzenden ist für Brie das wesentliche, wer nach Lafontaine kommt. Und Brie redet nichts einfach so daher. Ob er der Vordenker ist, vermag ich nicht so genau zu beurteilen. Aber – daß er der Vorsager ist, hat sich immer wieder gezeigt. Und zu den Freunden Lafontaines gehört er wohl kaum.
Spätestens hier vernehme ich Einwände: "Vergiß nicht, Lafontaine ist Sozialdemokrat. Ignoriere nicht, welche Karriere er hinter sich hat. Die macht keiner einfach so." Ich bin mir dessen bewußt. Aber – ich halte ihn für einen Sozialdemokraten, für den der Begriff "sozial" keine Sprechblase ist. Ich erinnere mich eines Gesprächs mit dem leider viel zu früh verstorbenen Günter Gaus. "Oskar ist wirklich ein Linker" hatte der zu mir gesagt. Ich gestehe es offen: Als der Fusionsprozeß begann, sah ich diesen vorwiegend skeptisch und ebenso betrachtete ich Oskar Lafontaine. Da war seine Flüchtlingspolitik als saarländischer Ministerpräsident, da waren andere politische Schritte und Äußerungen, die nicht gerade vertrauensbildend wirkten, so seine Anmerkungen zu "Fremdarbeitern" in Chemnitz. Das ist auch nicht einfach zu verdrängen. Aber ebenso wenig ist vergessen, daß er ein Gegner der sogenannten Nachrüstung war, daß er die Menschen als Bundeskanzlerkandidat nicht betrog und daß er sich aus der Regierung zurückzog, als er seine gegen den Neoliberalismus gerichteten Vorstellungen nicht realisieren konnte. Mir ist das eine wie das andere im Gedächtnis geblieben, und ich bin gespannt auf die Zukunft. Heute sehe ich vor allem Oskar Lafontaines Engagement in den letzten zwei, drei Jahren: Er wirkte und wirkt zutiefst im Interesse der Linken in Deutschland und darüber hinaus. Dafür gebührt ihm Dank und Solidarität; nicht Euphorie. Die eigentliche Probe aufs Exempel steht noch aus. Was wird kommen, wenn die LINKE möglicherweise in Brandenburg, im Saarland, in Sachsen und Thüringen mit in der Regierung sein wird? Was wird, in Anbetracht der normativen Kraft des Faktischen, dann bleiben von der nicht unsympathischen Politik der Bundestagsfraktion der LINKEN hier und heute? Was wird geschehen, wenn sich in der SPD jene durchsetzen, die vorwiegend um des Machterhalts willen bereit sind, mit der LINKEN zu koalieren? Wer diese Fragen heute nicht stellt, ist ein Träumer. Aber wer heute nicht sieht, daß sich diese Partei nach links bewegt – und das ist untrennbar mit Lafontaine verbunden – der trägt den Realitäten ebenso wenig Rechnung. Der Weg der LINKEN ist nach vorne offen.
Entzauberung und Anpassung
Am 5. März 2008 – wenige Wochen nach der Landtagswahl in Hessen – war in der Financial Times Deutschland zu lesen: "Die Devise der SPD kann ... jetzt nur noch lauten: ... die Linke muß mit in die Verantwortung. Läßt man ihr die bequeme Oppositionsrolle, dann reicht das vielleicht für die Wahl von Andrea Ypsilanti. Aber es droht ein Desaster für die SPD.""Entzaubert DIE LINKE schnell", ist das Motto; das vielleicht schon dominierende für den zukünftigen Umgang mit ihr. Die Protagonisten der Entzauberungsstrategie gehen davon aus, daß die LINKE nur in der Opposition wirklich stört. Sie haben die Entwicklungen besonders in Frankreich und Italien besser analysiert als manche Funktionäre in der LINKEN. Auch nicht wenige in der SPD sind sich dessen bewußt, daß diese Partei entweder Juniorpartner ist oder aussichtsreicher politischer Konkurrent.
Es ist nicht verwunderlich, daß in dieser für Die LINKE und die SPD gleichermaßen ambivalenten Situation 72% der Deutschen meinen, wenn es ernst würde, würde die SPD auf alle Abgrenzungserklärungen pfeifen und schon 2009 auf Bundesebene eine Koalition mit der LINKEN eingehen. Die Jusos fordern desgleichen. Die einen in der SPD sind also für das Prinzip der Entzauberung und die anderen für das der Ausgrenzung. Die einen wie die anderen bedienen sich des Antikommunismus. Er dient als Begründung für Unvereinbarkeitserklärungen ebenso, wie er in Gestalt politischer Forderungen an Die LINKE deren Anpassung an den Zeitgeist befördern soll. Ohne Verzicht auf die geltenden friedenspolitischen Prinzipien wird der LINKEN keine Regierungstauglichkeit bescheinigt werden, und auch nicht im Falle fehlender Bereitschaft, beim Umgang mit der Geschichte weitgehend die veröffentlichte Meinung zu bedienen. Gegen letzteres wehrt sich die LINKE bestenfalls halbherzig, denn gerade in dieser Frage hat sie, gegen den Willen großer Teile der Basis besonders im Osten, ihre politische Linie dem Mainstream zunehmend angepaßt.
Die Auseinandersetzungen im Kontext mit dem 60. Jahrestag der Gründung der BRD und der DDR sowie im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag der sogenannten Wende, die die Restauration des Kapitalismus in Gesamtdeutschland einleitete, werden daher voraussichtlich kontrovers verlaufen – auch in der LINKEN und dort vor allem im Rahmen der Programmdebatte. Stets aufs Neue wird von Protagonisten der bürgerlichen Ideologie ein Pseudostreit über die Geschichte entfacht. Denn ein echter Streit ist gar nicht erwünscht. Ein produktiver Streit wäre einer über den Charakter abgelaufener Geschichtsprozesse, in dem nicht zuletzt Interessen hinterfragt werden, die diese Prozesse determinierten. Doch wer Dialektik im Umgang mit Geschichte einfordert, wird schnell der Nähe zum "Stalinismus" bezichtigt. Wer die DDR nicht total verdammt, ist suspekt. Kein Angehöriger der Naziwehrmacht, der auf dem zweitausend Kilometer langen Rückzug daran beteiligt war, flächendeckend verbrannte sowjetische Erde zu hinterlassen, brauchte sich auch nur einen Bruchteil der Vorwürfe anzuhören, die ein loyaler Bürger der DDR in den vergangenen neunzehn Jahren über sich ergehen lassen mußte. Das scheint – annähernd unreflektiert – normal. Anormal sind für den Mainstream diejenigen, die dem Sozialismus – den gewesenen, real existierenden eingeschlossen – etwas grundsätzlich Positives abgewinnen können und die auf prinzipiell antikapitalistischen Positionen stehen. Da sind nicht nur die Herrschenden schnell mit dem Extremismusvorwurf bei der Hand. Gerade, weil die Partei nach links rückt und dabei Erfolg hat, ist sowohl mit entsprechenden verstärkten Angriffen von außen als auch mit zunehmenden innerparteilichen Auseinandersetzungen zu rechnen. Das Medienecho zeigt die Tendenz: Man teilt die Partei in Pragmatiker, mit denen man kann und die stark gemacht werden sollen, und in DDR-Nostalgiker und Populisten – einige nicht frei von extremistischen Neigungen –, mit denen man eben nicht kann. Die Personaldebatte vor dem Cottbusser Parteitag war hierfür bereits ein deutliches Zeichen. Sie zeigte allerdings auch, daß es für die sogenannten Pragmatiker nicht leichter geworden ist.
Linkstendenz und Gegenkräfte
Am Parteitagssonnabend war im ND zur Kandidatur von Halina Wawzyniak für ein Stellvertreter-Amt im Parteivorstand zu lesen: "Daß Lothar Bisky sie den anrollenden Kampfwagen Sahra Wagenknechts als Reifentöter(in) in den Weg gelegt hat, ist ein kleines Manko ihrer Kandidatur, aber durchaus Indiz für ihre Positionen." Letztere hat Halina Wawzyniak mit dankenswerter Offenheit dargelegt. Ihre demonstrative Befürwortung der rot-roten Koalition in Berlin korrespondierte mit ihren "antistalinistischen" Äußerungen. 61,8% gaben ihr die Stimme. Dabei ist bemerkenswert, daß bei drei kandidierenden Stellvertretern (auf ebenso vielen Plätzen) deren jeweilige Wahl a priori sicher war. Offenkundig wünschte ein beträchtlicher Teil der Delegierten keine gegen Kommunisten und antikapitalistische Linke gerichteten Polarisierungen. Auch deshalb war es vernünftig, daß Sahra Wagenknecht vor dem Parteitag erklärt hatte, sie würde nicht als stellvertretende Vorsitzende kandidieren. Sie tat dies bekanntlich, als sich abzeichnete, daß nicht nur Protagonisten des Forums demokratischer Sozialisten (FdS) ihre Kandidatur zu einer Zerreißprobe in der Partei machen wollten; gewiß mit voller Unterstützung der Medien. Das FdS zählt personell primär hauptamtliche Funktionäre der Partei, Abgeordnete und Mitarbeiter der Parteiapparate und -fraktionen zu seinem Bestand. Es strebt innerhalb der LINKEN mit erheblichen logistischen Möglichkeiten danach, das Profil der Partei koalitionskompatibel zu gestalten. Der Einfluß auf die politische Linie der Partei ist beträchtlich. Zurück zu den Stellvertreterwahlen. Auch das von Sahra an den Tag gelegte Verantwortungsbewußtsein für einen konstruktiven Parteitagsverlauf war ein Grund für ihr glänzendes Wahlergebnis: Mit 70% der Stimmen nahm sie auf der Frauenliste die Spitzenposition ein. Vor allem aber waren es ihre glasklar vorgetragenen antikapitalistischen Standpunkte und der Respekt vor der Stetigkeit ihrer Haltung als Kommunistin, die ihr die hohe Zustimmung einbrachten. Zugleich widerspiegelte Sahras Wahlergebnis eine starke Stimmungstendenz in Cottbus. Die meisten am Leitantrag vorgenommenen Änderungen haben diesen nach links profiliert. Dies ist von Bedeutung für die bevorstehenden Bundestags- und Europawahlen. Denn die dann zu beschließenden Wahlprogramme dürften eigentlich nicht hinter dem Leitantrag zurückbleiben. Besonders wichtig: Angenommen wurde der Antrag, daß jegliche Einsätze der Bundeswehr im Aus- und Inland abzulehnen sind. Und ebenso bedeutsam, nicht zuletzt in Anbetracht des Einzugs der NPD in alle zehn sächsischen Kreistage: Faktisch schon im Vorfeld des Parteitages entschied sich auf Grund vielfältiger entsprechender Anträge, daß die Forderung nach einem NPD-Verbot in den Leitantrag aufgenommen wird. Durchaus keine Selbstverständlichkeit. Weitere Beispiele ließen sich anführen.
Natürlich gab (und gibt!) es eine sehr starke, entgegengesetzte Tendenz. Deren Protagonisten sind zuvörderst im bereits erwähnten FdS organisiert. So scheiterte – wenngleich knapp – der Antrag, zwei Grundbedingungen für Regierungsbeteiligung in den Leitantrag aufzunehmen. Es soll auch nicht unterschlagen werden, daß der Antrag der Kommunistischen Plattform abgelehnt wurde, auf eine Formulierung im Leitantrag zu verzichten, welche die Kandidatur von DKP-Mitgliedern auf Wahllisten der LINKEN (außer bei Kommunalwahlen) ausschließt. Wir hatten deutlich gesagt: Weder gesetzliche Bestimmungen erforderten die von uns zur Streichung vorgeschlagene Passage im Leitantrag noch die Ereignisse um Christel Wegner. Diese Passage sei beliebig interpretierbar. Die Interpretationshoheit in diesem Land hätten die Medien. Und es läge nahe, daß Medien diese Passage im Leitantrag als prinzipielle Distanzierung der LINKEN von der DKP werten würden. Das wäre Wasser auf die Mühlen der politischen Gegner beider Parteien. Es war absehbar, daß wir unterliegen würden. Für die KPF war allerdings wesentlich, solidarisch Flagge zu zeigen. Dennoch interessant: Uns war ein desaströses Abstimmungsergebnis vorausgesagt worden. Wir erhielten 25% bis 30% der Stimmen.
Zurück zu der starken Tendenz, die LINKE auf Bundesebene koalitionskompatibel zu machen. Dazu hatten wir bereits auf der Bundeskonferenz der KPF am 26. April 2008 festgestellt:
"Besonders dort, wo die Partei DIE LINKE nicht in die etablierte Parteienlandschaft paßt, setzen deren politische Gegner den Hebel an. Nichts Neues im übrigen – so hielten sie es schon mit der PDS. Unmittelbar nach den Hamburgwahlen erklärte der SPD-Generalsekretär Heil bezogen auf die LINKE, sie sei keine Partnerin, weil sie ein ungeklärtes Verhältnis zur Außenpolitik habe, kein geklärtes Verhältnis zur Marktwirtschaft und kein geklärtes Verhältnis zu Kommunisten. Da haben wir also deren ganzes Programm: Macht Schluß mit eurer Antikriegshaltung, macht Schluß mit jeglichem Antikapitalismus und schmeißt Kommunisten raus, wo ihr sie trefft; dann nehmen wir euch gleichberechtigt in den Kreis der systemkonformen Parteien auf, und ihr könnt alle Früchte genießen, die sich aus diesem Status ergeben. Wir wissen genau, daß es in der LINKEN genügend Funktionäre gibt, sowohl in den Vorständen als auch in den Fraktionen, die sich sehnlichst wünschen, wir würden endlich unser Verhältnis zur Sozialdemokratie in dem Sinne in Ordnung bringen, daß wir den z.B. von Heil aufgestellten Forderungen nachkommen. Die Auseinandersetzung hierüber findet nicht zuletzt auf dem Feld der Programmatik statt."
Weiter zu den Anpassungsbestrebungen: Aus Berlins LINKER kommt die Warnung davor, daß die Partei sich zu einseitig als Protestpartei und Vertreter der sozial Schwächsten darstellen könnte. Vielmehr soll die Hauptstädter rot-rote Koalition zum "Exportschlager" gemacht werden. Am ersten Märzwochenende riet Harald Wolf der Fraktion: "Wir müssen aufpassen, daß wir nicht die Partei der Arbeitslosen und der Hartz-IV-Empfänger werden." Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Sorge maßgeblicher Protagonisten des Forums demokratischer Sozialisten, DIE LINKE könne zu sehr Protestpartei sein und deren Befürchtung, der Umgang mit der Geschichte könnte wieder stärker vom historischen und dialektischen Materialismus geprägt werden? Zweifellos gibt es den. Es muß für alle Vertreter des Zeitgeistes in diesem Land erschreckend gewesen sein, daß am 7. April 2008 bei der im Rahmen der MDR-Sendung "Fakt ist ..." gestarteten Telefonumfrage 78% der Anrufer der Meinung waren, in der DDR hätten die positiven Seiten überwogen und daß sich nur 22% für das Gegenteil aussprachen. Wohltuend war Sahras überzeugendes, mutiges Auftreten in dieser Sendung. Zurück zur Strategie des FdS. Hierzu sagten wir auf unserer KPF-Konferenz:
"In der Verknüpfung dieser beiden Themen (Stellenwert von Opposition und Umgang mit der Geschichte) sehen die FdS-Protagonisten die Möglichkeit, die Kräfte, die im Osten wie im Westen vor allem auf Opposition setzen, auseinanderzudividieren. Sie wissen, daß bei der Basis im Osten die Märchenstunden über die DDR kein sonderliches Amüsement hervorrufen, während im Westen im wesentlichen Greuelmärchen über die DDR dominieren – auch unter so manchen Linken. Gleichzeitig ist es gelungen, vielen Genossinnen und Genossen im Westen glauben zu machen, die Basis im Osten unterstütze vorbehaltlos den Exportartikel Berlin. So entsteht das Bild von den stalinistisch geprägten konservativen Ossis, die Harald Wolf unterstützen, weil sie seinerzeit schon für Erich Honecker waren. Und den Genossinnen und Genossen im Osten wird eingeredet, im Westen säßen die linken Chaoten, die im übrigen gegen Harald Wolf seien, weil sie schon mit Honecker nie etwas am Hut gehabt hätten. Die Linken im Osten wie im Westen, die diese Spaltungsideologie durchschauen, sollten gemeinsam alles dafür tun, damit diese nicht wirkt. Dazu bedarf es einer Voraussetzung: wir müssen aufeinander zugehen, müssen versuchen, uns zu verstehen – aus unserer unterschiedlichen gesellschaftspolitischen und sozialen Herkunft heraus. Einen einfacheren Weg gibt es nicht."
Die Bundeskonferenz der KPF beschloß auf ihrer Tagung, in Vorbereitung der 60. Jahrestage von BRD und DDR eine Veranstaltung unter dem Motto durchzuführen: "Geschichte in Geschichten. Linke aus Ost und West erzählen sich ihre Biographien." Hier werden wir besonders der Geschichtsklitterung den Kampf ansagen. Diese funktioniert deshalb so wirksam, weil sie mit einer Tabuisierung sondergleichen verknüpft wird. Ein Tabu bricht, wer über die Umstände redet, unter denen sich Sozialismus in der DDR entwickelte, wer darüber spricht, daß die DDR durchaus Bewahrenswertes hervorbrachte und wer darauf verweist, daß Defizite, Fehler und Defekte, welche die DDR auch charakterisierten, nicht zuletzt aus der Härte der Systemauseinandersetzung resultierten.
Der Cottbusser Parteitag plädierte für einen differenzierten Umgang mit unserer Geschichte. Antikommunistische Töne waren kaum vernehmbar. Dies war einerseits dem realen Klima auf dem Parteitag geschuldet, war aber andererseits auch durchaus gewollt. Die den Crash durch Sahras Kandidatur wünschten, waren ins Leere gelaufen und die genau diesen nicht wollten, waren in der Mehrzahl, nicht unbedingt aus inhaltlichen, sondern auch aus taktischen Gründen. Das sollte weder kleingeredet noch überschätzt werden. Die notwendigerweise verschobene Auseinandersetzung steht uns bevor. Wir könnten gut und gerne ohne sie leben, nicht so aber all jene, die über eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene nachdenken. Ein deutliches Signal hierfür war die Rede Gregor Gysis am 14. April 2008 auf einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung anläßlich des 60. Jahrestages der Gründung Israels. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, hierauf im Einzelnen einzugehen. Es gibt eine von Ellen Brombacher, Prof. Dr. Sonja Mebel, Prof. Dr. Moritz Mebel, Thomas Hecker, Sahra Wagenknecht (MdEP), Dr. Ulrike Bretschneider, Arne Brix, Hans Canjé, Rim Farha, Margot Goldstein, Kurt Gutmann, Victor Grossman, Jürgen Herold, Ulla Jelpke (MdB), Prof. Dr. Detlef Joseph, Dr. Ursula Joseph, Liselotte Lottermoser, Dieter Popp, Friedrich Rabe, Prof. Dr. Gregor Schirmer, Rosemarie Schuder-Hirsch, Carsten Schulz, Joachim Traut, Dr. Volkmar Vogel und Dr. Friedrich Wolff unterzeichnete Erklärung, die in junge Welt vom 28. 5. 2008, in den Mitteilungen der Kommunistischen Plattform vom Juni 2008 und im Internet unter der Adresse www.die-linke.de/kpf zu finden ist. Die von uns gewählte Überschrift "Staatsräson und Regierungsbeteiligung" weist darauf hin, worum es letztlich in der Gysi-Rede geht: nämlich nicht zuletzt um einen weiteren Versuch, die geltenden friedenspolitischen Grundsätze der Partei – in Münster verteidigt und in den programmatischen Eckpunkten sowie im jüngsten Leitantrag unterstrichen – außer Kraft zu setzen.
Summa summarum: Es wird nicht leichter werden. Dennoch – der Parteitag war einer, der neue Chancen für konsequente linke Politik signalisierte. Dies werden nicht zuletzt die politischen Gegner der LINKEN begriffen haben. Und dies haben auch jene in der Partei genau registriert, für die sich mit dem Wort "Chance" vorwiegend die Aussicht auf Regierungsbeteiligung verbindet. Die Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei Die LINKE werden auch zukünftig wider den Zeitgeist agieren, denn, so Lafontaine in Cottbus: "Wer die Sprache der Herrschenden spricht, verfestigt die bestehenden Zustände."
Nachdruck aus: Marxistische Blätter, 4-2008
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2008-06: Ein Parteitag der etwas anderen Art
2008-03: Es gibt keinen linken Antikommunismus