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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Meine Hoffnungen

Gina Pietsch, Berlin

 

Liebe Freunde, Genossen, Kameraden, Kollegen, liebe Gäste, ich stehe heute bei dieser Preisverleihung das erste Mal an einer Stelle, die ich nie erwartet hätte. Bisher durfte ich singen bei der Verleihung dieses wichtigen Preises unter anderem an Täve Schur, Raul Castro, Annette Groth, Sevim Dağdelen, Günter Pappenheim, heute Hans Reichelt. Und, wenn ich mich mit all denen vergleiche, weiß ich wirklich nicht, womit ich den Preis ver­dient habe. Ich wüsste einige, die ich mir gut und eher hier hätte vorstellen können. Da ich nun aber ausgesucht und vorgeschlagen bin von Menschen, die ihr Herz, ihr Kopf, ihr Wissen und ihre Haltung unantastbar machen, sage ich danke und nehme mit großer Rüh­rung und Ehrerbietung diesen beneidenswert schönen Preis an.

Ich komme aus der Wir-Generation

Preise verpflichten, wie jeder weiß, ich aber weiß nicht, ob ich dieser hohen Verpflichtung standhalten kann. Eigentlich weiß ich nur eins: meine Haltung zu dieser großen, wie Brecht es gerne nannte »dritten Sache«, also dem Kampf gegen eine Gesellschaft der Ausbeu­tung, für eine sozialistische, wenn auch ich diese nicht mehr erleben werde, diese Haltung habe ich im Elternhaus, in Schulen, Hochschulen und Universitäten der DDR gelernt, nie vergessen und bin auch nicht gewillt, sie in meinem Leben noch vergessen machen zu las­sen. Gerade Letzterem, dem Vergessen-machen-Lassen eines großen Experiments im Sin­ne der Unteren, muss jeden Tag standgehalten werden. Und sage mir keiner, dass das im­mer leicht ist. Dem Übermaß an Lügen, nicht selten gebildet klingenden, dem wir täglich ausgesetzt sind, der Kontrolle von Ideen und Emotionen, von den Medien angefangen bis in die wichtigsten politischen Instanzen, sich entgegenzustellen mit besseren, klügeren, menschlicheren Argumenten, ist gar nicht so leicht, aber eine große, notwendige Aufgabe. Ich versuche das auf der Bühne mit meinen Abenden, als Dozentin vor zumeist Schauspiel­studenten, denen ich das beibringe, was ich selber tue und kann und nicht zuletzt als politischer Mensch in VVN, BüSGM, bei den Freidenkern, der Frauen- und Friedensbewe­gung und wo es immer Möglichkeiten gibt, noch so aktiv zu sein, wie es mein Alter erlaubt.

Diesen Aufgaben fühle ich mich glücklicherweise – noch – gewachsen, was sicher auch mit meiner Herkunft zusammenhängt. Ich komme ja aus einer »Wir-Generation« – so nen­ne ich das jedenfalls gerne, weil auch das so gelernt und durchaus nicht als schlecht emp­funden. Ich zu denken, lag für mich sehr lange Zeit dicht bei Egomanie oder Egoismus und war schon in meinem Elternhaus nicht beliebt. Weisheiten wie, man kann die oder den an­deren nur gut lieben, wenn man sich selber liebt, habe ich erst lernen müssen. Und nicht zu vergessen: ich bin zugehörig gewesen zu einer Zeit großer progressiver Weltbewegun­gen, die nicht unbedingt in der DDR entstanden, aber doch über Fernsehen und Radio merkbar zu uns »rüberschwappten«, Friedensbewegung, Frauenbewegung, Schwulenbewe­gung, 68er, also auf Veränderung der Gesellschaft Hinzielendes. Ich hab das große Glück gehabt, sehr nahe an die Menschen solcher Bewegungen heranzukommen, auch als ein­gefleischte DDR-Bürgerin. Freilich war ich eigentlich keine »richtige«, denn ich durfte ar­beitsmäßig in den Westen reisen, also Welt erleben und viele großartige, kluge, freilich zu­meist linksorientierte Menschen kennenlernen. Das waren wirkliche Privilegien, beneidens­werte.

Als ich die von Partei und Regierung der DDR auf die Schienen gesetzte professionelle Gruppe für politisches Lied Jahrgang 49 verließ, waren meine Privilegien futsch, kein Fernsehen mehr, selten Radio. Meine fünf Soloabende bis zum Fall der Mauer, haben AMIGA nie interessiert, meine siebzig danach die Westmedien sowieso nicht. Ich sage das sehr ungern, weil es immer nach Opfer klingt, als welches ich mich nie gefühlt habe. Mir war immer klar: Ich passe da sowieso nur schlecht rein. Diese »Klarheit« macht freilich nicht unbedingt froh. Es gibt Tage, an denen ich deprimiert bin. Aber ich bin bisher immer wieder in der Lage gewesen, entweder mich selber hochzuholen oder mich hochholen zu lassen, von meinem Mann, von Freunden, meinem Publikum oder durch meine Schüler, die mich forderten und fordern, an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, der Filmuni Babelsberg und diversen Kursen anderswo. Das war auch Lehrgeld, mit Gewinn, nicht unbedingt pekuniärem, aber mit Lerneffekten auch für mich. Denn wenn der Lehren­de nicht lernt beim Lehren, soll er’s lassen, denke ich. Oder mit Rosa Luxemburg gesagt: Man lernt am schnellsten und am besten, indem man andere lehrt. Ich habe nie ausgelernt, was die Bühne betrifft, aber das Vermarkten lerne ich nicht mehr, übrigens auch nicht im übertragenen Sinne. Ich weiß, dass der Mainstream mit mir nichts anfangen kann, aber ich kann mit ihm auch nichts anfangen und im Übrigen, Einschaltquoten sind mir genauso Wurscht wie den Machern von »volkstümlichen« Sendungen die wirklichen Bedürfnisse des Volkes. Das Volk ist nicht tümlich, hat Brecht mal gesagt, und das ist eine der schönsten Arroganzen, die ich kenne.

Ja, der Brecht. Mit ihm hab ich den Spaß am Denken gelernt, eine Sache, die mittlerweile das Stigma des Unmodernen, »Mega-outen« hat, abgedrängt in den Hintergrund, verdrängt durch x anders Spaßiges, die Droge, die Dummheit, aber auch durch Schönes, den Sex, das Kochen, das Reisen, in jedem Falle das »Ich«. Dabei führen uns die Love- und anderen Parades ja vor, dass gerade junge Leute ein »Wir« wollen. Es scheint zwar mit Hopsereien und Ähnlichem befriedigt zu sein. Aber wie jede Verallgemeinerung ist auch eine solche sicher falsch. Unter meinen Studenten an der Busch und Babelsberg habe ich keinen ken­nengelernt, den die Welt nichts anginge. Was haben die geackert, man kann auch ge­kämpft sagen, als die Busch plattgemacht werden sollte. Und was war das für ein Stolz, als die Pläne geändert wurden.

Nicht ohne Kultur und Kunst

Wir meinen, dass eine Politik im Sinne der Unteren nicht möglich ist ohne Kultur und Kunst. Ich denke, dass wir, die wir das Herz links haben, auf Kunst und Kultur überhaupt nicht verzichten können. Sie zu nutzen, war in den dreißiger Jahren nicht leichter als heute. Insofern vielleicht nur, dass die Linken damals diese Riesen-Konkurrenz der Medien noch nicht hatten, UFA und Hitlers Radio fingen ja erst an. Das, was der großartige Domenico Losurdo die Spektakelgesellschaft nennt, lag noch in weiter Ferne. Und wenn Hanns Eisler und Ernst Busch auf den großen Bühnen standen, kamen die Massen hin, weil eine Mas­senbewegung dahinter stand. Jetzt kommen die Massen nicht, wenn ich mal schnell mit dem Keyboard auf dem Alex ein paar linke Lieder singe. »Das Fernsehen ist mein größter Feind.« Der Satz ist nicht von mir. Der stammt, glaub ich, von Botho Strauss. Aber ich un­terschreibe ihn, wenn auch ungern. Lothar Bisky hat mir in den siebziger Jahren schon mal gesagt: »Wenn du das Fernsehen nicht kriegst, dann kannste dich mit deiner Kunst ab­strampeln, bis du schwarz wirst!« Stimmt. Und im Übrigen, auch diese »Strampelei« ist schwieriger geworden. Die versprochenen »blühenden Landschaften« sind auch im sozio­kulturellen Bereich vertrocknet. In jedem zweiten Laden spielst Du »für die Tür«, was für die Kunstbereiche, die den Kopf etwas mehr beanspruchen, auf Verdienstmöglichkeiten von ein paar Abendbrots hinausläuft.

Aber es geht weiter, denn in den Sälen, die freilich kleiner werden, treffe ich immer wieder auf Leute, die sich nicht verblöden lassen wollen. Und für die lohnt sich’s, hier, in Berlin, in Lörrach, in Nürnberg oder Hof.

Dass diese Leute bleiben, ist eine meiner Hoffnungen, dass mein Herz offen bleibt für de­ren Wünsche, dass mein Kopf offen bleibt für neue Gedanken oder alte, die vergessen, ver­drängt, verschüttet, aber wichtig sind, eine andere.

Dritte Hoffnung, dass Vernunft siegen möge über ökonomisches Denken, sprich, dass je­der zukünftige Präsident, welchen Landes auch immer, keine Unterstützung bekommen dürfte, wenn er den Klimagipfel aufkündigt.

Vierte Hoffnung, dass Proteste dagegen wieder an Raum gewinnen, oder so gesagt, dass man die Linke wieder spürt, weil sie eben nicht fehlen darf, wie Losurdo uns das be­schreibt, weil sie gebraucht wird, für die »Freiheit von Not« und die »Freiheit von Angst«, wie der andere amerikanische Präsident Roosevelt das schon einmal auf seine Fahne schrieb.

Dann ist da eine fünfte Hoffnung, dass uns ein neuer Faschismus erspart bleibt. Das deut­sche Volk hat mal Hitler gewählt, das amerikanische Trump, über die Erfolge von Rechtspo­pulisten in Europa, Ungarn, Polen, Türkei, Österreich und Frankreich, muss man in Sorge verfallen. Die Organisation, deren Mitglied ich bin und für deren Mitgliedschaft der von mir verehrte Historiker Kurt Pätzold in Bayern auf die Liste der politisch verdächtigen Personen gesetzt wurde, arbeitet mit der Losung »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Ver­brechen«. Diese Losung hieß mich, dort einzutreten und mitzuarbeiten.

Sechste Hoffnung, dass das, worauf dieses Deutschland so stolz ist, also seine Demokra­tie, nicht zur billigen Phrase oder gar Entleerung verkommt, weil Menschen oder Men­schengruppen mächtig werden, mit deren Plänen Demokratie nicht zu vereinbaren ist, die aber Zuspruch bekommen, weil sie den Anschein erwecken, komplexe Probleme ganz leicht zu lösen und so denen entgegen kommen, die sich durch Auswirkungen von Globali­sierung abgehängt fühlen und ihrer Würde oder ihrer Arbeit beraubt wurden, schlimmer noch, dass im Namen der Demokratie demokratisch gewählte Präsidenten ermordet und ein kolonialer und neokolonialer Krieg nach dem anderen entfacht werden.

Ich singe weiter für den Frieden

Rede ich also vom Frieden. Denn es braucht über nichts mehr geredet zu werden, wenn diese meiner Hoffnungen und die der Mehrzahl der Menschen auf diesem Planeten sich nicht erfüllt. In der Welt hat es kein Jahr ohne Kriege gegeben. Und, dass er bleibt in Deutschland, ist überhaupt nicht selbstverständlich, auch wenn ich, die im ersten Friedensjahr in Deutschland geboren wurde, bisher keinen Krieg erlebt habe. Deshalb wer­de ich auch weiter jede Aktion der Institutionen unterstützen, die sich trotz der perversen Pläne zur Erhöhung der Rüstungsausgaben in diesen Land als Punkt eins den Frieden auf ihre Fahnen heften, werde ihre Petitionen unterschreiben, Friedenslieder singen, auf Friedensdemos und Friedenskundgebungen laufen, die nächste am 22. Juni um 18.00 vor der Neuen Wache, unter der Losung »Hetze gegen Russland - nicht in unserem Namen!«, aber immer in der Hoffnung, dass ...

Ich weiß, dass Ihr und viele andere draußen diese Hoffnung teilen. Deshalb noch einmal Danke dem Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde für diesen großen Preis. Danke meinen lieben und verehrten Kollegen Scarlett O. und Jürgen Ehle, die für mich gesungen haben, und danke meiner Freundin und Genossin Ellen Brombacher für ihre, mich fast ein wenig schamrot machenden, schönen Worte. Danke meiner Tochter, die mittlerweile die Bühne mit mir teilt bei Themen, die, zu behandeln, gar nicht mehr selbstverständlich sind, wie Oktoberrevolution, Marx oder Rosa Luxemburg. Danke mei­nem Mann, der immer für mich da ist. Danke Euch allen, die ihr mir zugehört habt.

 

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